Farbenlehre für Bußfertige

Home / Bibel / Altes Testament / 23) Jesaja / Isaiah / Farbenlehre für Bußfertige
Farbenlehre für Bußfertige

Predigt über Jes 1,10-18 | verfasst von Wolfgang Vögele |

Segensgruß

Der Predigttext für den Buß- und Bettag steht Jes 1,10-18:

„Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! Was soll mir die Menge eurer Opfer?, spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor meinem Angesicht – wer fordert denn von euch, dass ihr meine Vorhöfe zertretet? Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumond und Sabbat, den Ruf zur Versammlung – Frevel und Festversammlung – ich mag es nicht! Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin’s müde, sie zu tragen. Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen. Lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun! Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache! So kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Purpur, soll sie doch wie Wolle werden.

Liebe Schwestern und Brüder,

den Buß- und Bettag habe ich schon immer für den schwierigsten aller Feiertage gehalten. Seit Jahren ist er als Feiertag abgeschafft, wird oft nur noch als ökumenische Andacht gefeiert. Als Feiertag ist er einem politischen Kalkül geopfert worden, und Kirchenleitungen haben erst angefangen zu protestieren, als es längst zu spät war. Das protestantische Mäntelchen ist aufgetragen und ausgefranst. Nun sitzt die Kerngemeinde in den Bänken und fröstelt.

Liebe Schwestern und Brüder, ich habe nicht die Absicht, Sie zu unterkühlen, aber meine Bedenken zielen noch tiefer: Der Buß- und Bettag wurde, ob Feiertag oder nicht, stets für ein merkwürdig unbiblisches Ritual genutzt. Lutherische Bußtheologie empfahl, sich an solchen Tagen besonders gründlich im Schlamm der Sünde zu wälzen, damit die Christen auf jeden Fall bekleckert dastehen. Der Mensch muß verschmutzt werden, damit ihn Gnade Gottes reinwaschen kann. Solche depressive Bußfertigkeit hat die Rede von der Sünde in den letzten Jahrzehnten erheblich beschädigt. Sie verkam zur frommen Voraussetzung für die Gnade Gottes und übersprang den nüchternen Blick auf politische, soziale und private Verstrickungen. Leider wird die Sünde auf diese Weise verharmlost. Buße verkommt zum oberflächlichen Ritual der Klage. Erfahrene Fromme wissen, was danach kommt.

Am Anfang des Predigttextes stört sich der Prophet Jesaja im Namen Gottes an den Gottesdiensten der Menschen. Die Liturgien haben ihn verärgert. Gottesdienste findet er keines systemrelevant für das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. In den letzten Monaten der Pandemie ist ja ganz wortreich über ausfallende Gottesdienste geklagt worden. Nachdem eine theologisierende Politikerin damit begonnen hatte, sind ihr zahlreiche politisierende Theologen beigesprungen und haben sich wortreich über einen Verlust an Religionsfreiheit beklagt. Kleinere Gemeinden und christliche Splittergruppen haben dann Gottesdienste im angeblichen Vertrauen auf Gott gefeiert, mit Singen und sprühenden Aerosolen, ohne Masken, ohne Abstand, mit Umarmungen. Man trug eine gottesdienstliche Fröhlichkeit zur Schau, die das angebliche Gottvertrauen über Viren und Sicherheitsregeln erhaben wußte. So wurden Gottesdienste plötzlich zum superspreader event. Es inszenierte sich naiver Glauben gegen die praktische, unvollkommene Vernunft – und die Infektionszahlen explodierten.

Und siehe, plötzlich erwachten die pensionierten Theologen der ganz alten Schule und verbreiteten die These, wonach die schlimmen Verhältnisse der Welt – Epidemien, Katastrophen und Kriege – auf Zorn, Ärger und Wut eines über die Maßen empörten Gottes zurückzuführen seien. Dieser empörte Gott habe das Corona-Virus geschickt, um die Ungläubigen zum Glauben zu bekehren. Liebe Schwestern und Brüder, für die moderne Gegenwart ist festzuhalten: Auch Glaubende können sich nicht mehr richtig vorstellen, daß Gott mit zornigem Zeigefinger, Feuersbrunst oder Viren strafend in den Lauf der Welt eingreift.

Schon der Gott, von dem Jesaja predigt, zeigt sich nicht mehr als allmächtiger Despot, der sich von seinen überbordenden Gefühlen beherrschen läßt. Ja, der Gott des Jesaja zeigt Gefühle gegenüber den Menschen, aber diese treiben ihn nicht zu unbeherrschtem Handeln. Stattdessen schafft er es, aus den Gefühlen heraus eine vernünftige Rede zu entwickeln, mit der er sich an die glaubenden Menschen wendet.

Der Prophet Jesaja führt etwas Originelleres als eine plattmachende Bußtheologie vor Augen: Buße als erfreulicher Neuanfang, der befreit und erleichtert. Buße gibt den Menschen neue Energie des Glaubens mitgibt. Jesajas biblischer Gott sagt: Ich bin müde und satt. Ich empfinde Überdruß. Ich sehe Gräuel. Ich störe mich. Ich habe schon so oft mit euch geredet. Aber ich will es ein weiteres Mal versuchen. Egal wo die Fehler liegen, bei den Gottesdiensten, in der klerikalen Bürokratie, im mangelnden Glauben, in der fehlenden Kirchenmusik, in der Sünde der Menschen, in ihrer Hartherzigkeit und Hartleibigkeit, der wütende Gott des Jesaja setzt das Gespräch mit den Menschen fort.

Glauben bedeutet, daß sich das Gespräch zwischen Gott und den Menschen nachhaltig fortsetzt. Das darf man in seiner Bedeutung für den Glauben nicht unterschätzen. Gott und die Menschen kommen sich im Medium des Gesprächs nahe. Nicht alle Gespräche dienen der Kommunikation. Schaut man sich die grellen Farben des vergangenen amerikanischen Wahlkampfs an, schaut man auf die angeblichen ‚Querdenker‘, die sich heiser schreien für das angeblich harmlose Corona-Virus, schaut man auf die dumpf-plumpen rechtslastigen Anspielungen in den Wahlkampfreden der Populisten, so sehen diejenigen, die Demokratie in Werten und Verfahren gelernt haben, eine gefährliche Entwicklung. Reden werden nicht mehr gehalten, um Gespräch in Gang zu bringen, sondern um genau solche Gespräche zu verhindern. Wahrheit soll den anderen sprachlos machen. Wahlkampf-, Demonstrations- oder Parlamentsreden dienen nur noch dem Zweck, sich in die eigenen Wahrheitsgebäude einzumauern. Aber Wahrheit, die Gespräch und Debatte nicht aushält, ist leider nur Rechthaberei.

Liebe Schwestern und Brüder, der Gott Jesajas ist kein Populist und er schwingt keine schlechten Wahlkampfreden für den Glauben. Er ist so von seiner Wahrheit überzeugt, daß er mit den glaubenden Menschen, die ihm zuhören, ins Gespräch kommen will. Das Wort Gottes ist auf Antworten der Glaubenden angelegt. Beides zusammen zielt auf einen Neuanfang. Neuanfang ersetzt Selbstbeschmutzung.

Dieses Programm entwickelt der Prophet in zahlreichen Details. Es handelt sich keineswegs um ein plumpes, einfaches Rezept, das auf jede theologische Diagnose passen würde. Jesaja berücksichtigt Heilungschancen und Nebenwirkungen. Nirgendwo fordert er, Gottesdienste, Gebete und Liturgien abzuschaffen. Soziale Gerechtigkeit ersetzt nicht den Gottesdienst, die weißen Kittel der Diakonie treten nicht an die Stelle des schwarzen Talars. Vielmehr gilt: Gottesdienst und Gerechtigkeit, liturgisches und soziales Handeln, Vernunft und Glauben ergänzen sich. Das beginnt mit einer Reinigung. Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht fortsetzen, auch nicht unter dem Mantel der neuen Botschaft. Es braucht eine Reinigung. Schon das ist gar nicht so einfach. Jeder weiß, wie schwer es ist, die schlechten Gewohnheiten der Vergangenheit abzulegen, die über Jahre so selbstverständlich geworden sind. Am Anfang genügt der Wille, mit Neuem anzufangen. Auszuprobieren. Mut zu zeigen und Neues zu wagen.

Gottesdienst erscheint nicht mehr als Veranstaltung, die am Sonntag auf die vergangenen Alltage das Tüpfelchen des Glaubens setzt. Glauben und Leben gehören vielmehr zusammen wie Beten und Arbeiten. Das eine beeinflußt das andere und umgekehrt. Ich bin überzeugt, daß das zuerst eine Aufgabe derjenigen ist, die jede Woche vor Ort ihres Arbeitsplatzes, im Klassenzimmer der Hauptschule, an der Kasse im Supermarkt, bei der Autobahnmeisterei oder auf Station 3 im Pflegeheim ihre gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten. Ich bin überzeugt, das ist nicht die Aufgabe der klerikalen Hierarchien. Ich bin mißtrauisch geworden gegen Predigten, die sich anhören wie Kommuniqués aus dem Außenministerium oder Fernsehansprachen des Ministerpräsidenten.

Macht einen Neuanfang, sagt der Prophet Jesaja. Das ist eine Sache von Glauben und Vernunft, aber auch von großen Gefühlen. Nur ist das trübe Gefühl erzwungener Bußfertigkeit hier nicht am Platz, sondern Freude, neue Energie, Hoffnung auf Änderung und Zukunft. Jesaja sagt auch etwas Zweites. Dieser Neuanfang guten Handelns im Leben muß zusammenkommen mit dem Recht. Demokratische Rechtsprechung ist unvollkommen und mit Fehlern behaftet, die verbessert werden müssen. Aber je weiter sich dieses Recht entwickelt, desto mehr kann sich die Gesellschaft auf eine verläßliche Ordnung als Voraussetzung verlassen. Das Grundgesetz schafft für das Leben der Menschen im wahren Sinne des Wortes – eine Verfassung.

Es ist wahr, diese Verfassung kann mißbraucht werden. Wer die Regeln zum Schutz der Risikogruppen vor der Epidemie unterlaufen will, kann sich nicht auf Religionsfreiheit berufen. Niemand sollte sich auf Wahlgesetze berufen und vor Gericht ziehen, um das demokratische Recht auf Wahl und Stimmabgabe auszuhebeln. Recht kann ausgenutzt werden, darum braucht es die gegenseitige Kontrolle der demokratischen Institution, ein Gleichgewicht der Kräfte, wie das die Gründungsväter der amerikanischen Verfassung im späten 18. Jahrhundert entwickelt haben, viele übrigens mit einem großen Paket reformatorischer Theologie im Hand- und Denkgepäck.

Wer Gutes im Sinne des Jesaja tun will, braucht eine große Dosis Vernunft, um die Folgen seines Handelns zu bedenken. Zur Vernunft gesellen sich guter Willen und das Gebet. Denn leider ist es so, daß nicht jede vernünftige gute Handlung zwingend zum Erfolg führt. In diesem Sinn ist gerade der Bußtag, den die Politik abgeschafft hat, der richtige Tag, um Gott um seinen Segen zu bitten. Segen geschieht nicht so, daß Gott in die Verhältnisse der Welt mit dem Zeigefinger eingreifen würde. Das Gebet und die Bitte um den Segen sind auf Glauben und Gewißheit angewiesen. Gott wird denjenigen helfen, die neue Schritte gehen.

Aber damit sind nicht die realen und oft schmerzlichen Verhältnisse dieser Welt aufgehoben. Wer keine Maske trägt, weil er auf Gott vertraut, verhält sich töricht, weil er dann möglicherweise andere Menschen ansteckt. Der Glaube an Gott ist kein Heilmittel, um Gott zu zwingen. Der Glaube ist vielmehr ein Mittel, sich von den Verhältnissen dieser Welt nicht zum Bösen überwältigen zu lassen, sondern in der Gewißheit der Barmherzigkeit Gottes diesem Bösen etwas entgegenzusetzen. Und dieser Glaube kann sich in unterschiedliche Richtungen ausbreiten: Rechtsordnung, Vergebung, Gottesdienst, Hoffnung, sozialer Ausgleich. Manchmal weist die Richtung auf so etwas Banales und Unangenehmes, aber eben auch Hilfreiches wie das Maskentragen.

Wenn Buße so verstanden wird, dann geht es nicht mehr um das fromme Schwarzmalen der eigenen Seele zu erbaulichen Zwecken. Dann geht es um Richtungsänderung, Neuanfang, um die Überwindung falscher Gewohnheiten. Gefühle frommer Depression und ritueller Pflichterfüllung passen ganz und gar nicht dazu. Im Geist der alten Buß- und Bettage gehörten sie sowieso nur zum dünnen Lack der Oberfläche. Wer neu anfängt und die Richtung ändert, wen Gott darüber hinaus mit einem Gespräch geehrt hat, den überkommen Gefühle der Hoffnung, der Freude und des Aufbruchs.

Deswegen enthält die Bußpredigt des Jesaja am Ende auch eine Farbenlehre des Glaubens. An die Stelle sinnlos vergossenen roten Bluts tritt das Weiß der Reinigung und der Erneuerung. Und vielleicht kommt ein wenig protestantisches Violett hinzu. Mit Weiß und Violett sind jedenfalls die Grundtöne der Palette bereitet, um Demokratie, alltägliches Handeln und Glauben ein wenig aufzumischen. Über die Grautöne der Welt legen sich bunten Farben des Reiches Gottes.

Und der Friede Gottes, welcher bunter und vielfältiger ist als jede Farbpalette, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Privatdozent für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er bloggt über Theologie, Gemeinde und Predigt unter www.wolfgangvoegele.wordpress.com.

de_DEDeutsch