Jesaja 26,(9–11).14.19

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Jesaja 26,(9–11).14.19

Unbestechlichkeit des Todes und Auferstehungshoffnung | Osternacht | 09.04.2023 | Jesaja 26,(9–11).14.19 | Thomas Bautz |

Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, / auch mein Geist ist voll Sehnsucht nach dir. Denn dein Gericht ist ein Licht für die Welt, / die Bewohner der Erde lernen deine Gerechtigkeit kennen.

Aber der Frevler lernt nie, was gerecht ist, / auch wenn du ihm Gnade erweist. Selbst im Land der Gerechtigkeit tut er noch Unrecht, / doch er wird den erhabenen Glanz des Herrn nicht erblicken.

JHWH, deine Hand ist erhoben, / doch deine Gegner sehen es nicht; aber sie werden es sehen / und sie werden beschämt sein von deiner leidenschaftlichen Liebe zu deinem Volk; / ja, Feuer wird sie verzehren.

Die Toten werden nicht leben, / die Verstorbenen stehen nie wieder auf; denn du hast sie bestraft und vernichtet, / jede Erinnerung an sie hast du getilgt.[1]

JHWH, die Toten deines Volkes [die Toten JHWHs] werden wieder lebendig, ihre Leichen [die Leichen der verstorbenen Gerechten aus der Gemeinschaft des Beters] werden auferstehen! Wacht auf und singt vor Freude, alle, die ihr unter der Erde ruht! Du, Gott, bist wie erfrischender Tau am Morgen. Durch deine belebende Kraft gibt die Erde die Leiber der Verstorbenen zurück.[2]

Liebe Gemeinde!

Eine frohmachende, ermutigende Botschaft im christlich-kirchlichen Kontext – eine Osterbotschaft sozusagen!? Doch gilt es, sich auf den gehörten Text aus der Jesaja-Apokalypse einzulassen, wenn anders Texte aus der hebräischen Bibel eigene Traditionen haben. Es ist prophetischen und erst recht apokalyptischen Überlieferungen zu Eigen, scharfe Kontraste vor Augen zu malen, Bilder drastischer Gegensätze (Dualismen). Reale Bedrohungen durch Fremdvölker, Leiderfahrungen durch die Feinde Israels bis zur Zerstörung des Zentralheiligtums, des Tempels in Jerusalem – all dies wird theologisch verarbeitet und dem Glauben an JHWH, an den lebendigen Gott Israels, gegenübergestellt.

Man stellt sich diesen Gott als einen gerechten vor, der sein Volk vor den Feinden nicht nur in Schutz nimmt, sondern auch Rache nimmt an den Herrschern, die Israel unterdrücken. Es kommt auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen; Könige Israels fällen mitunter politisch falsche Entscheidungen oder werden sogar ihrem Glauben an JHWH untreu; das Volk selbst und die Priester verehren Götzen. Man lädt sozusagen den Zorn JHWHs auf sich; aber Israels Gott erweist sich immer wieder neu als ein barmherziger, geduldiger, liebender Gott, so dass Israel als Kollektiv weiterhin Gnade erfährt.

Das Auf und Ab von Glauben, Gottvertrauen, Unglauben und Untreue spiegelt sich natürlich auch im Leben des Einzelnen, ebenso die individuellen Lebens- und Leidenserfahrungen: Erfolg, Kindersegen, Freundschaft, Reichtum, aber auch Krankheit, Bedrückung, Bedrohung, Gewalt, Anfeindungen. Die Betroffenen fliehen im Gebet zu JHWH, bitten um Heilung, Schutz, Bewahrung, polarisieren aber in Situationen äußerer Bedrängnis. Um die Vorstellung von einem gerechten, liebenden Gott aufrecht zu erhalten, sind es negative Umstände, Feinde und vor allem Frevler, Gottlose, die sich nicht nur gegen den Gläubigen, sondern gegen JHWH selbst stellen.

Man vertritt auch den Gedanken, dass Gott selbst Unglück, Krankheit und Krieg walten lässt, und es entwickelt sich die Vorstellung eines dualistischen Weltbildes: Aufteilung der Menschen in Gerechte und Ungerechte, Gläubige und Gottlose. Da nun aber Gottvertrauen oder Treue im Glauben auch den Gerechten oder Frommen nicht vor Leid, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Krieg bewahrt und die Verbrechen oder Untaten der Frevler im Leben des Gerechten häufig nicht vergolten oder gerächt werden, muss man sich damit begnügen, dass ihnen wenigstens mit dem Tod eine unbestechliche, endgültige Grenze gesetzt ist:

Die Toten werden nicht leben, / die Verstorbenen stehen nie wieder auf; denn du hast sie bestraft und vernichtet, / jede Erinnerung an sie hast du getilgt.

Anders hingegen die Menschen, die JHWH im Leben treu waren; von seinen Toten heißt es:

Deine Toten werden leben, / die Leichen stehen wieder auf; / wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln. / die Erde gibt die Toten heraus.[3]

Diese polarisierende, dualistische Aufteilung und Vorstellungswelt[4] von Himmel und Hölle, um es in althergebrachten Bildworten zu sagen, ist absolut menschlich; wer wünschte seine Feinde nicht in die „Hölle“, wenn sie einem bis zum Äußersten zusetzen?! Dieses Denken nimmt manchmal bedrohliche Züge an; nach dem möglichen Einsatz von Nuklearwaffen gefragt, soll Putin sinngemäß gesagt haben: „Nun, die (Feinde) gehen in die Hölle, und wir kommen in den Himmel …“

Der Glaube an eine Auferweckung der Toten, Gedanken an Auferstehung sind in der hebräischen Bibel selten; sie werden sogar hinterfragt,[5] aber es gibt sie, und bis heute treiben sie uns um.

Die meisten von uns haben irgendwann – vielleicht erst vor kurzer Zeit – einen geliebten Menschen aus der Familie oder aus dem Freundeskreis verloren, oder der Tod einer uns bekannten Person geht uns nahe, weil wir sie geschätzt und verehrt haben. Die Intensität der Beziehung zum Verstorbenen mag unterschiedlich sein; unsere Trauer hängt auch von der eigenen Mentalität ab. Das Verhältnis mag sich zu Lebzeiten einfach gestaltet haben, weil es die äußeren Bedingungen erlaubten. Oder es wurde durch größere Entfernungen und berufliche Verpflichtungen erschwert. Kontakte sind aber oftmals relativ unabhängig von Zeit und Ort, weil die Beziehung von Herzensgrund besteht.

Wie auch immer Menschen am Grabe trauern, vielleicht wird manchmal auch über das eigene Ende nachgedacht, oder es beschleicht uns der – fast verwegen anmutende – Gedanke, ob es ein Leben nach dem Tode gibt. Ich finde es legitim, darüber nachzudenken: „War das alles?!“ „Oder kommt da noch etwas?“ Die Fragen sind sehr unbestimmt formuliert, weil wir auch nichts Bestimmtes erwarten (können), weil uns nichts Bestimmtes erwartet.

Zwar mag sich eine diffuse Hoffnung regen, aber sie nimmt keine konkrete Gestalt an. Der Tod bleibt unüberwindlich, versperrt uns den Weg darüber hinaus oder in ein Danach. Es mag bewundernswert erscheinen, wenn gläubige Menschen problemlos an ein Weiterleben oder an Auferstehung glauben. Das darf aber nicht allen Trauernden abverlangt werden, zumal eine solche Erwartungshaltung einer Grenzüberschreitung (!) den Hinterbliebenen, den noch Lebenden gegenüber gleichkommt.

Als Pfarrer habe ich oft, mich auf biblische, spirituelle Texte stützend, versucht zu vermitteln, dass es meiner Meinung nach Gründe gäbe, noch eine andere Dimension anzunehmen, die uns verschlossen bleibt, solange wir an das Raum-Zeit-Kontinuum (einfacher: an Raum und Zeit) gebunden sind. In der Natur, ja, im Kosmos verschwindet nichts, es wird nur „verwandelt“, umgewandelt, transformiert in eine für uns unbekannte, nicht ersichtliche „Gestalt“, Form, Substanz o.ä. In gewisser Weise kann es sogar ein „Wiedersehen“ geben. Später habe ich mich ob meiner Worte erschrocken und hoffte, dass ich niemanden damit vor den Kopf gestoßen oder irritiert habe. Denn ich habe trösten wollen, ohne selbst frei von Zweifeln[6] zu sein. Aber für mich war es dennoch stimmig, ich blieb authentisch.

Es mag sein, dass wir als naturwissenschaftlich aufgeklärte Menschen Schwierigkeiten haben, über ein Leben nach dem Tod nachzudenken und somit auch Gedanken an Auferstehung problematisch finden. Verschiedene Völker, Kulturen, Religionen, moderne Schriftsteller und die Filmwelt haben sich natürlich mit Jenseitsvorstellungen befasst. Ich möchte mit Ihnen schauen, was die hebräische Bibel und ihr kulturelles Umfeld zu dem Thema zu sagen hat.

Zunächst gibt es die Vorstellung vom Totenreich (Scheol) als „Aufenthaltsort“ der Toten. Daran knüpft eine Verehrung der Ahnen und der Familien, über den Tod hinaus (Ahnenkult).[7] Die Reichen können sich aufwendige Grabkammern leisten; davon zeugen bis heute die Pyramiden in Ägypten. Zunächst werden Leichname der Pharaonen mumifiziert, ihnen wird Göttlichkeit und ewiges Leben attestiert, davon zeugen auch die üblichen Grabbeigaben.[8] Später steht die Mumifizierung allen Ägyptern, faktisch aber eher den Wohlhabenden offen.[9] In Israel herrscht zunächst die Auffassung von einer strikten Trennung von JHWH, dem Gott des Lebens, und den Toten. Das Totenreich liegt als Ort der Gottesferne außerhalb des Machtbereichs Gottes, und die Toten loben JHWH nicht.[10]

Die Grenze zwischen JHWH und den Toten wird in nachexilischer Zeit überschritten. Ps 49 und Ps 30 fragen nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts von Leiden und Bedrängnis und bekennen sich zur Hoffnung auf eine Gottesgemeinschaft des Frommen auch jenseits der physischen Todesgrenze:

„Gott aber wird mein Leben loskaufen, aus der Gewalt des Totenreichs nimmt er mich auf“ (Ps 49,16).

„JHWH, du hast mich heraufgeholt aus dem Totenreich, zum Leben mich zurückgerufen von denen, die zur Grube fuhren“ (Ps 30,4).

Wenn mitunter metaphorischer Sprachgebrauch vorliegt, haben betende Menschen dennoch eine Realität vor Augen, sonst würden sie nicht auf diese Sprache zurückgreifen. Allerdings durchleiden Menschen bis heute verheerende Lebensbedingungen, grauenhafte Zustände, die provozieren, dass man sie in einer Sprache des Todes zu beschreiben versucht, die Totenreich und Hölle so benennt, wie es z.B. Ps 88 zum Ausdruck bringt (in Auszügen; Zürcher Bibel, 2007):

„Mein Gebet gelange zu dir. Denn ich bin mit Leiden gesättigt, und mein Leben ist dem Totenreich nahe. Ich zähle zu denen, die zur Grube hinabsteigen, ich bin wie ein kraftloser Mann, ausgestoßen unter die Toten, Erschlagenen gleich, die im Grabe liegen, deren du nicht mehr gedenkst. Du hast mich hinunter in die Grube gebracht, in Finsternis und Tiefe. Eingeschlossen bin ich, komme nicht hinaus. Ich rufe zu dir allezeit. Tust du an den Toten Wunder, stehen Schatten auf, dich zu preisen? Wird deine Güte im Grab verkündet, deine Treue im Abgrund? Werden deine Wunder in Finsternis kund und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? Ich aber schreie zu dir, JHWH …“

Menschen geraten bis heute in Situationen, in denen sie sich zeitweise oder gar dauerhaft fühlen, als wären sie lebendig tot, als würde ihr Körper verfaulen oder ihre Gebeine vermodern; als würde ihnen noch der letzte Tropfen Wasser entzogen, ihren Leib verdorren lassen. Einzig ihr Gehirn funktioniert bis zum leidigen, aber auch längst herbeigesehnten Ende und fragt: Ist das Leben nur eitel Wahn?! Wen würde es wundern, wenn bei diesen gepeinigten Menschen nicht die Sehnsucht nach Ausgleich, nach ausgleichender Gerechtigkeit wach wird und sie darauf hoffen, aus dem Staub aufgeweckt zu werden, ohne freilich Gedanken darüber zu verschwenden, wie eine Auferstehung aussehen mag.[11]

Neben der Frage, gibt es ein Leben nach dem Tod, ist doch eine andere weitaus wichtiger, nämlich: Gibt es ein Leben vor dem Tode, in dem Sinne, nicht nur biologisch zu existieren und nicht nur im Sinne eines ständigen Kampfes ums Überleben. Grausige Beispiele für Sterben und Tod mitten im Leben oder für ein gewaltsam extrem verkürztes Leben finden sich leider Gottes (!) zu allen Zeiten und weltweit, kulminierend in der Fabrikation der Leichen in deutschen Vernichtungslagern:[12]

Ein SS-Lagerführer begrüßt die neu Angekommenen: „Ich warne euch, ihr seid hier nicht in einem Sanatorium, sondern in einem deutschen Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt, als durch den Schornstein. […] Wenn Juden im Transport sind, dann haben sie kein Recht, länger als zwei Wochen zu leben.“ In Dachau begann die Begrüßung mit den Worten: „Hier sind Lebende, die aber schon tot sind“.

Der Auschwitz-Überlebende David Olère hat die unvorstellbaren Geschehnisse und Gräueltaten im KZ als Künstler in Bildern ausgedrückt, die der grausamen Wirklichkeit erschreckend nahekommen, z.B. Der einzige Ausgang (1945): Olère bestätigt, was Nelly Sachs dichtet; seine Darstellung, ganz in dunklen und hellen weißgrauen Tönen, zeigt vor einem gänzlich schwarzen Hintergrund eine riesige Menschenwolke, die aus dem dunkelgrauen Schornstein eines Krematoriums quillt.[13]

Wie durch eine Kongenialität der Geister (Friedrich Schleiermacher) dichtet Nelly Sachs:[14]

„O die Schornsteine // Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, / Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch / Durch die Luft – […] // O die Schornsteine! / Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub – / Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein / Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch? // O die Wohnungen des Todes, / Einladend hergerichtet […] / O ihr Finger, / Die Eingangsschwelle legend / Wie ein Messer zwischen Leben und Tod – // O ihr Schornsteine, / O ihr Finger, / Und Israels Leib im Rauch durch die Luft!“

Doch steht kleingedruckt über dem Gedicht „trotzig“ ein Zitat aus dem Buch Hiob (19,26):[15] „Und nachdem meine Haut zerschunden wurde, werde ich Gott schauen ohne mein Fleisch.“ Zuvor heißt es bei Hiob (Hi 19,25): „Ich aber weiß: Mein Anwalt lebt, und zuletzt wird er sich über dem Staub erheben.“ Der über alle Maßen gequälte, sich vor Schmerzen krümmende Protagonist Hiob, der in der gleichnamigen komplexen Erzählung erleiden muss, wie sein Leib allmählich zugrunde geht, schreit seine an Gewissheit grenzende Hoffnung heraus: Ich werde Gott schauen ohne mein Fleisch!“

Damit überschreitet Hiob eine traditionelle Grenze: Die Anthropologie der hebräischen Bibel kennt keine Trennung von Körper und Seele, Leib und Geist, es ist daher „unzweifelhaft, daß die Körper auferstehen. Leben ohne Körperlichkeit ist nach dem AT unmöglich.“ Die Auferstehung wird deshalb „nicht irgendeine ‚Verklärung des Geistes‘ sein.“[16] Doch wie auch immer Auferstehung gedacht wird, die Vehemenz der Auferstehungshoffnung basiert auf dem Glauben an den lebendigen Gott, der Herr ist über Leben und Tod, dessen Macht den letzten Feind des Menschen, den Tod, vernichtet, und der „die beglückende Gemeinschaft mit Jahwe“ wiederherstellt.[17]

Gewissermaßen sind wir mit etwaigen Vorstellungen von Auferstehung oder Auferweckung der Toten inzwischen nicht viel weiter gekommen. Dennoch werden Menschen wie Schriftsteller und Filmemacher – keine unseriösen Phantasten oder Visionäre, auch keine Nahtoderfahrungen[18] – angetrieben vom zutiefst menschlichen Drang, Licht in die unbekannte, uns verschlossene Welt zu bringen, um mit bescheidenen, unzureichenden Mitteln „hinter den Horizont“[19] zu blicken. Unserer Sehnsucht, unseren Wünschen entgegenkommend. Paradoxerweise ist es nur mit Phantasie und Fiktion möglich, sich ein Leben nach dem Tod auszumalen, wie es aber gleichermaßen kaum möglich ist, sich vorzustellen, dass nach diesem Leben nichts mehr zu erwarten ist, dass alles vorbei sein soll.

Man kann auch nichts mitnehmen: „Das letzte Hemd hat keine Taschen!“[20] Aber man möchte gern etwas festhalten: “You must leave now / Take what you need you think will last / But whatever you wish to keep / You better grab it fast // Strike another match, go start anew / And it’s all over now, baby blue” (Bob Dylan, 1965). Es muss einen Neuanfang geben! Und dazu muss man loslassen: „You cannot take all luggage with you on all journeys” (C.S. Lewis: The Great Divorce).[21]

Schon im Leben möchten wir gern liebgewordene Dinge festhalten; wenn wir Kinder haben, kann es uns schwer fallen, sie loszulassen, ihnen ihr eigenes, neues Leben zu gönnen. Ein Neuanfang ist nicht leicht, obwohl er sich im Nachhinein oft als Erleichterung erweist. Zum schwierigen Teil des Lebens gehört für viele Menschen der Prozess des Alterns; jeder Mensch wird ihn unterschiedlich erleben oder besser: durchleben. Wenn es gelingt, die Vorzüge des Alters zu erkennen, mag diese Phase sehr schön werden; man kann Lebenserfahrungen weitergeben: Schlüsse, Erkenntnisse aus gescheiterten Plänen oder Vorhaben; man muss nicht mehr verheimlichen, was uns misslungen ist. Aber natürlich sollte man vor allem davon schwärmen, was wertvoll war und vielleicht noch geblieben ist. Man mag über Begegnungen berichten, die das eigene Leben bereicherten; Menschen, von denen wir lernten.

Der schwierigste Teil des Lebens dürfte für die meisten Menschen in unserem Kulturkreis das Sterben sein. Ich meine nicht nur das leidvolle Sterben, sondern das Sterben schlechthin als unbestechliches Ende unserer physischen Existenz, die Zäsur angesichts des Todes, der unhintergehbar bleibt, selbst für Menschen, die an (ihre) Auferstehung glauben. Für sensible und religiöse Menschen äußert sich der Blick ins Angesicht des Todes in einer Regung ihres Gewissens. Sie fragen – vielleicht erstmalig –, ob der Himmel auf sie wartet oder etwa die Hölle. In der Phantasiegeschichte von C.S. Lewis kommt es auf die Haltung und Perspektive des Menschen an, was man festhalten will, was man akzeptiert:

„Wenn wir darauf bestehen, die Hölle [Irdisches] zu behalten, werden wir den Himmel nicht sehen; wenn wir den Himmel annehmen, werden wir nicht in der Lage sein, auch nur die kleinsten und intimsten Erinnerungen an die Hölle zu bewahren.“ Lewis bezeichnet das irdische Leben bildhaft (metaphorisch) als „Hölle“, weil er sie bildhaft mit dem „Himmel“ vergleicht. Er erzählt in seiner Phantasiegeschichte, wie viele Menschen Irdisches zunächst nicht loslassen (können, wollen).[22]

Ich muss zugeben, dass ich verdammt schön am Leben hänge und ich nicht weiß, wie ich es schaffen werde, es eines Tages loslassen zu müssen, ob unter Schmerzen oder friedevoll; ich habe Angst davor, vertraute und geliebte Menschen zurücklassen zu müssen. Ja, ich ängste mich auch vor dem Tod. Das finde ich aber nicht schlimm. Denken Sie bitte nicht, diese Empfindungen, Bedenken, Zweifel wären in meinem Beruf tabu. Oft denke ich daran, dass zu viele Menschen nicht die Hölle, aber ihre eigene Hölle im Leben durchleiden. Möge man Sie doch aus ihrem Inferno hinausführen, wann immer es einigen beherzten Mitmenschen möglich ist, wenn schon kein Gott ihnen hilft!

Wir Menschen können keinen Himmel auf Erden erschaffen; die Folgen des Klimawandels werden wir kaum wirksam aufhalten, weil sich zu viele Erdbewohner der „Hölle“ in vielerlei Gestalt verschrieben haben: Kapitalismus, Wachstumswahn, Materialismus und vor allem Egozentrik und Gleichgültigkeit. Wird sich deshalb wieder eine Auferstehungshoffnung durchsetzen? Die Vision des Apokalyptikers (ApkJoh 21,1a.b): Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen bleibt bestehen. Dann wird es sicher auch eine Auferstehung geben!

Amen.


Pfarrer Thomas Bautz

(„im Unruhestand“)

Bonn

th-bautz@t-online.de

bautzprivat@gmx.de


Weiterführende Literatur

Christoph Barth: Die Errettung vom Tode. Leben und Tod in den Klage- und Dankliedern des AT, neu hg.v. Bernd Janowski (1997).

Bernd Janowski: Beiträge zur Theologie des AT. Band 3: Der Gott des Lebens (2003).

Franz Zeilinger: Der biblische Auferstehungsglaube. Religionsgeschichtliche Entstehung, heilsgeschichtliche Entfaltung (2008).


[1] https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/jes26.html.

[2] https://www.bible.com/de/bible/73/ISA.26.19.HFA; Goswin N.M. Habets: Die große Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27). Ein Beitrag zur Theologie des Alten Testaments (1974): (I) Jes 26,7–19 (S. 126–149): V. 19 (S. 146–149).

[3] https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/jes26.html.

[4] Prägnant (Daniel 12,2): „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu“ (cf. Zürcher Bibel, 2007). Es gibt Parallelen zu Jes 26,19; jedoch wird in Dan 12,2f die Auferstehung für zwei Gruppen erhofft: die eine wird zum ewigen Leben, die andere zur Schmach erwachen. Wie das doppelte Los der Auferstandenen aussieht, steht nicht beschrieben; cf. Habets: Die große Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27), 264–266; TRE 4 (1979), Art. Auferstehung I. Auferstehung der Toten I/2. Judentum (Günter Stemberger), 443–450: (1.) Voraussetzungen im Alten Testament, 443–444.

[5] Bei Kohelet (Pred 9,5) gilt allen Menschen ohne Unterschied: „Denn die Lebenden wissen, dass sie sterben werden, die Toten aber wissen nichts; sie haben auch keinen Lohn mehr, denn ihr Andenken ist vergessen.“ Cf. Hiob 14,10.12 – in Bildreden wie Hosea 6,1–3 und Visionen wie Ezechiel 37,1–14 geht es um Wiederbelebung und Wiederherstellung des Volkes Israel, nicht aber um Auferstehung wie in Jes 26,19; cf. Habets: Die große Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27), 260–261.

[6] TRE 4 (1979), Art. Auferstehung III. Praktisch-theologisch (Friedrich Wintzer), 529–547: (7.) Auferstehungs-glaube zwischen Zuversicht und Anfechtung, 543–545: 543f.

[7] Cf. Kathrin Liess: Auferstehung (AT), wibilex (2005): (1.) Die Scheol als Ort des Lebens nach dem Tode, S. 1.

[8] S. Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne (3. Aufl. 2012): (8.) Ordnung der Dinge (106–136): (8.5) Entdifferenzierung (8.5.1) Letzte Dinge, 121–124: 121ff.

[9] Cf. Othmar Keel: die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen (3. Aufl. 1980): (II.) Mächte der Vernichtung (1.) Bereiche des Todes (53–68): (a.) Das Grab, 54–60: 57–59. Der komplizierte Prozess der Mumifizierung dauert mehr als zwei Monate (57–58).

[10] S. Peter Riede: Jenseitsvorstellungen (AT), wibilex (2014).

[11] Paulus verwendet in Beschreibungsversuchen verschiedene Analogiebildungen: 1 Kor 15,35–44.

[12] D. Wesołowska: Wörter aus der Hölle. Die „Lagerszpracha“ der Häftlinge von Auschwitz (1998): (II.) … Hatte es doch Methode (153–238): Die destruktive Funktion der Sprache, 231–238: 232 (kursiv; Th.B.).

[13] Ausst.-Kat. David Olère: 1902–1985. A painter in the Sonderkommando at Auschwitz. Un peintre au Sonder-kommando à Auschwitz (= L’Oeil du Témoin / The Eyes of a Witness). The Beate Klarsfeld Foundation, hg.v. Serge Klarsfeld, New York (1989), 58–59: „Que sont-ils devenus? Dites-moi, M. Olère, avez-vous vu là-bas mon père, ma mère? Que sont-ils devenus, mes parents?“ (1945), (What happened to them? Tell me, Mr. David Olère, did you see my father or my mother there? What happened to my parents?), 39 x 27 cm, Olère Family (Privatbesitz); Vergessen oder vergeben. Bilder aus der Todeszone. Texte von Alexandre Oler. Bilder von David Olère (2004, 2. Aufl. 2012), S. 40–41; Original: Un génocide en héritage (1998).

[14] In den Wohnungen des Todes. Dein Leib im Rauch durch die Luft: O die Schornsteine auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, in: Nelly Sachs: Fahrt ins Staublose. Gedichte (1961; 1988), 5–68: 8.0

[15] Beide Verse nach der Zürcher Bibel, 2007.

[16] Habets: Die große Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27), 264–266

[17] Habets: Die große Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27), 261–262 u. 267.

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Nahtoderfahrung.

[19] Cf. den zu Unrecht kontrovers diskutierten Film What Dreams May Come (1998); dt. Hinter dem Horizont; https://en.wikipedia.org/wiki/What_Dreams_May_Come; https://de.wikipedia.org/wiki/Hinter_dem_Horizont.

[20] H. Böhme: Fetischismus und Kultur (2012), 121: „Wir sterben, Dinge nicht. „Der Tod hat keine Taschen.“ Aber: „Tote sollen auch als Tote reich an Dingen sein“ – zum Fortbestand ihrer Identität (Totenkult).

[21] Clive Stapels Lewis (1898–1963): The Great Divorce (1945); C.S. Lewis, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller,  anglikanischer Laientheologe; https://en.wikipedia.org/wiki/C._S._Lewis. Er war befreundet mit John Ronald Reuel Tolkien (J.R.R. Tolkien, 1892–1973), Schriftsteller, Philologe, Linguist: The Lord of the Rings (1954/55); dt. Der Herr der Ringe (1969/70); der Roman gilt als grundlegendes Werk für die moderne Fantasy-Literatur.

[22] C.S. Lewis: The Great Divorce (1945): Preface (dort auch erstes Zitat); als pdf-Datei (ebook) abrufbar (2014): https://www.fadedpage.com/showbook.php?pid=20140726; dt. Die große Scheidung oder Zwischen Himmel und Hölle (1955; 1989). Lewis besteht darauf, dass seine Erzählung Fiktion ist, auf Phantasien beruht!

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