Glaubenswege

Glaubenswege

Predigt über Hebräer 11,1 – 12,3 | verfasst von Benedict Schubert |

 

Vorbemerkung:

Die Perikopenordnung legt als Predigttext bloss Hebr 11,1f und 12,1-3 vor, in Klammern noch aus der umfangreichen Aufzählung der Glaubenszeuginnen und -zeugen – nicht sonderlich überraschend – Abraham und Sara (11,8-12), dazu den Abschluss des Kapitels (11,39f).

Der Hebräerbrief wird in manchen Kommentaren nicht als Brief, sondern als ausführliche Predigt verstanden oder als eine Art Essay. Es ist also zu erwarten und vermuten, dass der Text einen besonderen rhetorischen Sog hat. Das soll die Gemeinde am Palmsonntag erleben: Als Lesung wird das ganze Kapitel 11 bis 12,3 von einem besonders guten Lektor vorgelesen – in vier Abschnitten, die unterbrochen werden von kurzen musikalischen Vignetten der Orgel (nach V. 16, 31 40). Schön wäre es gewesen, an diesen Stellen die Gemeinde durch einen Ruf antworten zu lassen (z.B. ein Taizé-Lied wie «Toi qui nous aimes» oder «Bonum est confidere» o.ä.); doch derzeit ist singen in unseren Gottesdiensten nicht erlaubt.

Die lange Lesung ist der einleuchtende Grund für eine kürzere Predigt:

 

11 1Der Glaube ist ein Festhalten an dem, worauf man hofft –
ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind.

2Aufgrund ihres Glaubens hat Gott den Alten das gute Zeugnis ausgestellt.
3Aufgrund unseres Glaubens erkennen wir, dass die ganze Welt durch Gottes Wort geschaffen wurde. Das Sichtbare ist also aus dem hervorgegangen, was man nicht sieht.
4Aufgrund seines Glaubensbrachte Abel Gott ein besseres Opfer dar als Kain. Aufgrund seines Glaubens hat Gott ihm das Zeugnis ausgestellt, gerecht zu sein. Er hat es bezeugt, indem er Abels Gaben angenommen hat. Und aufgrund seines Glaubensspricht Abel noch heute, obwohl er längst gestorben ist.
5Aufgrund seines Glaubens ist Henoch von der Erde weggenommen worden, sodass er nicht sterben musste. Niemand konnte ihn finden, weil Gott ihn weggenommen hatte. Bevor das geschah, hat Gott ihm schon das Zeugnis ausgestellt, dass er Gefallen an ihm gefunden hat.
6Wer nicht glaubt, für den ist es unmöglich, dass Gott an ihm Gefallen findet. Denn wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass es ihn gibt – und dass er die Menschen belohnt, die ihn suchen.
7Aufgrund seines Glaubensbaute Noah eine Arche, um seine Familie zu retten. Gott hatte ihm ja eine Warnung zukommen lassen vor dem, was noch gar nicht zu sehen war. Und Noah gehorchte voller Ehrfurcht vor Gott. Durch seinen Glauben sprach Noah das Urteil über die Welt. Und er wurde ein Erbe der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt.
8Aufgrund seines Glaubensgehorchte Abraham, als Gott ihn rief. Er brach auf zu einem Ort, den er als Erbe bekommen sollte. Und er zog fort, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. 9Aufgrund seines Glaubens lebte er als Fremder in dem Land, das Gott ihm versprochen hatte – ein Land, das ihm fremd war. Er wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, die Miterben derselben Verheißung waren.
10Er wartete nämlich auf die Stadt, die auf festen Grundsteinen steht – die Stadt, die Gott selbst geplant und gegründet hat.
11Aufgrund ihres Glaubenserhielt sogar Sara die Kraft, Mutter zu werden – obwohl sie keine Kinder bekommen konnte. Denn sie war schon zu alt. Aber sie hielt den für treu, der ihr das versprochen hatte. 12Deshalb stammen von einem einzigen Mann so viele Nachkommen ab – noch dazu von einem, der schon zeugungsunfähig war. Sie wurden so zahlreich wie die Sterne am Himmel – wie der Sand am Meeresstrand, den man nicht zählen kann.

13Sie alle sind im Glauben gestorben, ohne das empfangen zu haben, was Gott ihnen versprochen hatte. Aber sie haben es von ferne gesehen und willkommen geheißen. Und damit haben sie bekannt, auf der Erde nur Fremde und Gäste zu sein.
14Wenn sie so etwas sagen, machen sie nämlich deutlich, dass sie eine Heimat suchen. 15Und dabei haben sie sicher nicht an die Heimat gedacht, aus der sie einst fortgezogen waren. Denn sie hätten ja Zeit genug gehabt, dorthin zurückzukehren. 16Nun streben sie aber nach einer besseren Heimat – nämlich nach der Heimat im Himmel. Deshalb schämt sich auch Gott nicht dafür, ihr Gott genannt zu werden. Denn er hat für sie die Stadt vorbereitet.

*****

17Aufgrund seines Glaubensbrachte Abraham Isaak als Opfer dar, als er auf die Probe gestellt wurde. Er hat also seinen einzigen Sohn als Opfer dargebracht! Dabei hat ihm Gott doch das Versprechen gegeben 18und zu ihm gesagt: »Die Nachkommen Isaaks sollen als deine Nachkommen gelten.« 19Abraham rechnete damit, dass Gott auch Tote auferwecken kann. Daher hat er Isaak als ein Zeichen dafür auch lebendig zurückbekommen.
20Aufgrund seines Glaubens gab Isaak Jakob und Esau seinen Segen – und zwar für etwas, das noch in der Zukunft lag. 21Aufgrund seines Glaubens gab Jakob, bevor er starb, jedem einzelnen von Josefs Söhnen einen besonderen Segen. Über die Spitze seines Stabes hin beugte er sich betend vor Gott nieder. 22Aufgrund seines Glaubensdachte Josef vor seinem Tod an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Und er gab sogar Anweisungen, was mit seinen Gebeinen geschehen sollte.
23Aufgrund ihres Glaubenshielten die Eltern Mose nach seiner Geburt drei Monate lang versteckt. Denn sie sahen, dass er ein schönes Kind war. Und sie fürchteten den Befehl des Pharao nicht. 24Aufgrund seines Glaubenslehnte Mose es als Erwachsener ab, »Sohn der Tochter Pharaos« genannt zu werden. 25Er zog es vor, zusammen mit dem Volk Gottes misshandelt zu werden – anstatt für kurze Zeit das Leben am Hof zu genießen und damit Schuld auf sich zu laden. 26Mose setzte sich derselben Schande aus, die auch Christus auf sich nahm. Doch er hielt sie für einen größeren Reichtum als alle Schätze Ägyptens. Denn er hatte die künftige Belohnung im Blick. 27Aufgrund seines Glaubensverließ er Ägypten. Dabei fürchtete er den Zorn des Königs nicht. Denn er hielt standhaft aus, als könnte er Gott sehen, der doch unsichtbar ist. 28Aufgrund seines Glaubensfeierte Mose das Passamahl und ließ die Türpfosten mit Blut besprengen. So konnte der Vollstreckerden erstgeborenen Kindern nichts anhaben. 29Aufgrund seines Glaubens zog das Volk durch das Rote Meer wie über trockenes Land. Die Ägypter versuchten das auch und ertranken.
30Aufgrund des Glaubensstürzten die Mauern von Jericho ein – nachdem das Volk Israel sieben Tage lang um sie herumgezogen war. 31Aufgrund ihres Glaubens kam die Hure Rahab nicht zusammen mit denen um, die sich Gott widersetzten. Denn sie hatte die Kundschafterin Frieden bei sich aufgenommen.

*****

32Was soll ich noch sagen? Mir fehlt die Zeit, auch noch von Gideon, Barak, Simson, Jiftach, David oder Samuel zu erzählen – oder gar von den Propheten. 33Aufgrund ihres Glaubens haben sie Königreiche besiegt. Sie haben Gerechtigkeit geübt und erfahren, dass Gott seine Versprechen erfüllt. Löwen haben sie den Rachen gestopft 34und gewaltiges Feuer gelöscht. Sie sind der Klinge des Schwertes entkommen. Wenn sie schwach waren, schenkte Gott ihnen Kraft. Sie wurden stark im Kampf und schlugen feindliche Heere in die Flucht. 35 Frauen bekamen ihre Toten als Auferstandene zurück. Andere ließen sich zu Tode foltern, ohne die angebotene Freilassung anzunehmen. Denn sie wollten etwas Besseres erlangen: die Auferstehung. 36Wieder andere mussten Spott und Peitschenhiebe über sich ergehen lassen, ja sogar Fesseln und Gefängnis. 37Sie wurden gesteinigt, zersägt und mit dem Schwert hingerichtet. Sie zogen in Schaf- und Ziegenfelle gekleidet umher – Not leidend, verfolgt und misshandelt. 38Sie irrten durch Wüsten und Berge, durch die Höhlen und Schluchten des Landes. Dabei war die Welt es nicht wert, dass sie in ihr lebten. 39Aufgrund ihres Glaubens at Gott ihnen allen ein gutes Zeugnis ausgestellt. Aber sie haben nicht empfangen, was Gott ihnen versprochen hatte. 40Denn Gott hat für uns etwas Besseres vorgesehen. Deshalb sollten sie nicht ohne uns zur Vollendung gelangen.

*****

12 1Wir sind also von einer großen Menge von Zeugen wie von einer Wolke umgeben. Darum lasst uns alle Last abwerfen, besonders die der Sünde, in die wir uns so leicht verstricken. Dann können wir mit Ausdauer in den Kampf ziehen, der vor uns liegt.2Dabei wollen wir den Blick auf Jesus richten. Er ist uns im Glauben vorausgegangen und wird ihn auch zur Vollendung führen. Er hat das Kreuz auf sich genommen und der Schande keine Beachtung geschenkt. Dies tat er wegen der großen Freude, die vor ihm lag: Er sitzt auf der rechten Seite von Gottes Thron. 3Denkt doch nur daran, welche Anfeindungen er durch die Sünder ertragen hat. Dann werdet ihr nicht müde werden und nicht den Mut verlieren.

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

«Adieu. Hier mein Geheimnis: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.»[1] Das Geheimnis, das Saint-Exupérys Fuchs dem kleinen Prinzen zum Abschied verrät, ist kein Geheimnis mehr. Allzu oft ist es auch bei unpassenden Gelegenheiten zitiert worden. Anstatt mit den herben Zeichnungen des Autors selbst hat man es mit süsslichen Bildern kombiniert, sodass es für manche bloss noch banal klingt, und sie lassen es höchstens mit ungeduldigem Kopfschütteln über sich ergehen, um dann aber zu Wesentlicherem zu kommen.

Dabei hat der Satz, den Saint-Exupéry am Ende des Zweiten Weltkriegs formulierte, in den Jahrzehnten an prophetischer Tiefe gewonnen. Es hat ein grundlegender Wandel stattgefunden. Das, was die ältere Generation noch unter Glauben verstand, ist zu einer unattraktiven und unmöglichen Übung geworden für die meisten, die nach 1968 geboren sind. In jener Zeit der Umwälzungen ist die Selbstverständlichkeit verloren gegangen, mit der man (und frau natürlich) so etwas wie ein «Jenseits» für höchst wahrscheinlich hielt.[2] Die Vorstellungen über dieses unsichtbare «Etwas» mochten schon damals verschwommen und vor allem sehr unterschiedlich sein. Doch darüber bestand Einigkeit: Es gibt einen Teil der Wirklichkeit, der sich unseren Instrumenten des wissenschaftlichen Erkennens und Wissens entzieht – und damit auch unserer Kontrolle und Machbarkeit. Nur eine Minderheit lebte ausdrücklich mit dem, was man ein «materialistisches Weltbild» nennt. Heute hingegen ist es genau umgekehrt; die meisten scheinen ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass unsere Welt nichts anderes ist als ein natürlicher, materieller Ort. Sie ist entzaubert. Das Herz ist nicht mehr als ein Muskel, die Liebe ein biochemischer Vorgang im Hirn, die entsprechenden Ströme lassen sich messen, das Spiel der aktiven Synapsen beobachten. Wenn von Gott überhaupt noch die Rede ist, dann steht dieser Gott in ständiger Gefahr, nicht mehr zu sein, als ein aufgrund psychologischer Bedürfnisse von uns selbst gebildeter, imaginärer, das heisst eingebildeter Freund. Er ist da, er soll da sein, solange, sobald, sofern «es für mich stimmt».

Ich sage das nicht mit einem wehleidigen Unterton des Bedauerns und dem Wunsch, die guten alten Zeiten möchten sich doch wenigstens bei uns in der Kirche erhalten oder gar wieder heraufbeschwören lassen. Ich sage es, weil ich denke, das Geheimnis von Saint-Exupérys Fuchs – so abgegriffen es klingen mag – könne eine gute Brücke bilden, um das grosse Kapitel über den Glauben aus dem Hebräerbrief auch in dieser gewandelten Zeit zu lesen und zu deuten.

«Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.»

Viele Menschen mögen sich scheinbar gut eingerichtet haben in einer radikal diesseitigen Welt. Doch dann machen sie Erfahrungen, die diese ihre überschaubare Welt sprengen:

Überraschend begegnest einer Rose. Die beiden kommen ins Gespräch, vertiefen sich ins Erzählen und wissen schon nach drei Tagen: Es ist gut. Die Liebe hat sie gefunden und gepackt. Sie raubt ihnen den Atem und auf beglückende Weise auch einen Teil des berechnenden Verstands.

Oder: Geschockt hört eine der Ärztin zu, die ihr einfühlsam, aber trotzdem brutal eine Diagnose mitteilt, die ihre Lebenserwartung entsetzlich weit unter den statistischen Durchschnitt drückt.

Oder: Einer hält zum ersten Mal sein Kind in den Armen; seine Partnerin hat es soeben zur Welt gebracht – und er stand ohnmächtig und mit etwas schlechtem Gewissen daneben, als sie in den Wehen heulte.

Oder: Ihr Telefon klingelt und die Stimme des Anrufenden meldet sich von der Kantonspolizei Graubünden; sie überbringt Dir die Nachricht, dass Dein Sohn von einem Schneebrett in den Abgrund gerissen wurde.

Oder: Einer schaut sich einen scheinbar harmlosen Film an und merkt, dass ihm plötzlich die Tränen herunterlaufen; es ist ihm etwas peinlich und er fragt sich vor allem, weshalb bei diesem Film mit diesem schlechten Schauspieler.

Oder: Die Arbeitskollegin einer Pflegefachfrau fährt in ihre Heimat in die Ferien und stirbt dort überraschend; sie war keine 50 Jahre alt, sie hinterlässt drei Kinder und ihren Mann – und der Pflegefachfrau wird es unheimlich. In kurzen Abständen sind auf ihrer Station eine Patientin und ein Patient verstorben, von denen sie alle dachten, sie erholten sich wieder, und jetzt stirbt die Kollegin. Die Pflegefachfrau fragt sich, ob so etwas wie ein dunkler Schatten über der Station liege.

Wenn Du so etwas erlebst, lässt Dein Herz – und es ist eben doch mehr als ein pumpender Muskel – es lässt Dich erkennen, dass Du soeben eine Erfahrung gemacht hast, für die es keinen Ort gab in der Welt, so wie Du sie sahst. Du ärgerst Dich, wenn jemand das, was Dir widerfahren ist, reduziert auf einen psychologischen Vorgang, eine Gruppendynamik, einen biochemischen Prozess, eine systemische Veränderung. Das sind Deutungsmuster, auf die wir aufgeklärten Menschen gerne zurückgreifen. Dein Herz weiss, dass sie nicht ausreichen, denn es lässt Dich über den Rand hinausblicken, den Du für eine Grenze hieltst, die Dir Sicherheit gab; schliesslich war Dir gesagt worden, jenseits sei einfach «nichts». Doch Du hast erfahren – weinend vor Schmerz oder vor Glück – dass Deine Augen etwas nicht gesehen haben, das Dein Herz aber deutlich wahrnimmt, und es stellt sich als ganz wesentlich heraus.

Du ahnst, dass Deine Welt zu klein war, dass die Wirklichkeit tiefer und weiter ist, als Du dachtest. Doch wie sollst Du diese Wirklichkeit verstehen, und wie Dich darin verhalten?

Der Hebräerbrief lädt zum Glauben ein und definiert: Der Glaube ist ein Festhalten an dem, worauf man hofft – ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind.

Im Blick auf all das, was ich zum Leben in einer Welt ausführte, die das Jenseits verloren hat, möchte ich diese alte Definition so deuten: Wenn Du im biblischen Sinn glaubst, dann lässt Du Dich darauf ein, dann verlässt Du Dich darauf, dass ein Teil der Wirklichkeit tatsächlich ausserhalb dessen liegt, was wir erfassen können mit den Instrumenten, mit denen wir sonst meinen, wir könnten und sollten die Wirklichkeit begreifen. Es spielt zunächst keine Rolle, ob Du dieses «Mehr», dieses «Jenseits» vor allem aussen oder innen vermutest. Dein Herz hat es erkannt.

Wenn Du so glaubst, dann vertraust Du darauf, dass in Dir oder um Dich, Dir gegenüber etwas in Bewegung ist. Es zieht Dich an, es treibt Dich an. Es nagelt Dich nicht auf etwas fest, sondern hält auch Dich in Bewegung auf etwas, was ernst noch kommt. Und auch in den schwierigsten Erfahrungen ermutigt es Dich nicht aufzugeben, sondern darauf zu hoffen, dass am Ende mit Dir und der Welt gut kommt.

Die glauben, behaupten nicht, sie hätten irgendeine Form von Geheimwissen. Auch sie haben – um die Worte des Hebräerbriefs zu benutzen – das, was kommt, nur von Ferne gesehen und gegrüsst (13). Doch das hat sie in ihrer Überzeugung bestärkt: «Es muss doch mehr als alles geben.»[3] Sie vertrauen darauf, dass Gott selbst sie umgibt, sie erwartet, ihnen entgegenkommt.

Sie verlassen sich auch darauf, dass sie nicht einfach aus Denkfaulheit irgendwelche Absurditäten für wahr halten, oder weil sie ohne eine religiöse Krücke nicht wie erwachsene, mündige Menschen mit ihren existenziellen Ängsten umzugehen wüssten. Der Hebräerbrief weiss, dass seine Definition allein gegen diese Art von Vorwurf kaum zu verteidigen wäre. Deshalb bietet er die eindrückliche Reihe von Zeuginnen und Zeugen auf, die, bei Abel beginnend, auf vielfältige Weise illustrieren, wie Menschen «geglaubt haben», wie sie ihr Leben aus diesem Sog von der Zukunft Gottes her gelebt haben. Mutig lebten sie, unerschrocken, kreativ, widerspenstig, hingebungsvoll.

Was und wie sie lebten, ist für den Hebräerbrief ein Hinweis auf das, was in Jesus Christus nun ganz durchgebrochen, sichtbar geworden ist. In der Lutherbibel wird er der Anfänger und Vollender unseres Glaubens genannt (12,2).

Ich war etwas verwundert und habe mich gefragt, weshalb uns dieser Text am Palmsonntag vorgelegt ist. Als Antwort auf diese Frage habe ich diese Vermutung: Mir ist, als ob der Hebräerbrief uns die Augen dafür öffnen wollte, dass nicht bloss die Menschen aus Jerusalem mit Zweigen in den Händen Jesus zujubelten, der auf der Eselin in die Heilige Stadt einritt. Wir sollen auch jene Menge so gut wie uns, die wir heute hier den Palmsonntagsgottesdienst feiern, umgeben sehen von einer unüberschaubaren Wolke von Zeuginnen und Zeugen, von all denen, die schon vor Jesus, die mit ihm, seinetwegen, wie er glauben. Leidenschaftlich, passioniert – und mit Geduld (12,1) gehen sie den Weg, den die Liebe zu Gott, die Aufmerksamkeit gegenüber Gottes Gerechtigkeit, das Vertrauen in den Friedefürsten Jesus Christus sie weist. Sie alle glauben. Wir glauben.

 

Der Dirigent der Kantorei St. Peter ist zugleich Kontrabassist. Er hat – weil die Kantorei derzeit auf Standby ist – zwei Geigerinnen gebeten, mit ihm und der Organistin zusammen den Gottesdienst musikalisch mitzugestalten – mit zwei Kirchensonaten von Mozart (KV 245 & KV 33&) und einer von Corelli (op.1, Nr.1, F-Dur) Corelli bildet den Rahmen um die Predigt, Mozart Eingang und Ausgang. Drei Lieder werden instrumental gespielt und die Texte gelesen; dass sie alle nur im Schweizer Gesangbuch sind, nicht aber im EG ist Zufall: Das Lied zu Psalm 24 aus dem Genfer Psalter «Dem Herrn gehört die Erde» (RG 19 mit Text von Hans Bernoulli, im EG für die reformierten Kirchen, dort mit dem Text von Matthias Jorissen.) Nach den Abkündigungen und vor den Fürbitten das Adventslied «Wir ziehen vor die Tore der Stadt» (RG 378); als Schlusslied «Es segne uns der Herr» nach der Melodie von «Nun danket alle Gott» (RG 350).

Auf dem Gottesdienstblatt drucke ich in der Regel den Predigttext ab. Diesmal beschränke ich mich auf Hebr 11,1 – indessen in mehreren [vermutlich all diesen] Übersetzungen:

Der Glaube ist ein Festhalten an dem, worauf man hofft – ein Überzeugtsein von Dingen, die nicht sichtbar sind. (BasisBibel)

Es ist der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. (Luther 2017).

Der Glaube aber ist die Grundlegung dessen, was man erhofft, der Beweis für Dinge, die man nicht sieht. (Neue Zürcher Bibel)

Glauben heißt Vertrauen, und im Vertrauen bezeugt sich die Wirklichkeit dessen, worauf wir hoffen. Das, was wir jetzt noch nicht sehen: im Vertrauen beweist es sich selbst. (Gute Nachricht)

Es ist aber der Glaube ein zuversichtliches Vertrauen auf das, was man hofft, ein festes Überzeugtsein von Dingen (oder: Tatsachen), die man (mit Augen) nicht sieht. (Menge-Bibel)

Glauben besteht darin, dass ein Stück des Erhofften als geheime Kraft schon wirklich ist. Der Glaube selbst ist der Beweis für das, was man nicht sehen kann. (Berger/Noth)

La foi est une manière de posséder déjà ce que l’on espère, un moyen de connaître des réalités que l’on ne voit pas. (TOB)

Or, la foi c’est l’assurance des choses qu’on espère, la démonstration de celles qu’on ne voit pas. (Segond 21)

Now faith is being sure of what we hope for and certain of what we do not see. (NIV)

Now faith is the assurance of things hoped for, the conviction of things not seen. (NRSV)

Now faith is the substance of things hoped for, the evidence of things not seen. (KJV)

La fe es la constancia de las cosas que se esperan, la comprobación de los hechos que no se ven. (Reina Valera actualizada)

Ora, a fé é o firme fundamento das coisas que se esperam e a prova das coisas que se não veem. (Almeida revista e corrigida)

 

Pfr. Dr. Benedict Schubert, geb. 1957, reformierter Pfarrer an der Peterskirche in Basel nach mehreren Jahren im Dienst der evangelisch-reformierten Kirche in Angola und bei mission 21 – evangelisches missionswerk basel, sowie Lehrauftrag im Fach aussereuropäisches Christentum an der Universität Basel; mit seiner Frau zusammen leitet er das «Theologische Alumneum», ein Wohnheim für Studierende aller Fakultäten, sie sind beide seit ihrer Gründung Mitglieder der Communität Don Camillo.

Basel

benedict.schubert@erk-bs.ch

 

 

[1] Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz, Zürich-Hamburg 2010, 72.

[2] Ich folge hier dem praktischen Theologen Andrew Root (Luther Seminary, St. Paul, Minnesota), der Charles Taylors «The Secular Age» auf die Frage hin prüft und nutzt, wie Glaube heute weitergegeben, geweckt, gefördert werden könne: Faith Formation in a Secular Age. Responding to the Church’s Obsession with Youthfulness, Grand Rapids 2017.

[3] Um den Titel zu zitieren, unter dem Dorothee Sölle ihr «Nachdenken über Gott» (Hamburg 1992) gestellt hat.

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