Ezechiel 34,23-31

Ezechiel 34,23-31

Traum von einem Hirten | Christnacht | 24.12.2022 | Ez 34,23-31 | Christoph Kock |

I. Sehnsucht nach Veränderung

Weihnachten. Das Kind liegt in der Krippe. Die Hirten haben es gefunden, die himmlische Botschaft weitererzählt: Der Retter ist geboren. Alle diese Worte hat Maria in ihrem Herzen bewegt. Wird diese Geschichte ins Bild gefasst, gibt es prominente Nebendarsteller, die einfach nur da sind. Die Krippe als Landschaftsbild mit Schafen. Sie können gleich im Foyer noch einen Blick darauf werfen, das Schlusslied „O du fröhliche“ im Ohr. Was an der Weihnachtszeit fröhlich, selig und gnadenbringend ist, liegt jedoch in dieser Nacht noch nicht zutage. Das wird sich erst zeigen. Was hier angefangen hat und woran Gott dafür anknüpft. Die Welt verändert sich nicht über Nacht, aber gerade in dieser Nacht ist die Sehnsucht danach so stark, so tief und so schön, dass es wehtut. Eine Welt, die sich verändert. Zum Guten, zum Frieden. Wie das nur wäre, aussähe, sich anfühlte. Was für eine Welt das nur wäre. Was sie noch nicht ist, wohl aber sein könnte, nein, was sie sein müsste. Das Weihnachtsessen macht satt, die Weihnachtsbotschaft bringt auf den Geschmack.[1] Auf das, was kommt.

II. Überlebt[2]

Sie haben überlebt. Tatsächlich waren es ihre Großeltern und Eltern, die mit dem Leben davongekommen sind. Aber es fühlt sich so an, als ob sie dazu gehören. Zu denen, die überlebt und zugleich so viel verloren haben. Fast 50 Jahre ist der Krieg her und das Land liegt immer noch in Trümmern. So wie der Tempel in Jerusalem, über den Gras gewachsen ist. Als ob Gott ausgezogen wäre, ohne einen Nachsendeantrag zu hinterlassen. Ihre Großeltern und Eltern wurden in die Fremde verschleppt, sie konnten zurückkehren. In ein Land, das sie nur aus den Erzählungen der Alten kannten. In ihr Land?! Fremd und unwirtlich liegt es vor ihnen. Was sie brauchen: ein Dach über dem Kopf, einer Tür, die sie hinter sich zumachen können, Schutz vor der Kälte, Essen auf dem Teller. Für den Anfang, aber das reicht noch nicht. Was sie brauchen: Jemand, der ihnen sagt, was passiert ist und warum. Was Gott damit zu tun hat. Und vor allem, wie Gott ihre Zukunft sieht. Worte brauchen sie, in denen anklingt und durchscheint, wer sie sind und was sie verbindet. Balsam für geschundene Seelen. Der Prophet Ezechiel erzählt eine solche Geschichte in der jüdischen Bibel, die wir Altes Testament nennen. Sein Name bedeutet: „Gott möge stärken“. Mit Worten, die heilen, verbinden, kräftigen. Im Buch Ezechiel ist sie aufgeschrieben: eine Geschichte für die, die überlebt haben und die in ein kaputtes Land zurückgekommen sind. Hören wir zu, was Gott zu sagen hat, im 34. Kapitel.

III. Mein Hirte, meine Herde, meine Weide (Ez 34,23–31)

Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, und ich, der HERR, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR.

Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können. Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein, dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land seinen Ertrag gibt, und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe aus der Hand derer, denen sie dienen mussten. Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken. Und ich will ihnen eine Pflanzung aufgehen lassen zum Ruhm, dass sie nicht mehr Hunger leiden sollen im Lande und die Schmähungen der Völker nicht mehr ertragen müssen. Und sie sollen erfahren, dass ich, der HERR, ihr Gott, bei ihnen bin und dass die vom Hause Israel mein Volk sind, spricht Gott der HERR. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Stell dir vor

Stell dir vor. Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Mit wilden Tieren und gefährlichen, schwerbewaffneten Völkern. Das brauche ich mir nicht vorzustellen, wirst du sagen, weil das so ist. Immer schon gewesen. Stell dir vor, Gott schließt einen Friedensbund mit dir. Einseitig, du musst dafür gar nichts tun. Zuhören reicht, zu hören, was Gott verspricht. Stell dir vor. Du bist mittendrin und Gott schützt dich vor den Gefahren. Du kannst sicher wohnen, in Ruhe und Frieden. Es wächst genug auf deinen Feldern und du wirst satt. Das andere ist weg, vergangen, vorbei: Schutzgeld an andere Mächte, mit ihren Waffen erpresst. Fake News, die sie über dich verbreiten und mit denen sie dich verleumden. Die Dürre, die dazu geführt hat, dass deine Kinder als Sklaven schuften mussten. Du wirst sicher wohnen, in Ruhe und Frieden. Stell dir das nur vor. Du gehörst zu den Schafen, die Gott weidet.

Im Prophetenbuch entwirft Gott einen Landschaftstraum mit Schafen. Gott will wilde Tiere in Israel ausrotten. Ob es hier um Löwen, Panther und Schlangen geht? Das würde mich überraschen. Kein Fall für Tierschutzorganisationen, eher wären Diktatoren und ihre Soldateska in ihrer Existenz bedroht. Gott verspricht Schutz, damit Gottes Volk in Israel sicher wohnen kann. Als Herde auf Gottes Weide. Dafür greift Gott sogar ins Klima ein, sorgt für „gnädige Regen“, damit das Land Erträge bringt. Kein Hunger, keine Schulden, die in die Sklaverei führen. Sicher wohnen. Ohne Angst. Ein Dach über dem Kopf. Eine Tür, die du hinter dir zumachen kannst. Schutz vor Kälte. Genug essen auf dem Teller. Was selbstverständlich sein sollte, braucht doch viel Fantasie.

Unter Schafen

Offen bleibt, wer hier zu tun bekommt: Gott selbst als Hirte, der für das Gottesvolk sorgt. Oder ein Hirte wie König David, den Gott dazu bestimmt? Der sich von den Herrschern unterscheidet, die in die eigene Tasche herrschen und ihre Macht als Selbstzweck verstehen. Für Lukas, der die Weihnachtsgeschichte erzählt, eine Steilvorlage. Er bringt Jesus als Retter ins Spiel. In der Stadt Davids wird Jesus geboren, weil er Davids Aufgabe als Traum von einem Hirten übernehmen wird. Lukas stellt einen Hirtenstab an die Krippe. Wie ein großes Paar Schuhe, in die Jesus irgendwann schlüpfen wird. Ob nun Gott selbst oder ein anderer als guter Hirte – entscheidend ist, was daraus wird. Was es heißt, von Gott oder in Gottes Auftrag geführt zu werden.

So schön die Schafe an der Krippe auch aussehen, das Bild hat Grenzen. Wer möchte schon als „Schafskopf“ gelten. Was ist mit Freiheit anstatt Herdenzwang? Ich will lieber selbst entscheiden anstatt getrieben zu werden. Andererseits, was wenn die Verantwortung zu groß und Lage zu unübersehbar wird … In der Weihnachtsgeschichte spielen Schafe eine Nebenrolle. Es sind es Hirten, die die Initiative ergreifen. Hingehen, sich Krippe mit Kind anschauen, die himmlische Botschaft weitersagen. Aus heruntergekommen Nachtgestalten werden diejenigen, mit denen es weitergeht. Himmlischer Glanz auf wettergegerbten Gesichtern. Vielleicht ist beides nötig. Mal Schaf sein, aber auch mal Hirte. Mal geleitet, mal als Vorbild unterwegs.

Kreise ziehen

Was das Volk Israel im Lauf seiner Geschichte erlebt hat, wiederholt sich zu anderen Zeiten und in anderen Gegenden der Welt. Die Waffen sind tödlicher geworden, die Abhängigkeiten undurchschaubarer, aber sonst hat sich nicht viel verändert. Sicher wohnen, in Ruhe und Frieden, vom Ertrag des eigenen Landes leben. Was selbstverständlich sein sollte, bleibt für viele Menschen ein Traum.

Was also tun?

Den Traum träumen, sagt der Prophet Ezechiel. Denn Gott widerspricht dieser Wirklichkeit.

Weiterträumen, sagen die, die Ezechiels Worte in die Bibel geschrieben haben. Sonst überlasst ihr es anderen festzulegen, was gilt. Auf Kosten anderer leben, selbst ausgebeutet werden, Hunger als Waffe einsetzen. Aber das muss und wird sich ändern, weil es Gott widerspricht. Sicher wohnen, in Ruhe und Frieden. Das soll und das wird Kreise ziehen.

Weiterträumen, sagt Jesus, und zwar mit offenen Augen. Jesus wird Zukunft vorwegnehmen. So tun, als ob schon längst angefangen hat, was Gott in Aussicht stellt. Das birgt Konfliktpotential. Jesus wird sich einmischen. An der Bibel festhalten: „Du sollst deinen Mitmenschen lieben wie dich selbst.“ Davon erzählen, wie jemand sich von der Not eines anderen berühren lässt und hilft. Als ob das wirklich möglich ist und passiert. Jesus wird danach suchen, was Menschen verbindet. Gemeinschaft genießen und es sich gut gehen lassen. Darauf setzen, dass Gottes Wort Menschen berührt und diese Welt verändert. Weil Gott darin zuhause ist. Amen.

Lieder:

Weihnachtslieder sind auf Erfüllung gestimmt, nicht auf das Weiterträumen.

Wenn Glaube bei uns einzieht (#freiTöne 118)

Wir träumen einen Traum (Mein Liederbuch für heute und morgen B77)

Gebete:

Gott,

groß bist du, Grund der Welt,

übersteigst den Horizont,

den wir überblicken.

Und doch verbirgst du dich in einem Kind.

Teilst das Leben mit uns.

Die Freude, den Schmerz.

Bist in Jesus mit vielen verbunden

und zugleich mutterseelenallein.

Verheißungen hast du wunderbar bekräftigt.

Alte Worte, die wir neu hören.

Und entdecken:

Auch uns sind sie gesagt.

Darin liegt das Geheimnis,

das mit dieser Nacht beginnt.

Ein Anfang nur,

aber was für einer.

Was daraus noch werden wird.

Gott,

du kommst zu uns auf Augenhöhe

und bleibst dir dennoch treu.

Erstaunlich, kaum zu glauben.

Was für ein Gott du bist.

Dir sei Ehre und Herrlichkeit.

In Ewigkeit. Amen.

Gott,

im Kind in der Krippe

kommst du zu uns Menschen

auf Augenhöhe.

Mit ihm fällt auf alte Worte

ein neues Licht.

Komm zu uns und bleib bei uns.

Damit wir Menschen werden,

wie du uns gedacht hast.

Mit dem Christus

schenkst du uns

eine große Freude

und gute Nachricht.

Komm zu uns und bleib bei uns.

Damit wir sie weiterverbreiten

wie die Hirten,

mit dem, was wir sagen

und dem, was wir tun.

Mit dem Retter hältst du

die Sehnsucht nach Frieden wach,

in einer friedlosen Welt.

Komm zu uns und bleib bei uns.

Damit wir suchen,

was dem Frieden dient.

Gott,

du bist stärker ist als Gewalt, Hass und Tod.

Dafür wird Jesus einstehen.

Komm zu uns und bleib bei uns.

Im Krieg und seinen Folgen.

Gott, wir brauchen dich.

Wie ein Licht,

das das Dunkle erhellt.

Wie ein Wort,

das die Seele berührt

und die Angst vertreibt.

Gemeinsam beten wir …

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

[1]          Vgl. Reiner Stuhlmann, Was in der Juden Schulen für die Weihnachtspredigt zu lernen ist, GPM 69 (2014), 4–10, hier der Schluss des Aufsatzes: „In der Juden Schulen ist zu lernen, dass Weihnachten eine Station ist, der nicht nur eine Geschichte vorausgeht, sondern auch eine Geschichte folgt. Die Weihnachtsbotschaft macht nicht satt, sondern bringt auf den Geschmack, a.a.O., 10.

[2]          Die Datierung ist umstritten, vielleicht spricht Ezechiel hier zu Exilierten anstatt zu Rückkehrern. Unabhängig von dieser Entscheidung greife ich die Deutung des Buches als „Trauma-Literatur“ auf; vgl. dazu Ruth Poser, Art. Ezechiel/Ezechielbuch, WiBiLexApril 2021, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/18053/, 12–15.

de_DEDeutsch