Lukas 10,38-42

Lukas 10,38-42

15. Sonntag nach Trinitatis | 25.09.22 | Lk 10,38-42 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård erzählt in einem seiner Bücher von dem Sommer, in dem seiner Frau in eine ernste Depression geriet. Sie sind in einem Ferienhaus, und tagelang liegt sie hinter zugezogenen Gardinen im Schlafzimmer, während er sich um ihre drei Kinder kümmert. Er soll seine Tochter zu ihrer Freundin fahren und seinen Sohn bei dessen Freund abholen. Er soll zum Abendessen Fleischklöße zubereiten und Spaghetti kochen. Er soll für den Abwasch sorgen, und am nächsten Morgen soll er Frühstück machen für die Kinder. Er soll die Katze füttern, den Wäschetrockner leeren, die Wäsche in den Trockner füllen, ein Programm wählen und die Maschine anmachen. Er soll das Zeug zusammenlegen, und er soll eigentlich auch Spielzeug und Bücher aufräumen, die im ersten Stock überall herumliegen, aber er will seine Frau nicht wecken, deshalb geht er stattdessen herunter und leert den Kühlschrank, wirft etwas weg und wäscht ab. Er soll mit den Kindern baden gehen, und er soll einkaufen und am Abend Gäste bewirten, und vielleicht sollte er allmählich auch seine Frau doch wecken. Er wird sehen, ob er sie nicht zum Leben aufwecken kann. Das kann er nicht. Soll er einen Krankenwagen rufen? Ja, schließlich ist es das, was er an diesem Tag tun kann. Nach einem Krankenwagen rufen.

So viel ist zu tun, wenn man nicht nur man selbst ist, und Knausgård schreibt so detailliert über ganz gewöhnliche Dinge, die wir gewöhnlich übersehen, wenn man alles beachten muss. Wenn man eine Frau hat, die tief deprimiert ist, und drei Kinder, die Sommerferien haben, und eine Katze und eine Küche und ein Haus, wo alles Chaos ist, und einen langen Tag, der irgendeine Form oder irgendeinen Inhalt haben soll, dann stimmt es irgendwie nicht, was Jesus sagt, dass nur eines not ist.  Dann sind es tausend Dinge, die in dem Maße vonnöten sind, wenn die Kinder des Autors es guthaben sollen, ein Haus, in dem sie leben können soll, seine Frau, die Hilfe haben soll, ja letztlich wenn sie überleben soll. So ist es bei uns in unserem Leben. Wenn da jemand ist, mit dem wir verbunden sind, für den wir verantwortlich sind, dann ist da richtig viel, was nottut. Dann können wir uns nichteinfach die Hände in den Schoß legen.

Worauf es ankommt, das ist dies, dass ein Mensch in den Augen Jesu in zwei Beziehungen steht. Das eine ist die Beziehung zu den Menschen, mit denen wir verbunden sind., in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft und in den Zusammenhängen, in denen wir leben. Die andere Beziehung ist das Verhältnis zu Gott und seinem Sohn. Und von dieser Beziehung spricht Jesus im heutigen Evangelium. Es ist sich ganz klar darüber, dass es eben nötig ist, die Waschmaschine anzumachen, Spaghetti zu kochen und 117 andere Dinge zu tun in den Beziehung en zwischen uns und denen, die uns brauchen. Das sind keine zweitrangigen Dinge in den Augen des himmlischen Vaters, im Gegenteil, sie sind lebensnotwendig und unsere Pflicht. Aber in der Beziehung zu ihm selbst, zu Gott und seinem Sohn ist nur ein einziges Ding notwendig, und das ist das, was Maria tut: Sich hinsetzen, zur Ruhe kommen und auf das hören, was er sagt. Sich auf das und nichts anderes konzentrieren, solang e es dauert, so dass die Worte die Möglichkeit haben, in unseren Herzen Fuß zu fassen.

Wenn es um alle anderen Gäste gegangen wäre, hätte Martha völlig recht, dass Maria ihr in der Küche helfen sollte, damit Essen auf den Tisch kommt. Aber nicht, wenn es unser Herr ist, der zu Besuch kommt. Da ist es Maria, die in dem Augenblick den guten Teil gewählt hat, wo sie sich in ihren Routinen stören lässt und alles liegen lässt, weil sie instinktiv merkt, dass die in diesem Augenblick nur dies und nichts anderes soll.  Hier ist ein Mann, der zu ihr von Gott spricht, als wäre sie nicht nur eine Frau, die zu Hause in die Küche gehört, sondern als einem Menschen, dem er etwas zu sagen hat. In einer Stunde, wenn er gegangen ist und nicht mehr erzählt, wird sie sicher auf die Beine kommen, denn da gibt es alles Mögliche andere, was nötig ist, aber nicht jetzt. Nun geht es nur darum, kein einziges Wort zu versäumen.

Martha ist dagegen so mit dem beschäftigt, was sie selbst tun soll, dass sie nicht merkt, dass dieser Gast nicht ist wie alle anderen Gäste und dass er deshalb von ihr nicht dasselbe erwartet wie alle anderen Gäste. Vielleicht versteht sie es, wenn er ihr antwortet: „Martha, Martha“, so als rufe er sie auf, als wolle er sie auch wecken aus den Routinen, in denen sie gefangen ist, „du hast viel Sorge und Mühe“, das heißt: Das brauchst du nicht, denn ich verlange nichts von dir; gerade jetzt ist da nichts, was du tun sollst; du sollst dich nur hinsetzen, dich auf das konzentrieren, was ich sage, und nicht auf alle deine eigenen Impulse, und du sollst zur Ruhe kommen.

Lukas erzählt nicht, wie die Geschichte endet. Wir können nur hoffen, dass Martha nicht zurück in die Küche marschiert, sondern hört, wer sie da ruft, sich hinsetzt, weil das an der Zeit ist. Denn ein Leben wird allzu schwer zu tragen sein, wenn es lauter Geschäftigkeit und Aktivität ist. Projekte und Leistungen und Aufgaben, die zu lösen sind, Wäsche, Katzenfutter, Küchenschränke, Mittagsgäste und alle die tausend anderen Dinge, die notwendig sind, wenn wir für unser Haus sorgen und unserer Arbeit nachgehen und vor allem für einander sorgen. Wir brauchen in hohem Maße auch die besondere Beziehung, wo nicht wir es sind, die etwas leisten sollen und aktiv sind und arbeiten – sondern wo wir es sind, die empfangen sollen, was ein anderer gibt. Die besonderen Augenblicke, wo unsere Leistungsfähigkeit in etwas anderem und Größeren ruhen darf. Amen.


Pastorin Marianne Frank Larsen

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