2. Petrus 1, 16-19

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2. Petrus 1, 16-19

 


Letzter Sonntag nach Epiphanias,
20. Januar 2002
Predigt über 2. Petrus 1, 16-19, verfaßt von Wolfgang Petrak

Anmerkung

Liebe Gemeinde,

der Glaube und die Zeit. In wenigen Sätzen fasst die wohl jüngste
Schrift des Neuen Testamentes dieses zusammen: die Deutung der Schrift,
die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, die Frage nach Wahrheit und
Mythos, die Unterscheidung von heilig von profan; die Überlieferung
des Glaubens seit seinen Anfängen. Es ist letztlich auch die Frage:
Durch wen wissen wir dieses alles, wie entsteht Glauben.

Die Antwort des Briefes: Es sind Menschen, deren Wort und deren Ausstrahlung
uns hineinnehmen in eine Gemeinschaft, die die Zeit überdauert und
deren Grund nicht sie selbst, sondern ein anderer ist. Durch ihn geben
sie Orientierung wie ein Stern in der Nacht und berühren im tiefsten
Inneren. Es ist das Leben, das dieses alles selbst auslegt und verständlich
macht. Wenn ich mich persönlich frage, wer dieses für mich gewesen
ist, dann nennen ich ( ohne ihn persönlich gekannt oder ohne alles
von ihm gelesen und erfahren zu haben) Dietrich Bonhoeffer, der Pastor
und Theologe, der in den aktiven Widerstand gegen Hitler-Deutschland gegangen
war und der wenige Tage vor der Befreiung am Ende des Krieges von den
Nazis im KZ Flossenbürg umgebracht worden ist. Doch die Bedeutung
seiner Existenz strahlt etwas aus, was gilt; ich möchte deshalb versuchen,
Äußerungen seines Lebens auf Abschnitte unseres Predigttextes
zu beziehen, um so verstehen zu können und Glauben zu lernen.

1. – Vers 16: „Wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt“: Wahrheit
und Mythos. Wem folgen wir nach?
Am 1. Februar 1933 hält Bonhoeffer im Berliner Rundfunk einen
Vortrag: „Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation“.
Er sagt, „von dem aus der Gruppe stammenden Führer erwartet
die Gruppe, dass er ihr Idol verkörpert. Er lässt sich von den
Geführten dazu hinreißen, deren Idol darzustellen. Und so gleitet
das Bild des Führers über in das des Verführers“.

Bonhoeffer benennt so sehr klar Ursache und Wirkung. Ursache des Führerprinzips
ist die kollektive Sehnsucht nach der Stärke des Einzelnen. Hemmungsloser
Individualismus berühren sich mit einer dumpfen Sehnsucht nach einer
Gemeinschaft, in der alles gleich ist und die keine Differenzierung kennt.
So schreibt der spätere Bischof von Hamburg, Franz Tögel, dass
er am 30.1.33 bis spät nach Mitternacht am Radio gesessen und den
Klang des Geschehens verfolgt habe. Übrigens: bei der Übertragung
der Machtübernahme wurden die Glocken vom Königsberger Dom per
Band eingespielt. Eine bewusste Manipulation durch das moderne Medium
und zugleich eine perfekte Inszenierung scheinreligiöser Stimmungen.
So gewann man Skeptiker aus dem kirchlichen Lager für die braune
Bewegung. So kann auch Tögel weiter festhalten: „Mit klopfendem
Herzen erlebte ich den Einzug der Männerbatallione durch das Brandenburger
Tor und den Vorbeimarsch an dem greisen Reichspräsidenten und seinem
jungen Kanzler unter endlosem Jubel der Menschenmassen. Ein unbeschreibliches
Hochgefühl verbunden mit dem tiefsten Dank gegen den allmächtigen
Herrn der Geschichte erfüllte mein Herz“.

Das sind sie, die klugen Fabeln, der Mythos des 20. Jahrhunderts. Ungenaue
religiöse Begriffe und wabernde Gefühl maßen sich an,
Geschichte zu deuten, mit dem Ziel, dass der Einzelne und damit die Gruppe
obsiegen. Denn so möchte man selbst sein: Ziel aller Entwicklung,
hindurchschreiten durch ein Tor, um vor Höchstem zu stehen. Doch
es gibt nur einen, der der Höchste ist, und das ist der Vater von
Jesus Christus, und zu dem muss man nicht im Gleichschritt nach vorn drängeln,
sondern er kommt von sich aus auf uns zu.

Unsere selbstgeschaffene Religiosität unterliegt seiner Kritik.
Ob ihr Konfirmanden es deshalb verstehen könnt, dass wir im Unterricht
nicht bei unseren Gefühlen verharren, sondern die Bibel lesen, mühsam
suchen, uns manchmal auch streiten, weil dort die Wahrheit gesagt ist?

2. Nochmals Vers 16: „Empfangen und kundgetan haben die Kraft“:
die Religiosität des Einzelnen.

Bonhoeffer stammt aus einer bürgerlichen Familie, in der die Bildung
eine große, die Kirche eher eine kleine Rolle gespielt hat. Trotzdem
entschließt er sich, Theologie zu studieren. Über diesen Entschluss
schreibt er im Jahr 1932, im Jahr einer persönlichen Krise, rückblickend,
spricht dabei von sich in der 3. Person, so, als sei er sich selbst fremd
geworden: Er wurde rot, als er eines Tages in der Prima auf die Frage
seines Lehrers antwortete, er wolle Theologie studieren.Der Junge hatte
diesen kurzen Augenblick tief in sich hinein gesogen. Es war ganz etwas
Außerordentliches geschehen, und er genoß dies außerordentliche
tief und schämte sich zugleich. Jetzt stand er vor seinem Gott, vor
seiner Klasse. Jetzt war er der Mittelpunkt. Und er schämte sich
wiederum. Denn er wusste um seine erbärmliche Eitelkeit“.

Glaube setzt immer eine persönliche Lebensentscheidung voraus, sie
markiert damit den Unterschied zur Umwelt. Und wenn ihr Konfirmandinnen
und Konfirmanden heute morgen durch unser verschlafenes Weende gegangen
seid, vielleicht daran gedacht habt, wie da hinter den verschlossenen
Fenstern Leute gemütlich frühstücken oder coole Musik hören,
während ihr draußen auf der Straße, die Glocken läuten,
auf unsere Kirche zugesteuert seid, natürlich ist das so, als ob
zwei Welten aufeinander treffen, es fragt sich auch, durch welche Kraft
wir uns bestimmen lassen.

Das Anderssein bedeutet Nachfolge, und es bedeutet zugleich Versuchung
und Hybris. Viele sind berufen, wenige sind auserwählt: das Besondere
birgt die Gefahr des Elitären in sich. Ein Vorwurf, dessen sich Bonhoeffer
immer bewusst gewesen ist. Die Stellung des Einzelnen zur verpflichtenden
Gemeinschaft, zur Kirche, zieht sich deshalb wie ein roter Faden durch
seine Schriften. Diese Kraft: „Jesus Christus, als Gemeinde existierend“
schrieb er einmal. Oder: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für
andere da ist“. Man muß das ja nicht immer schreiben oder sagen,
kann es auch sehen. Habe ich jedenfalls gedacht, als ich zwei Konfis von
euch draußen auf einen Bank sitzen sah, jede mit jeweils einem Kopfhörer
im Ohr, dazwischen der gemeinsame Walkman. Auch drinnen hören wir,
was uns verbindet und was wir weitergeben können: die Kraft und das
Kommen unseres Herrn Jesus Christus.

3. Nochmals, ja, es geht nicht so schnell weiter, der Vers 16 und
17: “ Wir haben seine Herrlichkeit gesehen:

Glaube ist nicht abstrakt, sondern konkret. Anschauung dessen, was nicht
zu sehen ist. Als Student im 2. Semester ist Bonhoeffer 1924 in Rom. Er
schreibt an seine Familie: „Der Tag war herrlich gewesen., der erste
Tag, an dem mir etwas Wirkliches vom Katholizismus aufging, nichts von
Romantik, sondern ich fange an, den Begriff ‚Kirche‘ zu verstehen“.

Man muss zunächst verstehen, wie begeistert er von Rom war. Das
fängt beim Autoverkehr an, meint auch das Wetter und die Zypressen,
schließt den Verdiccio und den Landkäse mit ein, herrlich,
genauso die Sixtinische Kapelle, die Gottesdienste an Palmarum, Gründonnerstag,
Karfreitag. Es ist der Sinn für das Andere, das man zwar sehen und
hören, aber nicht verstehen kann; wohl aber kann man es erleben.
Die Natur erklären wir, die Geschichte verstehen wir“, sagte
einmal ein Philosoph des 19. Jahrhunderts.

Wie das Suchen nach Gemeinschaft ist die Bereitschaft, immer wieder
etwas Neues zu erfahren, ein Schlüssel zu seiner Theologie. Es geht
um die Anschaulichkeit.1932, ich deutete es an, war Bonhoeffer in einer
tiefen Krise. Er schrieb: “ es ist die Unanschaulichkeit Gottes,
die uns kaputt macht“. Es war die Welt der Technischen Universität,
in der er als Studentenpfarrer zu arbeiten versuchte und zugleich den
technischen Rationalismus wie eine Mauer erfahren musste. Die protestantische
Lehre vom verborgenen Gott hat ihre Entsprechung in den Äußerungen
der Welt. Aber: im Konfirmandenunterricht im Wedding. Mit bloßen
Sprüchen konnte er bei den proletarischen Jungens nicht landen. Also
(Kirchenvorsteher müssen jetzt mal weghören) spielte er mit
ihnen Fußball, organisierte er Stoffballen, damit sie bei der Konfirmation
schick aussahen und so: also ganz hineingehen in eine andere Welt. So
wie er von den Gottesdiensten der Schwarzen in Harlem begeistert war.
So wie er- eben noch in Italien- seinen Eltern aus Afrika schrieb; so
wie er im Gefängnis in Tegel bei aller Angst, bei allem Gestank fasziniert
war von der Solidarität der (zumeist kommunistischen ) Mitgefangenen,
von ihren Ehrbegriffen und von der verborgenen Religiosität: „Drück
mir die Daumen“; „Keiner entgeht seinem Schicksal“: ist
das die Erinnerung an die Fürbitte der Gemeinde, an den Zorn und
die Gnade Gottes? In der Haft entstandene Anliegen, den Glauben mit nicht
religiösen Begriffen weiter zu sagen, hängt mit der Fähigkeit,
ja mit der Neugier zusammen, auf das Fremde und die darin begegnende Herrlichkeit
zuzugehen.

4. – Vers 18: Auf dem heiligen Berge. Wohin gehen wir?
Also, wenn ich auf unserer nächsten Konfirmandenfreizeit sagen
würde, heute müssen wir auf den Berg wandern, also – ich könnte
mir das schon vorstellen, wie „Och ne“ und „Muss das sein?“
und „Ist ja öde“ mir entgegen tönen wird. Und trotzdem:
man muss ja Schwierigkeiten und Belastungen nicht einfach ausweichen.
Sondern wir können im Überwinden Neues entdecken. Es gab im
Mittelalter in Frankreich einen Philosophen, der ist als erster freiwillig
auf einen Berg gestiegen und sagte danach: „Es gibt nichts bewundernswerteres
außer der Seele. Da beschied ich mich, genug vom Berg zu haben und
wandte das innere Auge auf mich“. Einen neuen weitreichenden Blick
zu gewinnen, um zu wissen, wo es lang geht: deshalb lernen wir im Konfirmandenunterricht.
Auch auswendig. Selbst wenn die Gebote wie ein Berg vor einem liegen.
Bonhoeffer schrieb aus der haft, dass die Kirche wird lernen müssen,
denn sie sei unfähig gewesen, Träger des versöhnenden und
erlösenden Wortes für die Menschen und die Welt zu sein. „Unser
Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und Tun des
Gerechten unter den Menschen“.

5. – Vers 19: „Bis der Tag anbreche“. Die Zukunft von außen.
Im November 1943 schreibt Bonhoeffer aus dem Gefängnis: So eine Gefängniszelle
ist übrigens ein ganz guter Vergleich für eine Adventssituation;
man wartet, hofft, tut dies und jenes – letzten Ende Nebensächlichkeiten
– die Tür ist verschlossen und kann nur von außen geöffnet
werden“.
Der Glaube und die Zeit: ganz auf Hoffnung ausgerichtet. Kommt, wir singen
das.

Von Gott kommt mir ein Freudenschein (EG 70)

Anmerkung: 1) Nach dem Schulbeginn kommen wieder
viele Konfirmandinnen und Konfirmanden in unseren Gottesdienst. 2) Benutzter
Kommentar: Henning Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief,
MeyerK XII/2,1992, S.116: die Kraft des Erinnerns. Das finde ich wichtig.

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen, den 14.1.02
Tel: 0551/31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de

 

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