Ist die Kirche unsichtbar?

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Ist die Kirche unsichtbar?

13. Sonntag nach Trinitatis | Matthäus 20,20-28 (dänische Perikopenordnung) | von Anders Kjærsig |

Vor etwa 25 Jahren begann man davon zu reden, die Kirche solle mehr sichtbar sein. Das hatte seinen Ursprung in einer Mischung von Multireligiosität und Reklamephilosophie. U.a. wurde ein Essay-Wettbewerb ausgeschrieben mit dem Titel: „Kirche, kenne deinen Körper“.

Dieser Wettbewerb wurde gewonnen von dem nun verstorbenen Radiojournalisten und Theologen Helmuth Friis, der ein beredter und engagierter Autor war. Der Wettbewerb selbst war in vieler Hinsicht Ausdruck für die Vorstellung von der Sichtbarkeit. Den wer kann einen Geist sehen? Geist verlangt einen Körper, wenn er sichtbar werden will.

Die Söhne des Zebedäus wollen auch gerne sichtbar sein. Sie wollen eine sichtbare Position haben. Wer will das nicht gerne? Wenn man unsichtbar ist, kann niemand einen sehen, und man gerät in Vergessenheit.

Das galt auch für die Kirche. Nun sollte die Kirche nicht nur eine geistige Gemeinschaft sein, sie sollte sich vielmehr manifestieren und materialisieren und schließlich ihren eigenen Wert legitimieren. Sie sollte sichtbar sein. Nicht als physische Kirche, Steine und Gebäude, sondern indem sie an allen möglichen anderen Orten als der Kirche präsent ist. Das war neu.

Der verstorbene Bischof von Roskilde Jan Lindhardt ging sogleich vorbehaltlos auf die Idee ein. Er wollte Christentum und Kirche durch das Essen sichtbar machen. Sein Slogan war, dass die Dänen mit dem Magen denken. Woher er das wusste, war niemandem klar. Deshalb alliierte er sich mit der Fischindustrie und produzierte eine Reklame mit den legendarischen Gunner und Minna, die darauf abzielte, dass die Dänen zu Pfingsten Fisch essen sollten. Es sollte gerne Rotzunge sein. Man nannte Lindhardt den „Fischof“ und hielt sich die Nase zu, wenn er in den Raum kam. Aber warum das alles mit dem Essen?

Wir wissen, Weinachten ist, wenn wir eine Gans essen, und wir wissen von Ostern, weil wir Lamm essen, sagte Lindhardt. Aber Pfingsten ist unbekannt. Daran musste man etwas ändern. Das sollte dadurch sichtbar werden, dass die Dänen Fisch essen. Raus aus der Kirche und hin zum Fischgeschäft. Die Kirche wurde ein Konzern. Das Projekt scheiterte. Die Leute bekamen den Fisch falsch in den Hals.

Ich habe das mit Jan Lindhardt diskutiert und war sehr gegen diese Form von Vermarktung der Kirche. Aber er war damals ganz besessen von der Reklamebranche. Die Kirche sollte sich den Gesetzen des Marktes anpassen, und es ging nun darum, dass die Verkündigung eine Ware ist, die man den dänischen Gemeinden verkaufen soll, die ansonsten nichts von dem verstanden, was in der Kirche gesagt wurde.

Die Gemeinden wurden zu Kunden, die Verkündigung zu einer Discountware wie z.B. ein langweiliger Käse bei Netto – und der Pastor ein Regionalchef bei Netto – abgesehen vom Gehalt.

Die Kirche wurde so zu einem Konzern, und ein Konzern hat ein Werbekonzept und eine Mission. Jan Lindhardt sagte in diesem Zusammenhang, dass die Stufen zur Kirche nicht zu hoch sein dürfen, denn dann könnten die Menschen nicht hineinkommen. Und das bedeutete, dass man nichts sagen darf, schon gar nicht über das Christentum und noch weniger etwas von der Art, was wir Verkündigung nennen. Verkündiung sollte die Form von Headlines haben. Noch ein Werbefeldzug.

Man konnte in diesem Zusammenhang fragen: Kann die Stufe in eine Volkskirche nicht so niedrig werden, dass das Taufwasser ausläuft? Was ist die Kirche dann?

Aber Sichtbarkeit? Wo bleibt sie ab? Sollen wir stets die Kirche sichtbar machen? Das ist nun mehr als zwanzig Jahre her. Nicht in derselben Weise, möchte ich meinen. Und dennoch. Sichtbarkeit hat sich in Aktivismus verwandelt, wo die Kirche unablässig Engagements anbietet für dieses und jenes. Das Essen spielt noch immer eine Rolle. Es gibt noch immer gastronomische Gottesdienste: Wein und Bier sind dazugekommen. Lutherbier ist allgegenwärtig. Pastoren essen bei den Zusammenkünften Oliven, italienische Wurst und trinken frischgepressten Fruchtsaft. Den Becher, aus dem Jesus trank, hat man verkauft, stattdessen hat man modische Lampen am Gemeindezentrum angeschafft. Vor zwanzig Jahren gab es Brötchen mit Käse und einen Kräuterschnaps, dazu schwere deutsche Texte von Karl Barth. Oder auch man diskutierte Kierkegaard. Das ist heute ganz out.

In dieser Hinsicht ähnelt die Volkskirche dem Wetterbericht – der muss auch in Gastronomie verpackt werden. Warum? Schwer zu sagen. Mein Vorschlag ist, dass die Bischöfe nicht wagen, sich zu der christlichen Theologie zu bekennen, ohne das mit irgendeinem Projekt zu rechtfertigen. Sichtbarkeit ist so zu einem übertriebenen Aktivismus geworden.

Aktivitäten sich an sich nicht verkehrt, das ist ein Teil der Kirchengeschichte, da gab es Vorträge und Musik. Aber wenn Aktivitäten zu Aktivismus werden, hat man die Ausnahme zum Besonderen erhoben, und plötzlich begründet man das In der Welt Sein der Kirche mit allen möglichen und unmöglichen, ja grotesken Aktivitäten.

Dänisches Christentum ist nur sichtbar durch die Kirchengebäude, die da auf dem Hügel stehen in der Ferne und zweimal am Tag von sich hören lassen, wenn die Glucken läuten. Die Kirche ist die ferne und die nahe Kirche. Und der dänische Glaube ist sehr zurückhaltend, diskret und braucht sich nicht aufzuspielen.

Dieser Gedanke stammt nicht von Grundtvig, sondern von Søren Kierkegaard. Kierkegaard siedelt den Glauben im Herzen an, und das ist kennzeichnend für dänisches Christentum. Der Glaube ist Innerlichkeit und nicht nach außen gerichtet. Verborgen und unsichtbar. Das soll er auch bleiben, wenn wir die dänische christliche Tradition und den dänischen christlichen Glauben ernst nehmen. Davon wäre noch viel mehr zu sagen. Amen.

 

Pastor Anders Kjærsig

5881 Skårup Fyn

Emal: ankj(at)km.dk

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