Johannes 13,1-15.34-35

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Johannes 13,1-15.34-35

Wenn man aufbricht, weiß man, was bleibt. | Gründonnerstag | 28.03.2024 | Joh 13,1-15.34-35 | Udo Schmitt |

Wir sind heute Abend zusammengekommen, um des Abends zu gedenken, an dem Jesus das letzte Mal mit seinen Jüngern zum Mahle zusammensaß. Wir erinnern uns heute Abend daran, wie er die berühmten Worte sprach: “Dies ist mein Leib.” – “Dies ist der Kelch des Neuen Bundes in meinem Blut”. So nach dem Bericht der Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas; und auch Paulus zitiert diese Worte im Brief an die Korinther.
Worte, die weltberühmt sind.
Worte, die die Welt bewegen.
Worte, auf die die Gemeinschaft der Christen in aller Welt baut und vertraut bis heute – bis zu uns – und auch wir werden sie gleich noch einmal hören, wenn wir gemeinsam Abendmahl feiern.

Doch seltsam, Johannes, der vierte Evangelist, überliefert diese Worte nicht.
Nanu!? Interessiert er sich nicht dafür? Kannte er sie nicht? Oder war er gerade mal rausgegangen, als Jesus diese Worte sprach, oder hat er damals etwa einfach nicht richtig aufgepasst?

Ich mein, das gibt es ja. Man kennt das ja. Wenn drei Leute zufällig Zeugen eines Verkehrsunfalls werden, – wenn, sagen wir einmal, ein Auto dem andern die Vorfahrt nimmt und dabei einen Außenspiegel abfährt, oder so, – wenn also da drei Leute danebenstehen und Zeugen werden, dann können sie aber sicher sein, dass die sich nachher nicht darauf einigen können, welche Farbe das Auto hatte und von welcher Marke es war. Dafür ging alles viel zu schnell und jeder achtet auf etwas Anderes.

Doch. Ich denke, dass Johannes diese Berichte von Jesu letzten Worten sehr wohl kannte und auch als bekannt voraussetzt. Etwas Anderes war ihm wichtiger. Und dies zeigt sich schon daran, wie Johannes die Szene einleitet:

”Jesus aber erkannte, dass seine Stunden gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die seinen geliebt hatte, die in der Welt waren; so liebte er sie bis ans Ende.”

So liebte er sie bis ans Ende. Darum geht es. Die Liebe.
Wenn man aufbricht, weiß man, was bleibt. Jesus weiß, dass seine Zeit gekommen ist, lang genug hat er unter uns gelebt, nun kehrt er heim zum Vater.

Christian Morgenstern hat einmal gesagt:

”Ich bin wie eine Brieftaube, die man vom Urquell der Dinge in ein fernes, fremdes Land getragen und dort freigelassen hat. Sie trachtet ihr ganzes Leben nach der einstigen Heimat, ruhlos durchmisst sie das Land nach allen Seiten. Und oft fällt sie zu Boden in ihrer großen Müdigkeit, und man kommt, hebt sie auf und will sie ans Haus gewöhnen. Aber sobald sie die Flügel nur wieder fühlt, fliegt sie von neuem fort, auf die einzige Fahrt, die ihrer Sehnsucht genügt, die unvermeidliche Suche nach dem Ort ihres Ursprungs.”

Jesus weiß, dass die Zeit gekommen ist, zum Vater heimzukehren.
Sein Jünger werden ihn nicht halten können, dürfen ihn nicht aufhalten,
so gern sie ihn noch bei sich behalten hätten, ein kleines Weilchen nur vielleicht.
Aber wenn er nun geht, …was wird aus uns, und was wird bleiben?
Wird nur die Leere zurückbleiben, wenn er geht, – weil er fehlt?
Doch er – Jesus – liebte sie bis ans Ende. Darum geht es.
Und sie wird bleiben: die Liebe. Wenn man aufbricht, weiß man, was bleibt.
Und er sagt es ihnen nicht nur, er lässt es sie spüren.

Denn mit der Liebe ist es so: Wenn man nur davon hört und nur darum weiß, so nützt einem dieses Wissen und diese Weisheit nicht viel, wenn man sie nicht auch erspürt hat, wenn man es nicht auch am eigenen Leibe gespürt hat, was Liebe bedeutet – für mich – konkret – körperlich – und nicht nur so lala. So nach dem Motto: “Was Jesus tat – ach ja! – das galt vielleicht mal dann und da …” Nein! Was er tat, tat er für mich, es gilt mir – und es gilt mir jetzt und hier.

Und darum tut Jesus auch nach dem Bericht des Johannes das, was er tut.
Er sagt es ihnen nicht nur: “Das ist mein Leib für euch gegeben.” Er verdeutlicht es ihnen, indem er sie es spüren lässt:  Er entledigt sich seines Obergewands – er geht vor ihnen auf die Knie – er erniedrigt sich und er dient ihnen und tut ihnen gut, indem er ihre Füße wäscht.

Und als die Jünger verstört fragen, was das denn soll. Ich mein, man kann sie verstehen, oder hat man je schon mal so etwas gesehen, dass ein Gastgeber plötzlich aufsteht und seinen Gästen die Schuhe putzt? Und Jesus sagt:
Ich hab euch nur ein Beispiel gegeben und bald schon werdet ihr verstehen. Er hätte auch sagen können: Was ich jetzt für euch tue, ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was ich noch für euch tun werde, und das morgen schon am Kreuz. Da werde ich euch noch viel mehr dienen, ich werde sterben für euch, und auferstehen für euch und zum Vater gehen für euch, ich werde euch die Stätte bereiten, damit auch ihr seid, wo ich bin.

Das Wasser mit dem die Füße der Jünger gewaschen werden, das Wasser mit dem wir unsre Kinder taufen – und mit dem auch wir getauft wurden –, es ist ein Zeichen dafür, dass wir rein sind, dass abgewaschen unsere Verfehlungen von uns, abgewaschen sind die Spuren der Wege, auf denen wir gingen, fehlgingen…

Doch es ist nicht nur ein Zeichen dafür, dass wir vor Gott rein sind, sondern auch dafür, dass wir ganz und gar sein sind, – dass wir Gottes geliebte Kinder sind. Christus sagt zu uns: Ihr seid rein und ihr seid mein, so wie ihr in mir seid, bin ich in euch, durch die Liebe. Und so wie ich in euch bin, seid ihr in mir, wenn ihr in Liebe miteinander lebt. Wenn man aufbricht, weiß man was bleibt. Bleibt in mir! – und ich in euch – Bleibt in meiner Liebe!
Das ist der wahre Gottesdienst – das ist Jesu Vermächtnis.

Allein, …die Liebe anzunehmen, fällt nicht immer leicht. Das zeigt die Reaktion des Petrus. Während die anderen Jünger noch schweigen (auch der ihn verrät), springt Petrus auf, hebt die Hände und wehrt ab, was da an ihm geschieht und mit ihm geschieht. Was veranlasst ihn zu dieser Abwehr?

Zunächst scheint er nicht damit einverstanden zu sein, dass sein Meister sich so vor ihm erniedrigt. So etwas tut man nicht. Er hält es für unangebracht und unwürdig und unangemessen, dass der Herr hier zum Sklaven wird. Das ist die Umwertung aller Werte, wo kämen wir da hin, wenn das jeder täte?

Doch vielleicht hat seine Abwehr auch eine zweite, eine tiefere Bedeutung, vielleicht verbirgt sich hinter der Ablehnung mehr als bloße Bescheidenheit, viel mehr, als es zunächst den Anschein hat. Jesu Antwort, jedenfalls, ist deutlich und direkt und duldet keine Diskussion: “Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir”.

Fürwahr: Was Jesus da tut, bedeutet mehr als nur das Reinigen der Füße: Denn diese Geste bringt auf geheimnisvolle Weise zum Ausdruck, dass Jesus bereit ist, bereit zum Leidensweg, bereit zum Tod. Es geht nicht um seine Erniedrigung, sondern um seine Erhöhung ans Kreuz. Und Petrus will das nicht. Er will nicht, dass sich etwas ändert, an dem, was ist. Alles soll so bleiben, wie es ist. Er will nicht, dass Jesus leidet und stirbt. Er will es nicht für Jesus und er will es nicht für sich. Doch sein Schicksal ist mit dem von Jesus verwoben: “Wenn ich das nicht tue, hast du keinen Anteil an mir”. Jesus muss diesen Weg gehen, er muss tun, was er tun muss, und wo kämen wir da hin, wenn er es nicht tun würde, und wo blieben wir dann heute, wenn er es nicht getan hätte?

Und ein Drittes liegt in der Ablehnung der Fußwaschung, die Zugleich das JA zum Weg ans Kreuz verweigert: Petrus steht auch für unser Widerstreben, jemandem etwas zu schulden. Es fällt schwer, freien Herzens und spontan Geschenke anzunehmen. Instinktiv wehrt man sich: Das ist doch nicht nötig, nein. Lass das sein! Denn dahinter verbirgt sich die Angst, jemand anderem etwas schuldig zu sein. Wir fürchten, die Abhängigkeit, die Verbindlichkeit und die Verpflichtung, die solch ein Geschenk mit sich bringt. Das kann ich doch nicht annehmen.

Selber Geber sein, selber der “Big Spender” sein, so gefalle ich mir, so sehe ich mich gerne: Ich lade alle ein, und sie brauchen sich auch nicht großartig zu bedanken, denn ich selber bin mir schon unendlich dankbar dafür, was für ein toller Typ und was für ein guter Mensch ich doch bin. Aber jemand anderem etwas schuldig sein? Nein! Ich bin doch kein armes Schwein. Jemand anderem etwas danken müssen? Da steh ich lieber doch auf eignen Füßen!

Doch Petrus, der sich hier zunächst noch intuitiv wehrt, er muss sich am Ende die Liebe Christi wohl gefallen lassen: “Wie er die Seinen geliebt hatte, so liebte er sie bis ans Ende”. Petrus muss sich von dieser Liebe überwinden und ganz durchdringen lassen, und muss es sich gefallen lassen, dass er es niemals wird zurückzahlen können, was an ihm geschehen ist. Er muss damit fertig werden, mit dieser Dankbarkeit und dieser Abhängigkeit, mit dieser Liebe.

Es ist schwer, diese Liebe anzunehmen, ja! Es fällt uns schwer, unser Herz dafür zu öffnen. Viel lieber würden wir uns selbst befreien, und uns aus eigener Kraft erlösen. Uns die Gnade verdienen.
Es ist schwer die Liebe Gottes anzunehmen, es ist schwer, Jesus anzunehmen, der uns dienen will, und es ist schwer, andere dazu zu bringen, von uns einen Dienst anzunehmen, wenn wir nicht vorher anerkennen, dass wir nichts zu geben haben, sondern alles selbst von Gott empfangen haben.

Bleibt in mir – und ich in euch – bleibt in der Liebe.
Das ist der wahre Gottesdienst, – das ist Jesu Vermächtnis.
Gottesdienst, das ist nicht unsere Leistung, unser Können und Vermögen, sondern Gottes Dienst an uns. Wir sollen nicht so bleiben wie wir sind: Der durch die Liebe des Vaters in Jesus erlöste Mensch soll herausgehen,
soll herausgehen aus seinem ICH-Menschen-Gefängnis und hinter sich lassen, was ihn jetzt noch hemmt und hindert, soll herausgehen, mit Freude anerkennen, dass es diese Liebe ist, die ihn hält und trägt und die ihn zum Geschenk für andere macht. Unser Dienst am anderen ist nur scheinbar, nur oberflächlich ein Geben, in Wirklichkeit ist es ein Nehmen. Es ist ein Annehmen der Liebe Gottes, ich akzeptiere und nehme hin, dass ich angenommen bin bei Gott, dass ich sein geliebtes Kind bin. Nicht weniger und nicht mehr.

Wenn man aufbricht, weiß man was bleibt.
Bleibt in mir – und ich in euch – bleibt in der Liebe.
Das ist der wahre Gottesdienst, – das ist Jesu Vermächtnis.
Und wer in der Liebe bleibt, – der bricht auf zum Nächsten,
der bricht auf um zu werden, was er ist, – Gottes geliebtes Kind.

Liedvorschläge:

Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen (EG 221)

Wenn das Brot, das wir teilen als Rose blüht (EG RWL 667)

Wenn Brot und Wein wir teilen (HuE 49)

Unser Leben sein ein Fest (HuE 59)

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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