Gen 1,1-2,4a

Gen 1,1-2,4a

Und siehe: Es ist sehr gut! | Sonntag, 8. Mai 2022 | Predigt über Gen 1,1-2,4a | verfasst von Benedict Schubert |

Vorbemerkung:

Der Gottesdienst wird wesentlich mit geprägt vom Gesang der Sopranistin Gunta Smirnova. Begleitet vom Geiger Rafayel Ter-Sahakyan und der Organistin Ekaterina Kofanova interpretiert sie fünf der neun «Deutschen Arien» von G.F. Händel nach Gedichten von Barthold Heinrich Brockes: Nr. 1 nach Begrüssung, Eingangslied (Himmel, Erde, Luft und Meer – RG 530/EG 504, wobei die erste und letzte Strophe von allen, die Strophen 2+4 von den Frauen, 3+5 von den Männern gesungen werden) und Eingangsgebet. Nr. 5 folgt nach der Lesung des Predigttexts (der Schöpfungsbericht wird ganz gelesen), Nr. 8 zwischen Teil 1 und 2 der Predigt, Nr. 4 nach der Predigt (Texte bei der Predigt). Mit Nr. 9 schliesslich endet der Gottesdienst nach Sendung und Segen.

Da an diesem Sonntag auch ein Kind getauft wird, beschränke ich mich auf den Predigttext als einzige Lesung. Und weil die Deutschen Arien einen wichtigen Teil der Verkündigung übernehmen, ist die Predigt relativ kurz. Auch wenn die Gemeinde es gewohnt ist, dass Gottesdienste eine gute Stunde dauern, will ich den Rahmen nicht allzu sehr sprengen.

Gesungen werden zur Taufe das Lied von Jochen Klepper «Gott, Vater, du hast deinen Namen» (RG 179/EG 208) und als Schlusslied vor Sendung und Segen «Brunn alles Heils, dich ehren wir» (RG 244/eg 140,1-4) von Gerhard Tersteegen. Die Fürbitten halten wir in zwei Teilen zwischen den drei Strophen des Psalmlieds «O Höchster, deine Gütigkeit» (zu Ps 36, RG 27, nicht im EG).

Die Texte der nach dem Eingangsgebet und zum Schluss gesungenen Arien 1+9 sind:

DA 1: Künftger Zeiten eitler Kummer/ Stört nicht unsern sanften Schlummer,/ Ehrgeiz hat uns nie besiegt./ Mit dem unbesorgten Leben,/ Das der Schöpfer uns gegeben,/ Sind wir ruhig und vergnügt.

DA 9: Flammende Rose, Zierde der Erden,/ Glänzender Gärten bezaubernde Pracht;/ Augen, die deine Vortrefflichkeit sehen,/ Müssen vor Anmut erstaunend gestehen,/ Dass dich ein göttlicher Finger gemacht. 

Predigt:

DA 5: Singe, Seele, Gott zum Preise,/ Der auf solche Weise/ Alle Welt so herrlich schmückt./ Der uns durchs Gehör erquickt,/ Der uns durchs Gesicht entzückt,/ Wenn er Bäum’ und Feld beblümet,/ Sei gepreiset, sei gerühmet.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

die Schönheit dessen, was Gott geschaffen hat, kann Dir den Atem verschlagen – und wenn Du dann wieder Luft holst, wirst Du singen wollen. Einen hellen Jauchzer hoch oben auf dem Berg, ein heiteres Lied beim Spaziergang im Wald, eine sehnsuchtsvolle Melodie, wenn Du übers Meer schaust oder in den Nachthimmel hinauf. Kein Wunder, gibt es einen fast unbegrenzten Schatz an Frühlingsliedern, weil in unseren Klimazonen diese Zeit ihre besondere Schönheit hat und das grosse Versprechen in sich birgt von Erfrischung, von Aufblühen und kommender Reife.

Schon unter den biblischen Psalmen singen einige das Lob des Schöpfers. Franz von Assisi hat mit seinem Sonnengesang die Kreativität des Ewigen gepriesen. Mit Joachim Neander haben wir zu Beginn unseres Gottesdienstes jubelnd behauptet, dass Himmel, Erde, Luft und Meer von der Schönheit Gottes zeugen, von Gottes Grösse, von Gottes Ehre. Und Gunta Smirnova hat darauf mit der Arie geantwortet, die für das «unbesorgte Leben» dankt, das Gott uns gegeben hat; soeben hat sie sich und uns dazu aufgerufen, Gott zu erheben, der «alle Welt so herrlich schmückt».

Ja, eigentlich hätte ich auch den schönen Schöpfungsbericht lieber singen wollen, den ich Euch prosaisch vorgelesen habe. Ich hätte dieses Lied singen sollen von Gottes kraftvollem Wort, das ausreicht, um eine gute, schöne Welt zu schaffen. Es braucht keinen komplexen Mechanismus. Es wird nicht davon gesungen, dass Gott geheimnisvoll mit der Materie hantiert und wunderbar dies und jenes zusammengemischt hätte, um die Welt entstehen zu lassen. Gott wird nicht als der erste und höchste Alchemist gepriesen, sondern als die ewige Quelle des Lebens, die nur zu sagen braucht: «Es werde Licht!» – und es wird hell. Wir gehen nicht mehr in der vernichtenden Schwärze verloren. Wir verkümmern nicht im kalten Dunkel lieblosen Schweigens. Niemand und nichts geht unter im schmutzigen Tohuwabohu. Wir ertrinken nicht in den Urfluten, sondern werden herausgezogen, herausgerettet: Gott schafft einen Kosmos, eine schöne Ordnung. So schön, dass Gott selbst jedes Tagewerk beschliesst mit dem Ausdruck glücklicher Genugtuung: «Es ist gut. Es ist schön!»

Die Gedichte von Barthold Heinrich Brockes, die Händel in seinen neun deutschen Arien vertont hat, stammen aus der Zeit der Aufklärung, in denen einzelne Denker meinten, mit philosophischen Argumenten begründen zu können, dass und weshalb unsere Welt die beste aller denkbaren Welten sei. Auch Brockes Texte scheinen mit diesem uneingeschränkt positiven Blick auf das zu schauen, was uns umgibt. Nur an einer Stelle kommt Kummer vor, und er ist eitel (Nr. 1).

So gut und schön mögen auch wir die Welt sehen und einschätzen, wenn wir an einem sonnigen Frühlingstag in den Hügeln des Baselbiets spazieren und von einer Höhe aus die Schneeberge glänzen sehen, wenn wir dankbar und glücklich darüber sind, dass ein Kindlein zur Welt gekommen ist wie Elena, die wir vorhin getauft haben, oder auch wenn wir die Liebe feiern und das Versprechen der verbindlichen Treue, das zwei Menschen einander geben, wie gestern hier Lara und Max.

Doch wenn wir die Welt so uneingeschränkt als schön und gut besingen, werden sich sehr bald Stimmen melden, die mit guten Gründen finden, unsere Loblieder seien etwas zu harmlos, zu nett, zu oberflächlich – auch eine solche Stimme in uns selbst. Es gebe keine reinen Klänge, wir dürften die Reibungen und Spannungen nicht überhören, sondern sollten zur Kenntnis nehmen, wie viel auf dieser Welt nicht gut und nicht schön ist.

Ganz sicher nicht harmlos und oberflächlich ist das Lob des Leben und Licht schaffenden Gottes, das der unbekannte Dichter im ersten Schöpfungsbericht anstimmt, mit dem der Kanon der Bibel eröffnet wird. Gewiss wird in teilweise berührend feinen Details besungen, wie Gott in seinem kreativen Rhythmus alles ins Leben ruft, was ist: Tag und Nacht, Gras und Kräuter, Lichter am Himmel, Vögel und Getier, Vieh und Gewürm und schliesslich auch uns Menschen. Das alles ist gut. Und schön.

Das, was wir am Anfang des Lobgesangs jedoch gehört haben, scheint indessen nie vollständig zu verklingen, wie wenn es als dunkle Perspektive bedrohlich bliebe, wie wenn wir nie vergessen dürften, wie leicht wir wieder dahin zurückkehren können, dass die Erde wüst und leer war, und Finsternis auf der Tiefe lag.

Tatsächlich wird der erste Sänger etwas von dieser bedrohlichen Wirklichkeit gewusst haben – und deshalb hat sein Loblied auch einen trotzigen Beiklang. Den werdet Ihr jetzt zwar nicht hören, wenn Gunta einlädt, Aug und Herze sollten sich erfrischen in den angenehmen Büschen, wo sich Licht und Schatten mischen. Erst nachher wollen wir auf den widerständigen Charakter des Schöpfungslieds achten.

DA 8: In den angenehmen Büschen/ Wo sich Licht und Schatten mischen/ Suchet sich in stiller Lust/ Aug und Herze zu erfrischen./ Dann erhebt sich in der Brust/ Mein zufriedenes Gemüte/ Und lobsingt des Schöpfers Güte.

Vom Widerständigen im Schöpfungsbericht will ich in diesem zweiten Teil der Predigt reden. Dazu ist in Erinnerung zu rufen, wo und zu welcher Zeit wer diesen Text geschrieben hat. Die Fachleute vermuten, es sei ein Priester gewesen, der unter den schwierigen Bedingungen des babylonischen Exils die in die Fremde verschleppten Angehörigen des Volkes Israel dazu anhielt und darin anleitete, weiterhin dem Ewigen zu dienen, Gottesdienste mit und für den Gott Israels zu feiern.

All das, was sie an Kult und religiösen Gebräuchen entwickelt hatten, seit Salomo den Tempel in Jerusalem erbaut hatte, war verloren. Der Tempel war zerstört, das Volk zerstreut; diejenigen, die in Babel lebten, sassen am Fluss und weinten, wenn sie an Jerusalem dachten (Ps 137). Verloren hatten sie nicht nur die Möglichkeit, ihren traditionellen Gottesdienst weiter zu feiern. In Frage gestellt war auch ihr Glaube. Triumphierend behaupteten die Mächtigen in Babylon, ihre Götter hätten sich als stärker erwiesen, ihr Glaube sei wirksam, ihre Art Gott und die Welt zu verstehen also richtig. Das lasse sich unschwer daran ablesen, dass Babel schliesslich über Israel gesiegt und Jerusalem zu einem Kaff im Westen degradiert habe.

In der Logik der Macht schien das kaum widerlegbar. Doch da stand dieser unbekannte, aber offensichtlich von der kreativen Geistkraft des Ewigen erfüllte Priester auf und sang sein Lied von Gott, der nicht kleinlich die einen militärisch über die anderen triumphieren lässt. Nein: Er singt von Gott, der alles mit seinem Wort ins Leben ruft und allem Sein und Rhythmus schenkt.

Sonne und Mond, von denen Babylon behauptet, sie seien die Gottheiten, die ihren König mächtig gemacht hätten, das sind – so singt der freche Priester – nichts als Lampen, die der wahre Gott ans Firmament gehängt hat.

Umgekehrt sind die Menschen nicht irgendwelchen himmlischen oder irdischen Mächten ausgeliefert; sie sind nicht Figuren, die Götter in ihren Kämpfen auf Spielbrettern herumschieben. Gott selbst hat die Menschen ins Leben gerufen, dass sie ihm verantwortliches Gegenüber seien. Sie können und sollen auf Gottes Wort hören, das Licht in ihr Leben bringt. Und in Gottes Namen und bewegt von Gottes Kraft, die von Anfang an über allem schwebt, nehmen sie die Aufgabe wahr zu sorgen für alles, was in Himmel, Erde, Luft und Meer ist. Dass sie sich dabei die Erde untertan machen sollen, ist leider auf höchst zerstörerische Weise ausgelegt worden. Es ging vergessen, dass der Priester davon sang, als diese Aussage noch subversiv war. Den Verbannten wurde eingetrichtert, sie seien nicht viel wert. Zu gehorchen hätten sie, zu schuften als Knechte im Reich der babylonischen Götter. Der Priester jedoch weiss, dass sie von Gott her ein auserwähltes Geschlecht sind, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk (1 Petr 2,9).

Und wie Gott nehmen sie sich die Freiheit heraus, am siebten Tag zu ruhen, ihr Leben in dem Rhythmus zu leben, den Gott vorgibt. Sechs Tage lang jeweils mit der ihm eigenen Aufgabe, auch wenn diese, wie Jesus das sagt, manchmal eine Plage sein sollte. Doch dann am siebten Tag schenkt Gott die Ruhe, die Gott sich selbst nimmt. Raum hat Gott geschaffen, damit wir zur Besinnung kommen, einstimmen in sein Lob, und die Seele erfreut wird von der süssen Stille, der sanften Quelle ruhiger Gelassenheit.

DA 4: Süße Stille, sanfte Quelle/ Ruhiger Gelassenheit./ Selbst die Seele wird erfreut,/ Wenn ich mir nach dieser Zeit/ Arbeitsamer Eitelkeit/ Jene Ruh vor Augen stelle,/ Die uns ewig ist bereit.

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Pfr. Dr. Benedict Schubert, geb. 1957, reformierter Pfarrer an der Peterskirche in Basel nach mehreren Jahren im Dienst der evangelisch-reformierten Kirche in Angola und bei mission 21 – evangelisches missionswerk basel, sowie Lehrauftrag im Fach aussereuropäisches Christentum an der Universität Basel; mit seiner Frau zusammen leitet er das «Theologische Alumneum», ein Wohnheim für Studierende aller Fakultäten, sie sind beide seit ihrer Gründung Mitglieder der Communität Don Camillo.

Basel

benedict.schubert@erk-bs.ch

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Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab mir zwei Augen,* öffne ich sie,
unterscheide ich perfekt das Schwarze vom Weißen;
und im hohem Himmel, seine sternenhelle Tiefe;
und in der Menschenmasse den Mann, den ich liebe.

Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab mir das Gehör, das in seiner ganzen Weite
aufnimmt, Tag und Nacht, Grillen und Kanarienvögel,
Hämmer, Turbinen, Gebell, Regenschauer,
und die so zarte Stimme meines Allerliebsten.

Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab mir den Ton und das ABCD.
Damit denke und äußere ich die Wörter:
„Mutter“, „Freund“, „Bruder“ und „Licht“,
den Weg der Seele beleuchtend, von ihm, den ich liebe.

Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab den Gang meinen müden Füßen.
Mit ihnen lief ich in Städten und durch Pfützen,
über Strände und durch Wüsten, in den Bergen und im Flachland,
und in deinem Haus, in deiner Straße, in deinem Hof.

Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab mir das Herz, das erregt schlägt,**
betrachte ich die Ernte menschlicher Ratio,
betrachte ich das Gute, so fern vom Schlechten,
schaue ich in die Tiefe deiner klaren Augen.

Danke an das Leben, das mir so viel gab:
es gab mir das Lachen, es gab mir das Weinen.
Mit ihnen unterscheide ich Glückseligkeit und Traurigkeit,
die zwei Substanzen, die meinen Gesang formen,
und euer Gesang, welcher derselbe Gesang ist,
und der Gesang aller, der mein eigener Gesang ist.

Danke an das Leben, das mir soviel gab.

 

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio dos luceros, que cuando los abro
Perfecto distingo lo negro del blanco
Y en el alto cielo su fondo estrellado
Y en las multitudes el hombre que yo amo

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el oído que en todo su ancho
Graba noche y día, grillos y canarios
Martillos, turbinas, ladridos, chubascos
Y la voz tan tierna de mi bien amado

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado el sonido y el abecedario
Con él las palabras que pienso y declaro
Madre, amigo, hermano, y luz alumbrando
La ruta del alma del que estoy amando

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la marcha de mis pies cansados
Con ellos anduve ciudades y charcos
Playas y desiertos, montañas y llanos
Y la casa tuya, tu calle y tu patio

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio el corazón que agita su marco
Cuando miro el fruto del cerebro humano
Cuando miro al bueno tan lejos del malo
Cuando miro al fondo de tus ojos claros

Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me ha dado la risa y me ha dado el llanto
Así yo distingo dicha de quebranto
Los dos materiales que forman mi canto
Y el canto de ustedes que es mi mismo canto
Y el canto de todos que es mi propio canto

Gracias a la vida que me ha dado tanto

de_DEDeutsch