Exodus 2,1-10

Exodus 2,1-10

Aus Bösem Gutes entstehen lassen | Christfest I | 25.12.2023 | Ex 2,1-10 | Sabine Handrick |

Liebe Gemeinde,

ob es eine passende Geschichte zu Weihnachten ist, die Ihr heute hören werdet, das mögt Ihr selber entscheiden. Wenn Ihr sie aber mit weihnachtlichem Herzen hört, dann wird sie aufleuchten wie ein Weihnachtstransparent in dunkler Stube, bei dem sich Vergangenes und Gegenwärtiges überlagern.

Sie lauscht… wird das Kind wach? Solche leicht ungnädigen Laute macht er auch im Schlaf, aber jetzt scheint er Hunger zu haben. Noch bevor das verschlafene Stimmchen zu seiner ganzen Kraft erwacht, hat sie ihren Sohn im Arm.

Sie streichelt seine Wangen und sofort sucht das Mündchen … „Nein, nein an Mamas Daumen wirst du nicht satt mein Kleiner.“, flüstert sie. Geschickt lockert sie ihr Kleid und dirigiert das Köpfchen zur richtigen Stelle. Beim ersten Versuch gelingt es nicht richtig, sein Gesichtchen spiegelt die Enttäuschung wieder, die Mundwinkel zittern. Gleich wird seine kräftige Stimme unüberhörbar werden.

Sie zittert auch, ihr Herz klopft bis zum Hals. Jetzt, jetzt muss er trinken und still werden. Sie greift fester zu und schliesslich spürt sie, wie sein Saugen Erfolg hat. Erleichtert atmet sie auf und sieht, wie er mit jedem Zug, Saugen und Schlucken ruhiger wird. Sie betrachtet das Kind, das gierig seinen Hunger stillt, wie sich die Ärmchen entspannen und zur Seite fallen.

Wenn sie ihn stillt, ist sie glücklich. Sie denkt an ihre Nachbarin, die vor wenigen Monaten auch ein Kind bekam, es aber nicht nähren konnte und es zu entfernten Verwandten geben musste. Schweigsam ist sie geworden, die Nachbarin. Sonst hatten die jungen Frauen immer ein Lied auf den Lippen oder einen Spass, wenn sie einander begegneten. Jetzt erwidert sie kaum den Gruss.

Wie dankbar ist die stillende Mutter, dass sie Milch für ihren Kleinen hat und dass er ohne Probleme auf die Welt kam. Obwohl es ihr erstes Kind ist, hat die Geburt nicht lange gedauert. Sie hatte nach der Hebamme geschickt, doch als diese kam, lag der Kleine schon rot und schreiend auf ihrem Bauch. Die erfahrene Hebamme staunte nicht schlecht und half ihr in den ersten Stunden sehr. Sie zeigte ihr all die nützlichen Handgriffe, auch jenen, der ihr jetzt in den Sinn kommt: Sanft kitzelt sie ihren Sohn im Nacken und als sie ihn an der anderen Seite anlegt, ist er wieder hellwach und geniesst das Trinken sichtlich.

Er hat gut zugenommen. Einen 2 Monate alten, gesunden, rosigen Säugling hält sie im Arm.

Wie schön er ist! Die zarten Haare kräuseln sich an den Ohren. Was für ein Wunder ist das Leben und wie wunderbar ist er gemacht! Sie kann sich nicht sattsehen und bedeckt seine weiche Hand mit zarten Küssen. Diese kleinen Finger mit den winzigen Fingernägeln!

Als ob er spürt, was in seiner Mutter vorgeht, schaut er sie ganz direkt an. Eine warme Welle durchflutet ihren ganzen Körper. „Du, mein lieber, lieber Sohn. Wie könnte ich dich lassen, du mein Augenstern, mein Ein und Alles.“ Eine Träne tropft ihr aus den Augen und kullert am Kopf des Kindes hinab.

Wie von weit her kommend, unergründlich und tief, wirkt sein Blick, als ob er sagen wollte:

‚Ich weiss, dass du mich liebst und für mich sorgst. Ich vertraue dir. Deine Liebe wird einen Weg finden.‘

Lange sitzt sie da und sinnt dem geheimnisvollen Zwiegespräch nach. Nun ist er fest eingeschlafen. Satt und zufrieden schaut er aus. Sie wechselt ihm noch die Windeln und legt ihn zurück in sein Körbchen.

‚Kann es wirklich sein, dass er zu mir in der Stille geredet hat?‘, überlegt sie. ‚Aber er versteht doch noch nichts davon, was in dieser Welt vor sich geht. – Nein, er ahnt doch nichts von der Gefahr.‘, wischt sie den Gedanken zur Seite und macht sich wieder an ihre Arbeit, immer mit einem Ohr beim Kind…

In den ersten Wochen, ging es gut. Der Kleine schlief viel. Wurde er wach, bekam er zu trinken und bald darauf schlief er wieder. Inzwischen ist er länger munter, schaut alles interessiert an, spielt mit seinen Füssen und manchmal, manchmal schreit er auch. Das ist, was sie absolut vermeiden möchte. Schnell springt sie zu ihm hin.

„Pst, sei still, mein Liebster.“ Sie trägt ihn wiegend hin und her: „Still, still, still, weil‘s Kindlein schlafen will…“ – Wenn weder Singen noch Stillen ihn beruhigen, steigt in ihr die Panik. Was geschieht, wenn sein Schreien gehört wird? Die Soldaten patrouillieren immer wieder durch die Gassen. Keiner weiss wann. Jederzeit können die Bewaffneten vor der Tür stehen, Einlass verlangen und das Haus durchsuchen! Und wenn sie einen neugeborenen Jungen finden, nehmen sie ihn und töten das Kind.

Wenn sie nur daran denkt, wird ihr hundeelend. – Es ist ihr bislang gelungen, keinen Verdacht zu erregen. Als die Schwangerschaft fortgeschritten war, liess sie sich kaum noch in der Öffentlichkeit sehen. Die Geburt kam nachts und ging schnell. Als ihr Sohn da war, versteckte sie ihn so gut es ging. Er ist ein ruhiges Kind, zum Glück. Doch wenn die Häscher Kindergeschrei hören, haben sie eine Spur. Sie mag nicht weiterdenken … Sie kann nicht begreifen, wie grausam Menschen sein können.

Der Pharao hat befohlen, alle neugeborenen, hebräischen Knaben zu töten. ‚Was für eine bodenlose Menschenverachtung, Kinder zum Tod zu verurteilen. – Was ist das für eine Welt, in der wir leben?! Erst waren wir gut genug für die schwere Arbeit, nun aber will er mein Volk ausrotten.‘

Als ihre verzweifelten Tränen versiegen, fällt ihr Blick wieder auf das Kind in seinem Körbchen. ‚Ja, du hast Recht mein wunderbarer Sohn ‘, sagt sie zu sich selbst, ‚ich finde einen Weg.‘

Die Idee kommt ihr unglaublich vor, aber sie muss etwas tun. Sonst, früher oder später, werden sie den Jungen finden.

Sie nimmt ein altes, hölzernes Kästchen, reinigt es und schmiert die Ritzen zu. Innen polstert sie es mit weichem Stoff aus, aussen verkleidet sie es mit Schilfrohr. So ist es gut getarnt. Am Abend wagt sie am Bach einen Probelauf. Sie setzt das leere Kästchen ins Wasser… und es schwimmt, es bleibt dicht und innen trocken. Auch mit Gewicht beschwert, geht es nicht unter.

Morgen früh, wenn die Prinzessin zum Baden in den Fluss geht, will sie es wagen.

Sie kann die ganze Nacht nicht schlafen. Sie sitzt und betrachtet ihr schlafendes Kind. ‚Du sollst leben, du sollst wachsen und gross werden. Nein, du bist nicht geboren um zu sterben, du wirst leben. Und wenn es mir das Herz zerreisst, du sollst ein besseres Leben haben.‘

Nachdem sie im ersten Morgengrauen den Kleinen gestillt und gewickelt hat, trägt sie ihn und das Kästchen zum Fluss. Träge strömen die grauen Wassermassen dahin. Leise raschelt das Schilf, wenn der Wind darüber geht. Das Tageslicht zieht langsam herauf. Und eine junge hebräische Frau legt ihren Sohn in das Kästchen und setzt dieses an einer seichten Stelle am Ufersaum ins Wasser.

Nichts stört seinen Schlummer und unhörbar fallen ihre Tränen ins Wasser. Sich selbst versteckt sie unweit im Schilf und lässt ihr Kind nicht aus den Augen.

Als die Sonne über die Hügel steigt, hört man die Stimmen junger Mädchen näher kommen. Es ist die Tochter des Königs mit ihren Begleiterinnen, die wie jeden Morgen ein Bad im Nil nehmen wollen. Lachend springen sie ins Wasser und natürlich wecken sie das Kind.

Der Säugling in seiner kleinen, schwimmenden Arche beginnt zu weinen. – „Was ist das für ein Geräusch? – So klingen weder Blesshühner noch Enten.“ Die Mädchen folgen dem Wimmern im Schilf und entdecken das Kästchen. Begeistert nimmt die Prinzessin den schönen Knaben in den Arm. „Ich habe dich gefunden. Ich habe dich aus dem Wasser gezogen!“ ruft sie erfreut und nennt das Kind Mose und nimmt es mit in den Palast.

Als Königstochter kann sie das. (Fingerschnipsen) Ihr ist es ein Leichtes über Menschen und deren Leben oder Tod zu verfügen.

Es ist kein Zufall sondern mütterlicher Mut und Selbstlosigkeit, dass die Geschichte so endet. Und dass sie selbst, die leibliche Mutter im richtigen Moment zur Stelle ist, als eine Amme für das Kind gesucht wird, beweist ein weiteres Mal ihre Klugheit und Entschlossenheit. Sie tut alles, damit ihr Sohn überlebt.

Und beim Happy End wird abgeblend‘ – könnte man jetzt denken. Doch in der Bibel fängt die Geschichte jetzt erst richtig an:

Mose, der Sohn dieser jungen, hebräischen Mutter konnte der werden, der er sein sollte, nämlich ein entscheidender Anführer für sein Volk auf dem Weg aus der ägyptischen Unterdrückung heraus in die Freiheit.

Mose war der erste Mensch, dem sich Gott als lebendiges Gegenüber offenbarte. Am brennenden Dornbusch vernahm er die Zusage, dass Gott für uns da ist und sich erweist im Hier und im Jetzt, im persönlichen Leben Einzelner wie in der Geschichte der Menschen.

Mose hielt an diesem unbeschreiblichen, abbildlosen DU fest, dessen 10 Weisungen für ein gelingendes Leben er seinem Volk überbrachte.

„Du wirst nicht töten.“ – Klarer und deutlicher kann man‘s kaum ausdrücken.

Wie oft, seit Jahrtausenden wird dieses und die anderen Gebote ignoriert!

Wie oft weinen Mütter um ihre Söhne?

Wie oft verzweifeln die Menschen an menschenverachtender Politik und an Terror?

Wie oft schreit das Blut der Getöteten zum Himmel?

Wie oft werden Religionen missbraucht, um Feindschaften zu zementieren?

In Gottes Sinne kann dies nicht sein.

Gott ist ein „Gott für uns“, ein „Immanuel“ wie es die weihnachtlichen Texten ausdrücken und damit nichts anderes meinen als jenen Gottesnamen, der sich dem Mose offenbarte.

Ich weiss nicht, ob sich Maria in der Nacht der Geburt an ihre Vorfahrin erinnerte, von der wir heute gehört haben. Aber wir können annehmen, dass sie diese Erzählung ihres Volkes kannte. Die Evangelisten lassen jene Traditionen anklingen, in denen sie zuhause war.

Maria empfängt das Kind und bringt es zur Welt. Sie ist voller Gottvertrauen und weiss, dass es derselbe Gott ist, gestern, heute und in Ewigkeit. Sie vertraut diesem Versprechen. „Ich bin für dich da.“

Das Kind geboren von einer jungen Frau ist das Zeichen Gottes, das uns zu Herzen gehen will. Näher und nahbarer, bewegender und begreifbarer kann sich Gottes Liebe gar nicht ausdrücken.

Wenn wir das in unseren Herzen bewahren und bewegen wie einst Maria, dann würde der Engelsgesang vom Frieden auf Erden nicht eine unerfüllte Hoffnung bleiben. Denn damit es Frieden wird auf Erden, braucht es Menschen, die nach Gottes Willen handeln und es mutig, klug und voller Vertrauen immer wieder versuchen.

Jene junge Mutter von Mose war geschickt und klug. Sie rettete ihr Kind, indem sie es in die Hände der Königstochter spielte … Unter den Augen des Kinder-Mörders wuchs Mose heran und wurde zu seinem machtvollen Gegenspieler.

Spannend sind die Geschichten des Ersten Testaments, wenn sie für unsere heutigen Fragestellungen transparent werden… es lohnt sich, sie zu lesen!

Ich weiss, angesichts der vielfachen Bedrohung durch Krieg, Terror und unversöhnliche Gegensätze wirkt der Ruf vom „Frieden auf Erden“ wie eine Illusion. Selbst dem neugeborenen Jesus drohte bald grosse Gefahr durch die kindermordenden Häscher des Herodes. – Aber ist es nicht seltsam, dass Maria und Josef sich mit dem Kind ausgerechnet ins ehemalige Feindesland nach Ägypten retteten?

Auf Menschen, die nach Gottes Willen fragen und danach handeln, wird Gottes Wohlgefallen liegen, davon singen die himmlischen Heerscharen zu Weihnachten.

Dietrich Bonhoeffer sagte: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Amen

Jesus, Kind aus Nazareth,
Liebe, sagst du, lässt sich tun,
Wirk in uns, dass wir dich tun,

leucht in uns, dass wir dich sehn!

Dass wir unser Leben leben,
Dass wir tun, was nötig ist:

Rechte für jedes Menschenskind,

Brot für jedes Kind von Menschen
Eine neue Welt in Frieden

und der Tod wird nicht mehr sein…

Huub Oosterhuis, Du Atem meiner Lieder, Herder Verlag, 2009

Pfarrerin Sabine Handrick

Jahrgang 1965, seit 2010 Pfarrerin der Reformierten Kirchgemeinde Düdingen, Kanton Fribourg

pfarramt@refdue.ch

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