Jo 1,25-511; Gen 28,10-18

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Jo 1,25-511; Gen 28,10-18

19. So. n. Trinitatis | 16.10.2022 | Joh 1,25-51; 1. Mose 28,10-18 (dänische PO) | Anne-Marie Nybo Mehlsen |

Kommt und seht! Seht Gott!

Das wollen wir gerne – und das können wir nicht. Glauben ist nicht Sehen, Messen, Wiegen, Wissen.

Glaube ist meistens ein Weg; etwas, zu dem man unterwegs ist, dass man es ist, dass man es wird. Etwas, nach dem wir uns bewegen, zu dem wir uns hinbewegen. Etwas, das uns verändert, so wie man sich verändert auf einer langen Wanderung.

Es ist für einen Menschen nicht leicht, sich damit zu „begnügen“ zu glauben und unterwegs zu sein. Und gar nicht leicht, wenn das Leben Krieg und Kälte über uns bringt in dem Gefühl, dass alles wackelt.

Wo wohnst du? Wo bist du, Gott? Wo können wir hingehen und dich finden, dich sehen?

Am Anfang war Gott. Denn alle Dinge waren Gott, Jakob sah Gott in einem Traum, aber Träume sind nicht sicher, auch wenn er sich durchaus sicher war zu wissen, dass der Ort ein heiliger Ort war, der Eingang in das Haus Gottes. Aber Jakob blieb nicht an diesem Ort, er brach auf und begab sich weiter auf die Wanderung mit dem Wort Gottes: „Ich will mit dir sein“. Das brannte in seinem Herzen. Jakob vor langer, langer Zeit …

Was wissen du und ich davon, wo Gott zu finden ist? Wir haben gehört, dass das hier im Haus Gottes ist, im Gottesdienst, im Kirchenraum. Wir sind hierhin gegangen, um ihm zu begegnen, ihn zu spüren, ihn wenigstens zu hören? Dass er uns ruft, Menschen bei ihrem Namen ruft. Wir haben ja nur eben einen Augenblick die Bibel weggelegt, wir erinnern uns also an das Buch Jesaja, wo Gott sagte: Fürchte dich nicht, ich rufe dich bei deinem Namen, du bist mein!

Der Taufstein erzählt uns, dass wir dazu getauft sind, Gott zu gehören. Aber wir sind keine Taufkinder mehr…

In einem seiner Gedichte aus dem „Stundenbuch“ schreibt Rilke:

„Der Name ist uns wie ein Licht

hart an die Stirn gestellt“.

Ein Bild, dass Rilke der Offenbarung des Johannes entnommen hat, wo die Erlösten den Namen Gottes als Mal an ihrer Stirn tragen.

Wir könnten uns Licht wünschen – ein innerliches Gebet um Licht, eine Stirnlampe in den finsteren Zeiten, die sich über uns gesenkt haben, ein Licht, das Strahlen von Hoffnung ausstrahlt, so dass wir einen Weg finden aus diesem Morast.

Rilke wurde kein Licht-Seher durch seinen Glauben, auch er sucht nach Gott im Dunkel. Er erfährt Gott als Finsternis, einen Schatten, mehr in der Tiefe als im Licht des Himmels…

Das Ende des Gedichts von Rilke ist nicht besonders fromm:

„Du hältst mich seltsam zart

und horchst, wie meine Hände gehn

durch deinen alten Bart“.

Wie ein Kind auf dem Schoß von Großvater mit dem Bart. Das ist die Erklärung für die Finsternis: Gott nimmt den Dichter in die Arme, die Finsternis ist der eigene Schatten Gottes. Eine zarte Nähe in der suchenden Erfahrung von Abwesenheit.

Wie ein Kind – mit dem Namen auf der Stirn geschrieben – und das, was man fest an die Stirn drückt, ist: ein Kuss!

Der Kuss Gottes sitzt uns auf der Stirn – haben wir den Mut, das zu glauben? Darauf zuzugehen in der Finsternis? Danach reichen und uns spüren mitten in einer Umarmung?

Nun gibt es reichlich Namen wie in den lieben Kosenamen der Kindheit oder lieben geflüsterten Namen der Liebenden – tausend Namen für das Gesehene, für den Gesehenen. Für das, was wir im anderen sehen,

Namen für Gott: Siehe, das ist das Lamm Gottes!

Messias, Christus, der Gesalbte.

Mystische dunkle Namen, die auf Licht und Finsternis verweisen, auf das Kreuz.

Hört, was Jesus seine Freunde nennt: Kefas, Petrus, das bedeutet „Fels“, Nathanael – ohne Falschheit! Der Treue?

Auf Hebräisch bedeuten Namen, die auf „el“ enden, „von Gott“ – also Engel! Gabriel, Michael, Nathanael, Rafael, Daniel – das sind alles Engelnamen!

Und hört, was die Freunde in Jesus sehen: Lamm Gottes, Meister, Messias, Christus, Jesus, der Sohn Josefs aus Nazareth, Sohn Gottes, Israels König.

Das ist wie ein Hymnus, ein Lied – ein dunkles Gedicht, das sich auf der Leiter emporschwingt durch den Himmel der Engel.

Jesus nennt sich selbst den Menschensohn, und er besteht damit darauf, dass er mit uns ist, mit uns lebt, mit uns leidet und mit uns stirbt.

Und auch darauf besteht, die Himmelleiter zu sein, auf der die Engel Gottes und die Kinder Gottes wandeln können – hinauf- und hinabsteigen können.

Ein Name kann eine Welt von Vorstellungen bedeuten – und so sehen wir in der Liebe einander mit einer Unzahl von Namen, die niemals ausreichen.

Du bist das, was du genannt wirst. Gott zeigt sich dir als der, den du nennst! Nennst du ihn Finsternis und irrst in der Ferne, dann bist du vielleicht schon in seinem Schatten, in seinen Armen – so nah, so zärtlich. Höre, er ruft dich mit Namen! Namen, die tief in dich blicken. Liebe Namen, die an das Gute in dir appellieren, das Licht wie einen Kuss auf deine Stirn drücken. Namen, die das schaffen, was sie besagen.

„Komm und sehe!“ Flüstert er an deine Stirn – „komm und sehe größere Dinge als die Finsternis: Sehe den Himmel offen og die Engel auf und nieder steigen“.

Wir erkennen Gott nicht durch Worte, intellektuelle Übungen, Grübeleien oder auswendig gelernte Texte. Gott ereignet sich in seinem Wort, wenn er uns ruft, wenn wir ihn anrufen und nach seiner Nähe suchen … Wenn wir ihn suchen. Er nennt uns Poeten, Phantasten. Wir sind in den Augen der Welt vielleicht Träumer, die Gespenster sehen. Aber das Herz weiß, was es bedeutet, nach dem Licht zu greifen in der finsteren Nacht und die Zärtlichkeit Gottes zu finden, die uns ruft. Amen.

Das Gedicht Rilkes:

Der Name ist uns wie ein Licht

hart an die Stirn gestellt.

Da senkte sich mein Angesicht

vor diesem zeitigen Gericht

und sah (von dem es seither spricht)

dich, großes dunkelndes Gewicht

an mir und an der Welt.

Du bogst mich langsam aus der Zeit,

in die ich schwankend stieg;

ich neigte mich nach leisem Streit:

jetzt dauert deine Dunkelheit

um deinen sanften Sieg.

Jetzt hast du mich und weißt nicht wen,

denn deine breiten Sinne sehn

mir, daß ich dunkel ward.

Du hältst mich seltsam zart

und horchst, wie meine Hände gehn

durch deinen alten Bart.

Rainer Maria Rilke Das Stundenbuch (1899)


Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen

DK-4100 Ringsted

Email: amnm(a)km.dk

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