Jesaja 55, 8-12a

Jesaja 55, 8-12a

„Dein Wille geschehe“. | Sexagesimä | 12.02.2023 | Jes 55, 8-12a | Eberhard Busch |

6 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. 7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.

(Jesaja 55,6-12a, Lutherbibel 2017)

Predigt

In Gottes Namen wird uns im verlesenen Bibelwort gesagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege.“ So steht es am Anfang unseres Predigttextes. Da stutzen wir. Wird da an unseren Kopf vorbei über uns bestimmt? Wie viele versuchen das und wie viele machen das, uns derart zu behandeln! Wir wünschen uns ein Leben. in dem es nach unserem Kopf geht. Wir werden nicht gern verwaltet von irgendwem. Stimmt Gott dem nicht zu? Das tönt hart: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“. Gott richtet sich nicht unbedingt danach, was wir haben möchten und von ihm wünschen. Er heißt nicht automatisch gut, was wir für gut halten. Er geht zuweilen daran vorbei. Er geht allemal seinen eigenen Weg. Er hat im Blick auf uns seine eigenen Pläne und Absichten, auch wenn sie uns dunkel sind, auch wenn wir sie nicht kennen. Wir sollen ihm dabei nichts vorschreiben. Wir können ihm da nicht reinreden.

Das tönt hart. Erwarten wird nicht insgeheim dies von der Religion, von der Kirche, ja, auch vom lieben Gott, dass sie uns nach dem Mund reden, dass sie den Kopf nicken zu dem, was wir gern hören wollen. Laufen nicht auch so viele Gebete so, wie die Kinder vor der Weihnacht oder vor dem Geburtstag einen Wunschzettel ausfüllen: dies und das möchten wir haben? Und wenn es anders kommt als vorgestellt, dann sind wir enttäuscht und werden ungehalten, ja, dann strecken wir die Faust gegen den Himmel: „Wie kann Gott das zulassen!“ oder wir bezweifeln überhaupt, dass es einen Gott im Himmel gibt.

Wir möchten ein selbstbestimmtes Leben führen, kein fremdbestimmtes.  Und uns tun die leid, denen das nicht vergönnt ist. Selbstbestimmt leben – das ist jedoch nicht so leicht. Ständig reden uns Stimmen drein, die uns einflüstern, ja, die uns befehlen, dass wir uns nach diesem und nicht jenem richten sollen. Es sind Stimmen, die uns einflüstern, die uns diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben, Stimmen, die wir als Zumutung empfinden. Und es ist ein Gradmesser, ob wir uns von ihnen schon haben fangen lassen, wenn wir sie nicht mehr als Zumutung empfinden.

Unser Bibelwort sagt dazu eine Wahrheit, die nicht ohne eine harte Schale ist. Sie mutet uns zu, dass wir uns eines Anderen belehren zu lassen haben. Wir haben zu lernen, dass es für uns darauf ankommt, den Gedanken Gottes dem Vortritt zu lassen vor unseren Gedanken, so wie wir beten zuerst „Dein Wille geschehe“. und erst dann „gib uns das tägliche Brot.“ Das ist gar nicht leicht, zuerst zu sagen: „Dein“, statt „mein“. Das war auch für Jesus nicht leicht, als er vor seiner Hingabe ans Kreuz im Garten Gethsemane Gott unter Tränen anflehte: Erspare mir das! Aber dann hat er sich durchgerungen, so zu sprechen: „nicht wie ich will“, sondern „Dein Wille geschehe.“ Und der Wille seines himmlischen Vaters war ein anderer als gewünscht.

Es gibt Tage, es gibt Zeiten, in denen es uns schwerfällt, das Jesus nachzusprechen: „Dein Wille geschehe.“ Vielleicht haben wir schon einmal näher nachgedacht, was uns bei dieser Bitte über unsere Lippen kommt. Damit sprechen wir ja aus: Nicht ich soll der Kapitän oder der Steuermann meines Lebens sein. Darüber kann man saftig unzufrieden werden. Dagegen kann man sich sträuben. Gerade dann wird es höchste Zeit, so wie Jesus zu unsrem „Vater im Himmel“ zu beten: „nicht wie ich will, sondern wie du willst“. (Mt 26. 39) „Dein Wille geschehe.“ (Mt 6,10) Und gerade dann werde ich mir sagen lassen, was der Liederdichter Paul Gerhardt in einem Lied so ausgedrückt hat:

„Ihn, ihn lass tun und walten,

 er ist ein weiser Fürst

 und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst.“

Ob wir ihm dafür eines Tages noch dankbar sein werden? „Soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure.“

Aber nun lasst uns diese Worte des Propheten in unserem Predigttext noch unter einem anderen Blickwinkel anhören. Fragen wir uns einmal selber: Unterwerfen wir uns damit nicht blind und willenlos einer uns unbekannten Schicksalsmacht? einem unheimlichen Verhängnis, das beliebig über uns verfügt, ohne dass wir uns dagegen wehren können? Es gibt zweifellos solche dunklen Mächte, denen wir ausgeliefert sind. Sollte der, zu dem wir beten „dein Wille geschehe“, auch eine willkürliche Schicksalsmacht sein?

Gewiss, es gibt dunkle, rätselhafte Schicksale. Fügungen, bei denen wir wie auf den Mund geschlagen sind, bei denen wir wie vor eine unüberwindbare schwarze Wand gestellt sind, – leidvolle Vorgänge, gegen die wir nichts machen können. Wir sind da wie jene Gestalt im griechischen Altertum, gleich dem Promotheus, der sich aufbäumt gegen sein Schicksal, aber vergeblich. Er ist dagegen machtlos, weil er in eiserne Ketten gefesselt ist. Schicksale sind wie solche Ketten, an denen wir uns wundscheuern können. Sind so, dass man gegen sie rebellieren will, aber nicht kann. Und wir wissen ja, dass ein Sich-Abfinden damit auch keine Lösung ist, sogar wenn man sich schließlich damit abfindet. Und wir wissen, dass es ein schöner Traum ist, nur ein Traum, solche Ketten zu zerreißen.

Aber hören wir jetzt genau hin auf das, was uns das Bibelwort weiter sagt: „So wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahinkommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, eben so soll das Wort, so aus Gottes Mund geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, wozu ich es sende.“

Ja, hören wir genau hin! – der Gott, der hier zu uns spricht, er und das Sichicksal sind Zweierlei. Bringen wir beides um Himmels willen nicht durcheinander! Gott ist nicht das Schicksal, und das Schicksal ist nicht Gott. Das Schicksal ist stumm, Gott aber redet, mit einem „Wort aus seinem Mund“. Das Schicksal geht über den Menschen hinweg, Gott aber wendet sich uns zu. Das Schicksal ist teilnahmslos, Gott aber nimmt voll teil an unserem Ergehen. „Die Macht des Schicksals“, wie der Titel einer stundenlangen Oper von Giuseppe Verdi lautet, diese Macht ist eine begrenzte Macht. Sie entgleitet nicht der Macht unsres „Vater im Himmel“. Wir sind dagegen ohnmächtig, Er ist es nicht. Er will uns keine eiserne Kette anlegen, er will uns davon losmachen. Von ihm werden wir nicht niedergewalzt, sondern aufgerichtet. Er stopft uns nicht den Mund. Er öffnet uns den Mund, so, dass wir zu ihm beten: „Dein Wille geschehe.“ Gott will, dass wir mit ihm réden, und will, dass wir mitreden, so wie wir das in jedem Vaterunser tun.

Gott setzt auf unsere Zustimmung. Darum dürfen wir zuversichtlich uns und unsere Nächsten der Güte Gottes anvertrauen. Von ihm werden wir nicht „fremdbestimmt.“ Wir können von Herzen Ja sagen zu dem, was Gott über uns beschlossen hat. Er meint es gut und macht es gut mit uns allen. Im Lied von einem Paul Fleming heißt es: „Was Ihm mit mir beliebet, das will auch ich zu jeder Frist.“. So konnte Dietrich Bonhoeffer noch zuletzt zu Gott beten:

„Und reichst du uns den Kelch, den bittern,

so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern

aus deiner guten und geliebten Hand.“

Diese gute und geliebte Hand – das ist der heilsame Kern in der harten Schale des Nein zu unseren Gedanken und unseren Wegen. Diese Hand lässt uns nicht los und lässt uns nicht fallen. Die hält uns fest, auch wenn es dunkel um uns und in uns ist, auch wenn wir fallen. „Dein Wille geschehe“ – haben wir das Jesus nach-gebetet, dann sprechen wir das nach, vielleicht stotternd und stammelnd, dennoch getrost: das, was der Prophet schon im Alten Testament uns sagt: „Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken und Gottes Wege sind nicht unsere Wege“.

Und dann können wir sogar das auf uns beziehen, was zuletzt in unserem Predigtwort gesagt wird: „Ihr werdet mit Freude ausziehen und im Frieden geleitet werden.“ Ich kenne jemanden, dem dieser Satz schon in seiner Taufe mit auf seinen Lebensweg gegeben wurde: einst, als so viele „Heil“ riefen beim Hitlergruß und als darauf so viel namenloses Unheil angerichtet wurde. Mit Freude aufbrechen, trotz allem Abstoßenden und Bedrückenden, und im Frieden geleitet werden, auch inmitten von all dem Kriegsgeschrei und all dem Ruf nach Waffen und Panzern.

Denn wir haben dann im Aufblick zu dem, der vom Himmel aus regiert, eine Hoffnung, es ist die Hoffnung, die der Dichter Christian Fürchtegott Gellert in der Zeit der Aufklärung gedichtet hat. Was für eine Aufklärung! – in der Hoffnung auf den Tag, an dem sich das vor aller Augen erfüllt:

„Dann werd ich das im Licht erkennen,

was ich auf Erden dunkel sah.

das wunderbar und heilig nennen,

was unbegreiflich hier geschah.

Da schaue ich mit Lob und Dank

die Schickung im Zusammenhang.“


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