Lukas 14,1-11

Lukas 14,1-11

17. Sonntag nach Trinitatis | 01.10.23 | Lk 14,1-11 (dänische Perikopenordnung) | Jan Sievert Asmussen |

”Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer” (Hos 6,6).

Das Wort „Sabbat“ taucht auf in diesem Predigttext. Im Kontext der jüdischen Kultur war und ist dies der Tag der Woche, wo man versucht, zwischen dem, was wesentlich ist, und dem, was unwesentlich ist, zu unterscheiden. Das wöchentliche „simple living“-Programm, mit dem man seinen Sinn für Arbeit und Verantwortung reinigen kann. Nicht schuften und rennen, sondern endlich nach sechs Tagen in der Tretmühle des Alltags wieder ein ganzer Menschwerden. Ein ganzer Tag von 24 Stunden vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Sonnabend, wo das Jammertal zum Paradies wird und Stress zu unbedingter Ruhe. Zeit für die Familie, Zeit zum Meditieren und Kräftesammeln. Der Sabbat bedeutet einen Spaziergang zur Synagoge und Zeit, mit sich selbst und mit Gott zu sein in dem vertrauten Raum und Ritual. Alle Sorgen hinter sich lassen und nur zwei Fragen im Kopf: Was soll ich mit meinem Leben? Was sagt Gott zu mir?

    In unserer Gesellschaft, wo die Online-Gesellschaft und die immer geöffneten Geschäfte uns eine gemeinsame wöchentliche Atempause genommen haben, ist der Sonntagvormittag in der Kirche – also das, was wir jetzt gerade erleben – ein letzter Rest des Sabbats: Die Christen verlegten ja den Ruhetag auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung unseres Herrn. Der Gedanke daran, was du mit deinem Leben willst und was Gott dir sagt, hätte den Frieden und die Freude eines ganzen langen Sonntages verdient. Aber alle Einkaufszentren, IKEA und die Supermärkte haben geöffnet. Du brauchst den Sonntag nicht zu etwas Besonderem zu machen. „Gott heiligte den siebenten Tag und ruhte“, heißt es im Schöpfungsbericht der Bibel. Wenn wir also Beispiele dafür finden wollen, was Ruhetag bedeutet, müssen wir nach etwas ganz anderem suchen als dem sonntäglichen Gottesdienst. Vielleicht ist es eher das Bild vollkommener Ruhe und Harmonie aus euren Sommerferien vor drei Monaten, von dem Kaffeetisch unter schattigen Bäumen, Fotos von einem selbst am Strand, auf dem Liegestuhl mit Strohhut und einem Drink in Reichweite.

    Wie gerne möchte ich Euch mitnehmen auf eine Phantasiereise oder Meditationsübung zurück zu einem solchen schönen friedvollen Ort, einer Oase in der Zeit. Sonntag, Ferien, Sommer. Wie schön wäre es, wenn wir gemeinsam ein goldenes inneres Licht in uns an diesem Sonntagvormittag schaffen könnten, das bis in den Nachmittag bis hin in einen goldenen Sonntagabend hinein strahlen könnte. Es wäre schön, euren Atem tief und ruhig zu machen, so dass ihr merken würdet, dass ihr wirklich lebt. Wie schön wäre es, wenn die eine Stunde, die wir gerade zusammen sind, dazu führt, dass ihr euch wohlfühlt wie ein kleines Kind. Es könnte schön sein, sich das als Ziel zu setzen.

   Aber das funktioniert nicht, und wisst ihr warum? Mitten im Christentum gibt es nicht einen feel-good-Guru, einen bestätigenden und anerkennenden Lebensstil-Experten, der seine Feng Shui mit uns teilt. Mitten im Christentum ist ein flatternder, kratzender, empörter, Unruhe stiftender, unbequemer Jesus. Er, für den Nächstenliebe erst voll ausgelebt ist, wenn sie auch Feindesliebe einschließt. Er, für den der Ersten die Letzten werden und die Letzen die ersten. Er, der über die Köpfe aller selbstverständlichen Kandidaten den kleinen Kindern verspricht, dass ihnen das Reich Gottes gehört. Er, der schließlich seinem eigenen Verräter Judas vergibt. Er, der allen Ernstes ein Dutzend einfache Fischer und Bauern zu seinen Boten macht und der zudem allen getauften Menschen die Verantwortung anvertraut, sein verlängerter Arm hier in der Welt zu sein.

   Das ist allzu beunruhigend, als dass wir uns der Sonntagsmeditation hingeben könnten. Denn mitten in all dem steht die Frage Jesu: „Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?“ Hier stellt sich die Frage: Wozu soll dein persönlicher Freiraum genutzt werden? Vielleicht ist da jemand, der dich vermisst, während du es dir wohl sein lässt in Wohlbefinden und Genuss, die du verdient zu haben meinst. Wer ist dabei, im Brunnen zu ertrinken, während du das Leben genießt? All das, was das Christentum zu sagen hat, an andere zu denken, ehe du an dich selber denkst, stört deinen feinen Sabbat. Wie kannst du auf dem Sofa liegen, wenn es an deiner Tür klopft?

    Ihr könnt es vielleicht merken: Eben hier wird deine Sonntagsruhe gestört. Hier wird dein Genuss torpediert von zwei radikalen, bohrenden Fragen, die du schon in dieser Predigt gehört hast: Was soll ich mit meinem Leben? Was sagt Gott zu mir? Eben die Fragen, deren Antwort der Fromme Jude in der Synagoge suchte. Für Jesus aber gibt es diese Antwort nicht in der religiösen Kultsituation, weder im Tempel noch in der Synagoge oder der Kirche. Die Frage, was ich in meinem Leben soll, sie findet ihre wahre Antwort an einem einzigen Ort, nämlich in der Begegnung mit meinem Mitmenschen. Das kann Ruhe und Zeit erfordern, vielleicht sogar Sonntagsruhe und innere Klärung, um einen Blick für deinen Mitmenschen zu bekommen, deine Fähigkeit zur Vergebung und Liebe zu mobilisieren. Das kann einsame Spaziergänge, Sommerferien und Erholung erfordern, um die Reste von Lebensklugheit am besten aufzubieten, die du erworben hast. Das Ziel aber, der Sinn von deinem Tun, das liegt im Alltag bei deinem Nächsten.

    Das tut es so sehr, dass Jesus sagen würde, dass Gottesdienst schlichtweg praktizierte Liebe ist. Ja, mit einer weiteren Pointe: Gottesdienst, der nur sich selbst will und nur mentale Schönheit schaffen will, wird sinnlos und disqualifiziert sich mit einem Knall. Dem Knall, mit dem Jesus die Stände in Jerusalem umstieß. „Mein Haus soll ein Bethaus heißen, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus“. Jesus ist unbequem, und damit steht er in der Bibel nicht allein da. Hinter ihm stehen eine Reihe von unbequemen und bissigen Propheten – wie z.B. Hosea, der um 700 vor Christus dasselbe Anliegen hatte.  Zu dieser Zeit war Hochkonjunktur in Israel, Überschuss in allen Bilanzen – und der religiöse Kult blühte auf Kosten der Fürsorge und Nächstenliebe. Hosea aber blieb bei seiner unbequemen Botschaft: Kult ohne Liebe zählt nicht. „Darum schlug ich drein durch die Propheten und tötete sie durch die Worte meines Mundes, dass mein Recht wie das Licht hervorkomme. Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer“ (Hosea 6,5-69).

   Es ist wie ein Echo auf Religion als eine Frage innerer Ruhe, wenn Jesus sagt: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Markus 2,27). Das bedeutet, dass sie Zeit, die für Erholung nutzen, nie ein Selbstzweck ist. Gottesdienste wie der, den wir gerade halten, verweisen nicht auf sich selbst, sondern auf den wahren Dienst Gottes, der ein Dienst für den Nächsten ist. Nicht hier drinnen, sondern draußen. Es kann einen Gang zur Synagoge oder der Kirche erfordern, um das zu sehen, als die Lebensaufgabe da draußen außerhalb der Kirche zu sehen. Darin liegt die Berechtigung der ganzen religiösen Institution und die Begrenzung der ganzen religiösen Institution. „Was heißt lieben?“ fragt Martin Luther in seiner Predigt, die er 1525 über diesen Text aus dem Lukasevangelium über den Sabbat gehalten hat: „Was heißt aber lieben? Es heißt nicht, mit Gedanken umgehen, sondern von Herzen dem Nächsten günstig sein, mit dem Wort trösten und strafen, wo es nötig ist, und mit Rat und Tat behilflich sein, und also an Leib und Seele helfen … Solches, spricht der Herr, gebietet dir Gott eben auf den Sabbat; ja, dass wohl mehr ist, er hat den Sabbat darum eingesetzt, dass du es hören und lernen sollst, deinem Nächsten freundlich zu sein mit Worten, und die Hilfe mit der Tat, wo er es bedarf. …  Den „Sabbat heiligen“ heißt Gottes Wort hören und Heilige Werke tun, den Nächsten lieben, und ihm tun, was er bedarf, Gehorsam sein, barmherzig sein, hilfreich, raten, trösten, Essen und Trinken geben …  Solches soll man am Sabbat tun, und heißt Gott recht dienen. Denn der anderen närrischen Gottesdienste bedarf er nicht … Deswegen soll bei uns Christen alle Tage Sabbat sein. Denn wir sollen alle Tage Gottes Wort hören und unser Leben danach ausrichten“. Was ist also wahrer Gottesdienst? Nicht das, was hier in der Kirche geschieht, sondern das, was du in deinem Alltag tust. Es gibt nur einen Ort, wo du Gott dienen kannst, und das ist der Kontakt zu deinem Nächsten. Vielleicht erfordert das Ruhe, um den Funken zu diesem Kontakt zu finden – und nur dies ist es, was die Kirche und Gottesdienst dir vielleicht geben können: Dass wir anderen zu Nutzen und Freude hier in der Welt werden und damit Gott dienen. Amen.

Pastor Jan Sievert Asmussen

DK 3520 Farum

Emal: jsas(at)km.dk

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