Exodus 20,1-17

Exodus 20,1-17

Wer schützt Andri? | 18. Sonntag nach Trinitatis | 08.10.2023 | 2. Mose 20,1-17 | Eberhard Busch |

In der Hugenottenkirche in Celle sieht man eine Tafel, auf der die 10 Gebote geschrieben stehen. Bei deren Anblick zeigt sich: Der erste Teil der Gebote, der unser Verhältnis zu Gott betrifft, ist weit ausführlicher als der zweite Teil über unser Verhältnis zu den Mitmenschen. Dieser erste Teil enthält vier Gebote. Die längsten Gebote sind dabei das Feiertagsgebot und das Bilderverbot. Die Juden sind uns im Ernstnehmen dieser zwei Gebote vorbildlich. Im lutherischen Katechismus ist das Bilderverbot ausgelassen. Heute soll gerade dieses, das zweite Gebot, zu uns sprechen.

„Du sollst dir kein Gottesbild machen, und keinerlei Abbild, weder dessen, das oben im Himmel, noch dessen, das unten auf Erden … ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis in die dritte und vierte Generation an den Kindern derer, die mich hassen, der aber Gnade übt bis in die tausendste Generation an den Kindern derer, die mich lieb haben und meine Gebote halten.“ (Ex. 20,4-6) Zürcher Bibel.

Worum geht es im Bilderverbot? Sagt es Nein zur Freude an schönen Gemälden? Aber das anerkannte Bilderverbot stand nicht gegen die herrliche Malerei im Holland des 17. Jahrhunderts, auch bei Reformierten, die das Gebot anerkannten. Oder gibt das Gebot den Bilderstürmern recht? Aber Historiker haben gezeigt, dass eine neue Zeit der Freiheit allemal anbricht mit Beseitigung von Symbolen einer maroden alten Herrschaft. Doch was sagt uns das Gebot dann? Blicken wir auf die Situation, in der das Gebot dem Volk Israel nach seiner Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei mitgeteilt wurde. Nachdem Gott durch Mose die 10 Gebote seinem Volk gegeben hatte, stieg dieser Mann erneut auf den Berg und blieb dort so lange, dass man meinte, er käme gar nicht mehr zurück. Da sammelte Aaron den Goldschmuck des Volkes ein und goss daraus ein Kalb und das Volk sagte: Dies ist der Gott, der uns aus Ägypten gerettet hat. Das heißt: Können wir durch den Mund von Mose nicht mehr Gott hören, so ersetzen wir ihn halt durch unseren Goldschatz. Aber nun sagt Gott dazu Nein. Während sich das 1. Gebot dagegen wendet, andere Götter neben Gott zu haben, wendet sich das 2. Gebot dagegen, Gott selbst gegen ein Plagiat, gegen eine Fälschung auszutauschen.

Darum geht es: Es missachten, dass Gott selbst uns sagt, wer er ist und wer wir für ihn sind und was er will mit uns. Dabei besteht die Verfälschung Gottes darin, dass wir ihn uns zurechtlegen, bis er uns passt. Sie unternimmt es, Gott zu formen zu einer Gestalt, in der wir ihn gern hätten. Solche Fälschung ist ein Irrtum. Das nicht, weil Gott unfasslich ist. Das darum, weil Gott immer nur sich selbst uns fasslich macht. Und das tut er ja. Die biblischen Psalmen sind voll von höchst anschaulichen Reden von Gott: Gott als Hirte, als Wirt, als Wächter, als Vater und Mutter, als Schutz und als der, der Hand, Auge, Mund, Ohr, Gesicht und Herz hat.

Aber warum ist das Bildermachen so brandgefährlich? Warum wird so dringend davor gewarnt: Diene ihnen nicht!? Das Bilderverbot streitet dagegen, mit Hilfe des Bildes Macht über das abgebildete Wesen zu gewinnen. Das ist hier das Übel. Und das Bild können auch Prinzipien, Bräuche, Meinungen sein, von denen wir behaupten, dass sie strikt verbindlich sind. Die Verhältnisse kehren sich dabei um: Nicht mehr sehen wir jetzt Gott so, wie er sich uns zeigt, nun sehen wir ihn nach dem Bild, das wir uns von ihm machen. Ein ein-gebildeter Gott! –  es ist eine schreiende Gewalttätigkeit, die wir damit Gott gegenüber begehen. Die kann darin bestehen, dass wir Gott unserem Zugriff zu unterwerfen suchen. Sage ich damit etwas Abwegiges? Ist nicht jedes Gebet, das wir sprechen, in Gefahr, dass wir, statt Gott zu bitten, ihn einspannen wollen in unsere Wünsche für das, was wir für uns nützlich und gut halten? Johannes Calvin hat fein bemerkt: „Es gibt kein Gebet, über das Gott nicht erzürnen müsste, wenn er nicht gnädig über die Makel hinweg sähe, mit denen alle befleckt sind.“

Die Macht, die wir über das abgebildete Wesen gewinnen, kann aber auch darin ihre böse Folge haben, dass das Bild über uns Macht gewinnt. Und das ist eine aufregende Sache: Indem der Mensch im Bild Gott in Verfügung nehmen will, verfügt vielmehr das Bild über den Menschen. Im Jesajabuch (Kap. 44) wird beschrieben, wie jemand ein Gottesbild herstellt, dann vor ihm niederfällt und es anbetet. Das zeigt die Macht unserer Bilder, dass das von uns Hergestellte wie ein Herrscher uns in den Griff nimmt. Die Macht unserer Bilder: unsere militärischen, unsere patriarchalischen, unsere sportlichen, unsere egoistischen Bilder, die schier unaufhörlich Macht über uns haben. Es ist unser eigenes Produkt, das uns Produzenten beherrscht. Und das selbstgemachte Bild ist Abbild der Einsamkeit, in der es Menschen mit sich elend allein lässt. Hat es der Mensch dabei nur mit sich selbst zu tun? Das ist hier die Frage.

Wie kein anderes der 10 Gebote redet dieses Gebot hingegen von dem Gott, der seine Menschen nicht allein lässt. Denn das Gebot unterscheidet nicht zwischen der Übertretung des Gebots im Verhältnis zu Gott und im Verhältnis zu seinen Menschen. Ihre Verbundenheit ist so eng, dass beides wahr ist: Will der Mensch Macht über Gott ausüben durch ein Bild, das er sich von ihm einbildet, dann wird auch seine Menschlichkeit in Mitleidenschaft gezogen. Und missbraucht der Mensch seine Mitmenschen durch ein Bild, das er sich von ihnen macht, dann wird dadurch auch Gott gekränkt. Ja, Gott ist dadurch so bedroht, wie wir das in der Leidensgeschichte Jesu hören. Er lässt sich das darum gefallen, weil er sich seiner Menschen annimmt, um sie aus ihrer tiefen Bedrohtheit herauszuholen. Er will siedavor schützen, dass sie Opfer, Gekränkte, Missbrauchte werden bei der Untat, mithilfe des Bildes Macht über Gottes Geschöpfe zu gewinnen. Es ist gut, dass das 2. Gebot sich gegen das Bildermachen von Gott und seinen Geschöpfen wendet. Damit bezeugt es die Menschlichkeit Gottes und die Bestimmung von uns Menschen zur Gotteskindschaft.

Der Dichter Max Frisch hat das verstanden. In seinem Theaterstück „Andorra“ gibt ein Lehrer den Andri als ein Judenkind aus; das habe er in Zeiten der Verfolgung aus Wohltätigkeit aufgenommen. Aber unter dieser noblen Decke will er das Peinliche verbergen, dass Andri sein eigener unehelicher Sohn ist. Mit diesem Versteckspiel hat er Erfolg. Doch dann beginnen die Menschen seiner Umgebung alle ihre Bilder über Juden auf das Kind zu übertragen. Auch der gutmeinende Pater sagt: „Du musst dich selber annehmen“ – nämlich in dem Bild, das die Leute von Juden haben. Bis die Einbildung zur bitteren Realität wird! Andri verwandelt sich selbst in dieses Bild, und seine Umgebung toleriert schließlich seine Ermordung. Ohne sich schuldig zu fühlen. Jener Pater spricht es aus, wogegen sich die Menschen hier vergangen haben: „Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott, deinem Herrn, und nicht von den Menschen, die seine Geschöpfe sind.“ Das Bildnis, von dem hier die Rede ist, hat man schon vorher gemacht, bevorman dem Anderen begegnet. Und es ist so schrecklich langlebig, dass es sich durch die Begegnung mit ihm nicht mehr korrigieren lässt. Man zwingt die Wirklichkeit des Anderen hinein in das vorgefertigte Bild. Und das endet so brutal.

Auch wenn das nun überraschend tönen mag: es ist schon so, dass der letzte Teil des 2. Gebots angesichts dieses Dunkels ein tröstliches Licht ist – das Wort, in dem Gott zu uns spricht: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis in die dritte und vierte Generation an den Kindern, die mich hassen, der aber Gnade übt bis in die tausendste Generation an den Kindern derer, die mich lieben und meine Gebote halten.“ Wer du Mensch auch bist, Gott ist dein Gott. Er liebt dich. Und eifersüchtig ist er – wie ein Liebhaber, der seine Braut keinem anderen überlassen will. In solcher Eifersucht müht er sich genau um die, die mit dem Verstoß gegen das göttliche Gebot bekunden, dass sie ihn geradezu hassen. Dass Gott ihnen eifersüchtig zugewandt ist, damit zeigt er ihnen, dass er die von ihm losgelösten Menschen seinerseits nicht loslässt.

Dabei hat er eine klare Absicht, wenn er sie nicht loslässt. Darauf stößt uns das kuriose Zahlenspiel in dem Gotteswort: die Schuld der Übertreter des Gebots soll drei bis vier Generationen lang bestraft werden, und den Nachfahren von Liebhabern Gottes soll auf tausend Generationen Gnade zuteil werden. Man muss kein Rechenkünstler sein, um einzusehen, dass man so nicht rechnen kann. Es wird damit vielmehr das gesagt, was wir in Psalm 30 lesen: „Gottes Zorn währt einen Augenblick und ewig seine Gnade.“ Er will genau die, die ihn zornig und eifersüchtig machen, aufs Neue gewinnen als seine Kinder. Er will eine lebendige Verbindung mit ihnen. Darum will er, dass nicht nur er sie liebt, er will, dass auch sie ihn lieb haben.

Indem sie das tun, indem wir das tun, erfüllen wir das zweite Gebot.  Sagen wir es mit Max Frisch: „Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit denen, die wir lieben, nicht fertig werden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben.“ So sei das heute unser Gebet: Bitte, guter Gott, befreie uns dazu, deine Liebhaber zu sein und zu bleiben und darum auch die Liebhaber all deiner guten Geschöpfe. Amen.


Eberhard Busch

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