Jesaja 55,6-12a

Jesaja 55,6-12a

Wortwechsel in der Warteschleife | Sexagesimä | 12.02.2023 | Jesaja 55,6-12a | Markus Kreis |

Der Worte sind genug gewechselt, lasst Taten sprechen! Aus Goethes Faust stammt der Satz. Zwei Theatermacher schwätzen schön um ihr Tun und Lassen dort rum. Bis einem dritten, der dabeisteht, dem Herrn Direktor, die Sache zu bunt wird. Brüsk unterbricht er die beiden mit dem Satz: Der Worte sind genug gewechselt, lasst Taten sprechen! Und er fordert die zwei auf, sogleich ein Werk der Poesie zu schreiben.

Vielleicht ist Jesajas Leuten das Gerede um Gott auch zu viel geworden. Und sie forderten: Der Worte sind genug gewechselt, lass Taten sprechen! Der Prophet hat gehorcht und einen Text dazu verfasst. Ein wahres Werk der Poesie ist er geworden: Weit über 2000 Jahre ist er alt, liegt schriftlich vor, gilt sehr vielen immer noch als ausgesprochen lesens- und hörenswert.

Wohl gemerkt: Taten sprechen lassen, das heißt bei Goethe und in der Bibel: Gute und passende Worte finden und aufzeichnen – statt nur wortkarg etwas bauen, stechen oder hauen und dergleichen Arbeiten mehr. Taten sprechen lassen, das heißt hier zusätzlich: Schluss mit Sprache, die belanglos ist, nur ein Vergehen der Zeit bewirkt. Die wie eine Nachricht tönt, in Wahrheit doch nur reines Rauschen ist. Und so lauten Jesajas gute und passende Worte:

6 Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. 7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Gottes Wort an alle Stammler und Schweiger, öffentlich Scheue und in sich Gekehrte lautet: Gute und passende Worte, die muss man suchen. Die sind entzogen statt einfach so mal schnell da zu sein. So wie eine Maschine künstlicher Intelligenz scheinbar einfach mal schnell einen durchschnittlich guten Text raushaut. Es ist ok, wenn Mensch nach Worten sucht. Auch wenn er lange dafür braucht. Vor Gott steht er dabei keinesfalls dumm da. Weniger heißt ihm hier eher mehr. Das gilt übrigens auch, wenn es um das Verstehen der Heiligen Schrift geht. Ja, da stehen bekannte Buchstaben. Aber heißt das, dass wir von allein und automatisch deren gute und passende Bedeutung verstehen?

Viele Worte werden von Menschen nur deshalb gemacht: Sie übertünchen, dass ihnen gute und passende Worte fehlen. Das Problem dabei ist ja: Nichts zu sagen, das führt heute fast schon Strafe nach sich. Da schwätzt man halt Standard, bevor man etwas Falsches sagt. Oder etwas Dummes. Oder etwas, das die Gefühle von Leuten verletzt oder einen dann in Zugzwang bringt. Das alles stellt sich unter Menschen dann leider oft so dar:

Zu neugierig, um auf Sensation zu verzichten. Neugierig genug, um nach Skandal und Elend zu schielen. Zu gefühlsdumpf, um einen Verzweifelten gut zu trösten. Verblendet genug, um falsche Hoffnungen zu verbreiten. Zu sehr Besserwisser, um Fehler gut zu kritisieren. Überheblich genug, um jemanden mal richtig runter laufen zu lassen. Zu neidisch, um jemand für seinen Erfolg passend zu loben. Missgünstig genug, sich über den Misserfolg eines anderen leise zu freuen. Zu selbstverliebt, um jemandem richtig zu danken. Genug vom eigenen Erfolg verwöhnt, um nur halbherzig zu danken – oder gleich gar nicht. Zu großkotzig, um einen richtig zu ermutigen, dem die Angst bis zum Hals steht. Brutal genug, um einem zu drohen oder zu kündigen. Zu selbstgewiss, um Falsches als Unwahrheit zurück zu nehmen. Verirrt genug, um einfach so die Wahrheit auszulassen, bewusst oder unbewusst. Zu verdruckst und verstockt, um zu hässlichen Gefühlen zu stehen. Lauthals genug, um mit sozial erwünschten Gefühlen hausieren zu gehen.

Da flüchten viele doch lieber in den Standard, ins Gewohnte, produzieren leere Worte, die ihrerseits Hülsen ausstoßen. Ein Teufelskreis. Hauptsache das Gesicht gewahrt und die Mitmenschen hingehalten, meist mitsamt der Wahrheit. Deshalb wird so viel alter Mist produziert und getextet und gehört und angeschaut: im Radio, im TV, im Internet. Alles voller toller Infos. In den Medien verkommt darüber Sprache langsam zu einer riesigen Gebetsmühle. Nur merkt man das kaum, weil es sehr vielstimmig klingt und gut aussieht. Aber bedeutet grell und viel gleich gut und passend?

Gottes Wort für alle enttäuschten Hörer und Leser sowie die Schnell- und Lautsprecher, Viel- und Berufstexter lautet: Gute und passende Worte, die lassen sich finden. Das heißt: Wem sie fehlen, und wer sich Zeit zu suchen nimmt, dem kommen sie entgegen. Die Zeit, die einem die Sprache verschlägt, die wird zu Ende gehen. Jede Suche ohne Worte wird eine Sprache finden. Dann werden die Hörer oder Leser, jegliche Empfänger, die guten und passenden Worte leicht finden. Und sie finden sie sogar gut und passend und neu.

Warum ist es überhaupt so schwer, gute und passende Worte zu finden? Gottes Gedanken und Wege können ganz anders als sein unsere Gedanken und Wege. Jesaja sagt kurz: Zu hoch für uns! Unabhängig von all unserem Verstehen und Können. Das zugegebenermaßen schon recht hoch und ansehnlich ist. Unser Können, Verstehen und Wollen hat seine Grenzen. Wie auch könnte das anders sein? Eines jeden Leben ist schließlich sterblich und endlich. So auch all das, was daraus erwächst. Wie leicht hat man sich mit der Endlichkeit verschätzt! Weil die im Spiel ist, weiß das Leben einem immer wieder Überraschungen zu bieten.

Die gute Überraschung, das, was hier hoffen lässt – das ist etwas, für das es im Deutschen kein eigenes Wort gibt. Virtue Circle sagt man in den USA oder bei den Briten. Engelskreislauf ist ein Wort, das es im Deutschen leider nicht gibt. So als ob wir meinten, nur das Böse regierte die Welt. In der Kurpfalz sagt man immerhin: Wenn es läuft, dann läuft es halt! Und es läuft in Wahrheit rund. Denn Gott ist wie ein Sisyphos, der unablässig gute und passende Worte in unsere Gedanken wälzt. Auf dass sie auf Mund und Zunge landen und in des Hörers Ohr. Und doch entfallen sie uns immer wieder.

Gottes Gedanken sickern irgendwie in unsere Gedanken ein und machen Sprechen und Leben neu. Das ist bei allen bösen die eine gute Überraschung. Wir jedoch kommen uns vor wie in der Warteschleife. Niemand spricht mit uns, obwohl wir angerufen haben. Und doch gilt: Gott spricht unablässig in uns. Was andere sehen mögen als ein irres Gespräch mit sich selbst – es ist Gott, der mit uns redet. Sein Heiliger Geist spricht in uns. Und wir überhören es oft genug, aller Achtsamkeit zum Spott und Trotz. Wir hören ihn, ohne zu merken, dass er uns anspricht.

Sonst können wir ja ausgesprochen hellhörig sein, wenn jemand sich an uns wendet. Zumal, wenn wir im Habacht sind. Da spüren wir jeden Unterton, da gehen wir dem kleinsten Geräusch nach, merken bei jeder schiefen Schallwelle auf. Aber wenn es darum geht, ob wir den Geist hören oder nur unser eigenes Echo, da gebärden wir uns wie taub. Bleiben stumm oder verfehlen uns in der Sprache. Und trotzdem: Gottes Gedanken sickern irgendwie in unsere Gedanken ein und machen unser Sprechen neu.

Manchmal arbeitet Gott auch ohne groß Worte zu machen. Wortkarg wie Sisyphos wälzt er gute Bedeutung in uns. Sowieso machen Menschen viele Sachen ohne ein Wort zu verlieren. Viel öfter als man so meint. Leider nicht nur gute, sondern auch schlechte. Einige verletzen sich stumm, aus anderen bricht plötzlich Gewalt gegen Mitmenschen hervor. Oder sie kriegen wie aus dem Nichts Attacken der Angst, Verzweifeln. Weiß der Kuckuck, wer so was ins Gehirn wälzt. Es gibt aber auch das Andere. Da, wo Gott wie Sisyphos unentwegt seine Arbeit macht. Auf einmal tut oder sagt jemand etwas Gutes, was er zuvor quasi verweigert hat. Oder was ihm vorher keiner zutraute. Ja, manch einer kommt erst in der Stille „in the zone“ wie die heutige Jugend sagt. Wird dann fokussiert, so dass alles wie von alleine geht. Oder gelangt sogar in einen Engelskreislauf. Wes das Herz voll ist, dem läuft der Mund über. Wenn es läuft, dann läuft es halt. Gottes Wortwechsel läuft jedenfalls in der Warteschleife und tut das Seine.

Und dann bleiben wir neugierig, auch wenn uns jemand oder etwas ältlich oder farblos daherkommt. Dann sind wir sensibel genug und wissen einen Verzweifelten passend zu trösten. Dann sind wir bescheiden genug, um Fehler gut zu kritisieren. Dann gönnen wir anderen ihren Erfolg und feiern mit ihnen. Dann können wir von Herzen danken. Dann sind wir gut beraten und machen Mut, ohne den anderen zu überfordern oder zu unterfordern. Dann stehen wir dazu, dass wir uns geirrt haben. Dann hören wir unsere hässlichen Gefühle in uns sprechen. Und bitten Gott um seine Hilfe im Umgang damit. All das, weil Gott in der Warteschleife am Wortwechsel wie ein Sisyphos arbeitet, jedem Frust zum Trotz. Amen.


Markus Kreis OStR

Werner von Siemens Schule

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