Galater 5,1- 6 | „verführt“

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Galater 5,1- 6 | „verführt“

Reformationstag | 31.10.2021 | Predigt zu Gal 5, 1- 6 |verfasst von Rainer Kopisch |

Predigttext: Gal. 5, 1-6:
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
Siehe, ich, Paulus sage euch: wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.
Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.
Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.  
Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.
Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Predigtbild: Emil Nolde Verlorenes Paradies 1921 © Nolde Stiftung Seebüll

Liebe Gemeinde,

es hat mich gereizt, dieses Bild „Verlorenes Paradies“ von Emil Nolde, dem bedeutenden norddeutschen Maler des Expressionismus in den heutigen Predigttext aus dem Galaterbrief des Apostel Paulus zu setzen. Da sitzen sie also – verführt von der listigen Schlange. Der Löwe im Hintergrund wirft ein Rätsel auf. Zum 50. Todestag von Emil Nolde im Jahr 2006 gab es in der Kunsthalle in Emden eine Ausstellung “Emil Nolde – Paare“.  Die Journalistin Julika Pohle schreibt in einem Bericht für die Welt: „Auf Emil Noldes Ölgemälde „Verlorenes Paradies“ haben Adam und Eva es sich nicht nur mit dem Herrgott verscherzt, der in Gestalt eines königlichen Löwen zornig im Hintergrund schreitet, auch einander scheinen die Menschheitseltern nicht grün zu sein. Er schaut böse auf sie, sie starrt blauäugig geradeaus, und zwischen beiden zischelt gehässig die Schlange. Eine starke Szene, von jener Ausdruckskraft, die Noldes Paarbetrachtungen insgesamt kennzeichnet.“

Gott in Gestalt eines zornigen Löwen? Für mich gibt der Löwe im Hintergrund eher einen symbolischen Hinweis auf den Löwen von Juda. In der Offenbahrung des Johannes wird im Kapitel 5 deutlich, dass der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids,  sowohl Jesus, das Lamm, als auch der Löwe ist. Emil Nolde hat in seiner Kindheit und Jugend die Bibel intensiv und tief beeindruckt gelesen. Die Erinnerung an diese inneren Bilder hat auch die Gestaltung seiner religiösen Bilder geprägt, wie er in seinen Erinnerungen schrieb. Den Löwen im Hintergrund dieses Bildes sollten wir als Symbol für die erhoffte Erlösung durch Jesus Christus im Gedächtnis behalten. Der Glaube an diese Erlösung wird uns auch im Text des Paulus begegnen. Emil Nolde mutet uns zu, uns an eigene Gefühle zu erinnern, an Selbst-Zweifel und Vorwürfe an uns selbst, weil ein Traum von Geborgenheit und Liebe geplatzt ist. Wie konnte ich so dumm sein und jemandem vertrauen, der mich ins Unglück geführt hat?

Die Geschichte vom Sündenfall Adams und Evas steht in der Bibel am Anfang der Menschheitsgeschichte. Im Bild von Emil Nolde sehen wir Menschen, die in der Blüte ihres Lebens erstarrt sind. Der Tod ist in ihr Leben getreten. Paulus schildert die Qual der eigenen Verführbarkeit im siebten Kapitel seines Römerbriefes: „Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht (18b). Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich (19).“ Er fragt in seiner Qual: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe (24)?“ Er findet die Antwort, die Emil Nolde im Symbol des Löwen von Juda ins Bild gemalt hat: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn (25)!“ Der Mensch schafft es nicht, die Gebote Gottes wirklich zu erfüllen. Die Erlösung aus diesem Problem hat uns Jesus Christus gebracht. Jesus Christus hat uns den Zugang zu Gott im Glauben und in der Liebe geschenkt.

Das war dem Apostel Paulus klar, und er hat davon gepredigt und geschrieben. Vor einem Rückfall der neuen Christen in die jüdische Gesetzes-Religion warnt er mit allen Kräften. Unser heutiger Predigttext nimmt diese Warnung in einer besonderen Weise auf. Es sind Menschen aus der jüdisch-christlichen Gemeinde in Jerusalem in Galatien unterwegs, um die neuen Christen für die jüdische Beschneidung zu gewinnen. Die Schlange im Paradies hatte Adam und Eva mit der Behauptung verführt, dass es eine Möglichkeit gäbe, Gott nah zu kommen und an seinen geheimen Gedanken teilzuhaben. Hier in Galatien ist statt des Apfels die Beschneidung als Weg zu Gott angepriesen. Sie soll das Zeichen sein, in der jüdischen Tradition mit Gott zu leben. Für Paulus ist es ganz klar, und darin ist er völlig sicher: Wenn sich jemand beschneiden lässt, ist er verpflichtet, den Weg der jüdischen Gesetzes-Religion zu gehen. Das aber gefährdet den Erfolg seiner Missionsreisen in Galatien. So schreibt er also: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Mit dem Joch der Knechtschaft meint er die Anerkennung der jüdischen Gesetzesvorschriften. „Siehe, ich, Paulus sage euch: wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.“ Aus der Qumransekte ist diese Konsequenz einer auf dem Boden des Gesetzes unerlässlichen, lückenlosen, totalen Gesetzeserfüllung schon bekannt. Paulus schärft deshalb die Pflichtverbundenheit gegenüber dem Gesamtgesetz ein, die jedem erwächst, der das Bundeszeichen der Beschneidung annimmt.

Für Paulus ergibt sich für die Christen in Galatien aus der Annahme der Beschneidung der Verlust ihrer christlichen Existenz: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ Wie das bei Menschen aussehen kann, aus der Gnade Gottes gefallen zu sein, sahen wir in Emil Noldes Bild. Von Hoffnung ist bei Adam und Eva keine Spur zu entdecken. Paulus kämpft gegen die Gefahr, das Ziel unserer Hoffnung zu verlieren: „Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.“ Für Christen spielt das Zeichen der Beschneidung deswegen als Bundeszeichen der Juden mit Gott keine Rolle mehr. „Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Paulus weist auf etwas hin, was wir Christen aus welchen Gründen auch immer, oft vergessen: Glaube will getan werden. Es geht nicht um Gesetzeserfüllung im Sinne von Rechtfertigung durch Taten und Werke. Es geht um unsere Antwort auf die Liebe Gottes in Jesus Christus. Das ist unser Glaube, dass Gott uns liebt und Jesus Christus uns durch sein Leben und sein Sterben erlöst hat. Der Löwe von Juda ist nicht nur in das Leben von Emil Nolde getreten, wie er es in diesem Bild „Verlorenes Paradies“ andeutet. Emil Nolde hat auch das Leben und Sterben Jesu Christi ausdrucksstark in neun Bildern gemalt. Im Nolde-Museum in Seebüll sind diese neun Bilder – ähnlich angeordnet wie bei einem Klapp-Altar – mit dem Mittelbild der Kreuzigung und vier gleichformatige Bilder links und rechts als Leben Christi dargestellt.

Es wäre kein gewohnter Reformationstag, wenn wir nicht auch dankbar an Martin Luther denken würden. Aus der Beschäftigung mit Paulustexten wie dem heutigen Predigttext hat er für seine Lehre Konsequenzen gezogen. Im Kleinen Katechismus für den Konfirmandenunterricht nimmt er die Gebote des Alten Testamentes auf und erweitert sie jeweils mit Erklärungen. Mit diesen Erklärungen zusammen macht Martin Luther aus den Geboten des Alten Testamentes neue Gebote, die dem neuen christlichen Glauben entsprechen. Das Wichtige und Entscheidende ist, dass er uns in den Erklärungen der Gebote zeigt, wie wir Gott die Ehre geben und wie wir aus der Liebesverbindung mit Gott heraus unser Leben unter den Menschen gestalten können. Das ist der gelebte Glaube als Zeichen der Christinnen und Christen in dieser Welt des Todes.

Um einen wesentlichen Beitrag zum gelingenden Leben in dieser Welt zu leisten, müssen wir als Bürger Einfluss auf Regierende und Bestimmende nehmen. Wir müssen mehr tun als nur zur Wahl unserer Vertreterinnen und Vertreter in politischen Gremien zu gehen. Wir müssen Antwort geben auf die Frage, wie wir ein Leben, das vom Tode bedroht ist, gemeinsam mit anderen Menschen in dieser Welt leben wollen. Unsere Art zu leben hat Konsequenzen für alle Menschen in der Welt.

Wir Christinnen und Christen haben es leichter als Menschen, die den Todesbedrohungen ohne eine Hoffnung auf eine Existenz nach dem Tod ausgeliefert sind. Deswegen sind wir auch in besonderer Weise verpflichtet, gegen das anzugehen, was wir als Verführungen der Menschen erkennen.

Wenn wir erkennen, wie wir die Gedanken der Reformation weiterdenken können, sollten wir es konsequent tun. Im Sinne von Reformation können und sollen es auch kritische Gedanken sein.

Aber, keine Angst vor dem eigenen Denken. Unser Glaube, unsere Hoffnung und unsere Liebe werden uns beim Denken helfen. Das Vertrauen in den Beistand des Heiligen Geiste sollte uns darin bestärken, uns selbst mit allen Kräften zu bemühen, Klarheit in unser Denken zu bringen. Dann können wir auch andere Menschen überzeugen, sich nicht verführen zu lassen, sondern selbstkritisch ihren eigenen Weg mit Gott zu gehen. Expressionistische Bilder wie die von Emil Nolde machen uns auf Bereiche unserer eigenen Seele aufmerksam, die wir in unser Denken bewusst aufnehmen können. So erweitert sich unsere Kenntnis über die Grenzen und Herausforderungen der eigenen Person. Ein Bespiel hat Paulus im oben geschilderten Beispiel seiner Selbsterkenntnis geliefert. Wir alle müssen üben, unserer Verführbarkeit Zügel anzulegen. Alle wissen von der Verführbarkeit der Menschen. Seit der Einführung des Geldes, nehmen die Bedürfnisse zu, andern Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, solange sie welches haben. Dabei spielt die menschliche Schwäche der Verführbarkeit eine große Rolle.

Eine Haupttriebfeder bei der Industrialisierung scheint die (Hab-) Gier gewesen zu sein.

Ein krasses Beispiel dafür ist der große amerikanische Straßenbahnskandal. Bei Wikipedia ist darüber zu lesen:

„Als Großer Amerikanischer Straßenbahnskandal (englisch General Motors streetcar conspiracy)

wird die systematische Zerstörung des auf der Straßenbahn basierenden öffentlichen Personennahverkehrs in 45 Städten der Vereinigten Staaten unter Führung des größten Automobilherstellers der USA, General Motors (GM), ab den 1930er bis in die 1960er Jahre bezeichnet. Die Verkehrsunternehmen wurden aufgekauft, um anschließend eine Stilllegung der Straßebahnstrecken zu Gunsten des Automobilverkehrs zu erreichen, damit Fahrzeuge und Betriebsstoffe aus eigener Produktion abgesetzt werden konnten.“

Der Gier auf Hersteller- und Verkäuferseite entspricht die Gier auf der Käuferseite. Werbung ist die professionelle Entwicklung der Verführungskünste. Das Bemerkenswerte daran ist, dass die Verführten die Kosten dafür auch noch bezahlen.

Was können wir tun, um nicht Opfer unserer eigenen Verführbarkeit zu werden? Wir können uns fragen, was wir selbst wirklich zum Leben brauchen. Die spezielle Frage vor der Entscheidung heißt: „Brauche ich das wirklich?“

Es gibt im Internet eine Seite sieben-todsuenden.com. Es lohnt sich, sie zu besuchen, um Stoff zum Nachdenken über die eigene Verführbarkeit zu bekommen. Am Reformationstag sollten wir an die Erneuerung der Kirche denken, dass sie immer zu reformieren sei. Wir sollten den Reformationstag auch zum Anlass über die Erneuerung unserer persönlichen Beziehung zu Gott nachdenken. Dazu gehört es, aufmerksam und dankbar auf die Gaben zu achten, die uns Gott für unser persönliches Leben geschenkt hat.

Gott sei Dank.

Amen

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch

Braunschweig

E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage und die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage benutzt.

Literatur zum Predigtbild:

Emil Nolde, Die religiösen Bilder (Nolde Stiftung Seebüll und DUMONT),

Kirsten Jüngling, Biographie, EMIL NOLDE  DIE FARBEN SIND MEINE NOTEN, Propyläen

Eingesehene Stelle im Internet:

zu Julia Pohle (WELT):

https://www.welt.de/print-welt/article86605/Ein-Bild-vom-Kuss-sagt-mehr-als-tausend-Worte.html

zum Löwen von Juda:

https://uli-nichtvondieserwelt.blogspot.com/2017/04/verlorenes-paradies-emil-nolde.html

und zum erwähnten Wikipediaartikel:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Amerikanischer_Stra%C3%9Fenbahnskandal

Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,

Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz, letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit:

langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche,

Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen,

Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD, Mitglied in der Fuldaer Runde.

Seit Beginn meines Ruhestandes vor 15 Jahren schreibe ich Predigten im Portal der Göttinger Predigten. Diese Arbeit ist mein Dank für die Liebe Gottes, die mich in meinem Leben begleitet hat.

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