Fröhlich soll mein Herze springen

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Fröhlich soll mein Herze springen

Titel: Fröhlich soll mein Herze springen | Weihnachten 2022 | Predigt zum Lied EG 36 | Ulrich Pohl |

Dieser Chor auf  Youtube singt  Strophe 1+6 und 12 des Liedes

Hier findet sich der ganze Liedtext

Die Gemeinde singt die Strophen 1 bis 5

1) Fröhlich soll mein Herze springen
dieser Zeit, da vor Freud
alle Engel singen.
Hört, hört, wie mit vollen Chören
alle Luft laute ruft:
Christus ist geboren!

2) Heute geht aus seiner Kammer
Gottes Held, der die Welt
reißt aus allem Jammer.
Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute,
Gottes Kind, das verbindt
sich mit unserm Blute.

3) Sollt uns Gott nun können hassen,
der uns gibt, was er liebt
über alle Maßen?
Gott gibt, unserm Leid zu wehren,
seinen Sohn aus dem Thron
seiner Macht und Ehren.

4) Er nimmt auf sich, was auf Erden
wir getan, gibt sich dran,
unser Lamm zu werden,
unser Lamm, das für uns stirbet
und bei Gott für den Tod
Gnad und Fried erwirbet.

5) Nun er liegt in seiner Krippen,
ruft zu sich mich und dich,
spricht mit süßen Lippen:
„Lasset fahrn, o liebe Brüder,
was euch quält, was euch fehlt;
ich bring alles wieder.“

Wenn alle Geschenke verteilt sind, alle Päckchen ausgepackt und alles Spielzeug ausprobiert ist, dann bricht die Zeit an. Wenn alle Überraschungen gelungen sind, alle magischen Momente zelebriert und alle unvergesslichen Augenblicke ausgekostet und auf dem Smartphone verewigt sind, dann beginnt sie: die Zeit. Wenn alle Briefe geöffnet, alle Karten gelesen und alle Telefonate getätigt sind, dann kommt die Zeit. Wenn der Braten gegessen, alle Teller gespült und die Reste in den Kühlschrank gestellt sind, dann endlich ist sie da, die Zeit. Die Zeit, von der Paul Gerhard spricht. „Diese“ Zeit, da vor Freud alle Engel singen. Die Zeit, Atem zu schöpfen. Die Zeit, sich einmal hinzusetzen und tief Luft zu holen. Die Zeit, einen Spaziergang zu machen, über die Felder, durch den Wald. Die kühle Luft in den Bronchien zu spüren. Die Zeit, einmal allen Lärm hinter sich zu lassen. Die Zeit, in der sich die Stille ausbreitet. In der alles nachklingen kann. Die Worte. Die Melodien und die Bilder. Die Zeit, in der, wenn es still wird, die Luft um uns unmerklich zu singen anfängt.

Für die Menschen, die zur Zeit Paul Gerhards lebten, war die Stille eines der wenigen Güter, die sie hatten. Und natürlich waren in dieser Stille für sie die Stimmen zu hören, die Stimmen der Engel. „Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren.“

Nach dem Abend der Freude über die Geschenke, des Entzückens, vielleicht auch der ein oder anderen Enttäuschung ist es heute Morgen die einfache Fröhlichkeit, zu der uns Paul Gerhard mit seinem Lied einlädt. Die Fröhlichkeit der Weihnachtszeit, in der vieles anders ist. In der vieles bedeutsam wird. In der uns das Herz aufgehen soll.

Nicht wegen der vielen Dinge, die wir haben oder besitzen. Es ist eine Arme-Leute-Weihnacht, die Paul Gerhard besingt. Die Menschen in seiner Gemeinde hatten – nichts. Sie waren froh, einem langen und schrecklichen Krieg entronnen zu sein. Es gab wohl niemanden, der im Krieg nicht irgendjemanden verloren hatte. Die Familien waren zerstört, die Kinder traumatisiert, die Häuser aus Trümmern notdürftig wiederaufgebaut, die Fensterhöhlen leer und die Stuben dunkel. Unvorstellbar für uns: Licht war Mangelware. Kerzen? Waren unerschwinglich, gab es, wenn, nur in der Kirche. Geschenke? Das größte Geschenk war es, den Winter über genug zu essen zu haben.

Der Pfarrer Paul Gerhard sorgt sich um seine Gemeinde. Er fragt sich: Was gibt es in all diesem Elend, woran sich meine Gemeinde freuen könnte? Und er findet eine Antwort: Wenn Weihnachten ganz arm ist, ganz seiner übrigen Freuden entkleidet ist, dann steht das im Vordergrund, worum es wirklich geht. Es ist das Kind in der Krippe. Das wird Paul Gerhard besonders wertvoll. Und das macht er der Gemeinde, die mit ihm Weihnachten feiert, besonders wertvoll:

„Die Ihr arm seid, und elende, kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände. Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben.“

Das ist das wahre Geschenk der Weihnacht: Gott gibt sich frei. Es kostet nichts. Wir müssen nichts zahlen, nichts mitbringen, nichts weggeben. Gott stellt keine Bedingungen. Er macht auch keinen Unterschied zwischen arm und reich, zwischen klug und töricht. Für alle ist er da. Alle dürfen ihn anschauen. Und alle gleichermaßen bekommen etwas von ihm geschenkt. Etwas, das allen fehlenden Reichtum aufwiegt. Etwas, das uns froh macht wie ein Schatz. Etwas, das so wertvoll und so beständig ist wie pures Gold. Es ist das Heil, das Gott uns schenkt. Es besteht darin, er kommt zu uns. Ganz einfach er kommt zu uns und teilt unser Leben mit uns.
Und wir dürfen zu ihm kommen.

„Ei, so kommt und laßt uns laufen, stellt euch ein, groß und klein, eilt mit großen Haufen. Liebt den, der vor Liebe brennet, seht den Stern, der euch gern Licht und Labsal gönnet.“

Wir sehen sie eilen, groß und klein, ärmlich gekleidet, humpelnd die einen, gebrechlich. Fröhlich hüpfend die Kinder. Sie kommen aus den Gehöften rings um die Kirche. Sie steht auf einer leichten Anhöhe und ihre Fenster sind schon von weitem zu sehen. Es sind die einzigen in der Gegend, die von Kerzen erleuchtet sind. Das Licht ist es, das die Menschen anzieht. Das Kerzenlicht, ja, doch mehr noch das Licht, das von der Krippe ausgeht. Das Kind, was dort liegt, ist mehr als nur ein Kind. Es ist Gott selbst. Er hat sich klein gemacht, um zu uns zu kommen. Von ihm geht das Licht aus, das unser Leben hell macht. Er ist der Stern, der über unserem Leben wacht. Der in der Nacht leuchtet. Der uns den Weg weist. Auf den wir zu gehen. Der uns Trost spendet.

Die Gemeinde singt die Strophen 6-9

6) Ei so kommt und lasst uns laufen,
stellt euch ein, groß und klein,
eilt mit großen Haufen!
Liebt den, der vor Liebe brennet;
schaut den Stern, der euch gern
Licht und Labsal gönnet.

7) Die ihr schwebt in großem Leide,
sehet, hier ist die Tür
zu der wahren Freude;
fasst ihn wohl, er wird euch führen
an den Ort, da hinfort
euch kein Kreuz wird rühren.

8) Wer sich fühlt beschwert im Herzen,
wer empfind’t seine Sünd
und Gewissensschmerzen,
sei getrost: hier wird gefunden,
der in Eil machet heil
die vergift’ten Wunden.

9) Die ihr arm seid und elende,
kommt herbei, füllet frei
eures Glaubens Hände.
Hier sind alle guten Gaben
und das Gold, da ihr sollt
euer Herz mit laben.

Brauchen wir Trost? Brauchen wir Trost in dieser fröhlichen Weihnachtszeit, in der doch alles harmonisch sein soll? Freudig, glücklich. In der alles stimmen soll? Brauchen wir Trost?

Die Menschen damals brauchten ihn.
Sie hatten viel Schlimmes gesehen. Schreckliches. Sie hatten Dinge miterleben müssen, die ein Mensch eigentlich gar nicht aushalten kann. Irgendwann hatten sie begonnen, sich hart zu machen. Innerlich auf Distanz zu gehen. Zu sehen, aber nicht mehr zu fühlen. Die Gefühle abzuspalten. Hier ist mein Ich. Dort ist das, was gefühlt wird. Aber der, der fühlt, das bin nicht ich. Das ist ein anderer. Nichts mehr spüren. Nichts mehr empfinden.

Paul Gerhard ist Seelsorger und er weiß: Wenn ein Mensch nichts mehr fühlen will, wenn er die Trauer unterdrückt, dann wird er bald auch die Freude nicht mehr empfinden können. Wenn ich versuche, den Schmerz einzukapseln, dann werde ich auch das Glück nicht mehr spüren. Vielen in seiner Gemeinde wird das so gegangen sein: Gefühllos, für Freude nicht mehr empfänglich, betäubt, nur noch in der Lage auszuhalten, mit dem Wunsch danach, das ganze hier soll möglichst bald ein Ende nehmen.

Wenn eine Liebe entzweigeht. Wenn Vertrauen missbraucht wird. Wenn Schwüre brechen. Wenn Kriege ausbrechen, in Familien oder zwischen Völkern. Wenn uns Schreckensbilder anstarren: Dann ist diese Welt manchmal einfach nicht mehr zum Aushalten. Dann ist das, was geschieht, was ich mit ansehen muss, kaum noch zu ertragen. Auch in mir will sich dann etwas abkapseln. Es ist, als würde die Seele eine Blase bilden um das, was mir Qualen verursacht. Eine Blase, unter der heilen kann, was verwundet ist. Unter der sich taub anfühlt, was mir eigentlich Schmerzen machen müßte. Paul Gerhard weiß, für viele ist gerade die Weihnachtszeit eine Zeit der Erinnerungen. Eine Zeit der Wehmut. Eine Zeit, da bricht wieder auf, was ich versucht habe zu vergessen. Trotzdem macht er seiner Gemeinde Mut. Er macht ihr Mut, an die eingesperrten Empfindungen heranzukommen. Er macht den Menschen Mut, zu fühlen. Und endlich wieder – etwas Freude zu erleben.

Aber das Schlimme? Wo soll all das Schlimme hin? Wo sollen sie hin, die schrecklichen Bilder, mit denen wir uns im Namen der Wohlinformiertheit täglich belasten? Und wo soll der Schmerz hin, der tief in meiner Seele vergraben ist, den ich versuche, zu vergessen? Ganz behutsam nimmt Paul Gerhard die Seelen derer, die ihm zuhören, in die Hände. Ja, ihr seid beschwert im Herzen. Das gehört zu Weihnachten dazu. Ja, ihr empfindet Schuld, es kommt euch ganz nahe, wie ihr andere Menschen verletzt habt. Das gehört mit an die Krippe. Euer Gewissen plagt euch, eure Erinnerungen überkommen euch. Mit all dem seid ihr hier bei diesem Kind am richtigen Platz. Alles, was ihr mit euch tragt an Last, dürft ihr hier an der Krippe ablegen. Das Gotteskind in der Krippe nimmt es an, nimmt alles auf. Will es von euch nehmen. Nimmt es auf sich und will all eure Angst von euch nehmen. Die Angst, es könnte sich wiederholen, was euch so viel Schmerzen zufügt. Nein, das Kind will euch an einen Ort führen, wo euch kein Leid mehr etwas anhaben kann, wo kein Kreuz euch mehr belastet. Dieser Ort ist hier, hier im Stall. Stellt euch an die Krippe. Stellt euch zu dem Kind. Lasst los, was euch quält, lasst los, was euch fehlt. Schaut auf das Kind und betet. Betet: Lieber Herr Jesus, so vieles bringe ich mit, woran ich trage. Ich lege es bei dir ab. Ich bitte dich, dass du es annimmst. Ich vertraue darauf, dass es heil wird bei dir. Ich glaube fest daran, in deinen Händen wandelt sich alles Schlimme in Segen. Um diesen Segen bitte ich dich. Schenke ihn mir und allen meinen Lieben. Und ich bitte dich, in mir soll etwas Freude übrig bleiben, die Freude darüber, ich habe dich als meinen Heiland.

Was nun folgt, im Lied Paul Gerhards, im Weihnachtslied, ist tatsächlich reine Freude. Reine, verspielte, übermütige und verliebte Freude: Süßes Heil, lass dich umfangen. Ich will dich in meine Arme schließen. Und ich will dich ins Herze schließen.

Paul Gerhard entlässt seine Gemeinde mit einem guten Vorsatz. „Ich will dich mit Fleiß bewahren, ich will dir leben hier…“

Das, was ich hier an der Krippe gesehen habe, will ich behalten. Will ich hüten wie einen Schatz. Und das, was ich verstanden habe, werde ich nicht vergessen. Du, himmlischer Vater, bist für mich da. Du nimmst an, was ich mitbringe. Du nimmst von mir, was ich trage. Und all meine Last, wandelst du in Segen.

Und der Friede Gottes … Amen.

Die Gemeinde singt die Strophen 10-12

10) Süßes Heil, lass dich umfangen,
lass mich dir, meine Zier,
unverrückt anhangen.
Du bist meines Lebens Leben;
nun kann ich mich durch dich
wohl zufrieden geben.

11) Ich bin rein um deinetwillen:
Du gibst g’nug Ehr und Schmuck,
mich darein zu hüllen.
Ich will dich ins Herze schließen,
o mein Ruhm! Edle Blum,
lass dich recht genießen.

12) Ich will dich mit Fleiß bewahren;
ich will dir leben hier,
dir will ich hinfahren;
mit dir will ich endlich schweben
voller Freud ohne Zeit
dort im andern Leben.


Pfarrer Ulrich Pohl, Neuss

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