Exodus 33,18-23

Exodus 33,18-23

Gott sehen | 2. So. n. Epiphanias | 15.01.23 | Ex 33,18-23 | Sven Keppler |

I. Normalerweise geht es bei ihnen nicht um Religion. Sondern sie reden am liebsten über ihren Alltag. Liebe Gemeinde, ich spreche von drei Freundinnen. Einmal im Monat treffen sie sich zum Kaffee. Dann tauschen sie sich aus über die vergangenen Wochen.

Monika erzählt vom Stress in der Praxis, wo sie am Empfang sitzt. Susanne schwärmt von einem Buch, das sie entdeckt hat. Und Claudia träumt davon, die Kinder einmal bei den Großeltern zu parken und mit dem Mann ein paar Tage an die Nordsee zu fahren.

Normalerweise geht es bei ihnen nicht um Religion. Aber diesmal ist es anders. Monika hatte wieder einmal einen anstrengenden Tag in der Praxis. Einige Patienten warteten schon seit zwei Stunden. Und jetzt war zum dritten Mal an diesem Morgen jemand Unangemeldetes gekommen, der starke Schmerzen hatte.

„Meinen Sie denn, wir sind zum Vergnügen hier?“, hatte einer von den Wartenden geknurrt. Und war zur Rezeption gegangen. „Lassen Sie mich jetzt sofort zum Doktor. Sonst haben Sie mich hier zum letzten Mal gesehen.“ Ein unangenehmer Typ.

Monika spürte, dass ihr die Situation entglitt. Da war aus dem Behandlungszimmer eine ältere Frau gekommen. Gleichzeitig rief der Arzt den Störenfried auf. Und die ältere Frau hatte Monika die Hand auf den Unterarm gelegt. Hatte sie angelächelt und war dann gegangen.

II. Als sie ihren Freundinnen davon erzählt, kommt Monika immer noch nicht aus dem Staunen heraus. Die Szene war ja eigentlich nicht ungewöhnlich. Aber für sie war es wie eine Erscheinung. Mit ihrem inneren Auge blickt sie der Frau immer noch hinterher. „Meint ihr, das war ein Engel?“, fragt sie die Freundinnen.

Die stutzen. „Für Dich bestimmt“, lächelt Susanne. Und dann schweigen sie einen Moment – was selten vorkommt. „Glaubt ihr eigentlich…“ Caudia fragt vorsichtig, mit etwas belegter Stimme. „Glaubt ihr eigentlich, dass man Gott sehen kann? So richtig von Angesicht zu Angesicht?“

„Typisch Claudia“, lacht Monika. „Ich frage nach einem Engel, und schon willst Du den ganzen Gott!“ Susanne lacht mit. Aber Claudia bleibt am Ball. „Ich meine das ernst. Ich sag ja gar nicht, dass Du in dieser Frau Gott gesehen hast. Aber ich habe vor einiger Zeit wieder mit dem Beten angefangen. Und da kommen mir schon solche Fragen.“

Und dann erzählt Claudia. Für einige Wochen hatte sie die Schwiegermutter zu Gast. Der war es nicht gut gegangen. Claudia und ihr Mann hatten sie zu sich geholt. Claudia hatte das Gefühl, diese Frau zum ersten Mal richtig kennen gelernt zu haben.

Erst hatte sie es seltsam gefunden, dass die Schwiegermutter vor dem Essen immer schnell ein stilles Gebet gemurmelt hatte. Irgendwann hatte sie gesagt: „Wir können auch gemeinsam beten, wenn Du das möchtest.“ Die Kinder hatten sich angeschaut und mit den Schultern gezuckt. Aber von da an war es Brauch: Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast.

Vor dem Zubettgehen hatten sich die beiden Frauen dann einmal länger unterhalten. Hatten über das Beten gesprochen. Das Gefühl der alten Frau, dabei manchmal nicht allein zu sein. Dass Gott ihr über die Schulter schaut. Aber wenn sie sich dann umdreht, ist er weg. Und bei den nächsten Malen kommt sie sich dann immer ganz einsam vor.

„Hast Du eine Sehnsucht, ihn zu sehen?“, hatte Claudia gefragt. „Ja schon,“ meinte die Schwiegermutter. „Aber die wird wohl unerfüllt bleiben. Warum macht es uns Gott bloß so schwer? Warum können wir ihm nicht direkt begegnen? Von Angesicht zu Angesicht. Wie wir beiden uns jetzt gerade unterhalten.“

An diesem Abend hatte Claudia selbst wieder mit dem Beten begonnen. Nicht weil sie nun selber Gott sehen wollte. Aber sie wollte herausfinden, ob sie wohl auch diese Sehnsucht hat.

III. Wieder schwiegen die drei Freundinnen einen Moment. Monika fühlte sich an ihr Erlebnis mit der älteren Frau erinnert. Wie Claudias Schwiegermutter hatte sie so ein Gefühl gehabt. Aber sie konnte es nicht wirklich festmachen. Sie wusste auch nicht, was sie sagen sollte.

Als erste brach Susanne das Schweigen. „Mich erinnert das irgendwie an diese Nahtodereignisse. Da hab ich neulich von gelesen. Menschen, die für kurze Zeit klinisch tot waren. Manche von denen erzählen, dass sie ein helles Licht gesehen hätten. Glaubt ihr sowas?“

Es war eine erregte Stimmung im Raum. Das ungewohnte Thema. Die Ahnungen, die sich nicht genau festmachen ließen. Auch die Vertrautheit der Freundinnen, die auch mit anderen Menschen lange nicht über Religiöses gesprochen hatten. Die aber spürten, dass diese Fragen sie doch beschäftigten.

„Würdet ihr Gott eigentlich sehen wollen?“, fragte Susanne wieder. Und die drei waren sich einig. Ja, irgendwie schon. Aber der Gedanke war ihnen zugleich auch etwas unheimlich.¨

 

Liebe Gemeinde – würden Sie ihn sehen wollen? Im Begegnen, von Angesicht zu Angesicht? Ein erregender Gedanke? Oder doch eher unheimlich? Vermessen? Oder haben sie ganz andere Wünsche? Einer hat den Wunsch einmal ausgesprochen: „Gott, lass mich deine Herrlichkeit sehen.“ Davon erzählt unser heutiger Predigttext. Er steht im 2. Buch Mose, am Ende des 33. Kapitels [lesen: Ex 33,17b-23].

17 Der Herr sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

(Lutherbibel, 2017)

IV. Mose spricht mit Gott. Liebe Gemeinde, das ist ja schon außerordentlich. Wir hören das manchmal wie etwas Normales: Adam ging mit Gott im Garten spazieren. Abraham redete mit Gott. Mose auch. Als ob das früher so normal gewesen wäre, zur Zeit der Bibel.

Aber es war auch damals schon außerordentlich! Die durchschnittliche Israelitin war wohl nicht anders als Claudia. Sie versuchte zu beten. Vielleicht nach einer längeren Pause. Und hoffte vermutlich darauf, eine gewisse Nähe zu Gott zu spüren.

Anders Mose. Er war eine Art Mittler zwischen Gott und dem Volk. Immer wieder war Gott an ihn herangetreten. Mit dem Auftrag, das versklavte Volk aus Ägypten zu führen. Und später mit den Geboten, nach denen das Volk leben sollte.

Und doch war Mose unsicher. Während er auf dem Berg bei Gott war, hatte das Volk ein goldenes Stierbild angebetet. Die Verbundenheit von Israel und Gott schien ernsthaft gefährdet. In dieser Krise wollte sich Mose bei Gott vergewissern: Meinst Du es wirklich gut mit uns? Wartet wirklich die Zukunft auf uns, die Du uns versprochen hast? Habe ich wirklich Gnade vor Deinen Augen gefunden?

An dieser Stelle setzt unser Predigttext ein. Gott versichert Mose: Doch. Hab Vertrauen. Ich bin wirklich gnädig mit Dir. Ich sehe Dich wohlwollend an. Und hier rutscht Mose diese unglaubliche Bitte heraus: Lass mich dich sehen!

Mose hat Gott also noch nie gesehen. So außergewöhlich es ist, dass Gott immer wieder mit ihm spricht – es ist nicht von Angesicht zu Angesicht [trotz 33,11]. Kann man es Mose da verdenken, dass er Gott sehen möchte? Für die drei Freundinnen ist es eine große Frage. Für Sie und mich vielleicht auch. Vielleicht hat man sogar noch nie ernsthaft darüber nachgedacht.

Aber dass Mose den sehen möchte, von dem er schon so viel erfahren hat – wer könnte ihm das verdenken? Gerade in der Unsicherheit, in der er steckt. Wenn Gott sich ihm zeigen würde, wenn er ihn wirklich sehen könnte – wäre das nicht ein Zeichen, auf das er sich verlassen könnte?

V. Aber Gott sagt nein. Nicht einfach so. Sondern Gott nennt einen Grund. „Kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Zu gewaltig ist der Unterschied von Gott und Mensch. Unsere Augen, unser ganzer Leib ist nicht dafür gemacht, Gott zu sehen. Vielleicht kann man ihn nur sehen, wenn man diese Welt hinter sich lässt. Die Erzählungen von Menschen, denen der Tod ganz nahe gekommen ist, deuten darauf hin.

Hier liegt wohl auch die Antwort auf die Frage von Claudias Schwiegermutter: „Warum macht es uns Gott bloß so schwer? Warum können wir ihm nicht direkt begegnen? Von Angesicht zu Angesicht. Wie wir beiden uns jetzt gerade unterhalten.“ Vielleicht ist das ja die Antwort auf die Frage, was eigentlich Sünde ist: Das wir Gott nicht sehen können wie Adam im Garten Eden. Da ist etwas, was zwischen uns und Gott steht.

Aber es bleibt ja nicht bei dem Nein Gottes. Sondern Gott macht drei große Zusagen. Und die gelten nicht nur für Mose. Sondern auch für uns: Gott will seine Güte zeigen. Er will seinen Namen bekannt machen. Und er gestattet, dass wir ihn von hinten sehen.

Gott zeigt seine Güte, seine Gnade. Auch wenn wir ihn nicht sehen. Wir können ihn spüren. Erfahren, dass er gut mit uns ist. Ich stelle mir das so ähnlich vor wie Monikas Erlebnis mit der Frau, die ihren Arm berührt. Man ist mitten im Stress. Fühlt sich überfordert und angegangen. Und da werde ich behutsam am Arm berührt. Etwas wohlmeinendes, friedliches kommt mir entgegen. Und ich spüre: Alles ist gut, es wird schon werden.

War es ein Engel, den Monika gesehen hat? Oder Gott selbst? Oder nur eine ältere Frau? Von Mose kann sie lernen: Es kommt gar nicht darauf an, ob sie Gott oder seine Boten gesehen hat. Es kommt darauf an, dass sie etwas von seiner Güte gespürt hat.

Das zweite ist: Gott macht seinen Namen bekannt. Das heißt: Wir können Gott anreden. Auch wenn wir seinen Namen, wie er im Alten Testament steht, kaum je aussprechen. Stattdessen sagen wir „Vater“ zu ihm. Können ihn anreden, wenn wir etwas auf dem Herzen haben. Wenn wir Sehnsucht nach ihm haben oder eine Sorge. Oder wenn wir einfach dankbar sind.

Auch dann sehen wir ihn nicht. Wir können darüber klagen wie Claudias Schwiegermutter. Aber wir dürfen trotzdem immer neu das Gespräch mit ihm suchen. So wie Claudia wieder mit dem Beten begonnen hat.

Und vielleicht geschieht dann manchmal das Außerordentliche. Vielleicht können wir dann im Rückblick auf unser Leben erkennen, wo Gott uns ganz nahe gewesen ist. Wo er uns behütet, begleitet hat. Wo er an uns vorübergegangen ist, ohne dass wir ihn sehen konnten.

Im Rückblick können wir dann seine Spuren sehen. So, wie er es Mose verheißen hat: „Du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“ Amen.


Pfarrer Dr. Sven Keppler

Versmold

sven.keppler@kk-ekvw.de


Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Vorsitzender des Versmolder Kunstvereins. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

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