Jesaja 6,1-8

Jesaja 6,1-8

Heilig, heilig, heilig | Trinitatis | 04.06.2023 | Jesaja 6,1-8 | Verena Salvisberg |

Einfach, handlich, griffbereit, praktisch – «handy» könnte man sagen.
Liebe Gemeinde, so mögen viele Menschen ihren Gott. Als Tröster in der Not. Als Beschützer, der seine Engel sendet, «damit dein Fuss nicht an einen Stein stösst». Oder was glauben Sie, welcher Bibelvers die Taufspruchwunschliste anführt?
«Handy» – jederzeit griffbereit. Im Hosensack. In der Handtasche oder eben direkt in der Hand. Damit lässt sich in Nullkommanichts nahezu jedes Problem lösen.
Handlich, griffbereit, praktisch, so mögen viele Menschen ihren Gott.
Einer, der etwas mit dem Leben zu tun hat, den man verstehen kann.
Ein Wohlfühl-, ein Kuschelgott, der nicht zu allzu grosse Forderungen stellt, der das Unglück fernhält, das tägliche Brot bereitstellt, sich ansonsten aber nicht gross in den Vordergrund stellt.

Wie unhandlich, wie unpraktisch, wie sperrig und weltfremd dagegen das Bild von Gott, das am heutigen Sonntag zur Debatte steht. Die Festtage sind mit Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten vollendet. Gott hat sich vielfältig erfahren lassen als Vater, Sohn und heilige Geistkraft. Trinitatis. Dreieinigkeit. Dreifaltigkeit. Wer kann das verstehen? «Die Zangen der Logik fassen sie nicht», erkennt Kurt Marti[1].

Wenn schon nicht die Zangen der Logik, dann vielleicht Anschauung wie in unserem heutigen Schriftwort, Jesaja 6,1-8. Aber auch da: Wie unhandlich, wie unpraktisch, wie sperrig und weltfremd das Bild von Gott, wie es hier das Prophetenbuch zu zeichnen versucht.

Weit, sehr weit weg von allem, was wir kennen oder uns vorstellen können.

Es stirbt ein König, aber es sitzt seit je ein anderer auf dem Thron.

1 Im Todesjahr des Königs Ussijahu sah ich den Herrn auf einem Thron sitzen, hoch und erhaben, und der Saum seines Gewandes füllte den Tempel. 2 Über ihm standen Serafim; sechs Flügel hatte ein jeder, mit zweien hielt ein jeder sein Angesicht bedeckt, mit zweien hielt ein jeder seine Füsse bedeckt, und mit zweien hielt ein jeder sich in der Luft. 3 Und unablässig rief der eine dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen! Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit. 4 Und von der Stimme dessen, der rief, erzitterten die Türzapfen in den Schwellen, und das Haus füllte sich mit Rauch.

Probieren wir uns das vorzustellen. Da ist die Grösse Gottes. Seine Erhabenheit. So hoch ist er, dass nur der Saum seines Gewandes im Tempel Platz hat. Ich stelle mir einen schweren, dicken Stoff vor, vielleicht Samt, die Falten auch am Saum noch erkennbar. Sind es drei?

Und da sind diese Flügelwesen. Viele Flügel, jedes dieser Wesen hat sechs. Das muss ein Geflatter sein. Bewegung. Lufthauch. Obwohl sie nur zwei Flügel brauchen, um sich in der Luft zu halten. Mit zweien bedecken sie das Gesicht, mit zweien die Füsse.

Neben dem Gebrause des vielfältigen Flügelschlags rufen sie einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen. Ein Hin und Her, auch akustisch. Kein Wunder, dass davon die Türen erzittern.

Und das Haus ist voll Rauch.

Uns ist das fremd.

Obwohl: Vielleicht ist da noch die Erinnerung an eine ähnliche Tempelerfahrung.

Mit brausender Musik (endlich darf der Organist alle Register ziehen), so dass die Empore erzittert, mit einer Vielzahl von brennenden Kerzen, mit Gesang und Wort. Und selbst beim touristischen Besuch der Kathedrale hängen noch die Weihrauchschwaden vom Gottesdienst in der Luft. Sind das nicht Versuche, eine solche Anderswelt nachzubilden? Sie fühlbar, sichtbar, erlebbar zu machen?

Pascal Mercier schreibt in seinem Roman «Nachtzug nach Lissabon»:

«Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben…Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik…»[2]

Das ist das Unverzichtbare an diesen Kathedralen. Sie stehen mitten in unseren Städten, aber sie ragen heraus aus der Welt. Eine Art sichtbarer Einspruch gegen die säkularen Alltäglichkeiten.

Gegen das Brauchbarmachen von allem, was heilig ist. Handlich, griffbereit und praktisch. Auch von Gott.

Aber Gott passt nicht hinein. Nicht in den Tempel. Nicht in die Kathedrale.

Denn da ist diese Erhabenheit. Höchstens der Saum seines Gewandes. Der Rauch und der Wechselgesang der Flügelwesen, der die Türen erzittern lässt.

5 Da sprach ich – schreibt Jesaja – : Wehe mir, ich bin verloren! Denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen, und ich wohne in einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den Herrn der Heerscharen gesehen!

Was ist der Mensch im Angesicht der Erhabenheit Gottes? Jesaja ist mit Ehrfurcht erfüllt. Er fühlt sich unwürdig und verloren. Da ist nichts, was er in den Griff bekommen könnte. Nichts, was er selber regeln oder in Ordnung bringen könnte. Weh mir!

6 Da flog einer der Serafim zu mir, eine glühende Kohle in seiner Hand, die er mit einer Dochtschere vom Altar genommen hatte. 7 Und die liess er meinen Mund berühren, und er sprach: Sieh, hat das deine Lippen berührt, so verschwindet deine Schuld, und deine Sünde wird gesühnt. 8 Und ich hörte die Stimme des Herrn sagen: Wen werde ich senden? Und wer von uns wird gehen? Da sprach ich: Hier bin ich, sende mich!

Unerhört finde ich das: Der Seraphim nimmt die Dochtschere, damit er sich nicht brennt an dem glühenden Kohlenstück. Jesajas Lippen hingegen, diese besonders empfindliche Stelle, werden direkt damit berührt. Ein drastisches Bild für die Reinigung und Läuterung eines Menschen mit unreinen Lippen, wie es Jesaja ausdrückt, eines Menschen, der in einem Volk mit unreinen Lippen wohnt und der den Herrn der Heerscharen gesehen hat.

Es sind seine Lippen. Also geht es doch wohl darum, wie er reden soll. Wie soll er in Worte fassen und weitertragen, was er gesehen und gehört hat?

Wie zu den Menschen sprechen, die Gott nicht sperrig und fremd, erhaben und heilig mögen, sondern handlich und verständlich? Als Tröster in der Not. Als Wohlfühl- und Kuschelgott, der das Unglück fernhält, aber keine grossen Forderungen stellt.
Durch die Brandmarkung wird Jesaja zugerüstet, Klartext zu sprechen.

Jenseits von launigen Podcasts, leichtfüssigen Kolumnen, netten Predigten, christlicher Ratgeberliteratur und frommen Kalendersprüchen, was alles nicht recht zu Gottes Erhabenheit und Heiligkeit passen will. Die lässt sich nämlich nicht handlich und verständlich machen.

Bei diesen vielen Worten fehlt oft das Widerständige, das Fremde, es braucht keine Hör- oder Denkanstrengung. Da ist eine Distanzlosigkeit, die ausblendet, was an Gott stört, damit er passt.

Aber Gott ist auch un­begreif­lich. Was wir von ihm in der Bibel erfahren, übersteigt sehr oft unser Vor­stellungs­vermögen und führt uns manchmal auch an die Grenze des Er­träglichen.

Weh mir!

Ausgerechnet beim Abendmahl erinnern wir uns daran. Ausgerechnet bei diesem Fest der Gemeinschaft mit dem nahen Gott stehen wir ehrfürchtig vor ihm und erinnern uns an seine Erhabenheit und Unverfügbarkeit. Mit dem «Heilig, heilig, heilig» stimmen Christinnen und Christen in den Gesang der Engel ein. Und der Gottesdienst der Kirche verbindet sich mit der Liturgie im Himmel.

Möge die heilige Geistkraft auch zu diesem ehrfürchtigen Lob aufhelfen, so wie sie für die Menschen eintritt mit unaussprechlichem Seufzen (Röm 8,26).

Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten

und in Ehrfurcht vor ihn treten

Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt, wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
gebt das Herz ihm wieder.[3]

Amen


Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch, Merligen

E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch


Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Gemeindepfarrerin in Roggwil BE, Frick und Laufenburg, seit 1. August 2022 Regionalpfarrerin im Kreis Berner Oberland/Oberes Emmental


[1] Kurt Marti: Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde. 80 ausgewählte Texte mit einem Vorwort von Eberhard Jüngel. Stuttgart 2000, S. 104.

[2] Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon, München/Wien 2004, 198f.

[3] RG 162.1

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