Jahreslosung Johannes 6,37

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Jahreslosung Johannes 6,37

Die Einladung Jesu Christi bleibt bestehen | Predigt zur Jahreslosung Joh 6,37 | am 2.1.2022 (Auferstehungskirche Bonn) | von Klaus Wollenweber |

Lasst uns auf die Jahreslosung für dieses neue Kalenderjahr hören, Joh. 6 Vers 37:

Bild von Stefanie Bahlinger, geb. 1963, www.stefaniebahlinger.de  –  Verlag am Birnbach

„Jesus Christus spricht:

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Liebe Gemeinde,

mir stehen zunächst die häufigen Warnungen vor möglichen Einbrechern in die Wohnung und vor falsch gekleideten Personen vor Augen, die mein Geld und meinen Schmuck – manchmal telefonisch angekündigt – in wahre Sicherheit bringen oder zur Auslösung eines in Not befindlichen nahen Verwandten verwenden wollen. Wir sollen Türen und Fenster doppelt sichern und keine fremden Menschen in unsere Wohnung lassen. Sicherheit geht über alles. Am besten igelt man sich ein und lässt – wie in der Corona-Pandemiezeit – keinen anderen Menschen zu sich kommen, bzw. an sich herankommen.

Wie ein krasses Gegenbild dazu wirkt auf mich die Jahres-losung 2022. Da sagt einer, dass ich kommen soll und herzlich eingeladen bin. Gastfreundschaft ist angesagt. Ich werde nicht abgewiesen. Ich bin willkommen. Jesus Christus hält die Tür offen und lädt zum Beisammensein ein. Meine Entscheidung und Verantwortung ist es aller-dings, dass ich auch komme und hingehe.

Möglicherweise denken Sie jetzt – auch aufgrund der Grafik (s.u.) – an die Einladungsworte zum Abendmahl: „Kommt! Denn es ist alles bereitet. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ Jede und jeder kann durch die Tür gehen und ist zum Tisch des Herrn eingeladen. Wirklich jeder Mensch ohne Vorbedingung! Denn allein Jesus Christ-us ist der Gastgeber und sagt: „Kommt!“ Wir Menschen – aus welchem Land auch immer – sind ohne Ausnahme die Gäste, die bei Gott eingeladen sind und nicht abgewiesen werden. Das ist eine einzigartige Einladung!

So wird dieses biblische Wort aus dem Evangelium nach Johannes, aus der sog. Brotrede Jesu, zu einer sehr nach-denkenswerten Losung für ein ganzes Jahr. Erfreulich, beruhigend, sympathisch. Jesus erklärt seinen Jüngern in dieser Rede, dass er keinen Menschen „hinausstoßen“ wird, wie Martin Luther kraftvoll übersetzt hat. Denn,

so begründet Jesus seine Einladung: sein Vater hat ihm alle Menschen in die Hand gegeben. Und alles, was der Vater in seiner unendlichen Liebe gibt, kommt zu Jesus. Insofern kann Jesus keinen Menschen abweisen oder hinausstoßen; Vater und Sohn gehören zusammen, sind zwei Seiten und Aspekte des einen Gottes.

Übertragen auf uns, bedeutet diese frohe Botschaft: Gott hat uns Menschen seine Nähe mit seiner bedingungslosen, umfassenden Liebe zugesagt, die über den Tod hinaus reicht. Er selbst ist Mensch geworden – wie wir. Er hat uns die Türe zu sich geöffnet. Sein Kreuz ist der goldene Schlüssel zur Öffnung. Wenn wir dann zu seinem Sohn Jesus Christus kommen, nimmt dieser uns freudig auf und erlebt an unserer Seite unseren Alltag in allen Facetten von Hoffnung, Glück und Leid.

In Gemeinschaft mit Christus verlieren wir unsere Angst vor der weit verbreiteten, aber unchristlichen Botschaft: Gott würde uns aufgrund unserer Abwege und Irrwege in unserer Lebensgeschichte, aufgrund unserer oftmals nicht christ-lichen Lebens- und Denkweise, abweisen. Das biblische Losungswort 2022 ist so unendlich befreiend! In seiner Zusage schenkt Jesus uns die Freiheit von dem Kreisen um uns selbst und befreit uns von der Angst vor einer göttlichen Abweisung nach dem Tod, vor dem ewigen Leben in der Ferne von Gott, gleichsam eine Befreiung von der ewigen Strafe in der sog. Hölle. So werden wir befähigt, hier im Leben das Rechte zu sagen und das Richtige zu tun – und zwar ohne Angst vor einem Risiko und ohne Sorge um uns selbst; denn für uns ist mit Jesus Christus Gottes Nähe zugesagt. Wir können jetzt ein Jahr lang nachdenken, wie wir mit der Freude an dieser befreienden Zusage Christi für uns alle umgehen. Das ist die eine Seite der Jahreslosung.

Die andere Seite ist: Wenn wir in der Nachfolge Jesu Christi auf unser eigenes christliches Handeln blicken und über unsere Einladung „wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ nachdenken, dann wird allerdings schnell aus der so freudigen und verheißungsvollen Zusage der befrei-enden Nähe Christi eine schwierige, aktuelle Herausforder-ung an uns.

Abgesehen von den Kontakteinschränkungen in dieser Covit-19 Krisenzeit ist es zwar nicht so schwierig, wenn Freundinnen und Freunde, wenn sympathische und geimpfte Menschen zu uns kommen; sicher werden wir sie dann nicht hinausstoßen, nicht abweisen.

Aber wie steht es mit lästigen und unsympathischen Men-schen, mit den Querdenkern? Wie reagieren wir, wenn die vor unserer Tür stehenden Menschen schlecht gekleidet sind und einen unangenehmen Geruch verbreiten? Wir können doch nicht unbeteiligt wegsehen, wenn Flüchtlinge mit einer anderen Hautfarbe und Sprache zu uns kommen! Geben wir sie nicht am liebsten weiter – persönlich weiter in die dafür vorgesehene Flüchtlingsunterkunft; politisch weiter in ein anderes Land oder gar zurück in ihre eigene Heimat?

Liebe Gemeinde, wenn wir zu Beginn des neuen Kalender-jahres immer noch die menschlichen Konflikte an der Grenze zwischen Polen und Belarus vor Augen haben, die Flüchtlingslager in der Türkei, auf griechischen Inseln, in Italien und Spanien, so werden gewiss im Laufe dieses Jahres noch andere Regionen der Erde im Mittelpunkt des Medieninteresses im Blick auf Flüchtlinge stehen: Über 80 Millionen Flüchtlinge bewegen sich in den Ländern unserer fünf Kontinente, die alle ankommen und nicht abgewiesen werden wollen! Menschen wollen u.a. ins christlich geprägte und wirtschaftlich gut gestellte Europa und nach Deutsch-land kommen – und werden abgewiesen. Ich muss die Bilder vom Mittelmehr und von den Notlagern jetzt nicht nachzeichnen; die Problematik ist sehr vielschichtig, kompliziert und uns hinreichend bekannt. Tatsache ist: Menschen werden abgewiesen; Türen bleiben verschlos-sen. In der gesellschaftlichen und globalen Wirklichkeit heißt das: Grenze dicht! Kein Durchkommen! Abweisung! Keine Hoffnung! – und das bedeutet: Elend, Hunger, Tod!

Diese Realität in unserer Welt ist das Gegenbild zur christ-lichen Jahreslosung, zu der Einladung Jesu Christi zum Kommen. Ja, das sog. christliche Abendland mit uns hier jetzt Lebenden ist nicht nur politisch, sondern auch im Blick auf unseren christlichen Glauben herausgefordert. Ich fürchte, dass im Blick auf diese Flüchtlingssituation die Jahreslosung oftmals als reine Provokation verstanden wird und schnell wieder in der Versenkung verschwindet, – möglicherweise mit dem Hinweis: Dieses biblische Wort galt für die Zeit von Jesus damals, aber so nicht für uns heute; wir leben in einer anderen Welt, einer heute global und digital vernetzten Welt, in der bei uns die eigene Sicherheit und die Angst vor religiöser Unterwanderung durch den Islam vor der biblischen Forderung nach Gastfreundschaft rangiert. Mit so einem Argument verliert das Nachsinnen über die biblische Aussage schnell ihre Dringlichkeit, Bedeutung und Gültigkeit.

Wenn wir dennoch der Jahreslosung in diesem Jahr 2022 standhalten wollen, dann nehme ich wahr und halte für mich fest: Unser christlicher Glaube ist kein Spaziergang am Sonntagnachmittag im Sonnenschein, sondern immer neu eine arge Herausforderung für unseren Alltag. Ich muss mich doch selbst fragen: Wo ist die Tür, die mir aufgemacht wird, damit ich mich dort zu Hause fühle und geborgen bin? Wo darf ich hineingehen in dieser Corona-Pandemie-Situation? Wo bin ich abgewiesen, ausgeschlossen? Wem mache ich die Türe vor der Nase zu? Woher weiß ich, dass in dieser fremden Gestalt vor meiner Tür eventuell Jesus mit seiner Einladung steht? Weise ich ihn unerkannt ab? Traue ich meinem christlichen Vertrauen auf Gottes Liebe so wenig zu, dass ich vor anderen Religionen Angst haben muss?

Fragen über Fragen an Sie und an mich, die ein biblisches Wort als Jahreslosung auslöst. Ein Jahr lang kann ich nun um Antworten ringen. Ich möchte Klarheit bekommen, warum die Einladung Jesu zum Kommen nicht zu erfreu-lichen Begeisterungsstürmen anwächst, warum sie so gerne überhört wird und sogar ungehört bleibt, warum man sie dann sogar abweist, auch wenn sie trotz allem ganz klar gehört und verstanden wird.

Warum fühlen sich so viele Menschen wohl – zufrieden mit sich selbst – in ihren eigenen vier Wänden ohne Christus?

Ich habe noch keine die Welt rettenden Antworten, liebe Gemeinde. Aber ich sehe Lichtblicke, z.B. selbstlos han-delnde Menschen, die die Einladung Jesu Christi für sich angenommen haben und diese nun in ihrem Alltag anderen weitergeben; z. B. Männer und Frauen, die im Mittelmeer Ertrinkende retten; Hilfsorganisationen, die Lebensmittel in notleidenden Flüchtlingslagern verteilen; Familien, die Flüchtlingskinder aufnehmen oder betreuen und ihnen bei den Schulanforderungen helfen; Menschen in vielen Län-dern, die Geld sammeln oder spenden und so zur Linderung von Not nach Erdbeben und Stürmen beitragen. Wir haben spontane Hilfe in den Gebieten nach Flutwasserkatastro-phen erlebt.

Ich denke auch an Nachbarschaften und Kirchengemein-den, die in dieser Corona-Pandemie-Krise den Menschen zur Seite stehen, die sich in Quarantäne befinden oder die in Lockdownzeiten Hilfe zum Leben brauchen. Ohne diese vielen Menschen, die gekommen sind und die Einladung Jesu Christi angenommen haben, sähe unsere Welt noch viel hoffnungsloser aus, sage ich.

Trotz aller Bedenken und Argumentationen halte ich jedoch in unserer religiös plural existierenden Welt daran fest: die Einladung Jesu Christi bleibt bestehen; sie hat ihre Gültig-keit als befreiende Botschaft für uns – vor allem in unserer Angst vor der Zukunft. Deshalb gilt sie für uns heute und morgen! Sie fordert uns mehr als nur ein Jahr lang heraus und schenkt uns die Möglichkeit zum immer neuen Nach-Denken über unsere Lebensweise mit unserem christlichen Glauben im Blick auf andere Menschen.

Wir haben die Chance, mit Jesus zu sprechen: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen!“ Nutzen wir die Chance und wagen es mal, die Einladung anzunehmen, zu kommen und dann die Einladung anderen Menschen gegenüber auch auszusprechen und zu leben! Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 432    Gott gab uns Atem, damit wir leben

Lied EG Nr. 170     Komm, Herr, segne uns

Stefanie Bahlinger, geb. 1963,

www.stefaniebahlinger.de  –  Verlag am Birnbach

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