Gottes Können wird zu …

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Gottes Können wird zu …

Gottes Können wird zu unserer Begabung | Misericordias Domini | 18.4.2021 | Predigt zu Hesekiel 34 i.A. | verfasst von Manfred Mielke |

Hinweis: Diese Predigt können Sie sich auch anhören!

Liebe Gemeinde,

wenn ich anfange mit: „Der Herr ist mein Hirte…“ – dann fügen wir spontan hinzu: “…mir wird nichts mangeln.“ Und ohne zu stocken bekennen wir gemeinsam: „Ich fürchte kein Unglück, … denn du, Gott, bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich!“ – Stecken und Stab kennzeichnen das Können eines Hirten. Mit einem starken Stecken kann er Angreifer vertreiben, mit einem Krummstab Tiere zu sich ziehen. Der 23. Psalm projiziert dieses Berufsbild auf Gott und verweist ausdrücklich auf die Werkzeuge in seinen Händen. Wir übernehmen es, wenn wir bestätigen: „Du, Gott, bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich!“ Das Neue dabei ist sein „trösten“, denn damit erweitert Gott das typische Alltagspensum eines Hirten. So realistisch das Hirten-Outfit auch beschrieben wird, es zielt auf die Umsetzung. So sind es Gottes Tatkraft und sein Trost, die wir mit Psalm 23 bewundern. Und die biblischen Propheten haben beide in Angriff gebracht gegen damalige Missstände.

So auch der Prophet Hesekiel. Er hat die Katastrophe seines Volkes miterlebt, als es ca 600 v. Chr. von den Babyloniern besiegt wurde und die Etablierten ins babylonische Exil verschleppt wurden. Nun stellt er Gottes Tatkraft den Missständen gegenüber und Gottes Trost als Heilkraft für sein Volk. Denn das Desaster des Exils ist für ihn die Folge des Machtmissbrauchs der bisherigen Amts-Hirten, die Gott entmachten wird. Und als Therapie vertraut er auf Gottes Leidenschaft als Gutem Hirten. Wir lesen im 34. Kapitel des Propheten Hesekiel:

„Gott beauftragte mich, gegen die Hirten Israels zu weissagen mit diesen Worten: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? Ich, Gott, will … meine Herde von ihren Händen zurückfordern; ich will sie als Hirten stoppen. … Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. – Ich bin entschieden: Ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. … Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache … behüten. Ja, ihr sollt meine Herde sein … und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“ (Hesekiel 34, i.A.)

Gottes Tatkraft zeigt sich im Gebrauch seiner wehrhaften Möglichkeiten: „Ich, Gott, will … meine Herde von ihren Händen zurückfordern. Hirten sollten meine Schafe weiden, nicht fressen. Ich will sie als Hirten stoppen.“ Gott hat sich selbst ein robustes Mandat gegeben, und er beherrscht sein Handwerkszeug. Wie mit einem Knüppel ein Hirte angreifende Tiere abwehrt, so will Gott die ausbeuterischen Hirten stoppen. Er prangert die Verdrehung bei ihnen an, denn anstatt ihre Herden zu weiden, weiden sie die ertragreichen Herdentiere aus. Gott kritisiert: „Ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht.“ – Gott schwingt – bildlich gesprochen – gegen sie seinen metallbesetzten (1) Knüppel. Dabei werden die Missstände so plastisch und systemisch beschrieben, dass wir sie ohne Mühe auf unsere Jetztzeit und Mitverantwortung beziehen können. Es ist ja nicht der Zank unter den Herdentieren, es ist die Perversion im Jobverständnis der Hirten. Und dennoch ist es keine populistische Schelte, mit der die Herde gegen die Elite meckert. „Schafe können ihren Hirten zur Verzweiflung bringen.“ (2) Die Kritik kommt aber vom Oberhirten an die Vor-Ort-Hirten, die ihre Prokura zum Plündern nutzten und die Herde nicht zusammenhielten. Doch wer in Gott den einen Guten Hirten sieht, entdeckt bei sich und anderen die Defizite. Das ist eine wachrüttelnde Dienstleistung jeder Prophetie, damals wie heute.

Gottes Trostkraft zeigt sich andererseits im heilsamen Gebrauch des Krummstabs. Ein Hirte kann damit Tiere zu sich ziehen, zum Beispiel, wenn sie sich im Gestrüpp verheddert haben. Andere Szenen des Hirtenalltags bebildern Gottes Leidenschaft (3) so: „Ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache … behüten. Ja, ihr sollt meine Herde sein … und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“

Hier macht Gott die Wohlfahrt seiner Herde zur Chefsache. Seine Leidenschaft ist das Bergen und Heilen, leiblich und seelisch, psychisch und sozial. Er behütet Schwache und übt so Seelsorge; er geht ins Zentrum und fördert so das Wir-Gefühl; er verbindet Wunden und übt so Leibsorge. Mit anderen Berufsbildern sagt es Psalm 23: Gott deckt den Tisch und füllt den Becher – selbst in Reichweite der Feinde. Und gemarterte Schläfen salbt er mit Öl. Übertragen wir die Bilder auf heute, dann ist es derselbe Gott, der in den Straflagern den Hungerstreikenden beisteht und in den Umerziehungslagern den sogenannten Dissidenten. Da zeigt sich Gott als Hirte, als Priester, als Prophet, ebenso als Kellner wie als Intensivpfleger. Sein Können prägt unsere Fürbitten.

Jeder von uns kann es biographisch erzählen: Gott vertreibt Angreifer, wie ein Hirte Raubtiere wegknüppelt; Gott zieht Ausgemusterte zu sich, wie ein Hirte mit dem Krummstab Verirrte zurückholt, und Gott tröstet Verzagte, wie ein Hirte Wunden auswäscht und verbindet. Erweitert auf die ganze Herde sagt er dann: „Ich will meine Schafe erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.“ Diese Orte und Zeiten sind die zurückliegende finstere Sklaverei in Ägypten und die zu Ende gehende trübe Exilszeit in Babylonien.

Dazu habe ich die Erinnerung an eine Situation, in der es weniger um trübe Zeiten, eher um trübes Wetter ging. Wir fuhren über Land und machten Rast. Wir genossen das Panorama der Hügellandschaft mit vielen bewirtschafteten Feldern. Da sah ich in einiger Entfernung einen Jungen, dem auf der Schotterpiste eine kleine Ziegenherde folgte. Dazu hörte ich merkwürdige Klopfgeräusche. Der Hirtenjunge machte sie, indem er mit einem starken Stab auf die Steine klopfte. Bei jedem Schritt orientierte er so seine Herde. Einer unserer Gastgeber kommentierte meine Beobachtung: „Das habe ich als Junge auch gemacht. Das klappt sogar im Nebel.“ (4) Es war in Ruanda, südlich des Äquators, dort beginnt fast jeder Tag mit einem Morgennebel. Dann sind die Klopfgeräusche der Hirten das Navigationssystem für ihre Herde. Für mich ein pragmatisches Bild für Gott. Er ruft und klopft, er pocht und zürnt (5), um sein Volk aus Nebel und Gewalt zum Aufbruch zu bewegen. Mit der Erinnerung an den Exodus stabilisiert er sein verzagtes Volk, und er ermutigt es mit einer Zukunft, die als Ergebnis haben wird: „Ich werde meine Schafe erretten von allen Orten, an denen sie auch jetzt zerstreut sind, wo es trüb und finster ist.“

Im zu Ende gehenden Lockdown in Babylonien verspricht Gott: „Ich will ihnen den Einen erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der soll ihr Hirte sein.“ Zumal die Zeit des historischen David 400 Jahre zurücklag, ist mit dem „Knecht a la David“ ein ferner Nachkomme gemeint. Mit ihm wird er nach dem Auslöschen des alten Systems ein neues einrichten. (6) In der akuten Notlage hatte Gott sich seiner Herde selbst angenommen, um anschließend dies als ständige Aufgabe an einen zukünftigen Seelenhirten und Friedensstifter zu übertragen. – Blicken wir als Christen zurück, finden wir die Einlösung der Prophetie in Jesus von Nazareth, dem Davidssohn, der von sich sagt: „Ich bin der gute Hirte, der sein Leben lässt für die Schafe.“ Mit dem Zusatz seiner Selbstopferung deutet Jesus seinen Passionsweg, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung an. Auf diesem Weg wird er über das Normalmaß hinauswachsen, dann wir er als Gottessohn und Menschenkind leidensfähig und souverän zugleich sein, Richter und Retter, Hirte und Opferlamm in eins.

Und auch Jesus reicht seine Beauftragung und sein Hirtenbild weiter, das bildlich geprägt war von Psalm 23 und kritisch angewandt worden war durch die Propheten. Der Jünger Petrus erfährt von ihm seine und unsere Aufgabenbeschreibung: „Werdet meine Hirten, fördert die Herde, weidet meine Lämmer!“ Darin bewähren wir uns; dafür lässt Gott seinen Scharfsinn und sein Handwerkskönnen zu unseren Begabungen werden. Wir merken, dass wir seine Tatkraft und seine Heilkraft ausstrahlen können. Dabei bleiben wir als Hirten-vor-Ort eingebunden in seine Strategie der Versorgung seiner Herde, der Wohlfahrt seiner Menschheit. Und als kollegiale Mitschafe trauen wir uns zu, nach außen und untereinander „Gutes und Barmherzigkeit“ weiterzugeben. Amen.

Nachtrag: Henriette von Hayn lässt in ihrem Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ in ihrer 4. Strophe einen Hirten sagen: „Er hat mich hinaus ins Feld zu der Lämmer Hut bestellt und ich darf in seinen Nähen nur so sachte beiher gehen und auf dieser niedern Flur folgen meines Hirten Spur.“ (s. Wikipedia)

1: HJ. Kraus BKAT: „eine mit Eisen beschlagene Keule“; „Schutzwaffe und Leitstab“

2: R. Bohren, zitiert in Unterlagen der Uni Heidelberg; ähnlich M. Oeming in NSK-AT: „Freilich ist das Bild vom Schaf auch nicht eben ein Kompliment an den Menschen.“

3: M. Vahrenhorst in den chr./jüd. Predigtmeditationen: „mit einer Schwurformel“

  1. M. Buber: „Wolke und Wetterdunkel“

5: M. Vahrenhorst: „um Worte ringend“

6: M. Vahrenhorst: „einen Neuanfang ohne die alten Kader“

Mielke, Manfred, Pfarrer i.R., Alpen am Niederrhein

Manfred.Mielke@ekir.de

alternative Lieder:
Die ganze Welt hast Du uns überlassen (EG 360)

Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben (M. Siebald)

Ich möchte leben, nicht bloß irgendwie (Chr. Haus u.a.)

Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben (Cl. Bittlinger)

Ich träume eine Kirche (D. Storck)

Das könnte den Herren der Welt ja so passen (K. Marti)

Hoffen wider alle Hoffnung (HM. Longquich)

Lass uns deine Nähe spür‘n (T. Böcking)

Fürbitte als Sprechmottete mit verteilten Rollen:

(gefunden in einer Kölner Kirche, evtl. Vinzentinerinnen, überarbeitet für Konfirmand/innen)

Guter Gott,

Du hast Dich uns vorgestellt und uns zugesagt: Ich bin der, der für euch da ist. Jesus hat aus deiner Fülle gelebt und sie in Bildern weitergegeben. Er hat uns gesandt, in seinem Sinn zu wirken. Aber wir spüren Widerstände und Mutlosigkeit in uns und anderen. Deswegen rufen wir zu Dir, Jesus Christus, der Du die Fülle Gottes kennst und unsere Bedürftigkeit.

Vorbeter/in: Jesus, so viele leiden Not – Jugendliche/r: Du bist das Brot des Lebens

Vorbeter/in: Christus, auch unsre Seele hungert – Jugendliche/r: Du bist das Brot des Lebens

Vorbeter/in: Herr, wir bekennen – Du bist das Brot des Lebens

Jesus, wir sind oft ohne Orientierung – Du bist das Licht der Welt

Christus, auch in uns ist es mitunter dunkel – Du bist das Licht der Welt

Herr, wir bekennen – Du bist das Licht der Welt

Jesus, wir finden nur schwer den Zugang zum Anderen – Du bist die Tür

Christus, wir suchen den Durchgang zum Leben – Du bist die Tür

Herr, wir bekennen – Du bist die Tür

Jesus, wir erwarten, dass du vorangehst – Du bist der gute Hirte

Christus, wir sehnen uns nach Geborgenheit – Du bist der gute Hirte

Herr, wir bekennen – Du bist der gute Hirte

Jesus, wir wollen wachsen, sinnvoll und gemeinsam – Du bist der wahre Weinstock

Christus, wir brauchen die Verwurzelung in dir – Du bist der wahre Weinstock

Herr, wir bekennen – Du bist der wahre Weinstock

Jesus, wir trauern um verstorbene Vorbilder – Du bist die Auferstehung und das Leben

Christus, das eigene Sterben ist uns sehr fremd – Du bist die Auferstehung und das Leben

Herr, wir bekennen – Du bist die Auferstehung und das Leben

Jesus, wir suchen die Erfüllung – Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben

Christus, wir verlangen nach Echtheit – Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben

Herr, wir bekennen – Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben

Folgt: Überleitung zum Vater Unser-Gebet

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

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