Freude im Trümmerfeld

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Erster Weihnachtstag 25.12.2020 | Predigt zu Jes 52,7-10 | von Pfarrer Dr. Christoph Kock |

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I. Pandemie-Trümmer

Wenn der Radio-Wecker seine Aufgabe erfüllt, sind es noch 60 Sekunden bis zu den Nachrichten. Der Tag beginnt mit zwei Zahlen des RKI. Die gemeldete Anzahl der Neuinfektionen in den letzten 24 Stunden und die Zahl derer, die in dieser Zeit an und mit Corona gestoben sind. Diese Zahlen ziehen weite Kreise, werden herangezogen, wenn Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie diskutiert und verabschiedet werden. Streit entzündet sich. Was ist angemessen? Was ist dringend geboten? Was ist überflüssig?

Immer wieder Entscheidungen. Mit wem Weihnachten feiern und wie? Mit Maske am Tisch, immer wieder lüften? Die Eltern besuchen oder doch besser zuhause bleiben? Die Pandemie legt das soziale Umfeld in Trümmer. Aus dem Fenster sieht die Straße ganz normal aus. Vielleicht etwas ruhiger als sonst. Aber in den Häusern ist in den letzten Monaten viel kaputt gegangen. Es ist einsamer geworden für die, die alleine wohnen. Wo Menschen zusammenwohnen, ist die Stimmung gereizter als sonst, sie gehen sich eher auf die Nerven. Der Grund ist der gleiche: Jeder Kontakt liegt auf der Goldwaage. Bei der Freundin übernachten? Das ging doch noch im Oktober. Jetzt geht nur noch mit Abstand um den Auesee laufen. Absagen haben Konjunktur. Planungen landen regelmäßig auf dem Müll.

Dazu gesellen sich weitere Trümmer: Berufliche Perspektiven stecken in Warteschleifen oder zerbröseln ganz. Gesundheit geht verloren. Manche merken gar nicht, dass sie sich infiziert haben. Aber andere brauchen lange, um sich davon zu erholen. Einige schaffen es nicht mehr und können nur noch gezählt werden. Eine Pandemie hinterlässt eine Trümmerlandschaft, auch wenn Steine aufeinander bleiben.

II. Gott kehrt zurück

Babylon, im Jahr 538 vor Christus. Der persische König steht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ein Jahr zuvor ist er als Sieger in Babylon eingezogen. Das babylonische Großreich ist Geschichte. Der neue Machthaber erlässt ein Edikt: Die Nachfahren jener Israelitinnen und Israeliten dürfen in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren, die vor 50 Jahren auf Befehl des Königs Nebukadnezar nach Babylon verschleppt worden sind. König Kyros rechnet mit ihrer Hilfe beim Aufbau des brachliegenden Landes und erlaubt ihnen im Gegenzug, den damals von den Babyloniern zerstörten Tempel in Jerusalem wieder zu errichten.

Wie wohl die Schlagzeilen für diese Meldung gelautet hätten: „Persischer König instrumentalisiert jüdische Kolonie“ oder „Integration endgültig gescheitert“ oder… Ein Prophet titelt: „Gott kehrt zurück“. Im Buch des Propheten verbinden sich damit grandiose Szenen:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten,

der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt,

der da sagt zu Zion:

Dein Gott ist König!

Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander;

denn sie werden‘s mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.

Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;

denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker,

dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

III. Sprungbrett

Eine gute Nachricht kommt angelaufen. Die Berge hinauf nach Jerusalem. Schritt um Schritt nähert sich ein Freundenbote, Worte im Gepäck: Frieden, Gutes und Heil für die, immer noch von der Katastrophe gezeichnet sind. In Jerusalem den Tempelberg mit den überwucherten Ruinen vor Augen haben. Zusammengefasst in einem Satz für die, die noch da sind, zu Zion: „Dein Gott ist König!“

Da kommt Gott auch schon. Die Wächter rufen’s sich zu. Sie werden’s selber sehen: Gott kehrt nach Zion zurück. Eine Stadt, die in Trümmern liegt, wird zum Jubel aufgerufen. Gott hat sein Volk getröstet, Jerusalem erlöst. Aller Welt Enden liegt Gottes Heil vor Augen. Das ist großes Kino. Fragt sich nur, welches Genre.

Ein Machtwechsel, eine Gelegenheit, die sich dadurch bietet – der Prophet sieht Gott am Werk. Menschen kehren demnächst zurück in eine ihnen längst fremd gewordene Heimat – der Prophet sieht, wie Gott ihren Zug anführt. Als ob es sich so vor seinen Augen abspielte. „Gott kehrt zurück nach Zion.“ Einer kommt mit einer Freundenbotschaft, der Jubel wird lauter, immer mehr Stimmen fallen ein. Gottes Heil zeigt sich öffentlich und alle Welt schaut zu.

Im Kino wäre das Science Fiction, eine in Szene gesetzte Utopie, die das weit hinter sich lässt, was wirklich, mühselig, mehrdeutig und meist mit Kompromissen verbunden ist.

Ein politisches Ereignis wird zum Sprungbrett. Der Prophet traut sich und springt in eine Zukunft, die weit über das hinausgeht, was so zerbrechlich, mühselig, begrenzt und manchmal so abgrundtief zum Verzweifeln ist. Damit hat er den Boden unter den Füßen verloren. Den Kontakt zum Leben, wie es wirklich ist.

IV. Trümmer-Freude

Vielleicht auch nicht. Denn die Trümmer sind geblieben. Sie werden nicht weggeräumt, sondern wahrgenommen und angeredet:

Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;

denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

Freut euch, die ihr euch so gottverlassen und mutterseelenallein vorkommt.

Freut euch, die ihr einsam, mit Abstand genervt, hinter Masken verborgen seid.

Freut euch, die ihr sorgenschwer nur noch auf den nächsten Schritt,

aber nicht mehr weiter blickt.

Gott kehrt in eure Welt zurück.

Gott ist schon da.

Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;

denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

Gottes Botschaft für eine Welt in Trümmern. Ein Neuanfang in Aussicht. Israel hat’s erfahren und hineingetragen in die Bibel. Mit einer Hoffnung versehen, die über das eigene Volk hinausgeht. Gott macht heil, was zerbrochen ist. Trümmer, Herzen, Perspektiven. Gott tröstet, trocknet Tränen, hält Verluste aus. Streicht vorsichtig über zurückgebliebene Narben. Das lässt sich nicht beschränken. Das zieht weite Kreise. Wo Gottes Heil zum Zuge kommt, wird die Welt nicht zum Teufel gehen.

Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker,

dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Der Prophet redet, als wäre es schon geschehen. Zukunftsmusik, die aber jetzt schon zu Gehör kommt. Eine Botschaft mit enormer Kraft. Was alles in diesem Wort steckt: Heil. Auf Deutsch immer noch erstaunlich, dass es tatsächlich mit Gott verbunden ist.

V. Coming home for Christmas

Eine gute Nachricht kommt angelaufen. Von den Feldern hinein nach Bethlehem. Hirten als Freudenboten. Sie finden die Nadel im Heuhaufen, das Kind in der Krippe, und es sprudelt aus ihnen heraus. Sie reden vom eigenwilligen Zeichen, das ihnen ein Engel angekündigt hat: Ein in Windeln gewickeltes Kind in einem Futtertrog, gerade geboren. Sie reden von der himmlischen Botschaft, das mit diesem Zeichen verbunden ist: Das Heil ist geboren, der Christus. Der Anfang ist gemacht. Wunder, was kommt. Herzbewegend. Für Maria, die Mutter. Für andere ebenso.

Hohe Erwartungen verbinden sich mit diesem Kind. Frieden auf Erden, Heil und Segen. Vollmundig und vielstimmig besungen.

Hohe Erwartungen verbinden sich mit diesem Fest. Normalität, Begegnung und Kontakt. Wenigstens Weihnachten feiern wie gewohnt. Vertrautheit spüren in einer Welt, die so fremd und auch beängstigend geworden ist.

Enttäuschung ist vorprogrammiert. Das Virus legt keine Pause ein. So viel ist anders.

Wer in diesem Jahr jenes Zeichen in Augenschein nimmt, mag selbst gezeichnet sein.

Reduzierte Kontakte nagen am Gemüt. Der Blick ist fixiert auf das, was alles nicht geht. Bei anderen hat Covid-19 Spuren hinterlassen: Wie anstrengend kann der Alltag werden, selbst wenn die Krankheit überstanden ist. Und auch das: ein Abschied, der zu früh gekommen ist. Was keiner will: Nicht jetzt, vor allem nicht so: eine einsame flache Linie auf dem Monitor einer Intensivstation.

Schließlich der Ärger über die, die das alles lautstark für fake news halten.

Trümmerlandschaft im Corona-Jahr. So viel ist kaputt gegangen.

Und dann das: Das Kind in der Krippe sehen und von großer Freude hören.

Weil einer geboren worden ist, der Heil in die Welt bringt.

Mit einem wachen Blick für die Trümmer, die Menschen hinterlassen und in sich tragen.

Mit einem unerschütterlichen Optimismus, von wem er das nur hat:

Du kannst auch anders.

Es geht auch anders.

Es geht gemeinsam.

Liebe ist mit Abstand das Beste, was einem Menschen passieren kann.

Und hohe Erwartungen fangen an, jetzt schon Spuren zu hinterlassen.

Gerade noch rechtzeitig: Gott ist zurück.

In einem Kind.

Dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Amen.


Lieder:

In einer Höhle zu Bethlehem (EG.RWL 547)

O Bethlehem, du kleine Stadt (EG 55)

Ich steh an deiner Krippen hier (EG 37)


Gebet:

Gott,

wir feiern Jesu Geburt.

Mit deinem Sohn bringst du Licht ins Dunkle.

Wir bitten dich,

dass dieses Licht uns erhellt.

Wir erkennen,

wie du zu uns kommst.

Wir tun,

was dir in entspricht.

Frieden näher rückt

und selbst eine Pandemie verblasst.

So nah sind wir dran.

Allem Abstand zum Trotz.

Ob Weihnachten das Beste ist,

was uns je passiert ist?

Du machst es wahr, Gott.

Kommst zu uns.

In Jesus.

Deinem Sohn.

Danke,

Gott.

Amen.


Das Presbyterium meiner Gemeinde hat beschlossen, aufgrund der Pandemie alle Präsenzgottesdienste ab dem 4. Advent bis zum 10. Januar auszusetzen.

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

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