Jesaja 12, 1-6

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Jesaja 12, 1-6

Das Danklied der Erlösten | 14. Sonntag nach Trinitatis| 18.09.2022 | Jes 12, 1-6 | Winfried Klotz |

Das Danklied der Erlösten

12 1 Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.

2 Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 2. Mose 15,2

3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Kap 55,1; Sach 13,1

4 Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! 1.Chr 16,8; Ps 105,1

5 Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!

6 Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!

Ein Dank- und Loblied ist uns als Predigtwort gegeben. Die Lutherbibel überschreibt es mit „Das Danklied der Erlösten“. Der erste Satz des Liedes weist in die Zukunft: „Zu der Zeit wirst du sagen …“ Wir haben also ein Lob Gottes gehört, dass auf zukünftige Rettung antwortet; oder anders: jemand, der den prophetischen Worten traut, formuliert ein Lob Gottes, obwohl die Erfüllung noch aussteht. So soll die hörende Gemeinde gewiss gemacht werden, dass die von Gott versprochene Hilfe eintreffen wird; so kann schon jetzt das Lob Gottes angestimmt werden.

Im Unterschied zu vielen Psalmen, die auf Gottes Taten zurückblicken und ihn dafür loben, dankt unser Psalm Gott für die noch ausstehende, aber versprochene Hilfe. Er antwortet auf die in den bisherigen 11 Kapiteln des Jesajabuches beschriebene Zukunft, die Gott schenken wird. In Kapitel 11, 1+2 heißt es: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.“ Gott sendet seinen Retter, seinen Friedensstifter; dessen besonderes Kennzeichen ist, dass Gottes Geist auf ihm ruht. Für das Kommen dieses Heilandes, wir erkennen hier Jesus, auf dem Gottes Geist ruht, (Joh 3, 34) lobt der Psalm den ewigen Gott, obwohl nur das prophetische Wort ihn ankündigt.

Unser Predigtwort aus Jesaja 12 spiegelt auch die Ankündigung von Gericht Gottes über glaubenslose und ins Böse verstrickte Menschen; so heißt es: sie beugen die Sache der Armen, üben Gewalt am Recht der Elenden, (Kap. 10, 1-4). Das Gewicht der Verse des Lobpsalms liegt aber auf Dank, Vertrauen und Freude. Der Dank umfasst sogar Gottes Gericht: „Ich danke dir, HERR, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.“ Da dankt jemand für schwere Erfahrungen, für Lebensverlust. Wir tun uns vielleicht schwer, zu danken für die Niederschläge in unserem Leben, für das, was uns gestört und bedrängt hat, verhindert hat, ein erwünschtes Ziel zu erreichen, statt Lebenserfüllung uns Lebensverlust beschert hat. Wir bringen solche Erfahrungen vielleicht gar nicht mit Gott in Zusammenhang, sondern suchen die Ursache nur innerweltlich, bei anderen, uns selbst, den Verhältnissen. „Warum straft der Herrgott mich so?!“ sagen manche, aber ich habe oft nicht den Eindruck, dass sie konkret mit Gott rechnen. Ein ferner, dunkler Schicksalsgott scheint verantwortlich, ein unbekannter Gott, mit dem man normalerweise nichts zu tun hat.

Unser Danklied rechnet nicht nur mit Gott, wenn Trost und Rettung und Freude geschenkt werden, sondern auch in den schweren Erfahrungen. Die schweren Erfahrungen sind nicht einfach Zufall, sie wurden doch prophetisch angekündigt! Sie mussten erwartet werden. Aber jedenfalls damals, zu Zeiten des Propheten Jesaja im 8. Jahrhundert vor Christus, hat die Mehrheit die Worte Jesajas verachtet und verspottet, nicht hören wollen und nicht hören können. (28, 7-12. 22; 29, 9-14; 30, 8-12) Und wenn wir jetzt meinen, da sind wir doch fein raus, zu uns spricht kein Prophet, dann sollten wir bedenken, dass das Wort der Bibel uns auch heute wegweisend ansprechen möchte. Aus Kleinglauben ruft es uns zum Vertrauen, in Haltlosigkeit bietet es uns festen Halt, in Verzweiflung zeigt es uns den Gott, der nicht am Ende ist, wenn unsere Wege enden. Vor allem stellt es uns Jesus Christus vor Augen, den Versöhner, Brückenbauer, Friedensstifter zwischen Gott und uns Menschen. Jesus, dessen Lebensverlust durch den Tod am Kreuz uns im Glauben an ihn eine nicht zu zerbrechende Verbindung zu Gott schenkt, denn ER trägt unsere Schuld. Können wir, durch Jesus Christus verbunden mit Gott, auch danken für die schweren Wege unseres Lebens, so wie es unser Psalmwort tut? Und das, auch wenn wir nicht fertig werden mit dem Unheil, das uns getroffen hat? Manchmal geht der Weg zum Trost über das Danken. Wir danken dann nicht für das Verletzende, Unheilvolle, sondern dafür, dass Gott auch darüber HERR ist; kennen wir ihn nicht so in Jesus Christus?

Wer so dankt gelangt zur Gewissheit: „Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.“ Gegenwärtiges Heil – Rettung, gegenwärtiger Schutz, das ist Gott! Es heißt nicht, Gott schenkt mir Rettung, sondern er ist Rettung. Bedingung für dieses überschwängliche Lob Gottes ist nicht, dass die Hilfe schon geschehen ist, sondern einzig die Erfahrung der Gegenwart Gottes. Dem Glaubenslosen muss das wahnhaft erscheinen; wer aber Gottes Gegenwart erfährt ist getröstet. Ich weiß, es gibt keine irdische Leiter, die uns aus irdischer Not zur tröstenden Erfahrung Gottes führt; wer sie sucht kann durch die Wüste von Verzagtheit und Verzweiflung irren; wir müssen uns dann zurechtweisen lassen durch Jesu Wort: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ (Mt. 8, 26) Und können, wie die Jünger damals erfahren, dass Jesu Wort Macht hat den Sturm zu stillen. Dann ist es uns noch gewisser: „Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.“

Das führt zur Freude! „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.“ Im Hintergrund steht hier das Wasserschöpfen am letzten Tag des Laubhüttenfestes; es wurde als Opfer auf den Altar ausgegossen als Bitte um neuen Regen. („Wer die Freude des Wasserschöpfortes nicht erblickt hat, hat in seinem ganzen Leben noch keine Freude vernommen.“ (Sukka 5,1) https://www.juedische-allgemeine.de/religion/freude-des-wasserschoepfens/) Das geschah mit Flötenspiel und dem Blasen des Schofars voller Vorfreude und Hoffnung auf neuen Regen und damit Segen. (Sukka 5, 1+5) Dieses Geschehen ist Folie für die Freude der Heilszeit. Jetzt wird der Lebensdurst gestillt.

Lebensdurst gehört zu jedem Leben; es ist ein Streben nach Erfüllung, Befriedigung, Geborgenheit in Beziehung. Wir setzen uns Ziele, deren Erreichen uns eine größere Zufriedenheit versprechen. Die damit verbundene Not aber ist die, dass uns Grenzen gesetzt sind, deren Überschreiten uns einem großes Risiko aussetzen. Wer mit allen Mitteln seine Kariere verfolgt, mag schließlich oben ankommen, hat dabei aber vielleicht seine Ehe und Familie aufs Spiel gesetzt. Wer eine Frau, einen Mann umwirbt, die/ der gebunden ist, mag sich durchsetzen, hat aber dabei eine Ehe, eine Beziehung zerstört; in heutigen Zeiten scheint das eine lässliche Sünde; wer genau hinschaut wird erkennen, dass das Streben nach Glück zum Unglück anderer geführt hat, eine Vermehrung von Unfrieden und Streit!

Lebensdurst gehört zu jedem Leben, es braucht realistische Entscheidungen im Vertrauen auf den, der uns Leben in Fülle zu geben versprochen hat. (Joh 10, 10b) Im Gegensatz zu dem beliebten Wort „lebe deinen Traum!“ ist weniger oft mehr, besser, lebensförderlicher! Etwas, was wir hoffentlich in der ökologischen Krise unserer Tage wieder lernen.

„Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.“ Ich habe das Stichwort Freude einen Moment ausgeblendet. Wasser schöpfen und auf den Altar ausgießen war deshalb Freude, weil damit nach langer, regenloser Zeit die Erwartung neuen Regens, neuer Fruchtbarkeit, erfüllten Lebens verbunden war. Wenn Jesus am letzten Tag des Laubhüttenfestes ausruft: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“ (Joh 7, 37), dann sagt er denen, die zu ihm kommen, die Gabe des Heiligen Geistes zu, Lebenserfüllung im Vorgriff auf die Neuschöpfung. Dieser Geist aber ist keine Fatah Morgana, kein Traumbild von einem erfüllten Leben, sondern Gegenwart Gottes, Fülle des ewigen Lebens, große Freude. Er macht uns groß, was Jesus für uns getan hat, überführt von Schuld, schenkt Umkehr und Neuanfang und darin große Freude, Zuversicht auf Gott.

Und noch etwas: Einen Neuanfang ohne Umkehr gibt es nicht. Vor einiger Zeit war im Impulspapier der EKD „Kirche der Freiheit“ das Motto vom „Wachsen gegen den Trend“ (*) zu lesen. Mehr Qualität gerade im Pfarrdienst, mehr Angebote für die 25-40-jährigen, bessere Predigten, dann muss es doch gelingen. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht gelingt! Und das Handeln der Verantwortlichen zeigt den organisierten Rückzug. Das ist nicht verkehrt; aber neben dem Rückbau brauchte es Menschen, die ideenreich, mit Liebe und Klarheit Christus verkündigen als Herrn und Heiland. Die zur Umkehr rufen! Die das Evangelium von Jesus nicht benutzen als Material zur Lebenserklärung und Lebenserhellung, sondern als Botschaft, die jetzt eine Antwort des Glaubens fordert. Mein verzweifelter Eindruck ist: Wir nehmen Gottes Anspruch und Zusage nicht ernst; aus der Botschaft von Umkehr und Gnade haben wir eine Anleitung zu einem gelingenden Leben gemacht, so als hätten wir das Gericht Gottes schon hinter uns. Jesus hat für uns vielleicht noch eine Bedeutung, aber er ist nicht unser HERR.

Ich kehre zurück:

Unser Lobpsalm aus Jesaja fährt fort: „Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!“ Das ist Formelsprache des Glaubens, die uns vielleicht abstößt. Aber es ist doch richtig: Gott rettet, das soll verkündet werden, damit alle Menschen ihn anbeten und loben. Das Lob Gottes soll Kreise ziehen! So wie Nörgelei Kreise zieht und schnell das Klima in einer Gemeinschaft vergiftet, so soll auch das Lob Gottes sich ausbreiten, die Herzen befreien, die Gemeinschaft vor Gott fördern. Eine weltweite Bewegung ist im Blick; das Lob des einen Gottes ist nicht eingegrenzt auf ein Volk und Land.

Aber es hat seinen Ursprung an einem Ort und bei einem Volk: „Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!“ Zion meint ursprünglich den Tempelbezirk, Ort der Gegenwart Gottes, Tochter Zion ist Jerusalem, Stadt und Volk. Zum Zion Wallfahrten die Völker und empfangen Weisung von Gott (Jes 2, 1ff / vgl. Sach 14, 16ff und Hebr 12, 22), vom Zion fließt Wasser nach Osten, macht das Salzmeer gesund und fischreich (Ez 47, 1ff; Joel 4, 18b); „das Heil kommt von den Juden“, sagt Jesus im Johannesevangelium. (Joh 4, 22b)

Eine weltweite Bewegung des Gotteslobes, ausgehend vom Zion, was fangen wir mit dieser großen Perspektive an nach der Unheilsgeschichte zwischen Juden und Christen? Nach dem Streit darum, für wen die Heilszusagen gültig sind? Haben wir Israel beerbt oder sind wir vielleicht Erbschleicher? Was früheren Generationen nicht möglich war muss uns möglich sein, die Spannung auszuhalten, dankbar anzuerkennen, dass Gottes Wort an Israel durch Jesus Christus auch zu uns gekommen ist, Gott die Wegführung zu überlassen zu einem gemeinsamen Lob Gottes von Menschen aus Israel und allen Völkern. Amen.

*Anmerkung: Ich beziehe mich auf das Impulspapier der EKD „Kirche der Freiheit“, Hannover 2006. Zwei Zitate: „Eine eigenständige Antwort auf solche Prognosen kann nur darin bestehen, gegen den Trend wachsen zu wollen.“ S. 7; „Diese anspruchsvollen Ziele signalisieren den Willen der evangelischen Kirche, gegen den Trend zu wachsen und die eigenen Mitglieder wie Menschen, die noch außerhalb der evangelischen Kirche stehen, durch die Qualität ihrer Kernangebote zu überzeugen.“ S. 52.

Liedvorschläge: EG 317 Lobe den Herren; EG 272 Ich lobe meinen Gott; EG 331 Großer Gott wir loben dich; EG 279 Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren; EG 398 In dir ist Freude; EG-HN 638 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt; Lebenslieder (CVJM) 242 Großes hat der Herr getan (Clemens Bittlinger); Lebenslieder 243 Die Wüste erwacht (CTA/ Christusträger); Lebenslieder 235 Noch haben wir sie nicht gesehn (Flo Price/ Manfred Siebald) Blinde werden sehn, Lahme werden gehn (Werner Arthur Hoffmann); Kommt und empfangt den Geist des Sohnes (John Wimber/ Lothar Pöll); Lebenslieder + 115 Herr, ich komme zu dir (Albert Frey) zu Anfang.

Winfried Klotz, Pfr. Jg. 1952, verh. 3 Kinder, 1982-83 ein Jahr in Israel.

Winfried.klotz@web.de

Winfried Klotz, Pfr. Am Gänsbrunnen 19, 64732 Bad König; winfried.klotz@web.de

Predigt für den 14. Sonntag n. Trinitatis, 18. 9. 2022; Text: Jesaja 12

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