Matthäus 25,14-30

Matthäus 25,14-30

Septuagesimae 2022 | Matthäus 25,14-30 (dänische Periokopenordnung) | Von Rasmus H.C. Dreyer |

Ein armenisches Sprichwort lautet: ”Wenn ein Brot gut schmeckt, fragt man nicht, ob es von einem Juden oder einem Moslem gebacken ist“. Das ist ja richtig. Aber wenn man nach religiösen Ratschlägen fragt, ist es nicht egal, wen man fragt.

Auf amerikanisch fragt man: „What would Jesus do?“ -Ja, was würde Jesus tun? Das fragen die Leute in der naiven Erwartung, dass die Bibel ihnen eine Antwort auf die Frage gibt, wie man das Leben leben soll.  Im Evangelium zur ersten Textreihe zu diesem Sonntag Septuagesimae fragen die Zuhörer Jesus ganz wie die Amerikaner: „Was sollen wir tun, damit wir die Werke Gottes tun können?“ Und Jesus gibt ihnen den besten und größten Rat des Christentums: Glaube. Glaubt an Gott. Das gibt Leben in der Welt. Das tröstet und nährt. Sein Wort ist das Brot des Lebens, wie er dann sagt. Oder wie er im heutigen Text sagt: Geh hin und brauche deine Talente und vertraue dann darauf, dass du mit Gott gehst. Das ist in Wirklichkeit der Kern der Ratschläge Jesu an uns, wie wir unser Leben leben sollen. Die Bibel ist kein Buch mit Rezepten. Sie ist vielmehr eine Botschaft, dass man wagt, man selbst zu sein und das Leben zu leben, das uns selbst gegeben ist.

Ist darin ein Trost? Ja durchaus! Denn als wir selbst sein und leben zu können, dass schließt immer das ein, was Jesus für uns getan hat. Er hat uns vergeben, und er vergibt uns noch immer. Wenn wir es wohlgemerkt wagen, das Leben zu leben, und nicht das Talent vergraben. Der Glaube soll uns stark, mutig und tatkräftig machen.

Ich habe einmal von einem Man gelesen, der im Seemannsheim in Hanstholm übernachtet hatte. Auf dem Nachttisch lag wie immer die Bibel, und auf der ersten Seite hatte ein Gast geschrieben: „Suchst du Trost, dann lese Johannes 3,16: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn  glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben erben“. Trostreich! Darunter hatte ein anderer Gast geschrieben: „Oder rufe an bei Anita, Telefon 97 96 usw.“

Das letzte war sicher eine mehr profane und weltliche Form von Trost. In einer Weise kann man sagen, dass es im heutigen Evangelium gerade um diese Spannung geht. Es geht um den Unterschied zwischen zwei Wegen: Entweder sein Leben zu leben mit dem Trost im Rücken oder den bequemen Trost suchen, indem man sich vor dem Leben versteckt.

So leben wir vom Wort Jesu als unserem täglichen Brot. Denkt an die Symbolik in einem der bekanntesten Wunder Jesu, das sogenannte Wunder der Speisung der 5000. Jesus sättigt hier mit fünf Broten und zwei fischen 5000 Menschen. Zu der Zeit Jesu haben die Juden hier an eine ähnliche Geschichte aus dem Alten Testament gedacht. Das ist die Geschichte von dem Manna in der Wüste.

Damals wanderten die Juden in der Wüste von Sinai. Sie waren dem Tode nahe vor Hunger. Aber dann ließ Gott Manna regnen. Sie aßen und wurden satt ganz im wörtlichen und physischen Sinn. Moses belehrte sie darüber, dass das einzige, was sie nicht tun sollten, dies war: das Brot aufzubewahren für die nächsten Tage. Das würde alles verderben. Sie folgten dem Rat nicht. Sie füllten ihre Krüge mit dem Manna, und als sie diese am nächsten tag wieder öffneten, war es verdorben und nicht essbar. Wir sollen verstehen, dass wir unser Leben nicht Gott überlassen können. Wir müssen auch selbst etwas leisten, pflanzen, ackern und arbeiten hier im Leben. Das Wort Gottes kann man nicht in eine Dose packen und dort aufbewahren, nein, es muss in den Magen kommen, verdaut und verpflanzt werden und zu Energie und Tatkraft hier im Leben werden.

Wenn wir wüssten, was dieses Manna in Wirklichkeit war, würden wir diese Pointe vielleicht besser verstehen. Denn Manna gibt es. Man kann es aber nicht aufbewahren. Es verfault sofort. Die Geschichte ist also wahr. Aber auch wahr im übertragenen Sinne. Lass dich hier und jetzt nähren von dem Wort, und gehe dann frei nach dem Gottesdienst in dein Leben.

Denn der, der sich sichern will, wer glaubt, dass er seine Talente, sein Manna vom Himmel, ja das Brot des Lebens selbst in einem Loch in der Erde aufbewahren kann, der verdirbt alles. Eben dies sollen wir in der Geschichte von den anvertrauten Talenten hören, wo der Knecht alles verlor, weil er seine Goldmünze, das Talent, in der Erde vergrub und damit meinte, seinem Herrn einen Dienst zu erweisen.

Oder wie der 3-4 Jahre alte Junge, der einmal nach seiner Mutter rief, die in den Supermarkt gegangen war. Der Vater konnte ihn nicht trösten. Der große 6 Jahre alte Bruder wusste Rat: „Wenn Mutter gleich nach Hause kommt, weißt du, was ich dann glaube? Ich glaube sie hat Süßigkeiten mit!“ Der kleine Bruder hörte sofort auf zu weinen – und fragte: „Darf ich dann auch glauben?“

Das dürfen wir. Und der Glaube ist das grobe und nährende Brot des Lebens, das unser Talent hier mitten in unserem Leben miteinander wachsen lässt. „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus von sich selbst, „und wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird niemals dürsten“. Das ist sein bester Ratschlag für das Leben. Und wir wissen alle sehr wohl, dass Glauben hinter allem in unserem Leben steht. Hinter jeder Theorie steht eine Vermutung, ja ein Glaube. Die mutigen Knechte, die es wagten, die ihnen anvertrauten Talente umzusetzen und umzupflanzen, handelten auf eine Vermutung hin. Sie handelten im Vertrauen auf ihren Herrn und damit im Glauben daran, dass er ihnen das beste will. So sollen auch wir glauben.

Das Leben beruht also auf Glauben und Vertrauen. Das bedeutet nicht, dass alles relativ ist und nichts sicher. Ganz im Gegenteil. Denn wenn Jesus die Nahrung des Lebens selbst ist, so bedeutet das, dass das Wort Gottes das nahrhafte Brot für das Leben ist. Muss ich das nicht erklären? Ja, und hier unterscheidet sich das Christentum in besonderer Weise von anderen Religionen.

Das Christentum ist realistisch. Unser Gott ist Liebe, weil es uns realistisch sieht. Er kennt uns, dass wir Staub und Geist sind. Wir können die unglaublichsten Dinge vollbringen, und wir können Fehler machen wie keine anderen Geschöpfe. Wir sind Sünder. Und Gott weiß es. Und eben deshalb sandte er seinen Sohn in die Welt, damit wir imstande sein können, das Leben trotzdem zu leben.

Das Brot des Lebens ist das Wort Gottes, das seit der ersten Schöpfung da war am Morgen der Zeiten und das dem Mensch en gefolgt ist, seit er seine ersten Fehler beging. Ein Wort, das dich neu schaffen will und sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“! Das sind Worte, die wir wie das tägliche Brot brauchen, um das Talent wachsen zu lassen. Nicht in einer exzeptionellen Weise, sondern nur indem wir das Leben wagen mit Gott im Rücken. Gott befohlen wie man das früher gesagt hat. Martin Luther har das ganz einfach erklärt, indem er es sinngemäß etwa so gesagt hat: „Da steht einer und zielt mit einem Gewehr auf dich, und trotzdem besteht keine Gefahr; so ist es mit der Vergebung der Sünden.“

In einer Predigt eines Erweckungspredigers aus dem 20. Jahrhundert heißt es sehr gut, dass die Sünde „an allem klebt, was wir tun“. Er erwähnt die Schreibmaschine, auf der er seine Predigt geschrieben hat. Selbst an der klebt Sünde. Denn was mit den Arbeitern in der Fabrik, die sie hergestellt haben? Sie sind sicher ausgenutzt worden, und was weiß ich – wir wollen ja immer die Dinge möglichst billig haben. Und deshalb könnten wir gar nicht in der Welt existieren, wenn wir nicht zunächst an die Vergebung der Sünden glaubten. Und deshalb geht es in unserem Glauben immer um die Vergebung der Sünden. In der Taufe ist von der Vergebung der Sünden die Rede. Das Abendmahl schenkt Vergebung der Sünden. Ja, es liegt in jedem einzelnen Wort, das Jesus gesprochen hat, denn es ist von dem gesprochen, der die Sünden am Kreuz getragen hat und von den Toten auferstand, um wieder mit uns zusammen zu sein, damit wir leben und wachsen können.

Das ist das eigentliche Wunder, dass, dass Gott sich immer wieder mit uns an den Tisch setzen will, die wir seine Liebe verraten. Das wahre Brot des Lebens ist deshalb Begnadigung, ja, eine Gabe. Ohne diesen Glauben im Leben wie im Tode wird es schwer zu leben. Dann vergraben wir die Talente in der Erde. Dann sind wir nur materielle Wesen in einem automatischen Wechsel von stehen und fallen.

Da war einmal eine ältere Dame, sie hieß Karen. Sie wohnte in einem Altersheim, wie das früher hieß. Als sie 80 wurde, rechnete sie nach, wie oft sie nun zu einem neuen Tag aufgestanden war: 29.220 Tage einschließlich der 20 Extratage in den Schaltjahren. Das ist schon an sich eine große Leistung, fast 30.000 Mal in seinem Leben aus dem Bett aufzustehen und den Tag anzugehen. Das verlangt eine gewisse Unerschütterlichkeit – und Glauben, wenn man da nicht die Lust verlieren soll.

Die Familie erzählte, niemand habe sie jemals klagen gehört. Hier war kein „Jetzt reicht es mir“. Ihr Leben war ansonsten ziemlich hart. Sie war Bauernfrau. Hatte 12 Kinder geboren, von denen 3 gestorben waren. Die Familie schlief zusammen in einem Zimmer, und eines der Kinder hatte sie aus Müdigkeit und Erschöpfung zu Tode gelegen. Das klingt heute dramatisch, wo wir unsere Wunschkinder mit Apparaten und Babyalarms überwachen. Aber früher war das nicht ungewöhnlich, auch wenn Karens Unglück erst so spät wie 1952 geschah. Natürlich war Karen entsetzt über das, was geschehen war, aber sie vermochte dennoch weiterzuleben mit unwiderstehlichem Lebensmut.

Und woher hatte sie diese Kraft zum Leben und Wachsen? Ja, sie stellte die Existenz Gottes und seine stets dahinter stehende Vergebung nicht infrage. Sie ging davon aus, dass Gott mit uns ist und in Gnade auf seine Menschen blickt. Das gab ihr einen Grund, auf dem sie stehen konnte und Mut für das Dasein. Denn der, der das grobe und nährende Brot des Christentums einnimmt, fällt nicht zusammen wie ein Jammerlappen, wenn Unglück uns trifft.

Als Karen in das Altersheim kam, begann sie zu sticken. Es waren die bekannten Stickereien, die oft in Schlafzimmern hängen, mit Bibelsprüchen. Auf eines von ihnen stickte sie ein Zitat aus einem bekannten Morgenlied des dänischen Dichters Grundtvig: „Lass Gott auch uns wie Sonnen sein, wie Himmelslichter, wenn auch klein“[1]

Ganz gleich, wie groß unser Lebenslicht und unser Talent sind, sie hatte etwas Grundlegendes vom Christentum verstanden: Das Wort Gottes ist eine Liebeserklärung, so wesentlich für uns Menschen wie das tägliche Brot. Amen.

Dr. theol. Rasmus H.C. Dreyer

DK – 4180 Sorø, Elmevej 6

E-mail: rhd(at)teol.ku.dk


[1] Dänisches Gesangbuch Nr. 752 (Morgenstund hat Gold im Mund), V. 5, dt. Übersetzung in Deutsch-dänisches Kirchengesangbuch.

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