Jahreslosung Johannes 6,37

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Jahreslosung Johannes 6,37

Niemals abgewiesen | 1. Sonntag nach Christfest | 02.01.2022 | Predigt zur Jahreslosung 2022 aus Johannes 6,37 | verfasst von Barbara Pfister |

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen! (Joh 6,37b; Basis Bibel)

Das Gefühl, vor einer Tür zu stehen und nicht zu wissen, wer einen wie empfängt und was einen dahinter erwartet, das kennen wir alle.[1]

Es ist ein riesiger Unterschied, ob wir vor der Haustür von Freunden stehen, ein warmes Willkommen erwartend oder vor der Tür einer Arztpraxis, eine niederschmetternde Diagnose ersorgend.

Denken wir noch etwas weiter, an weniger sichtbare Türen und Tore, z.B. die Grenzen unseres Landes. Ich bin mir sicher, dass kaum einer der aus Afghanistan geflüchteten Menschen, der hoffnungsvoll an unserer Grenze steht, damit rechnet, dass «hinter dieser Tür» keine sichere Bleibe auf ihn wartet. Wenn es gut kommt, erhält er vielleicht ein «F» für «vorläufig aufgenommen», oder mit grosser Wahrscheinlichkeit ein abgelehntes Gesuch und damit die Abweisung.

Die Erfahrung abgewiesen zu werden, muss nicht immer so existentiell sein wie bei den geflüchteten Menschen. Ich glaube, in den vergangenen Wochen haben auch viele von uns Abweisung erlebt. Vielleicht persönlich abgewiesen werden auf einem Besuch oder ausgeladen werden von einer Weihnachtsfeier.

Mich schmerzt es sehr, dass wir momentan von Gesetzeswegen dazu verpflichtet sind, Menschen abzuweisen. Am Heiligabend haben wir aus Angst vor möglichen Folgen die Teilnehmenden unserer «offenen Weihnachtsfeier» abgewiesen. Bei der Christnachtfeier und dem Weihnachtsgottesdienst mussten wir alle Getesteten mit Kurzzeitzertifikat abweisen, weil diese nicht den 2G Regeln entsprechen. Für den heutigen Gottesdienst ist zwar 2G kein Kriterium, jeder darf kommen – doch wehe sie sind Nummer 51 oder 52! Da können sie Impfgegner, unter 16, doppelt geimpft oder gar frisch «geboostert» sein – sie werden an der Türe zu hören bekommen: Abgewiesen!

Hoffentlich mit etwas freundlicheren Worten: «Wir bitten sie, nicht hereinzukommen, sondern zuhause den Livestream zu schauen.»

Spüren sie die Aktualität und Brisanz dieser Jahreslosung?

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen! (Joh 6,37b)

Ich werde nun bewusst die aktuelle Situation nicht weiter ausführen. Denn ich will sie heute Morgen nicht mit meiner Meinung zur Corona-Lage provozieren, sondern lieber der Provokation Jesus, die er mit diesen Worten auslöste Raum, geben. Dazu habe ich diese Türe auf die Bühne gestellt.

Türen können trennen oder verbinden.[2]

Jesus hat durch seine Taten die Tür geöffnet. Wie durch einen Spalt konnten die Menschen etwas von Gottes Herrlichkeit sehen und sein Wirken erkennen. Sie haben erlebt, wie Jesus am Tag zuvor mit fünf Broten und zwei Fischen über fünftausend Menschen satt gemacht hat. Und jetzt standen sie vor einem neuen Rätsel: Wie ist dieser Jesus, ohne ins Boot zu steigen, auf die andere Seeseite gekommen?

Sie reisen ihm nach, quer über den See. Sie kommen voller Fragen um ihn zu «löchern».

Die einen wollen ihn nach dem Erlebten zum König machen (Vgl. Joh 6,14+15). Sie sind der festen Überzeugung, dass er der Messias sein muss, denn in jüdischen Quellen lesen wir, dass, wenn der Messias kommt, wieder Manna vom Himmel fallen wird (Vgl. Syrischer Baruch 29,8).

Doch Jesus stösst die, die da so euphorisch kommen, erst mal vor den Kopf, indem er sie durchschaut:

Ich will euch sagen, warum ihr mich sucht: Ihr sucht mich nur, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Aber was Gott euch durch die Wunder sagen will, wollt ihr nicht verstehen. (Joh 6,26)

Die Menschen erwarten «hinter der Tür» des Messias ein «Schlaraffenland»: Brot in Fülle und immer satt sein! Vor lauter festgefahrener Messiasewartungen können, ja wollen sie nicht mehr sehen, wozu sie diese Zeichen erlebt haben, nämlich als Hinweis darauf, dass dieser Jesus wirklich der vom Himmel herabgekommene Gottessohn, das wahre Brot des Lebens ist.

Und er lädt sie ein mit den Worten:

Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.

Aber […]: Trotz allem, was ihr von mir gesehen habt, glaubt ihr nicht. (Joh 6,35f)

Sehen, kommen und glauben – gehören für Johannes untrennbar zusammen. Er ist der festen Überzeugung, dass das Wirken Jesu allein dazu dient, dass Menschen ihr Vertrauen auf ihn setzen.

Bei keinem der sieben beschriebenen Wunder im Johannesevangelium finden wir einen vorausgehenden Glauben, der dann ein Wunder zu sehen bekommt. Es ist umgekehrt: Durch das Sichtbarwerden von Gottes Herrlichkeit im Wunder entsteht Glaube an Jesus.

Aber leider müssen wir sagen: Glaube kann das Resultat eines vorher erlebten Wunders sein – muss es aber nicht. Denn Jesus selbst sagt über seine galiläischen Zuhörer:

Trotz allem, was ihr von mir gesehen habt, glaubt ihr nicht. (Joh 6,36)

Was Jesus tut, ruft Glauben, aber auch Unglauben hervor. Dabei ist Unglaube weder Unwissenheit noch Unvermögen, sondern bewusste Ablehnung dessen, was offensichtlich geworden ist: Dass dieser Jesus Gottes Sohn, ja Gott selbst ist.

Sünde, das was uns von Gott trennt, ist also bei Johannes primär unser Unglaube, wenn wir Jesus als den von Gott Gesandten nicht anerkennen und abweisen.

Wie muss es Jesus zumute gewesen sein, als er bloss einen Tag nach seinem Brotwunder, das so viele begeistert hatte, erleben musste:

Er kam in die Welt, die ihm gehört. Aber die Menschen dort nahmen ihn nicht auf. (Joh 1,11)

Gott kommt und die Menschen lehnen ihn ab.

Was geschieht hier eigentlich? Scheitert Gottes Wille am Widerstand der Menschen? Ist der Vater, der Jesus gesandt hat, ohnmächtig und der kleine Mensch wirkmächtig, Gottes Willen zu durchkreuzen?

Unsere Jahreslosung ist nur der halbe Vers 37. Der ganze lautet:

Alle, die der Vater mir gibt, werden zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Joh 6,37)

Da haben wir die beiden Seiten der Türe.

In unserem Losungsvers sehen wir Jesus in der geöffneten Türe stehen hören, ihn uns einladend zurufen: Kommt her zu mir alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! (Mt 11,28)

Kommt, ich stille euern Lebenshunger. Glaubt an mich, ich stille euern Lebensdurst. (Vgl. Joh 6,35)

Kommt, zu mir und glaubt an mich. Ich gebe euch ewiges Leben. (Vgl. 1Joh 5,11+12; Joh 6,40)

Kommt und seht und überzeugt euch selbst (Vgl. Joh 1,39+46)

Die Einladung gilt jedem: Dem frommen Schriftgelehrten Nikodemus (Joh 3), der von den Juden verachteten samaritanischen Frau am Brunnen (Joh 4), dem schnell entschlossenen Jünger Philippus, aber auch dem kritischen Nathanael (Joh 1). Den feiernden Hochzeitsgästen in Kanaa (Joh 2), dem totkranken Jungen in Kapernaum (Joh 4) und dem Gelähmten am Teich Betesta (Joh 5), alles Menschen, die uns in den ersten 5 Kapiteln des Johannesevangeliums begegnen und die Jesu wunderbares Eingreifen erlebten.

Die Einladung: «Kommt her zu mir alle», gilt auch uns, wenn wir kommen und uns ihm zuwenden. Niemand wird von Jesus abgewiesen. Niemand wird von seiner Barmherzigkeit ausgeschlossen, ausser die, welche sich durch ihren Unglauben selbst ausschliessen, indem sie erst gar nicht zu ihm kommen.

Ja, eigentlich steht es hier im Original noch viel deutlicher als nur: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Joh 6,37b)

Es steht doppelt verneint: niemals, auf gar keinen Fall, mit Sicherheit nicht werde ich jemand, der kommt, hinauswerfen![3]

Die Türe ist offen für jeden, der kommt. Das wahre Lebensbrot, das unseren Hunger nach sinnerfülltem Leben stillen kann, bietet sich uns an. Wir dürfen eintreten in die Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel, die es nur durch Jesus Christus zu haben gibt.

Und wenn wir gekommen und eingetreten sind, sehen wir auf der Innenseite der Tür, dass uns bis jetzt nur die halbe Wirklichkeit bewusst war und wir erst dem zweiten Teil unseres Verses gefolgt sind. Denn der erste Teil ist ebenso Wirklichkeit, doch für unseren menschlichen Verstand nicht fassbar.

Es handelt sich hier wieder einmal um eine Komplementarität des Glaubens: zwei Wahrheiten, die nebeneinanderstehen, die scheinbar unvereinbar, jedoch beide unbestreitbar sind.

Es bleibt ein Geheimnis, wie die beiden miteinander in Einklang gebracht werden können.

Auch wenn dieser erste Versteil der Losung mein Verstand strapaziert, finde ich doch unglaublich tröstlich, was ich da auf der Tür Innenseite finde:

Da sagt Jesus: Alle, die der Vater mir gibt, werden zu mir kommen … (Joh 6,37a; NGÜ)

Dass ich gekommen bin, liegt also nicht an mir. Ich bin ein Geschenk Gottes an Jesus. Ich habe ihn nur gefunden, weil er mich zuvor bereits gefunden hat. Nicht wegen meines grossen Glaubens, weil ich Wunder oder Gebetserhörungen erlebe oder Gottes Gebote befolge, lädt er mich zu sich ein. Nein, ausschliesslich und allein, weil Gott, der himmlische Vater, es so will.

Dies führt Jesus im Anschluss an unseren Losungsvers aus:

Der Wille dessen, der mich gesandt hat, ist, dass ich von all denen, die er mir gegeben hat, niemand verloren gehen lasse, sondern dass ich sie an jenem letzten Tag vom Tod auferwecke. Ja, es ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat; […]

Niemand kann von sich selbst aus zu mir kommen. Der Vater, der mich gesandt hat, muss ihn zu mir ziehen. Und wer zu mir kommt, den werde ich an jenem letzten Tag auferwecken. (Joh 6,39-40+44)

Der Vater zieht und wir kommen.

Zu C.H. Spurgeon, einem bekannten englischen Prediger des 19. Jahrhunderts, kam einmal ein kritischer Gottesdienstbesucher und warf ihm vor:[4]

«Du glaubst wohl, Christus ziehe unwillige Menschen an den Haaren herbei!»

Spurgeon antwortete: «Gott zieht zwar niemanden an den Haaren herbei, aber er zieht ebenso kraftvoll an ihren Herzen.»

Christus zwingt niemanden gegen seinen Willen zu ihm zu kommen. Wenn ein Mensch nicht errettet werden will, rettet ihn Christus nicht gegen seinen Willen. Doch der Heilige Geist zieht ihn, frei von Druck, indem er ihn willig macht. Für uns nicht nachvollziehbar, geheimnisvoll kann er das menschliche Herz bewegen und den Willen in die entgegengesetzte Richtung wenden. So wird der Mensch «bei voller Zustimmung gegen seinen Willen errettet.»[5]

Auf einmal wollen wir, was wir vorher nicht wollten – nämlich zu Jesus kommen und an ihn glauben.

Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. (Joh 6,29)

Was Gott an uns sehen möchte, ist Glaube, dass wir unser Vertrauen auf seinen Sohn setzen. Aber dieser Glaube wiederum ist keine Bemühung, keine Leistung und kein Werk unsererseits, sondern Gottes Werk in uns. Wir glauben, weil er uns den Glauben schenkt und wir kommen, weil er uns zieht. Ja, Jesu Einladung wirkt anziehend auf uns:

Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Joh 6,35+37b)

Das sind zwei stabile Türpfosten für unseren Glauben im neuen Jahr, die uns Gewissheit geben.

Mag unser eigener Glaube ins Wanken und Zweifeln kommen oder mag es uns beschäftigen, dass das «Nein» von Menschen wie eine starke Mauer Jesus entgegensteht.

Wir werden auch dieses Jahr wieder erleben, dass auch dort, wo es menschlich aussichtslos scheint, Gott Jesus Menschen geschenkt hat und sie daher durch alle äusseren und inneren Hindernisse hindurchbrechen und zu ihm kommen werden.

Und auch wir selbst dürfen uns an die Zusage klammern:

Erstens: Mein Glaube ist ein Geschenk, ja ich selbst bin ein Geschenk Gottes an Jesus.

Zweitens: Ich werde unter gar keinen Umständen jemals von ihm abgewiesen werden. Auch dann nicht, wenn ich mich selbst nicht ansehen mag, es mir vor mir selber graut, wenn ich mich über mein Versagen schäme, wenn mein Leben zerrüttet, mein Erfolg bachab und meine Beziehungen zerbrochen sind.

Niemals werde ich von ihm abgewiesen. Zu ihm darf ich so kommen wie ich bin. 365 Tage verspricht Jesus dir:

Mein Vater bewegt dich zu mir zu kommen und wenn du kommst, werde ich dich mit Sicherheit nicht abweisen! (Joh 6,37; nach NT Übertragung «Willkommen Daheim», Gerth Medien)

Amen.


VDM Barbara Pfister
Bubikon
E-Mail: barbara_pfister@gmx.ch

Barbara Pfister, geb. 1977, Pfarrerin Stellvertreterin in der ev. ref. Kirche Wetzikon (Zürich) seit September 2020. Diese Predigt wird bzw. wurde im Gottesdienst zum Jahresanfang am 2. Januar 2022 gehalten.

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Liedvorschläge:

Lobpreiste all zu dieser Zeit (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 551) – Sammlung, Jahresanfang
Gelobet sei der Herr (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 551) – Loblied
Ich steh an deiner Krippe hier (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 402) – nach der Predigt, Bitte
Der du die Zeit in Händen hast (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 554) – Segen, Jahresanfang

Eingangsvers:

Johannes 1,14+18 als Anknüpfung an den Weihnachtsgottesdienst.

Schriftlesung:

Johannes 6,1-35 (Kontext des Losungsverses)

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[1] http://www.jahreslosung.eu/jahreslosung-2022 Auslegungstext von Renate Karnstein (27.12.21)

[2] http://www.jahreslosung.eu/jahreslosung-2022 Auslegungstext von Renate Karnstein (27.12.21)

[3] ouv mh. evkba,lw e;xw

[4][4] C.H. Spurgeon; Erwählt vor Grundlegung der Welt – Predigten über die Erwählung uns Souveränität Gottes. Bethanien, Oerlinghausen. 2002. S.83

[5] C.H. Spurgeon; Erwählt vor Grundlegung der Welt – Predigten über die Erwählung uns Souveränität Gottes. Bethanien, Oerlinghausen. 2002. S.83 zitiert Ralph Erskine, schottischer Reformator

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