Exodus 20

Exodus 20

 

Predigten und Texte zum Dekalog, Februar 2002
Reflexion zum 3. Gebot, Esko Ryökäs, Finnland

1. Für Martin Luther war Gott ein liebender, der aber auch das Gesetz
anwendete. Das Gesetz war kein Gegensatz zur Liebe, wie in der markionistischen
Deutung. Bei Luther hatte das Gesetz zwei Aufgaben zu erfüllen: zu
zeigen, was richtig ist, und zu zeigen, dass der Mensch ein sündhafter
ist. Das Gesetz hält die Gesellschaft zusammen und deswegen ist es
Gottes Schöpfung.

Welche Gesetze waren in der Gesellschaft erforderlich? Die Gesetze zum
Schutz des Menschen können eindeutig begründet werden, aber
wie ist es mit den Gesetzen, die auf Gott bezogen sind. Ist zum Beispiel
das Gesetz über die Entheiligung des Feiertages notwendig? In Finnland
wurde vor ein paar Jahren ein Gesetz erlassen, nach dem die kleineren
Geschäfte in den Ballungszentren auch sonntags geöffnet sein
können, aber die grossen Geschäfte müssen geschlossen bleiben.
Ist dieses richtig? Was bedeutet die Entheiligung des Feiertages?

2. In seinem kleinen Katechismus fasst Luther seine Gedanken zusammen:
„Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und
sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören
und lernen.“ In der Erläuterung zum Gebot wird nicht über
den Feiertag gesprochen, nur über Gottes Wort und seine Entheiligung.
Von hier aus öffnet sich die lutherische Weise, das dritte Gebot
zu verstehen: es geht nicht um den Feiertag, sondern um den Willen, in
der Nähe Gottes zu sein und Gottes Wort zu hören.

3. In seinem grossen Katechismus (Gebote, Stelle 83) sagt Luther, dass
der Feiertag kein Tag sein soll, wo man nichts macht. Die wesentlichste
Aufgabe des Feiertages besteht darin, Ruhe zu erteilen, also: „…,
dass wir Feiertage halten nicht der verständigen und gelehrten Christen
willen, …, sondern erstlich auch umb leiblicher Ursach und Notdurst
willen, welche die Natur lehret und fordert…“

Die Unterscheidung des Sonntags von anderen Wochentagen erinnert uns
daran, dass wir unseren Ruhetag brauchen. Es ist Gottes guter Wille, dass
jederman die Möglichkeit hat, seinen Ruhetag zu verbringen.

Daneben ist die Aufgabe des dritten Gebotes die Möglichkeit anzubieten,
Gottes Wort zu hören: “ [der Sonntag wird verbracht] allermeist
darumb, dass man an solchem Ruhetag … Raum und Zeit nehme, Gottesdiensts
zu warten, also, dass man zuhause komme, Gottes Wort zu hören und
handeln, darnach Gott loben, singen und beten.“

Luther sagt jedoch nicht „Du sollst am Feiertag ausruhen“.
Er hält es für angepasst den Feiertag zu heiligen, und dieses
bedeutet nicht, dass man da keine Arbeit verrichten dürfte. Die Arbeit
sollte jedoch von ihrem Charakter zufällig sein, sonst verwirklicht
sich der Zweck des Ruhetages nicht.

4. Die Evangelisch-Lutherische Kirche Finnlands hatte diesen zweifachen
Gedanken bei der Annahme des neuen Katechismus im Jahr 1999. Darin geht
man im lutherischen Sinne vom Ruhebedarf aus. Danach geht man zur Zerbrochenheit
des Menschen und zur Fragen über. Diese werden in Gottes Wort beantwortet:

„Gott hat den Menschen sowohl die Arbeit als auch die Ruhe gegeben.
Die Ruhe bedeutet etwas anderes als nur Schlafen und die Ruhe des Körpers.
Das Aufhalten vor Gott ist der tiefste Sinn des Ruhetages.

In der Stille ahnen wir die Existenz der Heiligkeit, auch wenn wir ihr
keinen Namen und keine Form zu geben wissen. Unsere Zerbrochenheit und
die Widersprüchlickeit des Lebens erwecken in uns Fragen und zwingen,
Antworten zu suchen.

Der Heilige Gott will uns antworten. In seinem Wort kommt er in unsere
Welt und spricht unsere Sprache. Wenn wir Gott nicht zuhören wollen,
schliessen wir ihn von unserem Leben aus.

Der Gottesdienst am Sonntag ist ein Begegnungsort, wo Gott mit uns spricht
und wir mit Ihm. Durch das heilige Wort der Bibel lernen wir verstehen,
was Gott uns sagt und wie er auf unser Gebet antwortet.“
[http://www.evl.fi/katekismus/10kaskya/3.html]

5. Luther begründet den Feiertag auch unter Berufung auf den Verstand.
Hierbei folgt er dem Gesetz der goldenen Regel: Behandle den anderen Menschen
so, wie du hoffst, dass er dich behandelt (hierzu z.B. Jorma Laulaja).
Für Luther handelt Gott durch das Gesetz und durch die Ordnung der
Gesellschaft. Aber das dritte Gebot ist ein Querschnitt der Tafel. Die
goldene Regel betrifft im Eigentlichen die Gebote vom dritten ab. Das
dritte Gebot begründet Luther auch andersweitig: Es ist um des Glaubens
willen wichtig im Evangelium. Den Inhalt des Glaubens erläutert er
schon im Jahr 1520 in seinem frühen Büchlein.

In seinem Buch „Sermon von den guten Werken“ fasst Luther nach
der Behandlung des dritten Gebotes die Nachricht der drei ersten Gebote
zusammen (WA 6: 249-250). Er stellt fest, dass sie den drei ersten Bitten
des Vaterunser folgen. Wenn wir bitten „Dein Reich komme“, bitten
wir um wahren Sabbat und Ruhe, so dass Gott uns beherrschen würde,
wie er in Seinem Reich herrscht. Das wahre Reich Gottes bedeutet, dass
Arbeit und Ruhe sich wechseln, dass man nach der Arbeit in die Nähe
Gottes kommen kann. In dieser Stelle weisst Luther auch darauf, dass das
dritte Gebot zum zweiten führt. Wenn der Teufel den Glauben bemerkt,
greift er an. Da braucht man den Ruhetag, um die Texte Gottes zu lesen.
Da soll man Gottes Namen anrufen, also das, wozu das zweite Gebot führt.
Es bringt uns näher Vater Gott, also dem ersten Gebot. In der Nähe
Gottes wächst der Glauben und wir kehren zurück zum dritten
Gebot.

6. Luther sagt, dass der Mensch sowohl gerechtfertigt wird als auch gerecht
gemacht wird. Wenn der Mensch gerechtfertigt wird, bleiben seine Sünden,
sie werden aber nicht mehr zu seiner Last gezählt. Wenn der Mensch
gerecht gemacht wird, verschwinden seine Sünden. Gott heiligt den
Menschen und der Mensch beginnt zum Gottes Geschöpf zu werden, der
er ursprünglich sein sollte. Der wahrhafte Subjekt dieses Wachstums
ist Christus. Er kommt in Glauben in Menschen. „In ipsa fide Christus
adest“, im Glauben selbst ist Christus gegenwärtig (u.a. Tuomo
Mannermaa hat dieses hervorgehoben). Die Entheiligung des Feiertages ist
wichtig, dass der Mensch ein wahrhafter Mensch werden konnte.

In der lutherischen Ethik hat man es zuweilen als ein Problem gesehen,
wer das Subjekt ist, wenn Christus im Menschen den Willen und das Tun
des Menschen bewirkt (u.a. Simo Knuutila 1998). Für Luther war dieses
anscheinend kein Problem. Wie Knuutila bemerkt, bei der Verrichtung der
guten Taten ging es dabei gar nicht um einen ethischen Bereich der Tätigkeit.
Es ging um die Tätigkeit des Glaubens. In seinem grossen Katechismus
warnt Luther vor denen, die die Gebote äusserlich halten, aber gedankenmässig
nicht dabei sind (Stellen 97 und 101). Es kann ihnen schlecht gehen: „Wo
aber das Herz müsig stehet und das Wort nicht klinget, so bricht
er [Teufel] ein und hat den Schaden getan, ehe man’s gewahr wird. Wiederumb
hat es [Wort Gottes] die Kraft, wo man’s mit ernst betrachtet, höret
und handlet, dass es nimmer ohn Frucht abgehet, sondern allezeit neuen
Verstand, Lust und Andacht erwecket, rein Herz und Gedanken machet.“

7. Das dritte Gebot bedeutet für Luther ein Mittel zur Fortführung
des Lebens. Man schöpft aus Gottes Wort Kraft, wenn der Teufel einbricht.
Diesen Umstand hat die Evangelisch-Lutherische Kirche Finnlands hervorgehoben,
wenn sie über die Zerbrochenheit des Lebens spricht. Das dritte Gebot
ist kein Gesetz, das mit der Liebe in Widerspruch stehen würde. Das
dritte Gebot will den Hoffnunglosen Hoffnung geben, Licht ins Dunkle bringen,
Unversehrtheit dort schöpfen, wo vieles gebrochen ist.

Prof. Dr. Esko Ryökäs
Institut für westliche Theologie, Universität zu Joensuu
E-Mail: Esko.ryokas@joensuu.fi

 

 

 

 

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