Genesis 32,23-32

Genesis 32,23-32

Kampfansage | Quasimodogeniti | 16.04.2023 | 1. Mose 32,23-32 | Nadja Papis |

Kämpfen Sie mit Gott? Kämpfen Sie um Gott?

Puh, Glauben und Kampf miteinander zu verbinden, ist verpönt. Das schmeckt zu sehr nach heiligem Krieg, nach instrumentalisierter Religion. Nein, Kampf, Gewalt, Krieg hat nichts mit dem Glauben zu tun. Oder?

Biblische Geschichte sind Proviant für unsere Leben und für unseren Glauben, Schlüsselerfahrungen von Menschen für Menschen. Sie geben Zeugnis von Gotteserfahrungen, ohne theologischen Exkurs, vielleicht nicht einmal tief reflektiert. Da hat einer etwas erlebt und erzählt davon. Eine andere kann anknüpfen an ihre eigenen Erlebnisse und erzählt es weiter. Die, welche es hören, spüren die Wahrheit in der Erzählung und geben sie den nächsten weiter. So stelle ich es mir vor, so erkläre ich mir auch, warum uns diese uralten, manchmal doch auch befremdlichen Geschichten noch immer berühren und zu Anknüpfungspunkten für unser eigenes Leben werden. Nicht alle, nein, aber doch so viele, dass dieses alte Buch weiterhin seine Berechtigung und seine besondere Bedeutung verdient.

Unser heutiger Predigttext ist für mich so eine Proviantgeschichte, sie wurde zu einem wichtigen Schlüssel für meinen Glauben, der im Übrigen immer wieder mal in einen Kampf ausartet – nicht mit Fäusten und Schlägen, aber mit einem unvorstellbar ermüdenden Ringen. Ich nehme sie gern mit in meine Erlebnisse mit dem Text, den wir nun aber zuerst einmal hören:

Lesung des Predigttextes Gen 32,23-32 (Jakobs Kampf am Jabbok)

Unfassbar: Hier streitet ein Mensch mit Gott!

Darf der das denn?

Also, in der religiösen Erziehung, die ich genossen habe, war davon nie die Rede: mit Gott streiten… Das ist doch unvorstellbar. Ich meine, Gott ist so eine andere Dimension, da gibt’s nichts zu streiten. Das Göttliche ist mir doch komplett überlegen. Das lohnt sich auch gar nicht. Es ist ja klar, wer gewinnt. Und es steht mir als Mensch doch gar nicht zu, mit dem Göttlichen zu kämpfen.

In der Bibel wird immer mal wieder von Menschen erzählt, die mit Gott gestritten haben.

Hier auch: Jakob kämpft die ganze Nacht hindurch mit dieser Schattengestalt, ein gewaltiger Hieb verletzt seine Hüfte für immer und doch gibt er nicht auf, sondern kämpft um den Segen und eine neue Identität: Aus dem Betrüger, dem Fersenschleicher – das bedeutet der Name Jakob – wird der Gottesstreiter Israel. Und da begreift Jakob dann auch, dass diese Schattengestalt nicht irgendein Dämon oder Feind ist, sondern das Göttliche selbst. Und er staunt: Er hat nicht nur die Begegnung, sondern den Kampf mit dem Göttlichen überlebt. Er bekommt den Segen, ja, es heisst im Text sogar, Jakob habe gewonnen.

Menschen kämpfen mit dem Göttlichen und geben nicht auf, ja, sie gewinnen sogar am Schluss. Kann ein Mensch gewinnen gegen Gott? Wie soll das gehen? So handgreiflich wie bei Jakob kann ich mir das nicht vorstellen. Wie kämpfe ich mit Gott?

Schnell komme ich darauf: Das Kämpfen gehört zu meinem Glauben, nicht erst seit ich mich mit dieser Geschichte befasst habe. Sie hat mich nur von den Zweifeln erleichtert, die mich immer wieder wegen meinem Ringen um Gott und mit Gott befallen. Glaube ist für mich nichts Selbstverständliches, ich ringe oft darum, um den Glauben selbst, aber auch um das Woher und Wohin und Wie und An-Was.

Zu glauben ist für mich ähnlich wie jemanden zu lieben, egal ob meinen Mann, meine beste Freundin, meine Töchter oder meine Eltern: Glaube hat für mich sehr viel gemeinsam mit menschlichen Beziehungen. Ich entscheide mich, in meinem Leben mit Gott zu rechnen. Ich entscheide mich, auf eine andere, die göttliche Dimension in meinem Leben zu vertrauen. Als Mensch sage ich Ja zu Gott – so wie ich Ja zu andere Menschen sage. Und ich bin auf das Ja meines Gegenübers angewiesen.

Wie beim Verliebtsein fällt das Ja anfangs ganz leicht, es ist selbstverständlich. Für viele ist es anfangs ganz leicht zu glauben, entweder weil es eine Gewohnheit ist, in die sie als Kinder hineinwachsen, oder weil der Glaube durch eine so bewegende Erfahrung ausgelöst wird, dass es keine Gedanken dazu braucht.

Irgendwann kommt dann die Zeit der bewussten Entscheidungen: Bleibe ich bei meinem Ja zu dir? Hat es Zukunft? Und wie sieht die aus? Das Ja geht in den Alltag über und braucht dort auch eine entsprechende Lebensführung. Im Blick auf den Glauben heisst das für mich: Ich brauche in meinem Alltagsleben eine Glaubenspraxis. Ich baue das Ja zum Glauben und zum Göttlichen bewusst ein in mein Leben.

Und dann kommen immer wieder diese Zeiten, wo das Ja nicht mehr so einfach ist, ja, wo es fast vergessen geht oder wo ich es kaum über die Lippen bringe. Die Menschen, die ich am meisten liebe, können mich am meisten verletzen oder ärgern. Ich ringe um das Ja zu ihnen, kämpfe, streite, tobe, schweige, teile aus, verzweifle, um durch das Ringen hindurch in eine neue Verbundenheit zu finden.

Jakob steht da am Jabbok. Der Fluss ist eine Grenze. Seine Familie, sein Hab und Gut, alles ist schon am andern Ufer. Er steht hier allein. Er muss diese Nacht allein sein, für sich, mit sich, mit allem, was hinter ihm und vor ihm liegt. Ja, er erinnert sich: An die Empörung, die er seit Geburt in sich trägt – ungerecht ist ihm alles vorgekommen, ungerecht erschien ihm seine Stellung als zweiter Sohn hinter Esau, der doch viel weniger geeignet ist als Erbe des Vaters. Fersenschleicher, Betrüger nannten sie ihn, weil er betrogen hat, ja, er hat gelogen, Esau ausgetrickst, ihn bestohlen, sich den Segen des Vaters erschlichen. Esau wurde so wütend, er wollte ihn umbringen und er musste fliehen. Jakob atmet tief ein und aus. Alles kommt wieder über ihn. Dabei dachte er, das sei weit weg, vergangen. Aber es liess ihn nie in Ruhe. Das Leben bei seinem Onkel Laban war ja gut, er war erfolgreich, er hatte eine grosse Familie, lebte mit seiner geliebten Rahel ein schönes Leben. Warum liess es ihn nie los? Warum ist er aufgebrochen? Warum steht er jetzt da, an diesem Fluss, dem einzigen, was ihn noch von seinem Bruder und der Heimat trennt? Angst hat er – vor Esau. Stolz ist er auch, was er erreicht hat! Soll der Esau nur kommen! Aber wie wird es sein, ihm wieder zu begegnen? Will er ihn immer noch umbringen?

Jakob steht da am Jabbok, dem Fluss, allein. Da wird er angegriffen, eine Schattengestalt kämpft mit ihm. Er ringt und ringt, die ganze Nacht hindurch. Erst im Morgenrot lässt die Gestalt los, aber Jakob nicht, nicht einmal nach dem heftigen Hieb auf seine Hüfte, nein, er lässt nicht los, er gibt nicht auf. «Ich lasse dich nicht, bis du mich segnest!» schreit Jakob. Ja, das muss ein Schrei sein, ein Kampfschrei. Aber es reicht noch nicht, zuerst muss Jakob sich noch stellen. Wer bist du? Ja, Jakob muss hinsehen, sich selber anschauen, den Betrüger, den Geflüchteten, den Geliebten, den Verlorenen, den Verletzten. Ja, ein Betrüger, das warst du, aber jetzt, jetzt bekommst du eine neue Identität: Gottesstreiter sollst du heisst. Und immer noch bleibt Jakob dran, kämpft weiter um den Segen. Und gewinnt. Er wird gesegnet. Der Kampf ist zu Ende, die Sonne aufgegangen. Jakob ist bereit, seinem Bruder Esau gegenüberzutreten und sich mit ihm zu versöhnen.

Es ist eine eindrückliche Geschichte. Eine Proviantgeschichte.

Ich kenne viele Menschen, die immer wieder kämpfen müssen, die eingeholt werden von Vergangenem, längst Verdrängtem. Menschen, die unter grössten Anstrengungen hinschauen, sich anschauen, sich dem stellen müssen, was ihnen das Leben angetan hat. Wenn sie es schaffen, sind sie Gesegnete, sogar dann wenn ein Hinken, eine Verletzung, ein Schaden bleibt.

Ich selber kenne den Kampf mit Gott. Ich bin kein Mensch, der einfach so selbstverständlich glaubt, im Gegenteil, die Zeiten, in denen ich um den Glauben ringe, an allem zweifle, verunsichert bin, sind genauso häufig wie die des wohltuenden Vertrauens und der Gotteserfahrungen. Die Zeiten, in denen ich «warum» schreie oder auch einfach vor Angst vergehe und mir wünschte, ich hätte eine andere Entscheidung getroffen, nein statt ja gesagt. Wüstenzeiten, Durststrecken sind das für mich.

Jakob hat gekämpft und gerungen. Ich tue es auch. Jakob hat nicht aufgegeben. Das gibt mir die Kraft, gleichfalls weiterzumachen. Jakob durfte eine tiefgreifende Veränderung erleben und wurde gesegnet. Das weckt die Hoffnung in mir, ebenfalls gesegnet zu sein, trotz oder vielleicht gerade in meinen Kämpfen. Tief in meinem Herzen spüre ich: Das Göttliche ist da. Und wenn es hart auf hart kommt, bleibt mir Jakobs Schrei als Gebet: Ich lasse dich nicht, bis du mich segnest!

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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