Jesaja 49, 1-6

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Jesaja 49, 1-6

Jesus aus Nazareth ist für uns der „Knecht Gottes“! | 17. Sonntag nach Trinitatis | 09.10.2022 | Jes 49,1-6 | Dr. Rainer Stahl |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

Es gibt berühmte Sätze, die im Alten Testament zu finden sind, Sätze, die wir gern als große, nicht zu überbietende Zusagen Gottes nutzen, zum Beispiel als Zusagen für Täuflinge bei der Tauffeier – und damit für das gesamte kommende Leben dieses Getauften, dieser Getauften:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jesaja 43,1b).

Einer grundlegenden Bedingung für unser Leben – für Ihr Leben, für mein Leben! – ist hier Sprache gegeben: Es gibt keine absolute und grenzenlose Freiheit. Gott bietet uns deshalb an, uns ein Stück weit aus den versklavenden Bindungen unseres Lebens „zu erlösen“ – „uns freizukaufen“, wie das hebräische Wort eigentlich heißt. Wir sollen uns vorstellen, dass wir auf einem Sklavenmarkt stehen, und Gott es ist, der kommt und uns dort kauft, für sich erwirbt. Wie der Rabbinersohn Karl Marx richtig erkannt hatte: Dass wir immer wieder bereit sein müssen, uns zu verkaufen, um leben zu können, um unser Auskommen zu haben.

Wenn wir uns in diese Grundgegebenheit hineinfinden, dann begreifen wir, wie wichtig die Lösung ist, die uns von Gott aus angeboten wird: Trotz aller Bindungen, mit denen wir weiterhin und bleibend umgehen lernen müssen, kann über unserem Leben diese große Zusage stehen: Von Gott her gilt: „Mein bist du!“ Zu Gott gehöre ich. Das kann mir niemand nehmen. Das gilt selbst angesichts der irdischen Bindungen, denen wir nicht entkommen können.

Im Juni und Juli 2017 hatte ich im „Himmelszelt“, im „Heaven‘s Tent“, des Lutherischen Weltbundes in Wittenberg mitgearbeitet. Damals hatten auch die Herrnhuter im Zelt einen Stand. Da hatte ich die Gelegenheit genutzt und einen ihrer Mitarbeiter gebeten, mir im Computer das Losungswort des Tages meiner Geburt herauszusuchen – das Losungswort des 18. März 1951. Und er konnte mir ein ganz großartiges Wort ausdrucken: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Hiob 19,25a) – „dass mein Freikäufer lebt“. Denn dort steht dasselbe Wort wie in Jesaja 43!

Können wir uns in solchen Zusagen bergen? Erfahren wir uns wirklich als befreit – sogar in selbstverschuldeten oder in von anderen auferlegten Bindungen? Aber, da legt uns doch die wichtige Zusage in Jesaja 43 eine Verunsicherung vor die Füße:

„Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel“ (Jesaja 43,1a). Es gibt eine merkwürdige Tradition: Dass bei der Verwendung dieser Zusage die Begriffe „Jakob“ und „Israel“ weggelassen werden, also die Gemeinschaften „Jakob“ und „Israel“ weggelassen werden. Aber ihnen gilt diese Zusage! Wie können wir damit umgehen?

Ich denke, dass das Bibelwort für die Predigt des heutigen Sonntags eine wirkliche Hilfe bietet – das zweite Knecht-Gottes-Lied nämlich. Ich schreibe es Ihnen so, dass Sie die Gliederung im Hebräischen – vorgenommen durch kleine zusätzliche Zeichen über oder unter den letzten Buchstaben des letzten Wortes jedes Viertelverses – nachempfinden können:

1a Hört mir zu, ihr Inseln,                                             und ihr Völker in der Ferne, merkt auf!

1b Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an;         er hat meines Namens gedacht, als ich

noch im Schoß der Mutter war.

2a Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert

gemacht,                                                                     mit dem Schatten seiner Hand hat er mich

bedeckt.

2b Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht                       und mich in seinem Köcher verwahrt.

3a Und er sprach zu mir: »Du bist mein Knecht,

3b Israel, durch den ich mich verherrlichen will.«

4a Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich                    und verzehrte meine Kraft umsonst und

unnütz.

4b Doch mein Recht ist bei dem Herrn                            und mein Lohn bei meinem Gott.

5a Und nun spricht der Herr,                                          der mich von Mutterleib an zu seinem

Knecht bereitet hat,

5b dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll                    und Israel zu ihm gesammelt werde

5c – und ich bin vor dem Herrn wert geachtet                und mein Gott ist meine Stärke –,

6a er spricht: »Es ist zu wenig, dass du

mein Knecht bist,                                                      die Stämme Jakobs aufzurichten

6b1 und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,

6b2 sondern ich habe dich auch zum Licht der

Völker gemacht,

6c                                 dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.«“

Vers 3 führt uns in die Problemlage ein: Fast generell steht im Hebräischen:

3a Und er sprach zu mir: »Du bist mein Knecht,

3b Israel, durch den ich mich verherrlichen will.«“

In einer antiken Handschrift aber fehlt der Begriff „Israel“.

3a Und er sprach zu mir: »Du bist mein Knecht,

3b durch den ich mich verherrlichen will.«“

Die Juden aber, die im 2. Jahrhundert vor Christus die Übersetzung ins Griechische verfasst hatten, schrieben das Wort „Israel“ als Abschluss des ersten Halbverses:

„„[…] »Mein Knecht bist du, Israel,                                und in dir werde ich verherrlicht werden«.“

Da liegen faktisch zwei Verstehensmöglichkeiten vor uns.

Die erste: Der verkündigte „Knecht Gottes“ ist die Gemeinschaft Israels, ist die Gemeinschaft der Juden!

Die zweite: Der verkündigte „Knecht Gottes“ wird als Befähigter benannt, der vor allem eine Aufgabe an Israel, am Volk der Juden haben wird.

Aus dieser Komplexität hilft nur V. 6 heraus – er macht alles klar:

6a Er spricht: »Es ist zu wenig, dass du

mein Knecht bist,                                                      die Stämme Jakobs aufzurichten

6b1 und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,

6b2 sondern ich habe dich auch zum Licht der

Völker gemacht,

6c                                 dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.«“

Da kommen auch wir in den Blick! Da kommen auch Sie in den Blick! Da komme auch ich in den Blick!

Und nun kann ich nur als Christ weiterschreiben: Der Jude Jesus aus Nazareth ist derjenige, der als der „Knecht Gottes“ verstanden werden kann – ja: muss (!). Der aus dem Volk der Juden kommt. Der „bis an die Enden der Erde“ wirkt. Also: Bis zu uns; bis zu Ihnen; bis zu mir!

Ein Jude wird das Heil für alle Menschen bewirken. Haben wir uns das schon einmal so klar gemacht?

Besser: Ein Jude hat das Heil für alle Menschen bewirkt. Also auch für uns, für Sie, für mich!

Das ist Inhalt unseres Glaubens: Der Jude Jesus aus Nazareth hat uns den Weg in die Zukunft, den Weg in ein sinnvolles Leben frei gemacht.

Hier in Bayern gibt es ja die Tradition der Herrgottsecken, zum Beispiel eine Holzplastik des gekreuzigten Jesus Christus an einer Stelle einer Wand. Vor Jahren war ich als Nachbar zur Einweihung der „Bräuschänke“ der Brauerei Kitzmann in Erlangen eingeladen. Als ich in die Gaststätte kam, bat mich Herr Kitzmann, dass ich einen Segen sprechen möge – er würde mich aufrufen. Und natürlich habe ich dann frei ein Segensgebet gesprochen, übrigens statt „Bräuschänke“ leider „Bräustübl“ gesagt. Als ich an einem der Tische schon saß und noch weitere Gäste kamen, beobachtete ich, wie eine kleine Kreuzplastik, ein Kruzifix, an einer Stelle der Gaststube aufgehängt wurde – die noch heute dort hängt.

Christus im Blick zu behalten. Das wäre wichtig. Das verändert auch unsere Entscheidungen, unser Verhalten. Dass Sie dadurch immer wieder neuen Mut und neue Freiheit gewinnen, das ist mein Wunsch für Sie.

Amen

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Liedvorschläge:

EG 356 – „Es ist in keinem andern Heil […].“

EG 357 – „Ich weiß, woran ich glaube […].“

EG 410 – „Christus, das Licht der Welt […]“

EG 425 – „Gib uns Frieden jeden Tag! […]“

EG 428 – „Komm in unsre stolze Welt […].“

Dr. Rainer Stahl

Erlangen

rainer.stahl.1@gmx.de

[1951 geboren, Studium der Theologie in Jena, Assistent im Alten Testament, 1981 ordiniert, Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, zwei Jahre lang Einsatz beim Lutherischen Weltbund in Genf, dann Pfarrer in Altenburg, Alttestamentler an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Referent des Thüringer Landesbischofs in Eisenach, seit 1998 Dienst für den Martin-Luther-Bund (das lutherische Diasporawerk) in Erlangen, seit 2016 im Ruhestand.]

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