Matthäus 22,34-46

Matthäus 22,34-46

Der goldene Horizont | 18. Sonntag nach Trinitatis | 08.10.23 | Mt 22,34-46 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

Eine der schönsten Kirchen in Rom heißt Santa Maria in Trastevere. Sie wurde schon um 200 nach Christus gegründet, aber ihre heutige Gestalt erhielt die Kirche im 12. Jahrhundert. Damals wurde sie auch mit den goldenen Mosaiken ausgeschmückt, die sie zu einem so wunderschönen Kirchenraum machen. Auf dem Bild sieht man einen Ausschnitt aus dem Mosaik, das den ganzen Apsis-Bogen über dem Altar ausfüllt. Christus sitzt auf dem himmlischen Thron zusammen mit seiner Mutter Maria. Sie hat eine Krone auf dem Kopf und ist gekleidet wie eine Königin in einem prächtig ausgeschmückten goldenen Gewand, weil sie die Mutter des himmlischen Königssohnes ist. Es ist denn auch er, auf den sie zeigt, der buchstäblich das Zentrum des Mosaiks ist. Sein Rock hat dieselbe hellblaue Farbe wie der Himmel, und sein Gewand mit den vielen Falten ist golden wie die Sonne oder wie die Freude, die wie eine Sonne um sein Angesicht strahlt. Das Gold findet sich wieder in der Glorie, die wie eine Sonne um sein Gesicht strahlt. Über ihm reicht eine Hand aus dem Himmel herab durch die blauen und roten Wolken. Es ist die Hand Gottes, die ihn segnet und für uns erwählt. So sitzt er zur rechten Hand Gottes wie in dem Psalm, den er im heutigen Evangelium zitiert. Wir sind nicht im Zweifel darüber, dass dieser König Herr ist über alle anderen Könige, auch König David, denn er ist der himmlische Königssohn.

Das Schöne ist, dass er nicht allein auf dem himmlischen Thron sitzt. Er hat den Arm um seine Mutter gelegt. Sie hat ihn geboren, ganz so wie unsere Mütter uns geboren haben. Er ist zugleich Gottes Sohn und ihr Sohn, ein Mensch wie wir. Himmlisch und irdisch, göttlich und menschlich zugleich. Die Glorie um sein Gesicht trägt das Zeichen des Kreuzes, so dass wir nicht vergessen, wie er wie wir geboren wurde, ist er auch wie wir gestorben. Auf dem Mosaik unter ihm ist er als ein Lamm abgebildet umgeben von zwölf anderen Lämmern, die die zwölf Apostel symbolisieren. Wenn ihr das Lamm in der Mitte sehen könntet, würdet ihr sehen, dass dieses Lamm eine Glorie trägt, die rot wie Blut ist.  So werden wir daran erinnert, dass der König nicht immer auf seinem Thron im Himmel gesessen hat. Er starb auch an einem Kreuz auf der Erde. Weil er sowohl Davids Herr war, ein himmlischer König, als auch Davids Sohn, bildlich gesprochen ein Mensch auf Erden. Mit seiner Bildsprache hält das Mosaik das fest, was die Pharisäer im Evangelium nicht zusammenbringen: Dass Gott in einem Menschen ist, der erschlagen werden kann – und der erschlagen wird. Das Mosaik hält fest, dass er beides ist.

Und dann hält das Mosaik fest, wer wir sind. Denn Christus hat den Arm um Maria gelegt, aber nicht auf sie blickt er, sondern auf uns. Sein Blick trifft auf unseren Blick, er sieht uns mit milden Augen. In dem Buch, das er uns zeigt, steht, was er sagt. Komm, mein Erwählter, und ich will dich auf meinen Thron setzen. Es ist wohl Maria, zu der er spricht, aber es ist auch jeder von uns, die das Mosaik betrachten. Komm, mein Erwählter. Das sind wir offenbar in seinen Augen. Seine Erwählten. Die, mit denen er seinen Himmel teilen will.  Paulus sagt das so schön in der Epistel dieses Sonntags (1. Kor. 1,4-8): „In ihm seid ihr in allen Stücken reich gemacht“. So sieht Christus auf uns, nicht als arme Leute, die zu nichts taugen, sondern als Menschen, die reich geworden sind an Wort und Erkenntnis und Gnadengaben, weil wir in ihm sind, ihm gehören, von ihm erwählt sind, oder wie wir nun die Beziehung zwischen ihm und uns formulieren wollen. Denn er ist unser König, und wir sind sein Volk.

Reich an Wort und aller Kenntnis. Was ist es, worüber wir nach seiner Meinung reden können, und was ist das, was wir nach seiner Meinung kennen? Ja, das ist ja seine eigene Geschichte. Die Geschichte von dem himmlischen Königssohn, der auf Erden geboren wie wir wurde von einer Mutter. Der all den Feinden trotzte, die Menschen in sich selbst einsperren, sie mit himmlisch er Liebe anrührte, so dass sie sich erheben konnten, frei atmen und einander die Hand reichen konnten. Er starb und wurde in ein Grab gelegt wie wir. Aber sein Vater besiegte den Tod und erweckte ihn vom Tode und erhob ihn zu seiner Rechten. Das ist der Reichtum, den wir empfangen haben. Eine Geschichte von der Macht der Liebe über den Tod, einem König, der uns von allen Anklagen befreit.  Er ist es, den wir kennen und von dem alle Kenntnis kommt, er ist es, von dem wir frei sprechen können, und das tun wir hoffentlich mit einander. Jedenfalls tun wir dies hier heute. Reden von ihm und singen von ihm, so dass er wieder lebendig in unseren Herzen steht.

Denn er und seine Geschichte sind wohlgemerkt nicht nur Vergangenheit. Unser Reichtum besteht in dem leuchtenden Horizont, den er für unser Leben schafft. Das ist der Horizont, den das goldene Mosaik im Apsis-Bogen widerspiegelt, das in der Kirche in Rom strahlt. Der äußerste Horizont unseres Lebens ist nicht Schweigen und Finsternis, die sich senkt, sondern er ist die Begegnung mit einem, der uns mit milden Augen sieht, der uns ruft und uns Platz gibt an seiner Seite in einem Himmel, der golden ist wie die Freude. Dass er unser äußerster Horizont ist. Dass wir deshalb immer seinem Blick begegnen, wenn wir unseren Blick erheben, und dass seine Stimme hören, wann immer wir zuhören – das hat Bedeutung dafür, wie wir hier und jetzt leben, während wir uns hin zum Licht des Horizonts bewegen, den er bereitstellt. Denn er lässt keinen Zweifel daran, was der Sinn unseres Lebens ist. Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben und den Nächsten wie dich selbst. So wie er selbst dies unablässig tat, ohne sich jemals dem Egoismus hinzugeben.

Wenn er unser König ist und wir sein auserwähltes Volk, dann sollen wir auch so leben, dass wir ihm entsprechen, dem wir gehören. Und das können wir, weil wir in allem reich geworden sind! Nicht eine einzige Gnadengabe fehlt uns, wie Paulus das ausdrückt, und mit Gnadengaben meint er, dass wir von unserem Herrn die Fähigkeit empfangen haben, einander zu trösten, einander zu helfen, einander die Hand zu reichen, einander aufzumuntern und Freude zu bereiten, einander zuzuhören, einander mit milden Augen zu sehen, einander wieder aufzurichten. Einander in die Arme nehmen, wie er den Arm um seine Mutter legt. Denn dies und vieles andere liegt darin, dass du deinen Nächsten lieben sollst wie dich selbst. Nicht Gefühle, denn die kann niemand von uns verlangen. Sondern Tat. Da sein, wo er war und ist, das heißt, den Herrn deinen Gott lieben, die kleinen und großen Taten der Liebe tun, in denen er sich wiedererkennen könnte. Das ist sein Sinn unseres Lebens. Er glaubt, dass wir das können. So reich sind wir geworden. Das ist es, was wir in seinen milden Augen sehen. Amen.

Pastorin Marianne Frank Larsen

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