Exodus 20,1-17

Exodus 20,1-17

„Regeln für eine Insel“ | 18. Sonntag nach Trinitatis | 08.10.23 | 2. Mose 20,1-17 | Sven Keppler |

I. Liebe Konfis, liebe Gemeinde,

mit einem Konfi-Kurs habe ich einmal eine Schifffahrt unternommen. Wir waren auf hoher See, da stieß unser Schiff plötzlich auf einen Eisberg. Zum Glück konnten sich alle in die Beiboote retten. Und alle zusammen erreichten wir eine kleine Insel im atlantischen Ozean.

Dort gab es einige Bäume und Früchte. Tiere lebten auf der Insel, aber kein einziger Mensch. Bis das nächste Schiff vorbeikäme, würde es voraussichtlich lange dauern. Unsere Handys hatten keinen Empfang. Wir mussten uns auf eine lange Zeit auf der einsamen Insel einstellen.

Und deshalb beschlossen wir, Regeln für unser Zusammenleben aufzustellen. Schließlich sollten Arbeit und Essen gerecht verteilt werden. Wenn es Streit gab, sollte er auf gute Weise beigelegt werden können. Die Starken sollten die Schwächeren nicht ausnutzen. Sondern ihre Kraft zum Nutzen aller einsetzen. Es sollte gerecht zugehen und trotzdem auch noch ein bisschen Spaß machen.

Als erstes sammelten wir die Fragen, die wir regeln mussten. Zum Beispiel: Wie gehen wir beim Hausbau und beim Heizen schonend mit den wenigen Bäumen um? Oder: Soll es einzelne geben, die die Regeln durchsetzen können – und dürfen sie dazu Gewalt anwenden?

Wenn ja – soll man die Stärksten als „Polizisten“ einsetzen, damit sie sich auch durchsetzen können? Oder soll man den Schwächsten diese Aufgabe geben, damit die Stärksten nicht auch noch die Waffen haben und tun können, was sie wollen? Wie kann man zum Beispiel die Mädchen vor den stärkeren Jungs schützen, wenn diese ein Nein nicht akzeptieren?

Wir haben lange beraten und am Ende über die einzelnen Regeln abgestimmt. Es kam ein gutes Regelwerk zustande, nach dem wir wahrscheinlich lange miteinander ausgekommen wären.

II. Dann habe ich den Vorschlag gemacht, unsere Regeln mit den Zehn Geboten zu vergleichen. Sie waren ja in einer ähnlichen Situation entstanden. Mose war mit den Israeliten zwar nicht auf einer einsamen Insel gelandet. Aber dafür mitten in der Wüste. Das war auch nicht sehr viel anders als mitten im Ozean.

Auch sie waren auf einer großen Reise. Von Ägypten nach Palästina. Vom Land der Sklaverei ins Land der Freiheit. Dort wurden ihnen die Grundregeln gegeben, nach denen sie miteinander leben sollten. Später wurde daraus das umfangreiche Gesetz des Mose mit seinen 613 Geboten und Verboten.

Als wir unsere Regeln mit den Zehn Geboten des Mose verglichen, merkten wir schnell: Eine ganze Menge stimmte überein. Vom fünften Gebot an – oder anders gezählt, sogar vom vierten an – kam alles irgendwie auch bei uns vor:

Kümmere dich um Deine Familienangehörigen. Wenn vorhanden, sogar um Deine Eltern. Du sollst nicht töten. Du sollst eine Partnerschaft nicht zerstören. Du sollst nicht lügen und andere dadurch in ein schlechtes Licht setzen. Du sollst andere nicht bestehlen. Und du sollst auch sonst nicht versuchen, Dir anzueignen, was anderen gehört.

All das hatten wir auch beschlossen. Aber von den ersten drei bis vier Geboten kam bei uns nichts vor – nicht die geringste Spur.

Ich lese sie etwas gekürzt so, wie sie im 2. Buch Mose stehen, im 20. Kapitel:

1Dann gab Gott dem Volk seine Gebote. Er sagte: 2»Ich bin der HERR, dein Gott! Ich habe dich aus Ägypten herausgeführt, ich habe dich aus der Sklaverei befreit. 3Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.

4Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen. […] 5Wirf dich nicht vor fremden Göttern nieder und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein leidenschaftlich liebender Gott und erwarte auch von dir ungeteilte Liebe. […] 6Wenn mich aber jemand liebt und meine Gebote befolgt, dann erweise ich auch noch seinen Nachkommen Liebe und Treue, und das über Tausende von Generationen hin.

7Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird jeden bestrafen, der das tut.

8Halte den Ruhetag in Ehren, den siebten Tag der Woche! Er ist ein heiliger Tag, der dem HERRN gehört. 9Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Tätigkeiten verrichten; 10aber der siebte Tag ist der Ruhetag des HERRN, deines Gottes. An diesem Tag sollst du nicht arbeiten […]. 11Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel, Erde und Meer mit allem, was lebt, geschaffen. Am siebten Tag aber ruhte er. Deshalb hat er den siebten Tag der Woche gesegnet und zu einem heiligen Tag erklärt, der ihm gehört.

III. Gott als einzigen Gott verehren. Sich kein Bild von ihm machen und nicht leichtfertig von ihm reden. Und einen arbeitsfreien Tag in der Woche haben, in dem es eine besondere Zeit für Gott gibt. Auf all diese Dinge sind wir bei unseren Regeln nicht gekommen.

Auch die Israeliten wären darauf vielleicht nicht von selbst gekommen. Es musste ihnen gesagt werden. Die Bibel berichtet, dass Mose die Gebote direkt von Gott bekommen hat. Mit dieser Ansicht tun wir uns heute schwer. Aber wir können sie in unser Denken übersetzen: Was in den Zehn Geboten steht, das entspricht Gottes Willen.

Gott ist der Urgrund und Ursprung dieser Welt. Er hat sie als sein Gegenüber ins Leben gerufen. Deshalb ist es sein Wille, sie zu erhalten und zu schützen. Er liebt diese Welt und ihre Geschöpfe. Wenn Regeln und Gesetze ihre Existenz bewahren und fördern, dann entsprechen sie Gottes Willen.

Anders gesagt: Gott will, dass wir unser Leben auf eine gute Weise führen. Dass unser Leben gelingt. Nach den Zehn Geboten zu leben ist die Voraussetzung dafür. Wer lügt, stiehlt, ehebricht und tötet – der verhindert, dass das Leben gelingt.

Aber nicht nur das: Auch wer Gott vernachlässigt, macht sich das Leben unnötig schwer. Das wird in der Bibel behauptet. Aber stimmt das? Es gibt doch auch viele Leute, die ihr Leben lieber ohne Gott führen wollen. Leben die nicht genau so gut? Ich behaupte: Nein!

IV. Das merkt man zum Beispiel, wenn man irgendwann Halt braucht. Wenn auf der Insel einer einen echten Fehler gemacht hätte und plötzlich allein dagestanden wäre. Wenn alle sich im Streit gegen einen stellen. Wenn der Freund aus heiterem Himmel Schluss gemacht hat.

Gott ist immer da. Man kann sich immer an ihn wenden. Auch wenn man ihn nicht sieht: Er hat ein offenes Herz. Was man mit ihm ausmacht, wird nie jemand anderes erfahren.

Außerdem: Menschen vergöttern immer irgendetwas. Wer nicht an Gott glaubt, vergöttert stattdessen eine Sache, die überhaupt nicht göttlich ist. Und macht einen Irrsinns-Kult daraus. Zum Beispiel immer online zu sein. Immer verfolgen zu müssen, was die anderen gerade chatten.

Auf der Insel ohne Netz wäre das entfallen. Aber alle hätten bestimmt schnell einen Ersatz gefunden. Schnell wäre ein Kult entstanden, bei dem alle hätten mitmachen müssen. Vielleicht wäre nur in gewesen, wer bestimmte Muscheln an der Jacke getragen hätte. Oder wer sich noch an die Texte von Cro erinnern konnte.

Wer an Gott glaubt, darf das alles natürlich auch. Aber er kann gelassener damit umgehen. Weil er weiß: Das ist höchstens das Zweitwichtigste auf der Welt. Mein Glück hängt nicht davon ab, ob ich jedes gepostete Video gesehen habe. Ich kann nämlich gar nicht allwissend sein. Das kann nur Gott.

An Gott zu glauben, befreit nämlich auch vom Größenwahn. Ich muss nicht perfekt sein. Ich kann das auch gar nicht. Perfekt ist nur einer. Und der hat uns so gemacht, dass wir auch trotz unserer Schwächen und Fehler liebenswert sind.

V. Wer sich an die Zehn Gebote hält, lebt besser. Das ist meine Behauptung. Zum Abschluss möchte ich das am Feiertags-Gebot deutlich machen. Halte den Ruhetag in Ehren, den siebten Tag der Woche! Er ist ein heiliger Tag, der dem HERRN gehört. 9Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Tätigkeiten verrichten; 10aber der siebte Tag ist der Ruhetag des HERRN, deines Gottes. An diesem Tag sollst du nicht arbeiten.

Auch die Gewerkschaften haben erkannt: Menschen brauchen einen freien Tag. Sonst droht das Burnout. Aber was nützt der freie Tag am Dienstag oder Donnerstag, wenn alle anderen arbeiten? Für die Gemeinschaft ist es wichtig, zusammen einen freien Tag zu haben, an dem man sich verabreden kann.

So ist es auch im Glauben. Beten kann jeder auch alleine. Und wunderbar, wenn er oder sie das dann auch tut. Aber miteinander feiern, sich treffen und austauschen, zusammen singen und von Gott hören – das geht nur an einem Tag, an dem alle Zeit haben. Dafür brauchen wir den Sonntag: als Kraftquelle. Zur Erweiterung des Horizonts. Um zur Ruhe zu kommen. Und um gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir unser Leben eigentlich führen wollen. Amen.

Pfarrer Dr. Sven Keppler

Versmold

sven.keppler@kk-ekvw.de

Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Vorsitzender des Versmolder Kunstvereins. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

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