Genesis 32,23-32

Genesis 32,23-32

Ringen im Dunkel | 1.Mose 32,23–32 | Quasimodogeniti | 16.04.2023 | Andreas Pawlas |

Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok. Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte. Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte. Daher essen die Israeliten nicht das Muskelstück auf dem Gelenk der Hüfte bis auf den heutigen Tag, weil er den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs angerührt hatte.

Liebe Gemeinde!

Vor einer Woche durften wir das Osterfest feiern, also die Auferstehung Jesu Christi vom Tod, wie sie uns in den biblischen Berichten bezeugt ist. Und viele haben Ostern genossen, weil Ostern ein fröhliches, heiteres Fest ist, sogar mit Osterlachen und Geschenken. Und das zu Recht. Denn dass Christus den Tod überwunden hat und auferstanden ist, das darf so gefeiert und genossen werden.

Und dennoch gibt es gegenwärtig viele Mitmenschen, denen alles Feiern und Lachen förmlich im Halse stecken bleiben will. Warum? Weil uns doch nur zu grausam das Elend der Erdbeben oder die Qual des Ukraine-Krieges vor Augen steht. Natürlich kann da mancher sagen: Dafür haben wir doch schon gespendet und das nicht wenig. Nun muss es doch genug sein! Oder andere sagen: das ist doch alles weit weg. Das ist alles nicht unser Problem. Dabei haben wir mit unseren eigenen Problemen wie der Flüchtlingsunterbringung oder der Inflation wirklich genug zu tun.

Aber ich will auch auf diejenige schauen, die hier ganz anders ihre Fragen haben. Die nämlich sagen: Ich habe jetzt so viel für den Frieden in der Ukraine gebetet. Mehr kann man doch wirklich nicht tun! Jetzt müssen die allein zurecht kommen. Ja, wir sind es gewohnt, auf die Fragen und Probleme unseres Lebens und des Lebens anderer zügig hilfreiche Antworten und gefälligst auch Lösungen zu bekommen. So wünsche wir uns das und werden ungeduldig, wenn das nicht so erfolgt. Aber wer wollte sich jetzt hinstellen und meinen, er hätte jetzt gleich die richtige Lösung etwa für die Ukraine? Sind diese schlimmen Verhältnisse nicht wirklich weit weg von unserem Erfahrungswissen? Vielleicht kommen wir bei aller Hilfe für ferne Menschen in Not nicht darum herum unsere erste Mühe der Lösung unserer Probleme vor Ort zuzuwenden. Und selbst dabei wissen erfahrene Menschen, wie schwer es manchmal sein kann, bei wichtigen Problemen Lösungen zu finden, oder welche Verstrickungen und welches Versagen es uns geben kann. Und so ist das doch schon seit Menschengedenken. Oder nicht?

Vielleicht. Aber dennoch ist da vieles ganz anders bei dem Kampf unseres Urvaters Jakob in grauer, grauer Vorzeit. Da weht uns so viel Fremdes und Archaisches in vielen Einzelheiten dieses Berichtes an. Ich denke allein an den Anfang, wo es heißt, „Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok“. Wer hat schon heute, so, wie es damals durchaus vorkam, elf Söhne? Und dass er dann die Tochter einfach nicht mitzählt – unerhört!? Und dann mehrere Frauen zu haben, für uns heute in unserer Kultur unvorstellbar.

Wir blicken also in eine recht fremde Welt in der dieser Urahn Jakob lebt. Aber wenn alles so fremd oder überholt ist, weshalb ist dann dieser Bericht über Jakobs Kampf vom alten und neuen Gottesvolk über die Jahrtausende so sorgfältig überliefert worden? Was sollte er unmittelbar mit uns hier und heute zu tun haben? Immerhin konnten sich ja viele Generationen vor uns irgendwie in Jakob und seinem Kampf wieder finden, weshalb ja früher viele Eltern ihren Kindern den Namen „Jakob“ gaben.

Doch lassen Sie uns zunächst einmal auf die Ausgangslage schauen. Und die ist uns vielleicht doch etwas vertraut oder sogar ganz nah: Denn dieser Jakob, der ist genauso wenig wie wir normalen Leute irgendein Kämpfer-Star, wie sie heute verehrt werden und wohl damals auch! Er hätte weder die Hauptperson in einer der alten Heldensagen abgegeben, noch in einer der modernen glanzvollen Erfolgsstories. Vielmehr ist sein Leben eher glanzlos, denn er trug eine schwere Schuld mit sich herum und litt unter ihr. Er hatte seinen Bruder Esau betrogen. Darum hieß es ja auch im Lande „Jakob der Betrüger“, „Jakob der Lügner“.

Wer will es ihm da verdenken, dass er diese Last nicht mehr mit sich herumtragen konnte – vielleicht genauso, wie auch wir so manche unserer Lebenslasten nicht mehr mit uns herumtragen können. Jakob suchte darum die Versöhnung mit seinem Bruder Esau, ja, mit Esau, der ihm Tod und Vernichtung geschworen hatte. Und er wusste nicht, ob Esau seine flehende Bitte zur Versöhnung wirklich erhören würde, oder ob er ihn – noch immer wütend und rasend – einfach umbringen würde.

Aber nun musste Jakob, um in das Gebiet Esaus zu kommen, und sich mit ihm zu versöhnen, über diesen Fluß Jabbok. Grenzen mussten überschritten werden. Und die Familie und all’ sein Hab und Gut, die hat er schon durch den Fluss gebracht. Und nun steht er da noch ganz allein in schwarzer Nacht am Ufer. Ja, wenn wir das wären, die da allein in der Nacht ständen und wenn wir nicht wüssten, ob wir den nächsten Tag leben oder untergehen, was würde es da in uns wühlen und rumoren.

Und dann ist da in diesem dunklen Durcheinander mit einem Male Widerstand! Es ist nicht erkennbar woher und wieso, aber deutlich fühlbar. Es ist nicht erkennbar, woher und wieso sich da etwas einem entgegenstemmt und hemmt, einen herunterziehen und zerren will, einen einfach körperlich und seelisch fertig machen will! Sicherlich hat das mancher unter uns genauso in seinem heutigen Leben erfahren und wusste genauso wenig, was das werden sollte.

Aber was soll man bei einer solchen Bedrängung seines Lebens machen? Da ist keine wohldurchdachte und geübte Gegenmaßnahme möglich, so wie wir es von unseren Fußball-Kämpfer-Stars her kennen. Denn da weiß man ja genau, wohin der Ball durchgekämpft werden muss, um zum Tor, eben zum Ziel zu kommen. Nein, hier geht es um Widerstand im Dunkeln, hier geht es um Unsagbares, hier geht es um Unaussprechliches. Es ist eben überhaupt nicht zu erkennen, wohin und wogegen einen diese Kräfte aus dem Dunkel zwingen wollen. Ja, manchmal ist sogar noch nicht einmal Raum nach dem Warum und Wozu zu fragen. Nur atemloses Ringen, Keuchen, Stöhnen.

Und das gibt es nicht nur am Jabbok. So manches Mal bin ich im seelsorgerischen Gespräch in dieses Ringen von uns ganz normalen Menschen hineingezogen worden. Andere Male ist mir dieses Ringen von uns ganz normalen Menschen in Krankenbetten begegnet. Und da ist auch Keuchen, Stöhnen, und der Schweiß steht auf der Stirn, da wird gekämpft auf Leben und Tod. Aber da gibt es keine Fernsehberichterstattung. Da gibt es kein Interview nach heldenhaft bestandenem Kampf oder eine Einladung ins aktuelle Sportstudio, so wie wir es aus der Sportberichterstattung kennen,

Nein, solche Jakobs-Kämpfe von uns ganz normalen Menschen, die geschehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sei es im Gottesdienst, oder sei es im seelsorgerischen Gespräch oder sei es im verdunkelten Krankenzimmern oder während durchwachter und durchweinter Nächte. Wie viel würde es helfen, endlich wirklich zu wissen, warum und wozu man so kämpfen und leiden muss! Wenn man nur endlich den Grund für das Elend oder zumindest den Namen der Krankheit wüsste! Hier wird zum Arzt oder zu Gott geschrieen, um hier Gewissheit zu bekommen. Aber selbst Jakob, der Gottesstreiter, der bekommt den Namen seiner Gegners nicht zu wissen. Ja, er weiß eigentlich selbst am Ende des Kampfes nicht, warum und wozu und mit welcher göttlichen Person er gekämpft hat. Aber was uns die Bibel ganz nachdrücklich überliefert, ist, dass er nicht locker ließ. Selbst halb verrenkt und gelähmt gibt er einfach nicht auf.

Und genau jetzt strahlt und blinkt die eigentliche Botschaft dieses Gotteswortes auf: denn er quält sich weiter und kämpft, nicht um den Sieg, sondern um den Segen zu erhalten! Ja, um den Segen geht es! Ja, was würde genau das an unseren Lebenskämpfen ändern, wenn es nicht mehr unbedingt um Oberwasser ginge, also um Macht und Rechtbehalten oder um den in Euro und Cent messbaren Erfolg, sondern um Segen? Was würde das in den Überlebenskämpfen auf den Wirtschaftsmärkten, in den Unternehmen, in den Kranken- und Pflegebetten ändern, wenn sich ein jeder vor allem nach Gottes Segen ausstreckte? Könnte dann vielleicht sogar ein jeder, der nach Fieberkrämpfen und -kämpfen am anderen Morgen erwacht, genauso erschreckt und erstaunt aber auch erleichtert und dankbar wie Jakob sprechen: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“

Nun gut, vielleicht sind wir zu scheu oder zu gehemmt, um so etwas zu denken oder gar auszusprechen. Wer aber für uns das nicht nur zu denken und auszusprechen weiß, sondern wer das bereits für uns und an unserer Stelle durchgerungen und durchgekämpft hat, das ist unser Herr Jesus Christus. Wenn wir uns in ihm und in seinem Kampf aufgehoben wissen können, dann ist es genug. Dann reicht das für unser Leben, für unser Sterben und vor allem für unser Auferstehen in Gottes Barmherzigkeit und Herrlichkeit. Dann können wir vielleicht sogar schon einen Schimmer der garantiert über uns hereinbrechenden Befreiung und Erlösung im Herzen oder auf unserem Gesicht tragen, und das, obwohl uns vielleicht dunkle Kräfte noch Beine oder Bauch quetschen. Vielleicht ist das doch so, als wenn einem trotz allem die Sonne aufgeht!

Vielleicht könnte dann sogar mancher, wenn er sich so in Jesus Christus geborgen fühlt, deutlich merken, dass es fast egal ist, wie weit wir auf unserem Lebensweg noch zu leiden, noch zu gehen, noch zu kämpfenhaben, vielleicht könnte dann sogar mancher fühlen, dass es fast egal ist, ob wir dabei am Ende genauso wie Jakob hinken müssen. Wenn nur am Ende der Segen steht, in dem alles gut wird!

Ja, deshalb ist uns dieser kostbare biblische Bericht so sorgfältig über die Jahrtausende als heilsam und heilsnotwendig überliefert worden: Wenn wir trotz aller Kämpfe und auch mitten in allen Kämpfen mit Leib und Seele allein auf Gottes Segen haben hoffen können, dann hat Gott uns durch alle Dunkelheit hindurch berührt, dann hat Gott uns durch alle Dunkelheit hindurch geführt, und dann ist unser Leben gerettet – jetzt und in Ewigkeit Gott sei Dank! Amen.

Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas

Eichenweg 24


25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop

Andreas.Pawlas@web.de

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