Jeremia 9, 22-23

Jeremia 9, 22-23

Eigenlob und Lob Gottes | 13.02.2022 | Predigt zu Jer 9, 22-23 | verfasst von Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Ich lese zwei Verse aus dem 9. Kapitel des Propheten Jeremia:

So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde,

als ich diese beiden biblischen Verse für die Predigt am heutigen Sonntag las, fiel mir sofort die Redewendung ein: „Bescheidenheit ist eine Zier; doch weiter kommt man ohne (ihr)!“ – Ich persönlich bin mit der immer neuen Aufforderung zur Bescheidenheit und Zurückhaltung erzogen worden. Kennen Sie diese Einstellung auch? Mir ist das Sprichwort zur Genüge bekannt: „Eigenlob stinkt“; im Mittelpunkt stehen, sich selbst herausstellen – das macht „man“ nicht! Selbstlosigkeit ist angesagt.

Aber ich freue mich doch – im beruflichen wie im privaten Umfeld – über jedes Lob und jede Anerkennung, und ich erzähle gerne weiter: Ich habe etwas gut hingekriegt; mir ist etwas gelungen, z.B. habe ich einen Konflikt zweier Mitarbeitenden auf einen positiven Weg bringen können; oder: ich habe eine Predigt halten können, die eine Reihe von Besuchern des Gottesdienstes anschließend gerne nochmals nachlesen wollten; oder: unsere Kinder haben sich in den Sommerferien während ihrer Kindheit an der See richtig wohl gefühlt und wollten immer wieder mit uns Eltern dorthin. Ich bin irgendwie stolz auf mich, meine Begabung, das gute Zusammensein mit meiner Frau und den Kindern, und ich fühle mich gut dabei! Ich habe mich nicht ausdrücklich meiner Empathie und meiner geistigen Fähigkeiten gerühmt, aber ich habe schon von dieser Anerkennung her ein „Weiter-so“ gespürt und das Lob als Ansporn genossen. Ich denke auch, dass man sich wohl selbst über etwas Gelungenes freuen und auf die eigene Schulter klopfen kann, ohne auf das Lob anderer warten zu müssen. Wenn ein Geschehen erfolgreich gelungen ist, dann bin ich auch ohne fremdes Lob stolz, dabei mitgewirkt zu haben.

Ich bin überzeugt, dass Lob und Anerkennung wichtige Kriterien für das Wachsen des Selbstwertgefühls und des Selbstbewusstseins sind. Aufgrund von Ohnmachtsgefühlen ist bei vielen Menschen heute dieses Selbstwertgefühl brüchig geworden. Kennen Sie in der Kindererziehung die fragende Redewendung: „Haben Sie heute schon Ihr Kind gelobt?“ Diese Maxime einer Lebenshaltung ist doch auf jedes Alter übertragbar. Von Kindheit an ist sie notwendig. Denn Lob und Anerkennung haben etwas lebendig Aufrichtendes in dem Einerlei des Alltags. Der gelobte Mensch geht nicht mehr ängstlich gebeugt, sondern aufrecht und froh seinen weiteren Weg. Nicht umsonst gibt es die überspitzte Redewendung: „Wer angibt, hat mehr vom Leben!“

Liebe Gemeinde, lasst uns auf der Grundlage der genaueren Überprüfung die Worte des Propheten Jeremia bedenken. Er wettert überhaupt nicht dagegen, dass ein Mensch Weisheit, Stärke und Reichtum besitzt. Jedoch will er in seinem jüdischen Glaubensverständnis die Menschen im Volk Israel darauf hinweisen, dass sie alle diese Gaben und Fähigkeiten von Gott geschenkt bekommen haben; sie haben sie nicht aus sich heraus, – auch nicht aus dem technischen Fortschritt. Deshalb müssen sie daran denken, dem Schöpfergott zu danken, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden ausübt. Die entscheidende Klugheit des Menschen besteht darin, dass er diesen Schöpfergott kennt, von seinem Wirken weiß und sich dessen Handeln rühmt. Denn das Handeln Gottes ist für den Glaubenden die Maxime seines Lebensvollzugs.

Wir können weise sein, Macht und Reichtum erworben haben. Vergessen wir jedoch nicht, dass wir selbst nicht der Schöpfer dieser Gaben sind. Wir sind und bleiben Geschöpfe, die letztlich von der Barmherzigkeit, vom Recht und der Gerechtigkeit Gottes, des Schöpfers, leben. Ich weiß, dass uns diese Lebenseinstellung schwerfällt, zumal wenn es so aussieht, als ob wir alles im Leben aus uns selbst fest im Griff haben. Nehmen wir als Beispiel die Covit-19 Pandemie: sie hält uns vor Augen, wie verletzlich wir sind und wie unbarmherzig und unberechenbar der Virus zuschlägt. Mit vielen Politikern und Forschern bilden sich manche ein, Corona besiegen zu können. Stattdessen erleben wir jedoch eine Verwirrung: Menschen planen, berechnen, verwerfen Ergebnisse, müssen permanent neue Maßnahmen ergreifen und beruhigende Hinweise aufstellen usw. Sie werden dennoch nicht Herr des Virus. Ich glaube fest: Diese Seuche hat auch mit Gott nichts zu tun; es ist unsere menschlich-irdische Angelegenheit des Missbrauchs der uns anvertrauten Schöpfung. Wir können uns mit unserer Weisheit und Stärke und unserem Reichtum nicht eines Sieges rühmen. Natürlich können einzelne Etappen siegreich sein, wie z.B. die Impf-Vakzime und deren positive Wirkung. Forschung ist und bleibt gut und sinnvoll.

Doch lenkt der Prophet Jeremia unseren Blick von unserer Selbsteinschätzung und manchmal auch Selbstüberschätzung weg auf den Gott, den wir immer wieder über unserem Egozentrismus vergessen. Der Prophet erlebt – ähnlich wie wir heute – , dass viele Personen in seinem Volk von der Beziehung des Schöpfergottes zu seinen Geschöpfen nicht mehr viel halten; sie bauen und vertrauen in ihrer Arroganz lieber auf ihr eigenes Wissen, beachten weniger die Situation des Nächsten und schaffen so eine immer weiter geöffnete Schere zwischen reichen und armen MitbürgerInnen. Wenn sie sich rühmen und Halleluja singen, sagen sie in Wirklichkeit: „Gelobt sei ich!“ Jeremias Klage benennt die Willkürherrschaft, die Gewalt und Ausbeutung, das Profitstreben, den Betrug und die Lüge. In seinen prophetischen Schriften beklagt Jeremia in immer stärker herausfordernden Worten das Missverhalten der Menschen in ihrem jüdischen Glauben. Er kritisiert, dass das menschliche Recht nach eigener Macht und Weisheit definiert und umgesetzt wird. Soziales Verhalten ist weithin gestorben. Wenn man sich dieser Situation rühmt, sagt der Prophet, dann hat man auf das falsche Pferd gesetzt. Das ist Unglaube! Das ist ein Dasein fern von Gott.

Die Klugheit des Glaubens besteht gerade darin, auf die Barmherzigkeit, das Recht und die Gerechtigkeit Gottes zu setzen. Ich will dies auf uns übertragen. Barmherzig ist Gott mit Ihnen und mir, wenn wir z.B. unsicher, verletzlich, verletzbar und orientierungslos sind oder werden. Wenn wir an unsere eigene Lebensgeschichte denken, dann erinnert darin so manches an eine Baustelle; wir werden lebenslang nicht fertig; es entstehen neue Risse, manchmal sogar Brüche oder es stürzt schon mal etwas ein. Barmherzigkeit Gottes bedeutet nun: Gott straft und verlässt uns nicht wegen der Baustellen unseres Lebens, wegen der Fehler, Schuldigkeiten und Krisen auf unserem Lebensweg; er richtet nicht, er verurteilt nicht; er richtet uns vielmehr auf! Er lässt uns getrost zurückblicken und richtet unsere Augen hoffnungsvoll nach vorne.   

Und denken wir an das Recht Gottes, so versteht der Prophet darunter, dass der Schöpfergott kein vernichtendes Urteil über uns spricht,- was auch geschah: selbst verschuldet oder nicht – , sondern im Gegenteil, er signalisiert einen neuen Anfang für uns. Nach einer Scheidung, nach einer schweren Krankheit, nach einem beruflichen Scheitern, nach einer hoffnungslosen Diagnose – immer gibt es einen Neuanfang, in dem eine schöpferische Kraft und Stärke Gottes steckt. Was für uns wie ein unrühmliches Ende aussehen mag, das ist vor Gottes Angesicht keins. Wir können auch als Vorbild das unrühmliche Ende Jesu am Kreuz vor Augen haben. Der zutiefst Gebeugte ist der, der Gottes Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit wieder herstellt. Er richtet uns auf! So können wir uns unserer Weisheit und Stärke rühmen, aber ebenso unserer eigenen Schwächen und unseres Bekenntnisses zu unserem schuldhaften Versagen. Seit Jahrhunderten sprechen wir im Glaubensbekenntnis „von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. Auch hier verstehe ich das „Richten“ nicht im Sinne von „Strafurteilen“ und Verurteilen. Wir können uns vielmehr darauf verlassen, dass Gott uns aufrichtet, uns unter den möglichen Trümmern unseres Lebens herauszieht und wieder auf die Beine stellt. Er weist Ihnen und mir den Weg, auf dem wir Gottes Recht und Barmherzigkeit rühmen können. Er hilft uns, sinnvoll auf dem Markt der Eitelkeiten zu unterscheiden zwischen Selbstlob und Lob Gottes. Denn auf eins kann ich mich felsenfest verlassen: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen


Lied EG Nr. 317     Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren

Lied EG Nr. 321     Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen


Bischof em. Klaus Wollenweber

Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.

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