Genesis 12, 1-4

Genesis 12, 1-4

Bereit zu gehen? | 5. So. n. Trinitatis | 17.07.2022 | 1. Gen 12,1-4 | Andreas Schwarz |

1 Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.

Abram, wieso eigentlich Abram? Gibt es irgendeinen Grund dafür, dass Gott gerade ihn anspricht? Dass er ausgerechnet ihn zu einem großen Volk und seinen Namen groß machen will, dass in ihm alle Geschlechter der Erde gesegnet sein sollen? Wir werden in seiner Lebensgeschichte nicht viel finden, was als Begründung für all das taugt, was Gott ihm verspricht. Vielleicht werden wir uns wundern, werden staunen, warum das so ist. Und womöglich entdecken, dass das immer wieder so ist. Dass Gott sich Leute für seine großen Versprechungen und Zusagen aussucht, die es nicht wirklich verdient haben. Wir könnten auf die Spur kommen, was ‚Gnade‘ bedeutet. Etwas zum Staunen nämlich. Etwas, das wir überhaupt nicht erwartet haben, weil es der Logik und unserer Vernunft überhaupt nicht entspricht. Abram erlebt, was Gnade bedeutet, weil er es keineswegs verdient hat, so hervorgehoben zu werden. Da war vorher nichts. Und später auch nicht. Seine große und bis heute bleibende Bedeutung hat er, weil Gott ihm gnädig ist. Gott wendet sich ihm zu. Gott beschenkt ihn. Völlig ohne Grund. Einfach so. Weil er es will. Das ist Gnade. Du kannst sie dir nicht verdienen. Im Grunde genommen kannst du sie auch nicht verlieren. Weil sie außerhalb von dir liegt. Es ist nicht deine, sie gehört dir nicht. Sie wird dir geschenkt. Und du kannst dich wundern, kannst staunen. Wie du dich wunderst, dass es gerade Abram ist, der so außergewöhnlich behandelt wird.

Er war schon alt, als Gott ihn ansprach; 75 Jahre – verheiratet, aber kinderlos. Ein Nomade. Das einzige Stück Land, das er in seinem Leben erwarb, war ein Erbbegräbnis für seine Frau. Und das im Land, das ihm verheißen wurde.

Auch unter dem Gesichtspunkt von Integration gibt es im Blick auf ihn keine Erfolge zu verzeichnen.

Abraham ist gebürtiger Iraker mit mutmaßlich syrischem Pass; denn er wohnte vor seinem Aufbruch bei seiner Sippschaft in Syrien. Spätere Kontakte zu der Bevölkerung des verheißenen Landes sind sporadisch und nicht immer positiv. Denken wir nur an die Zustände in Sodom und Gomorrha.

Auch Abrahams Familienleben ist weit davon entfernt als glücklich oder als ideal bezeichnet zu werden. Aus Angst um sein Leben und im Zweifel an der Zuverlässigkeit von Gottes Zusagen hat er dem fremden König gegenüber seine Frau als Schwester ausgegeben und zeitweise überlassen.

Da Sara keine Kinder bekommen hatte, legte er sich zu seiner Magd Hagar; die gebar den Ismael. Da die beiden Frauen sich aber überhaupt nicht vertrugen, musste Hagar mit ihrem Sohn in die Wüste fliehen.

Abram – ein Vorbild im Glauben? Nein, keine Geschichte heldenhaften Glaubens. Und wir hätten ein Ideal, dem wir nacheifern.

Abram ist nicht anders, als wir – schwach, verführbar, ängstlich, zweifelnd. Wir sind nicht anders, als er. Taktierend und auf eigenen Vorteil bedacht. Das aber genau ist dann Gnade. Etwas, das Gott dir schenkt, obwohl du es nicht verdient hast, weil du es nicht verdient hast. Gnade ist zum Wundern und zum Staunen. Sie kommt unerwartet, von außen zu dir. Und ändert doch alles im Leben. Denn es steht unter einem anderen Stern als vorher.

Jetzt – mit Gottes Gnade – hat das Leben eine Zusage. Es gibt ein Versprechen. Eines, das er selbst einlösen wird. Und nichts im Leben spricht mehr dagegen. Das gute Wort setzt sich durch: der Segen. Kein besseres Wort gibt es auf der Erde, als den Segen. Stärker als Fluch, stärker als jede Hassrede.

Das müssen wir gerade deutlich zur Kenntnis nehmen: im Umfeld der Politik. In den Uneinigkeiten entgleisen manche Volksvertreter und vergreifen sich in ihren Gedanken und Worten zum Hass. Wir hören hasserfüllte Redeweise, also Worte, die die Würde anderer herabsetzen und entwerten. Die Würde der Betroffenen wird so nicht ernst genommen. Eine Redeweise, der diese Würde egal ist.

Das nimmt zu und wird durch die digitalen Medien verschärft. Gut, wenn es noch wahrgenommen und kritisiert wird, wenn Menschen, besonders unsere Volksvertreter zurechtgewiesen werden. Die Welt braucht keinen Hass, an dem geht sie bloß zugrunde. Sie braucht gute Worte. Sie braucht Segen. Sie braucht Zuwendung, Verständnis, Respekt, Wertschätzung. Menschen müssen auf ihr leben können. In Frieden und Freiheit. In Gemeinschaft und Fürsorge. Egal, wo einer herkommt und hingeführt wurde.

Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.

Da bleibt nichts mehr, worauf du dich verlassen hast. Nicht das Land deiner Väter, deine Herkunft, deine Heimat. Wo du aufgewachsen bist, wo du dich auskennst; wo du jeden Weg schon einmal gegangen bist und auch die Schleichwege und Abkürzungen kennst. Auch die dir vertrauten Menschen bleiben zurück, Verwandte und Freunde, die Geborgenheit der gewohnten Beziehungen. Die dir ein Zuhause gaben, gute Gespräche, gegenseitige Hilfe. Und auch dein Haus, dein Rückzug, die sicheren Mauern vor Unwetter und Einbruch. Wo du so sein darfst, wie du dich fühlst und auch im Schlafanzug frühstücken kannst. Wo du nur den reinlässt, den du bei dir haben möchtest. Alles weg. Geh! Gib alle deine Gewohnheiten, alles, was dich scheinbar sichert, was dir Geborgenheit geboten hat, auf und geh!

Was ist das Geschäft? Wenn Abram so viel aufgeben muss, was kriegt er dann? Wofür lohnt es sich? Was könnte ihn locken und reizen, sich darauf einzulassen? Und nicht antworten: ‚Och, danke für das Angebot, aber ich glaube, ich bleibe lieber hier‘.

Ein Land, das ich dir zeigen will.

Das ist ganz schön riskant. Es könnte ja irgendein Land sein; eines, wohin ich nun wirklich nicht will. Viel zu kalt, viel zu heiß, viel zu weit weg. Was Gott im Tausch für die Gewohnheit und die Tradition gibt ist: Zukunft, Gemeinschaft und Segen. Und dann gibt es keine Einwände und keine Fragen. Abram geht, denn dafür kann er aufgeben und aufbrechen. Das lohnt sich auf jeden Fall. Denn wenn Gott mitgeht, wenn er seinen Segen gibt, dann wird es gut. Es wird besser, als es im Gewohnten jemals hätte werden können. Es wird gut, dauerhaft gut, ewig gut. Für ihn, für seine Familie, für alle Geschlechter auf der Erde. Es gibt etwas Besseres als das, was wir schon immer kannten und in dem wir uns zuhause gefühlt haben. Leben nicht in den eigenen vier Wänden, sondern unter freiem, offenen Himmel. Leben unter dem Segen Gottes. Gott geht mit. Wohin auch immer. Er geht mit. Dann kannst du getrost gehen.

In eine Ehe, die er segnet. Kannst dein Kind als Geschenk annehmen und in der Liebe Christi erziehen. Weil er das Kind und dich dazu segnet. Du kannst dich als junger Menschen zu deiner Taufe bekennen und „Ja“ zu Jesus Christus sagen. Ohne zu wissen, was da alles auf dich zukommt, ohne dein Leben im Glauben planen zu können. Du bist gesegnet. Eingesegnet. Er geht mit. Er hat einen Plan und er hat ein Ziel. Du kennst das nicht und du weißt nicht, was unterwegs sein wird. Aber es geht auf das Land zu, dass Gott zeigen wird.

Und darum geht Abram los. Und erlebt, was Gnade bedeutet. Wird Vater eines ganzen Volkes, obwohl er mit 75 noch immer kein Kind hatte. Weltreligionen heute berufen sich auf ihn, auf seinen Namen. Als die Menschen sich selbst einen Namen machen wollten und den Turm in Babel bis zum Himmel planten, endete es in einem Fiasko. Als Gott mit Abram redete, versprach er, seinen Namen groß zu machen. Gnade ist nicht, was du planst und umsetzt und am Ende womöglich nicht schaffst. Gnade ist, was Gott dir schenkt. Seinen Segen.

Damit du es nicht vergisst, hörst du es in jedem Gottesdienst. Es vergeht kein Gottesdienst, ohne dass Gott dir wieder verspricht: ich segne dich. Ich gehe mit dir. Du bist nie allein, ich sehe dich, ich begleite dich, ich bin da.

Besonders wenn du dich verläufst und verirrst. Das Ziel bleibt für dich und du wirst ankommen, im Land, das ich dir zeigen werde.

Es lohnt sich. Amen.


Pfarrer Andreas Schwarz

Pforzheim

p.andreas.schwarz@gmail.com


Seit 2001 bin ich Pfarrer in der Gemeinde Pforzheim der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Baden (ELKiB); vorher 16 Jahre in einer Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). Ca. 20 Jahre davon habe ich nebenher das überregionale Jugendpfarramt geleitet.

Seit 1999 bin ich Herausgeber der Lesepredigten für die SELK  (und auch die ELKiB).

de_DEDeutsch