Genesis 12, 1-4a

Genesis 12, 1-4a

Vom Aufbruch ins Leben | 5. So. n. Trinitatis | 17.07.2022 | Gen 12, 1-4a | Ralf Reuter |

Anfangen, aufbrechen, ausziehen, die Bewegung aller aktiven Menschen. Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Am Anfang der Bibel, nach der Urgeschichte, beginnt das echte Leben. Lebenslanges Aufbrechen, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hermann Hesse). Es ist Gott, der hier Abraham ruft, beruft. Der Ruf Gottes, geht das überhaupt? Wer empfängt so ein himmlisches Signal zum Hinausgehen? Wer hört die Stimme Gottes? Und nicht nur die innermenschliche Aktivität des Lebens, eine Entfaltung des Selbst?

Gehen unsere Kinder mit einem Gotteswort in die erste Klasse der Schule? Die Zeit im Kindergartenjahr ist zu Ende, nach den Sommerferien werden sie eingeschult. Oder die Abiturienten, nach dem Abiball der große Aufbruch ins Studium, ins freiwillige soziale Jahr? Mit dem Auszug aus dem Elternhaus, in eine Stadt, ein anderes Land? Der Einstieg in einen neuen Job, in eine Heirat, eine familiäre Gemeinschaft, ein Umzug, die Umstrukturierung von Arbeit und Unternehmen, der Übergang in den aktiven Ruhestand, selbst der Aufbruch ins tatsächliche Alter, er ist immer auch ein Gehen in ein neues unbekanntes Land.

Menschen kommen auch ohne Gott zurecht. Übergangsrituale gibt es genug. Und doch, es scheint hier die Sonne des Himmels in einer Weise auf, die es wohl anders nicht gibt. Mit dem Aufbruch ist bei Gott der Segen verbunden, ich will dich segnen. Einen Segen mitgeben, das macht die Mutter an der Tür, die ihren Kindern beim morgendlichen Aufbruch zur Schule hinterherwinkt: Komm gut wieder. Da sagen Freunde und Freundinnen beim Abschied ein Mach`s gut, bleib behütet. Segen hat wohl in allem menschlichen Wünschen immer auch etwas Göttliches, das erbeten wird, über das wir nicht verfügen.

Geh hinaus, geh hinein ins Leben, ich will dich segnen, du sollst ein Segen sein. Der Kern dieses göttlichen Zuspruchs hat Folgen. Natürlich haben wir uns längst von den Patriarchen emanzipiert, sehen in Abraham den Aufbruch aller Menschen. Auch erkennen wir in der Zusage „Ich will dich zum großen Volk machen“, das Problematische. Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes rückt hier vieles zurecht. Landnahme ist meist mit Gewalt und Vertreibung verbunden. Doch mit dem Segen Gottes geht das eigentlich gar nicht. Du sollst ein Segen sein, das ist vielmehr eine Aufforderung zu einem Miteinander, einem friedlichen Zusammenleben. Verheißung und Segen sind hier zusammen zu denken. Der Glaube ist nicht ohne die Liebe zu haben.

Ich deute auch die Ausführung des Segens „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen“, in diese Richtung. Wenn Menschen von Gott gesegnet sind, sind sie in ihrer Menschenwürde nicht angreifbar. Wer ein Volk mit Gewalt vertreibt oder unterdrückt, denken wir an die Ukraine und andere Länder, der wird auch von Gott geächtet. Gott widerspricht der gewaltsamen Landnahme. Es ist eine klare Position für Frieden und Zusammenarbeit von Menschen und Völkern. Und, in der Verheißung an Abraham, auch an die Religionen gerichtet. Haben hier doch Juden, Muslime und Christen ihre gemeinsamen Ursprünge, als abrahamitische Religionen.

Aufbruch ins Leben, mache dich auf, gehet hin in alle Welt, „du sollst ein Segen sein“, eine gewaltige Kraft geht von diesem Wort an Abraham aus. In ihm erkennen sich Menschen jeglichen Alters und Erbes in ihrem Aktivsein. Nie aufhören, anzufangen, und nie anfangen, aufzuhören (Fredmund Malik), vielleicht muss man nicht voll und ganz bis zu diesem hilfreichen Managerwort gehen. Ist doch in allem Aufbrechen immer auch Kontinuität gegeben, allein durch Gott, der einen begleitet. Ebenso ist man immer auf einem Weg unterwegs. Auch wenn man ihn nicht vor sich sieht und ihn ständig neu finden muss, ist es der Weg ins ewige Leben.

Daher ist für mich in diesem Wort auch die Bewegung der Kirchen in die Zukunft aufzuspüren. Wer mitten in einer Kirche mit einem umfassenden Verlust an Mitgliedern, vielleicht auch Gläubigen, steht, der erfährt hier den Ruf in eine neue Verkündigung, in den Aufbruch in die Zukunft. Da kann man schlecht seine ganze Zeit in Sitzungen von kirchlichen Gremien verbringen, also nur in der eigenen Kernfamilie des Glaubens hocken. Letztendlich vereinen sich in der Berufung von Abraham auch die Hoffnungen der ganzen Menschheit hier auf dem Planeten Erde. Sie reicht bis zum letzten Buch der Bibel, das von einem neuen Himmel und einer neuen Erde erzählt.

Berichtet wird das alles konkret. Dieser weite Horizont ist eingebunden und ausgedrückt in einer Familiengeschichte. Es ist der Auszug von Abraham und Sara und seinem Neffen Lot. Berichtet wird vom ganz konkreten Leben hier und heute. Wir erfahren von Kriegs- und Hungersnöten, von Bedrohungen des Lebens, von göttlichen und anderen Versuchungen, von einem Leben mit Kindern und ihrer Suche nach Partnern. Da sind wir wieder in den eigenen Sommergeschichten unserer Schulkinder, in unseren Übergängen, dem Krieg in der Ukraine, der Dürre des Landes bis hin zur sozialen Bedrohung durch teure Preise und Energieknappheit.

Hier hinein geschieht der Ruf in den Aufbruch. In diese unsichere Melange hinein wird Segen verheißen und eingefordert. Aktives Leben hat etwas mit Gott zu tun, mit der Eingebundenheit der Menschen in einen größeren Zusammenhang. Nicht allen wird es so gehen. Aber diejenigen, die für sich und ihre Zukunft einen Segen wünschen, die mit dem Segen Gottes gehen wollen, für die ist dieser Ruf und diese Verheißung unverzichtbar. Ob im Gottesdienst zur Einschulung, in der Konfirmation, der Trauung, des Abschiedes, oder auch dem Wunsch nach intensiven seelsorgerlichen Begegnungen, immer möchten Menschen nicht allein unterwegs sein. Sie sehnen sich nach der Eingebundenheit in den großen göttlichen Zusammenhang von Zeit und Ewigkeit.

Diese Menschen wollen spüren, wie von den Gesegneten eine neue Kraft ausgeht, von Glaubenden eine Liebe zum Leben. Geh aus deinem Vaterhaus, das ist eine sehr schwere Aufgabe, es sind viele Transformationsprozesse, ja Reifeprüfungen nötig, ein Leben lang. Ich jedenfalls möchte auf die Begleitung, auf das Herausrufen Gottes, nicht verzichten. Denn ich weiß nicht, ob ich ohne dieses Spüren eines solchen göttlichen Impulses dahin gekommen wäre, wo ich heute bin. Und ganz bestimmt brauche ich das für mein Weitergehen in diese so unklare, bedrohte Zeit. Und mit mir, da bin ich sicher, viele andere Menschen.

Wer auf Abraham und Sara schaut, und die Geschichte weiterliest, wird darin nicht nur Vorfahren im Glauben, sondern wird wie in der eigenen Familie und Sozialisation auch Vorbilder erkennen. Auch wir, nicht nur mit zunehmendem Alter als Großeltern, sondern in allen unseren Rollen, werden anderen auch zu Vorbildern. Alles in einem relativen Sinne, alles hinterfragbar, aber wirksam. Dabei werden wir feststellen, dass es hier auf Erden keine Sicherheit gibt, und dass wir selber wie Abraham Wanderhirten bleiben. Das Land der Erde wird nicht zu unserem Eigentum werden und andere Menschen nicht zu unserem Besitz, wir haben hier keine bleibende Stadt.

Auch dies ist eine für mich eine wichtige Erkenntnis, und ich möchte sie gerne mit anderen Menschen teilen. Möchte unterwegs sein als Gast auf dieser Erde, in den Zeiten des Lebens, die mir geschenkt sind. Möchte mich immer wieder finden in solchen biblischen Geschichten. Ich möchte immer wieder aufbrechen können, nicht verharren in Stillstand und Bequemlichkeit. Möchte den Segen Gottes spüren, möchte erfahren, wie andere mir zum Segen werden, und auch ich anderen eine Hilfe sein kann.

Wie immer es mit unserer Zukunft in diesem so seltsam unsicheren Sommer weitergeht, wir sind in eine Geschichte eingebunden, in der wir unseren Standort, unsere Identität finden werden. Es ist wie bei Abraham und Sara die eigene Familiengeschichte mit allen Gründen und Abgründen. Es ist ebenso unsere Geschichte als Menschheit mit der Zeit auf dieser Erde. Und, nicht zu vergessen, es ist die Geschichte Gottes mit seinen Religionen und seiner Kirche. Hoffen und beten wir für unsere Familien, für die Menschheit, für unsere Kirchen. In ihren Aufbrüchen, ihr immer wieder neues Hinausgehen in ein unbekanntes Land, begegnet uns der lebendige Gott. Er spricht zu uns: Komm hinein ins Leben, ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.

Pastor Ralf Reuter

Göttingen

E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Ralf Reuter, Pastor für Führungskräfte der Wirtschaft in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und zugleich Pastor an der Friedenskirche Göttingen

de_DEDeutsch