Johannes 13,1-15,34-35

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Johannes 13,1-15,34-35

Aus Marias Perspektive | Gründonnerstag | 28.03.2024 | Joh 13,1-15.34-35 | Sabine Handrick |

Liebe Gemeinde!

Wie jedes Jahr am Gründonnerstag haben wir uns am Tisch des Herrn versammelt.

Wir wollen uns durch die Zeichen seiner Gegenwart stärken lassen und seine Liebe bedenken, die ihn bewog, das Leiden und den Tod am Kreuz auf sich zu nehmen. Wir teilen Brot und Wein und erinnern an die Nacht, in der er verraten wurde.

Heute haben wir einen Gast in unserer Runde. Ich möchte Euch Maria vorstellen.

Sie wird uns von dem erzählen, was sie erlebt hat. Wir freuen uns sehr, dass wir die Ehre haben, ihr zuhören zu dürfen.

Maria: Ihr Lieben, lasst mich erzählen von jenem Abend, der sich in mein Herz eingebrannt hat, dass es warm und weit wird, wenn ich nur daran denke.

Wisst ihr, es war einer jener letzten kostbaren Abende, wo wir Jesus noch persönlich unter uns hatten. Wir waren schon in Jerusalem angekommen, und hatten bei vertrauenswürdigen Leuten in der Stadt Unterschlupf bekommen. Einfach war es nicht, ein gastfreundliches Haus zu finden, das kann ich euch sagen!

Solch einen Ansturm an Pilgern für das Passahfest hatte Jerusalem lange nicht gesehen. Es lag eine Spannung in der Luft… unglaublich. Überall Menschen über Menschen, die letzte Kammer mit Gästen belegt. Eine Übernachtungsmöglichkeit für zwei Dutzend von Männer und Frauen aufzutreiben, war viel schwieriger als in Bethanien, wo meine Schwester, mein Bruder und ich einfach unser Haus aufmachten und Jesus und seine Freunde aufnahmen.

Welchem der Jünger es gelungen war, jemanden zu überzeugen, weiss ich gar nicht mehr, aber schliesslich hatten wir ein Dach über dem Kopf. Endlich. Nach einem langen Tag konnten wir uns den Staub der Strasse von Händen und Füssen spülen und durchatmen.

Wir Frauen machten uns an die Vorbereitungen fürs Essen, denn alle waren sehr hungrig. Die Männer hatten sich in ein hinteres Zimmer zurückgezogen und diskutierten mit Jesus.

Wie gern hätte ich bei ihnen gesessen, wie so manches Mal, als ich zu Jesu Füssen sitzen durfte und ihm zuhörte.

An jenem Abend ging das leider nicht. Es gab zu viel zu tun. Wenigstens konnte ich ab und zu etwas aufschnappen, wenn ich ihnen das frischgebackene Brot brachte oder eine Schale mit Oliven. Alles habe ich nicht mitbekommen, was sie redeten. Ich hielt mich im Hintergrund und habe mir immer wieder etwas gesucht, was ich ihnen bringen konnte: Ich füllte den Krug nach, wenn der Wein ausgegangen war… Ihr wisst schon und so war ich zumindest mit einem Ohr bei den Männern und ihren Gesprächen.

Ich war gerade dabei, einen Teller mit Datteln in die Runde zu stellen, da stand Jesus auf.

Er warf mir einen tiefen Blick zu. Die anderen beachteten mich kaum. Aber Jesus schenkte mir einen Moment lang seine ganze Aufmerksamkeit. Er sah mich an und sagte nichts. Aber ich wusste genau, woran er dachte. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er nickte mir zu.

‘Du weisst schon…’, schien es zu sagen.

Ja, ich wusste… es war eine Nähe da zwischen uns, fast greifbar, ganz wie vor ein paar Tagen. Mir schossen die Tränen in die Augen. – Schnell griff ich nach ein paar benutzten Tellern und verschwand in der Küche. Ich konnte es kaum aushalten.

Die Erinnerungen waren wie verschwommene Bilder. Ich war an jenen Abend so voller Schmerz und Trauer gewesen. Und das Wasser meiner Augen hatte nicht aufgehört zu fliessen.

Wisst ihr, liebe Leute, heute kann ich darüber sprechen, aber in jenen Tagen, wusste ich gar nicht ein noch aus. Die Traurigkeit überwältigte mich immer wieder. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Mir war, als wollte mein Herz zerspringen. Dieser Schmerz zerriss mich innerlich. Jeder Gedanke daran, dass Jesus bald sterben würde, war mir unerträglich.

Immer wenn ich ihn anschaute, sah ich das Leuchten in seinen Augen. Ich versuchte, dieses Licht in meiner Seele aufzufangen. Ja, ich weiss, man kann dieses Licht nicht festhalten… aber was ich sah, das wollte ich tief in mir bewahren. Denn gleichzeitig zu dem Schmerz war ich so voller Liebe und mir war, dass jeder Blick, jedes Wort von Jesus dieser Liebe Nahrung gab.

Ich weiss nicht, ob ich alles verstanden habe, was Jesus gesagt hat, aber eines weiss ich sicher: «Niemand hat grössere Liebe, als wer sein Leben einsetzt für seine Freunde.» (Joh.15,13)

Seine Liebe… es gibt keine Worte, um sie zu beschreiben… und was mich erfüllt, ist Liebe zu dieser Liebe, klingt seltsam, oder? Aber so war es.

Also, ich verschwand schnell in der Küche, wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser. Als ich mich gefangen hatte, nahm ich einen Krug, füllte ihn mit Wasser und ging wieder in den Raum, wo die Männer bei der Mahlzeit lagen.

Jesus stand noch immer, und sah mich an, als ob er auf mich gewartet hätte.

Wortlos nahm er mir den Krug ab, griff nach einer leeren Schale und einem Tuch und ging auf die andere Seite des Raumes. Er stellte Wasser und Schale ab und zog sein Obergewand aus. Er schlug sich das Leintuch um die Hüften und fing an, den Jüngern die Füsse zu waschen und sorgfältig abzutrocknen.

Ich blieb wie angewurzelt in der Türe stehen. Mucksmäuschenstill war es geworden. Den Männern und mir hatte es die Sprache verschlagen. Schweigend beugte sich Jesus über die Füsse seiner Freunde und widmete ihnen seine ganze Aufmerksamkeit. Ich weiss nicht, was in den Köpfen von Andreas und Philippus vor sich ging, denen er zuerst die Füsse wusch. Sie tauschten fragende Blicke, aber wagten nicht, etwas zu sagen. Ich stand ein wenig abseits im Halbdunkel.

Doch Judas, der Sohn von Simon Iskariot, hatte mich bemerkt. Er drehte seinen Kopf zu mir und bedeutete mir energisch, ich solle verschwinden. Ihm passte es überhaupt nicht, dass ich da war.

Aber ich rührte mich nicht, ich blieb, wo ich war. ‚Nein, du wirst mich nicht klein kriegen!‘ dachte ich. Im Gegenteil, ich richtete mich auf, hob den Kopf und schaute an ihm vorbei, auf das, was Jesus tat. – Judas konnte nichts daran ändern, wenn er diese besondere Stille nicht stören wollte. Judas mochte mich noch nie. Immer wieder liess er mich seine Abneigung spüren.

Dass Jesus Frauen in seine Gefolgschaft aufgenommen hatte, passte ihm gar nicht. Und dass ich sogar gewagt hatte, dem Meister Fragen zu stellen und aufmerksam zuhörte, wenn er redete, das war ihm ein Dorn im Auge. Aber der Höhepunkt oder besser gesagt der Tiefpunkt war jener Abend in Bethanien, von dem ich eben gesprochen habe, meine Lieben.

Als das Nachtessen fast geendet hatte, war ich nämlich auch zu den Männern gegangen, allerdings nicht, um sie zu bedienen oder ihnen aufzuwarten. Nein, ich wollte etwas anderes tun.

Keiner ausser Jesus hat’s verstanden, besonders Judas nicht. Lautstark protestierte er gegen meine „Verschwendungssucht“. „Ich solle mich nicht so aufspielen, das Geld lieber den Armen geben!“

Was dachte der sich nur? Er tat, als ob es sein Geld gewesen wäre… Nein, es waren meine Ersparnisse, meine eigenen, die ich nahm, um dieses kostbare Öl zu kaufen. Nardenöl für den einzigartigen Menschen… Was blieb mir denn sonst noch?

Was hatten wir nicht alles an Zeichen und Wundern gesehen, die Jesus getan hatte, damit wir endlich glauben und verstehen. Sogar meinen Bruder hatte er wieder ins Leben gerufen.

Es gibt keine Worte für die Dankbarkeit und Liebe, diese überfliessende Liebe, die ich für Jesus empfinde… Dass ich ihn kennen darf, dass ich das Licht seiner Gegenwart sehe, dass ich mit ihm gehen darf … es ist so einzigartig.

Viele Gelegenheiten würde es nicht mehr geben, das war mir bewusst. Es war mir ein Herzensanliegen, ihn zu ehren, ihm einen Liebesdienst zu tun. Und so nahm ich das Alabasterfläschchen mit dem teuren Nardenöl und salbte ihm seine Füsse. All meine Liebe goss ich aus auf seine wettergegerbten Füsse. Ich umschloss einen nach dem anderen mit meinen Händen und strich das Öl darüber. All die Schmerzen und die Strapazen der weiten Wege wollte ich zärtlich abstreifen. Sanft massierte ich die Ferse, die Zehen. Meine Tränen mischten sich mit dem duftenden Öl. Ich weinte und weinte und liess meiner Trauer freien Lauf.

Jesus liess es zu, liess es sich schweigend gefallen. Ich spürte, wie er sich entspannte und die Wohltat der Fuss-Salbung genoss…

Als ich mich wieder erhob, schenkte mir Jesus einen dankbaren Blick, den ich nie vergessen werde. Aus seinen dunklen Augen kam mir eine unergründliche Liebe entgegen, an der ich mich mein ganzes Leben lang wärmen kann.

Und als er mich dann an jenem Donnerstag anlächelte, an dem er den Jüngern die Füsse wusch, und mich mit diesem ‘Du weisst schon…’-Blick ansah, ja, da wusste ich‘s: Ich habe richtig gehandelt, meine Liebe dem Lebendigen zu erweisen. Diese Liebe bleibt. Nichts kann sie zerstören…

All diese Gedanken gingen mir durch Kopf und Herz, als ich nun in jenem Jerusalemer Haus stand und beobachtete, wie der Lehrer sich über die Füsse seiner Schüler beugte. Er wusch sie langsam und sorgfältig. Obwohl – eigentlich waren die ja sauber. Vor der Mahlzeit hatten alle ihre Waschungen gemacht. Niemand legt sich mit schmutzigen Füssen zum Essen nieder! Wenn Jesus ihnen die Füsse wusch, musste es um mehr gehen als um Sauberkeit… Man sah an ihren Gesichtern, wie sie sich fragten, was dies nun zu bedeuten habe?

Die Diskussion begann, als Jesus sich Petrus zuwandte. Zuerst wollte er sich nicht die Füsse waschen lassen, er hielt es für ungebührlich, vom Meister bedient zu werden. Aber dann kippte seine Scheu ins Gegenteil – Petrus wollte von Jesus von Kopf bis Fuss gewaschen werden.

Oh, wie ich die Geduld des Meisters bewunderte. Petrus würde es wohl noch begreifen, irgendwann, meinte er. Der zierte sich weiterhin. Jesus aber blieb dabei: „Wenn ich dich nicht wasche, gehörst du nicht zu mir.“ An diesem Punkt gab Petrus seinen Widerstand auf und wollte sogar mehr als alles.

‚Mann‘, dachte ich, ‚wann endlich kannst annehmen, was Jesus dir gibt und wie er es dir gibt? Ich hätte mit Petrus nicht so viel Geduld aufbringen können, Herr im Himmel!‘ –

(Lächelnd)… Meine Lieben, wenn ich Euch das hier erzähle, könnt Ihr sehen, wie sich Mosaikstein für Mosaikstein zusammenfügt?

Manchmal ist es nicht leicht zu verstehen, was geschieht. Aber im Rückblick kann man sehen, wie alles kommen musste. Gott in Christus, erniedrigt am Kreuz, schenkt uns seine grenzenlose Liebe. Indem er die Füsse seiner Freunde wusch, setzte er ein Zeichen:

Seht her, so könnt ihr miteinander umgehen, in Liebe und nicht in Konkurrenz, in Liebe und gegenseitiger Wertschätzung, in Liebe, die den anderen höherstellt als sich selbst…

Aber im Moment, wo es geschieht, bist du wie vernagelt…

Mag sein, dass die Männer, als sie so mittendrin waren, noch eine Weile brauchten.

Ich, die an der Seite stand, sah den Liebesdienst, den Jesus an ihnen tat.

Ich hatte ihm die Füsse gesalbt, nun wusch er sie den Seinen.

Was für eine grenzenlose Liebe ist in diesem Menschen, dachte ich – nein, fühlte ich.

Allen schenkte er sie – sogar dem, der ihn ausliefern würde und dem, der ihn verraten würde.

Im Rückblick gesehen, fand ich dies besonders bemerkenswert und verstand, wen er gemeint hatte, als er sagte, dass nicht alle rein seien. Stimmt, auf einmal war Judas verschwunden gewesen…

„Versteht ihr, was ich eben getan habe, als ich euch die Füsse wusch?“, fragte er sie zum Schluss. „Nehmt es als Beispiel und lebt so: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“

Deutlicher konnte er eigentlich nicht werden, dachte ich.

Die Erinnerung an die zärtliche Berührung durch Jesus ist den Jüngern im Gedächtnis geblieben. Jedenfalls haben sie noch lange davon erzählt. Es ist auch im Evangelium aufgeschrieben worden.

Wie ich es erlebt habe, das habt Ihr nun gehört, Ihr Lieben. Ich bin froh, dass ich das heute mit euch teilen konnte und Ihr meine Geschichte hören wolltet.

Ich finde es grossartig, dass Ihr so liebevoll weiterlebt, wie Jesus es uns gezeigt hat. Ich danke Euch sehr und kann Euch sagen, haltet Euch an seiner Liebe fest. Gott hat uns seine unerschöpfliche Liebe vor die Füsse gelegt. An uns ist es nun, sie anzunehmen und aufzuheben und weiterzutragen… Adieu.

Pfarrerin Sabine Handrick

Jahrgang 1965, Pfarrerin der Reformierten Kirchgemeinde Düdingen

pfarramt@refdue.ch

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