Hiob 2,1-13

Hiob 2,1-13

„Haut zu Asche“ – eine neue Rede von und zu Gott finden | Invokavit | 26.02.2023 | Hiob 2,1-13 | Martina Janßen |

I.

Wir sind mitten drin im Geschehen, mitten in der zweiten Runde einer himmlischen Wette, einem teuflischen Spiel. Gott und Satan sind die Spieler, ihr Spielball ist Hiob, der fromme Gerechte, der nun geprüft und gepeinigt wird. Immer wieder wird Hiob über das Spielfeld gestoßen ohne selbst Anstoß zu nehmen an all dem Bösen, das ihm in diesem Spiel zustößt, Schlag um Schlag, Schmerz um Schmerz, Stoß um Stoß. Hiob nimmt, was kommt, sei es gut, sei es schlecht. „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“(2,10). Welche Resilienz liegt in diesen Worten, welcher Gleichmut, ja welche Gleichgültigkeit. Anders Hiobs Frau: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluch Gott und stirb“ (2,9).

Die erste Runde liegt bereits hinter Hiob, dem gequälten Gerechten, dem einst so glücklich Gesegneten. Ein Blick zurück, an den Anfang des Spiels, den Beginn einer himmlischen Wette mit teuflischen Regeln. Satan will es wissen: „Gott, bleibt der Fromme dir auch dann treu, wenn es ihm schlecht ergeht, wenn Unglück über ihn kommt und nichts mehr gelingt? Oder wird er dir [dann] ins Angesicht fluchen“ (1,11?). Gott lässt sich auf dieses Spiel ein, setzt alles auf eine Karte, setzt auf Hiob. „Versuch es doch Satan, versuch ihn doch. Hiob bleibt mir treu, komme was wolle.“  Nun hat der Versucher freie Hand, Hiob zu versuchen, Hiob heimzusuchen. Und er tut es. Das Spiel kommt in Gang. Rinder, Esel, Schafe, Kamele, Knechte, Kinder: alles wird Hiob genommen, ein Verlust größer als der andere, alles verbrannt, erschlagen, unter Trümmern verschüttet und verloren. Eine Hiobsbotschaft nach der nächsten prasselt auf Hiob ein, geht durch Mark und Bein mitten ins Herz hinein. Hiob hält das aus, hält Gott aus, hält fest an Gott. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt“ (1,21). Hiob nimmt alles an, nimmt alles hin. Satan nicht. Er ist kein guter Verlierer. Der Versucher versucht es neu. Da geht noch mehr. Neues Spiel, neues Glück. „Gott, bleibt der Fromme dir auch dann treu, wenn er das Unheil am eigenen Leib spürt, wenn nichts mehr an und in ihm heil ist, wenn ich ihn zeichne mit Schrunden und Wunden, wenn er sich wälzt in Schmerz und Staub, ausgesetzt in Schmach und Schande? Oder wird er dir [dann] ins Angesicht fluchen“ (1,11)? Gott spielt mit, geht mit, geht auf das Spiel ein: „Siehe da, er sei in deiner Hand“(2,6). Die Wette gilt. „Versuch es doch, Satan, versuch ihn doch, meinen treuen Knecht, meinen Hiob, den frommen.“ Gott setzt auf Hiob.

Wir sind mitten in der zweiten Runde. Die Schrauben werden enger gezogen, der Einsatz wird höher, die Opfer größer. Jetzt geht es ans Einmachte, an Herz und Nieren, an Wert und Würde des eigenen Lebens. Satan spielt gut, spielt mit Hiob und er spielt Hiob übel mit. Voller Geschwüre ist Hiob nun, Hiob, der mit dem einst heilen Leben, spürt all das Unheil nicht nur in der Seele, sondern am eigenen Leib, vom Scheitel bis zur Sohle, ist ihm ausgeliefert mit Haut und Haaren. Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche (2,8).  Hiob, der einst so glücklich Gesegnete – ein Aussätziger ist er nun, kauert irgendwo im Abseits zwischen Abfall und Asche: Die Haut in Fetzen, das Leben in Scherben, abgebrannt und ausgebrannt, Asche zu Asche, Schmerz zu Schmerz, Haut zu Staub. Und seine Freunde? Sie redeten nichts mit ihm, denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war (2,13). Was soll man auch sagen – zu einem solchen Spiel, zu einem solchen Gott, zu einem solchen Schmerz? Was soll man schon sagen zu einem solchen Menschen, der das alles aushält und doch an Gott festhält?

Ein Blick nach vorn. In Kapitel drei endlich die Befreiung. „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Und Hiob sprach: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! […] Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß?“ (3,2-11). Endlich kommt Bewegung ins Spiel; endlich nimmt der Gestoßene Anstoß; endlich reagiert der, dem so viel Unmenschliches widerfährt, wie ein Mensch: Hiob schreit auf, schreit seinen Schmerz aus sich heraus, hinauf in den Himmel, hinab in die Hölle; der Fromme lässt los, ein bisschen, für eine kurze Zeit; der in der Asche erhebt sich: die Hand eine Faust, der Mund ein Schrei – „Oh, hätte ich einen, der mich anhört“ (3,35)! Endlich: Der gequälte Gerechte fordert sein Recht. Nun kann es beginnen, das ehrliche Klagen und Anklagen, Glauben und Zweifeln, Rede und Gegenrede, Schreien und Schweigen, Gott Niederringen und Gott Wiedergewinnen, 40 Kapitel lang. Hiob flucht und stirbt nicht. Am Ende: Leben im Frieden. Lang und erfüllt.

II.

In der jüdischen Religion ist Hiob wichtig, wichtiger als im Christentum. Vielleicht liegt es an der ganz besonderen Geschichte, der ganz besonders leidvollen. Immer wieder erleidet Gottes auserwählte Volk Hiobs Schicksal, vertrieben, verfolgt, verstoßen, immer wieder in der Geschichte wird es zum Spielball teuflischer Mächte. Wie oft  hat es sich fragen lassen müssen: „Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluch Gott und stirb“ (2,9). Vielleicht hat es sich das selbst gefragt, vielleicht frage ich mich das auch manchmal: Halte ich fest an meiner Frömmigkeit, wenn nichts mehr heil ist und Segen sich in Fluch verwandelt, wenn blühende Landschaften zu Aschenwüsten werden und ich weiß nicht, wie und warum? Fliehe ich dann zu Gott oder fliehe ich weg von ihm? Was hält mich am Leben, was hält mich an Gott, was lässt mich all das aushalten, was da kommt, sei es gut, sei es böse? Von Hiob kann ich eines lernen: Der Mensch darf mit Gott ringen, mit ihm rechten, über ihn richten. Gott hält das aus. Alles, was mich bewegt, hat seinen Platz. Frömmigkeit muss nicht toxisch positiv sein, ich muss nicht alles ertragen, muss mir nicht jeden Fluch, jedes „Warum“ und jedes „Nein“ versagen, im Gegenteil: Ich darf alles sagen, fragen und klagen. Ich zitiere Elie Wiesel, der als Jugendlicher nach Auschwitz deportiert wurde und überlebt hat: „Ich weiß, daß es für Christen schwierig ist, zu akzeptieren, daß wir Menschen Gott anklagen können. Juden können es, Juden haben es stets getan: Abraham hat es getan, Moses und Hiob haben es getan, der Talmud ist voll von Rabbinen, die gegen Gott protestiert haben. […]. Wir dürfen Nein sagen zu Gott. Vorausgesetzt, es geschieht für andere Menschen, um des Menschen willen. Wir dürfen Nein sagen zu Gott. Das ist für mich eine große Neuerung, kühn, revolutionär, in der jüdischen Tradition.“

Auch Hiob musste erst lernen, Gott loszulassen und abzulassen von all der gleichmütigen, gelassenen Gottergebenheit –  „der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen (1,21)“; auch Hiob musste sich auf eine neue Rede von und zu Gott einzulassen.  „Warum bin ich nicht gestorben im Mutterschoß?“ (3,11). Wer so fragt, der will nicht mehr, der kann nicht mehr. Eine solche Frage ist mehr als eine Frage, ist eine Anklage, ist eine Absage an all das, was geschieht. Hiob macht nicht mehr mit, schmeißt hin, schmeißt sein Leben Gott vor die Füße. Der Ball rollt vom Spielfeld. „If you are the dealer, I’m out of the game. If you are the healer, it means I’m broken and lame. If thine is the glory then mine must be the shame. You want it darker. We kill the flame.“  (Leonard Cohen, You want it darker) – um es mit den Worten des kanadischen Songwriters Leonard Cohen zu sagen.  Auch so ein Hiob, der angesichts von Leid und Scheitern mit Gott ins Gericht geht und der es versteht, die Brüche im Leben und Lieben nicht zu verschweigen oder zu übertönen und gerade auch dem Unstimmigen eine Stimme zu geben. Mir tut das gut. Vielleicht ist es manchmal besser zu fragen und zu hinterfragen als im Verstand das einsehen zu wollen, was das Herz im Schmerz niemals versteht? Vielleicht ist es manchmal besser, Widerspruch einzulegen und Einspruch zu erheben als alles anzunehmen, alles in Kauf zu nehmen, alles hinzunehmen?  Auch was die Beziehung zu Gott angeht. Vielleicht bleibt manchmal nur ein „Warum“, nur ein „Nein“ zu dem, was geschieht, zu dem, was Gott geschehen lässt, zu dem, was er zulässt?  Das kann ein Weg sein, um die Spannungen im Gottesbild auszuhalten: das Chaos in der Ordnung, das Unrecht im Recht, die Ohnmacht in der Macht, die Schatten im Licht, das Quälen der Gerechten. Hiob flucht und stirbt nicht. Er geht auf Distanz – zu Gott, zu sich selbst; er geht auf Distanz, um neu anzufangen, um neu anzukommen. Am Ende: Leben im Frieden. Nach dem Bruch ist es wieder heil, nach der Auszeit beginnt eine neue Zeit, im Fluch liegt ein Keim zu neuem Leben, zu neuem Segen. Besser stammeln und streiten, schreien und schweigen und dann ein Gespräch wiederaufnehmen als inmitten leerer Worte einander und sich selbst verlieren. Das kann ich von Hiob lernen: es eine neue Rede von und zu Gott, die angesichts der Brüche im Leben und in der Geschichte etwas von Gott einfordert, in der ich mich nicht verstellen muss, in der ich meinen Schmerz vor Gottes Angesicht stellen kann.  Das ist vielleicht nicht immer genug.  „Oh, hätte ich einen, der mich anhört!“ (3,35).  Aber manchmal ist das alles – ein „Warum“, ein „Nein“, ein Schrei. Und es reicht. Denn im Echo meines Schreis schwingt Gottes Verheißung: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören“ (Ps 91).

Amen

PD Dr. Martina Janßen mjansse@gwdg.de

Nachweise der Zitate

https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/elie-wiesel/paedagogische-impulse/m6-ein-prozess-gegen-gott-ein-gebet-zu-gott

Leonard Cohen, You want it darker [2016]

de_DEDeutsch