Heuwägelchen! Nur die Ruhe!

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Heuwägelchen! Nur die Ruhe!

Predigt zu Römer 5,1-5, verfasst von Udo Schmitt |

Ein Arzt sagte neulich zu mir: So geht es nicht weiter. Da muss man etwas tun. Der Stress unter dem viele Leute heute stehen, macht die Leute krank. Die Angst um den Arbeitsplatz, – die Angst zurückzufallen, abzusteigen – setzt Menschen unter Druck, macht ihnen Stress, bedrängt sie, beengt sie. Und das ist auf Dauer nicht gut für den Körper, die Haut, den Magen, das Herz. Und nicht gut für die Seele. Manche reagieren, indem sie zu viel essen oder zu viel trinken – nachts schlecht schlafen oder einfach krank werden, weil ihnen ihr Körper sagt: „Wenn du nicht die Bremse ziehst, tu ich es. Schluss jetzt! So geht es nicht weiter.“ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Ja wir leben in einer Zeit, in der alles schnell gehen muss. Schneller ist besser. Gilt dann auch: Noch schneller ist noch besser? Stimmt nicht! Ehrlich. Stimmt nicht. Aber sagen sie das mal jemandem. Manchmal kommt mir der Mensch in unserer Zeit vor wie ein pickliger Fahrschüler, der zum ersten Mal auf der Autobahn fährt. Den ersten überholt er mit 100, den zweiten mit 120, den dritten mit 130, den vierten mit 140 usw., bis die Kiste klappert und das Lenkrad wackelt. Und der arme kleine Schüler schwitzt und ächzt: „Ich fahr aber nicht gern schnell!“ Aber was soll ich machen? Die anderen drängen mich dazu.

Das heute vieles einfacher und schneller geht als früher – keine Frage – das ist natürlich ein Vorteil. Wo früher viele Hände helfen mussten, um ein Feld abzuernten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, – das fährt der Bauer heute an einem Vormittag ein. Fortschritt durch Technik. Aber das meine ich nicht. Was ich meine ist die Ungeduld. Dieses schnell, schnell. Es gibt Leute, die stehen extra früh auf, rappeln erst beim Bäcker an der Tür, um Viertel vor sechs dann das Gleiche beim REWE und um halb sieben beim Frisör, wieder rappeln sie an der verschlossenen Tür: „Was denn? noch zu? Ich hab es aber eilig heute und muss schnell, schnell.“ Wohin eigentlich? Die sitzen doch um acht zu Hause und haben für den Rest des Tages nichts mehr zu tun.

Das ist unsere Zeit: Alles geht schneller und wir haben mehr Zeit als unsere Vorfahren. Doch paradoxerweise ist das unser Zeitgefühl: Wir haben (gefühlt) keine Zeit. Alles ist drängend – alles ist dringend. Ich habe es immer dringend – und doch nie Ruh. Immerfort hetze ich – immerfort drängele ich – immer in Eile, immer erreichbar – und hab ich kein Netz, dann quengele ich – fürchte mich, fürchte das Jetztgerade und, dass gerade jetzt etwas Wichtiges zu verpassen ist. Mein Dasein ist ein nicht ganz da sein, sondern immer weiter, weiter, weiter… doch wohin will ich eigentlich?

Bedrängnis bringt Geduld. Schreibt Paulus. Im Gottesdienstteam haben wir gestutzt. Wieso? Und: Wie das denn? Nun vielleicht so: Ich muss mich nicht anstecken lassen von der Hektik und dem Stress. Ich kann auch anders – auf Bedrängnis reagieren. Gelassener, geduldiger: Jetzt erst mal ganz langsam. „Heuwägelchen!“, wie meine Oma immer sagte. Ganz langsam. Hast und Eile ist keine christliche Tugend – Geduld schon. Ich sehe es manchmal auch bei meinem Sohn. Wenn da was nicht sofort klappt, schmeißt er gleich die Flinte ins Korn. Und ich erinnere mich: Du warst einmal ganz ähnlich. Genauso ungeduldig. Hast schnell aufgegeben. Heute, weißt du: Geduld zahlt sich aus. Manchmal muss man etwas zwei oder dreimal versuchen, bevor es klappt. Und wenn ich dann mit 30 Km/h durchs Dorf tuckere, weil da eben ein 30er Schild ist, und mir von hinten wieder ein … (ein Verkehrspartner aus dem Nachbarkreis) den Kofferraum ausleuchtet, denke ich: Lass dich nicht bedrängen. „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“, sang einst Biermann. Du lass dich nicht bedrängen, in dieser bedrängten Zeit, denke ich mir. Denn es ist meine Zeit. Mein Leben.

Bedrängnis bringt Geduld. Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Wer Bedrängnis erfahren und überstanden hat, hat mehr Verständnis. Manch einer, der selbst Leid erfahren hat, wird dadurch empfindlich für das Leiden anderer. Der wird über den Kranken nicht denken: Der stellt sich ja nur an. Der wird über die Arbeitslosen nicht sagen, sie seien ja nur faul und bekämen viel zu viel. Der wird über die Flüchtlingsfamilie nicht böswillig behaupten, sie wollten ja nur unser Geld.

Manch einer, der lockere Reden schwingt, hat selber nie hart arbeiten müssen, und weiß auch nicht wie es ist zu leiden – unter Verfolgung und Gewalt. Oder hat vergessen, dass die eigenen Großeltern und Eltern damals zu Fuß übers Eis gelaufen sind, auf der Flucht vor den Russen. Auch sie wurden damals verachtet und beschimpft als Kartoffelkäfer und Rucksackdeutsche, die hier im Westen keiner brauche und wolle. Seltsam – wie schnell wir das Leid vergessen, wenn es nur schon eine Weile her ist und uns nicht mehr betrifft.

Wer Bedrängnis und Bewährung erfahren hat – und sich auch daran erinnern lässt, so wie wir von Paulus hier –, erkennt, welche Chance darin liegt: Bedrängnis bringt Geduld, Bewährung gibt Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Geduld und Hoffnung und Liebe. Daran sollen wir uns erinnern. Darin sollen wir uns üben. Gerade jetzt in der Passionszeit. Die Zeit des Leidens. Wir halten die Erinnerung daran wach, um nicht verhärtet zu werden angesichts der vielen schrecklichen Bilder. Um empfindsam zu bleiben für das Leiden, das eigene und das der anderen. Passion – Leiden und Leidenschaft. Die Erinnerung daran, dass auch unser Herr Jesus Christus erfahren hat, was es heißt zu leiden. Was Bedrängnis ist. Von der Versuchung in der Wüste bis zur Verzweiflung in Gethsemane und der Verspottung und Verurteilung.

Unser Gott kennt das, versteht das. Weiß, wie schwer es manchmal ist, ein Mensch zu sein, und wie sehr wir manchmal leiden. An uns, an den anderen Menschen und an der Welt. Weil sie so ist, wie sie ist. Wir wissen, dass er es weiß. Und darum gilt: Wir sind bedrängt, doch er gibt uns Geduld. Wir haben uns bewährt, denn er ist unsere Hoffnung. Die Welt drängt weiter – auf den Abgrund zu, denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Welt drängt auch uns. Aber wir sind im Frieden und in guter Ruh. Egal, was sie sagen, egal, was sie tun. Denn der Geist und die Liebe Gottes sind ausgegossen in unsere Herzen. Darum verzagen wir nicht und bewahren guten Mut. Komme was da kommen mag. Wir sind nicht allein.

Gott sei Dank!

 

Liedvorschläge:

Zum Eingang: „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“ (EG 91),

Lied zum Evangelium: „Licht, das in die Welt gekommen“ (EG 552),

Lied nach der Predigt: „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (HuE 209),
oder: „Ich möchte, dass einer mit mir geht“ (EG 209),

Zum Schluss: „Unfriede herrscht auf Erden“ (EG RWL 671).

 

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

 

 

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