Genesis 8,20-22;9,8-17

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Genesis 8,20-22;9,8-17

In der Schule des Regenbogens | Erntedank | 1. Mose 8,20-22; 9, 8-17  | 17., 18. oder 19. Sonntag nach Trinitatis  (1.10. / 8. 10. / 15.10. 2023) | Jochen Riepe |

                                                                                       I

‚Wann gibt es denn einen Regenbogen‘, fragt die Pastorin am Erntedanktag, und die Kinder rufen: ‚Wenn es regnet und die Sonne scheint…‘  – ‚und wie viele Farben hat er?‘  ‚Sieben…‘ schallt’s aus den Reihen. Was für ein Schauspiel! Halte es fest, ehe es zerrinnt!

Das ist das Zeichen des Bundes‘, spricht Gott, ‚den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig‘ (9,12).

                                                                                       II

Was für ein Schauspiel! Alle Welt liebt es und gibt dieser Liebe auf Tüchern, Armbinden, T-Shirts und Fahnen, sogar vor öffentlichen Gebäuden,  Ausdruck. Man verehrt es – wie der Dichter sagt-  als ‚Zeugnis einer bessern Welt‘*, in der die Unterschiede zusammenklingen zu einem harmonischen, lichtvollen Gesamtbild. Schwule und Lesben nahmen einst  das biblische Symbol zum Erkennungszeichen und unterstrichen ihre politische Forderung nach Anerkennung und Gleichberechtigung. Seitdem ist es zum Leuchtzeichen all derer geworden, die gegen die ‚Herrschaft des Einen‘, einer Klasse, einer Rasse, eines Geschlechts, einer Farbe die – Vielfalt beschwören.

‚In meiner Klasse sind Kinder aus zwölf Nationen‘, sagt die Grundschullehrerin aus dem Ruhrgebiet und zählt dann stolz und vollständig  die Reihe der Länder auf, aus denen die Kleinen stammen. Manche Schulen nennen sich inzwischen ‚Regenbogenschule‘, um zu signalisieren: Hier wird Diversität und Weltoffenheit gelebt …

                                                                                    III

Ja, halte es fest, ehe es zerrinnt! Wissen denn die, die dieses Symbol lieben, es tragen und mit ihm flaggen, woher es kommt? Wir kennen die fremd-vertraute Geschichte von Noahs Arche, der Vernichtung der Schöpfung durch die von Gott verhängte Flut, von Neubeginn und schließlich der Verheißung des ‚Gottes der zweiten Schöpfung‘, ‚hinfort nicht mehr die Erde verfluchen‘(8,21) zu wollen. Weniger bekannt ist der Hinter- oder Untergrund der Erzählung: Gott selbst hat sich entwaffnet und seinen Kriegsbogen als Friedenszeichen an den Himmel gehängt. Der Regenbogen soll ihmErinnerung sein, daß er diese Bundeszusage nicht mehr vergißt, ja, wie ein Ausleger zuspitzt, daß er sich nicht selbst vergißt**: ‚Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, daß ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund…‘ (9,16).

Als heutiger Leser muß man an dieser Stelle zunächst einmal schlucken: Was ist das für ein unheimlicher Gott, der sich selbst vergessen kann? Und was passiert, wenn wir sein ‚Denk-mal!‘ als Symbol einer ‚bessern Welt‘ in eigene Regie nehmen und damit Politik machen?

                                                                                     IV

Aber der biblische Text ernüchtert uns noch einmal: Was die Zukunft der zweiten Schöpfung betrifft, so ist der Gott der Noahgeschichte eher skeptisch und seine Meinung über uns Menschen fällt  kritisch und verstörend aus: ‚…denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf an‘ (8,21). Was für ein Urteil des Schöpfers über sein Geschöpf! Auch jetzt, da alles noch einmal, zum zweiten Mal, von vorne beginnen darf, ist der Höchste keineswegs optimistisch. Nein, mit der Sintflut ist keine endgültige Reinigung des Menschen vom Bösen gelungen. Ein resignierter Gott spricht zu sich selbst:  ‚So ist der Mensch nun einmal und damit muß ich leben. Ich will ihn (er-) tragen‘.

Die Welt, unsere ‚schöne neue Welt‘,  trägt soz. in sich einen Riß. Das Paradies ist endgültig verloren und gezeichnet mit dem Kreuz der Gewalt. Nach Gottes Meinung ist viel gewonnen, wenn diese Erbschaft Kains gezähmt oder eingeschränkt würde. Das zentrale Gebot der sog. ‚noachitischen Gesetzgebung‘ lautet darum: ‚Wer Menschenblut vergießt (ich füge hinzu: auch das seelische Blut!), dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden‘(9,6). Frieden im Zeichen des Regenbogens kann nur in der gegenseitigen Verpflichtung  der Bundespartner auf elementare Regeln gewährleistet sein, die Leben ermöglichen, ‚obwohl sich die Verhältnisse auf der Welt keineswegs zum Besseren, geschweige denn zum Guten gewandelt haben‘***.

                                                                                V

Mancher mag jetzt denken: Warum diese Rückbindung unserer lichten, leichten himmlischen Brücke an diese archaische Geschichte? Eben noch träumten wir von einem friedlichen Zusammensein, nun bekommt die bunte Welt eine graue Tönung. Wird nicht so aus einem Hoffnungszeichen ‚bunter Trug, leerer Schein‘*?

Die biblische Erzählung will keine Verklärung unserer Welt. Der Bogen des Bundes gilt der realen Welt und soll unseren Blick darauf schulen, ohne sie schwarz zu malen.  Es ist etwas anderes, ob ich auf den Menschen  im Status paradiesischer Unschuld oder auf den Menschen, auf dich und mich, als denjenigen sehe, dessen ‚Dichten und Trachten‘, ja, ‚böse‘ ist- und das ‚von Jugend an‘. Ja, es ist manchmal zum Verzweifeln, wie ‚das Gute, das ich will‘ (Rm7, 19), in den Sog meiner Selbstsucht, von Selbstdarstellungsbedürfnissen und Eigensinn gerät, und das Beabsichtigte oder Propagierte ins Gegenteil umschlägt. Auch ‚rainbow warriors‘ können irren oder täuschen und in die Irre führen.

Diversität, Buntheit, Zusammenleben der Kulturen – das ist für manche ein utopisches, wenn nicht gefährliches Programm. Ich verstehe es eher als unausweichliche Herausforderung, aber die besorgte, biblisch ernüchterte Frage bleibt auch dann: Was ist, wenn der ‚böse Mensch‘ in Versuchung kommt und die Farben des Regenbogens in seine Hände nimmt? Macht- und Besitzansprüche der einen Farbe werden dann selbstherrlich gegen die andere durchgesetzt. Aus dem Friedenszeichen Gottes wird ein menschlicher Kriegsbogen. Im Alltag, in der Schulkasse,  auf dem Schulhof, kommt es zu Dominanzansprüchen und mitunter bewaffneten Rivalitäten. Die einen wollen dem Unterricht folgen und stören die anderen, aus Langeweile oder weil sie wenig verstehen. Eltern untergraben die Autorität einer Erzieherin, weil sie eine Frau ist…

                                                                                 VI

Unser  Gespräch mit der Lehrerin aus dem Ruhrgebiet ging ja weiter. So stolz sie die Namen der Herkunftsländer – zwölf an der Zahl- aufzählte, so realistisch und beherzt benannte sie ihre Sorgen: Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung, aber wie kann man in einer heterogenen, uneinheitlichen Klasse dieses Recht gewährleisten? Mit welchen Fähigkeiten werden sie die Grundschule verlassen? Werden sie einigermaßen lesen und schreiben können? ****

Die Pädagogin nannte ein Beispiel. Im dritten Schuljahr sollen keine Diktate mehr geschrieben werden. Es ist sogar verboten. Wir hätten früher gejubelt, denn wenn es hieß: ‚Hefte zum Diktat!‘, wurde mir jedenfalls mulmig. Die Kinder heute bekommen einen Text, den sie abschreiben sollen. Diese Leistung wird bewertet, und es verwundert oder verwundert nicht, daß manche Schüler auch bei dieser Methode nur ungenügende Ergebnisse mit vielen Fehlern zeigen. Die Vorgabe, die es leichter machen soll, zeigt auf ihre Weise noch einmal die sehr diversen Ausgangsbedingungen und Fähigkeiten.

Alle zwölf Nationen in einer Klasse… Integration, Inklusion nennen wir dies, aber Lehrer und Eltern  klagen: ‚Die einen Schüler werden unterfordert, die anderen überfordert, wir werden keinem gerecht‘. Eben dies müßte kollegial, schulisch und politisch offen benannt werden. Wäre für manche Kinder vorschulischer Sprachunterricht sinnvoll?  Die Forderung nach kleineren Klassen und eine individuelle Förderung  der Schwachen kommt dazu. Sonst wird die Regenbogenschule in eine Nacht gehüllt, in der alle Katzen grau sind, und ‚keiner mehr etwas lernt‘, wie eine Mutter ratlos feststellte. Ja, wir müssen Unterschiede zusammenzuführen, wir müssen aber auch lernen, sie zu akzeptieren und dies didaktisch umzusetzen. Auch das ist eine Herausforderung.

                                                                               VII

Was für ein Schauspiel – dieser Regenbogen, ja, halte ihn fest, ehe er zerrinnt: Verheißung einer ‚bessern Welt‘? Oder ‚bunter Trug und leerer Schein‘? Die biblische Geschichte, sie erinnert uns daran, daß der schöne Himmelsbogen uns nicht gehört. Wir dürfen ihn soz. vorsichtig, selbstkritisch und unter Vorbehalt einsetzen und sollten uns hüten, ihn zur Ideologie, zum Kampfesbogen oder gar zu einer Art Geßlerhut zu machen, den man grüßen oder vor dem man niederknien soll. Ob es tatsächlich gut ist oder nur gutgemeint, vor öffentlichen Gebäuden neben den hoheitlichen Flaggen auch die bunte Fahne zu hissen?

Gottes Skepsis im Hinblick auf den Menschen kann uns ebenso zu Skepsis anleiten, im Hinblick auf unser eigenes ‚Trachten‘, im Hinblick auf das ‚Dichten‘ anderer. Wir müssen darum aus dem Schauspiel kein Trauerspiel machen. Der Himmelsbogen kommt und geht und kommt wieder. Aber die Gebote, die Gott Noah gibt, bleiben – und allen anderen voran, das Verbot, ‚Menschenblut zu vergießen‘, ‚denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.‘ Verheißung und Bundesgebot gehören unbedingt zusammen, und Gottes Zusage, sich nicht noch einmal zu vergessen und seine Schöpfung ‚auf ewig‘ zu erhalten, und des Menschen Zusage, sich nicht zu vergessen und den anderen an Leib oder Seele nicht zu verletzen, entsprechen sich. In der Gnade Gottes liegt auch sein Gebot.

                                                                               VIII

Sieben Farben hat der Regenbogen, Kinder aus zwölf Nationen sitzen in einer Klasse…  Unterschiede beleben, man kann aber auch an ihnen scheitern. ‚Der Regenbogen wird schnell zum bunten Kitsch‘, sagte die Lehrerin schließlich, ‚für mich zeigt er eine, ehrlich gesagt: oft alltagsgraue Aufgabe‘.

Der Gott der zweiten Schöpfung, der Gott Israels, der Vater Jesu Christi, gebe ihr und allen, die seinen Bund halten, die Kraft dazu.

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Lieder: Ich singe dir mit Herz und Mund (eg 324); Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut (eg 326,3); Himmel, Erde, Luft und Meer (eg 504) ; Ein bunter Regenbogen ist über’s Land gezogen (R. Krenzer/ P. Janssens)

*J. W. v. Goethe, Regen und Regenbogen. Gedicht (Drei Palinodien Nr.3) **J. Ebach, Bibelarbeit über 1. Mose 9,8-17 (ÖKT München 2010. PDF), S. 12 ***R. Feldmeier, H. Spieckermann, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, 2011,  S. 275 ****S. Wiesinger, Kulturkampf im Klassenzimmer, 2018;  www.welt.de/politik/deutschland/article245369384/Iglu-Studie-Jeder-vierte-Viertklaessler-kann-nicht-richtig-lesen.html

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