Johannes 15, 10-17

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Johannes 15, 10-17

Das Gebot der Liebe
„Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner
Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe,
wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage
ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen
werde. Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie
ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, daß
er sein Leben läßt für seine Freunde. Ihr seid meine
Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Ich sage hinfort nicht,
daß ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein
Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seid; denn
alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt
und bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht
bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch
gebe. Das gebiete ich euch, daß ihr euch untereinander liebt.“

Liebe Gemeinde,

„von nichts kommt nichts“ – diesen Spruch haben Sie schon
oft gehört und wahrscheinlich auch selbst gesagt. Das mag ja ein
ganz banaler Spruch sein, er bewahrheitet sich allerdings immer wieder.
Ich muss für die Schule lernen und meine Hausaufgaben machen –
von nichts kommt nichts. Ich muss mich im Beruf anstrengen, wenn ich
etwas erreichen will – von nichts kommt nichts. Wenn ich eine größere
Anschaffung machen will, muss ich vorher sparen – von nichts kommt nichts.
Und so lässt sich das beliebig fortsetzen.

Dieser Spruch gilt auch – das mag nun überraschend klingen – für
die Liebe. „Die Liebe“ – das ist allerdings ein weites Feld,
werden Sie sagen. Schon, aber ein einfaches Beispiel genügt: Ein
Kind, das von seinen Eltern und von den Menschen, mit dem es zu tun
hat, keine Liebe bekommt, hat es – vorsichtig gesagt – sehr schwer.
Es kann meist mit seinem eigenen Leben und mit seinen Mitmenschen nicht
richtig umgehen. Bei Kindern, die keine Liebe, keine Anerkennung, keine
Zuneigung, keine Fürsorge bekommen, fällt dieser Mangel besonders
schnell und deutlich auf. Selbstverständlich sind wir auch später
noch, unser ganzes Leben lang, auf Liebe angewiesen.

Von nichts kommt nichts. Das bedeutet anders herum: Wir können
meistens genau sagen, woher alles kommt, was wir haben und was wir sind.
Wir wissen, was wir gelernt und gespart haben und wir wissen auch, was
wir der Liebe, Zuneigung und Fürsorge unserer Eltern, unserer Freunde,
unserer Schwestern und Brüder in der Gemeinde zu verdanken haben.

Unser Predigttext klingt so, als wolle er uns das ganz einschärfen,
ganz tief einprägen, damit wir das ja nie vergessen und damit es
uns immer vor Augen steht: Denkt daran, wem ihr die Liebe unter den
Schwestern und Brüdern in der Gemeinde zu verdanken habt! Ihr wisst
ja: Von nichts kommt nichts. Deshalb müsst ihr euch immer wieder
klar machen, wie das mit der Liebe und Gemeinschaft funktioniert!

Der Evangelist Johannes zeigt ganz präzise, woher was kommt. Da
ist zuerst der Vater. Bei Johannes sagt Jesus: „Wie mich mein Vater
liebt….“ Auch für Jesus ist die Liebe nicht vom Himmel gefallen.
Schon die Anrede an Gott zeigt das: Jesus sagt „Vater“ zu
ihm – das könnte er nicht, wenn er nicht wüsste, dass Gott
ihn liebt. Was Jesus ist, seine ganze Macht und Herrlichkeit verdankt
er der Liebe seines Vaters.

Warum sagt Jesus das? Wie diese Liebe zwischen Jesus und seinem himmlischen
Vater aussieht, können wir uns sowieso nicht vorstellen. Vorstellen
können wir uns aber, was daraus folgt: „Wie mich mein Vater
liebt, so liebe ich euch auch.“ Die göttliche Liebe zwischen
Vater und Sohn hat eine Fortsetzung – und das ist für uns allerdings
ganz entscheidend wichtig. Denn alles, was Jesus für uns ist und
für uns getan hat, ist eine Folge, ist die Fortsetzung der Liebe
des Vaters. Das ist nicht einfach so geschehen – von nichts kommt nichts.

Bei Johannes wird das Ergebnis dieser Liebe an dieser Stelle nur angedeutet
– Karfreitag und Ostern kommen im Johannesevangelium erst nach unserem
Predigttext. Wenn es aber heißt: „Niemand hat größere
Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine
Freunde“, dann wissen alle Hörerinnen und Hörer des Textes,
was gemeint ist: Jesus ist für uns, für seine Freunde, am
Kreuz gestorben. Das war der größtmögliche Liebesbeweis.

Nun sind wir sozusagen am Ende der Liebeskette angekommen – bei uns.
„Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie
ich euch liebe“, sagt Jesus. Als Gebot für sich alleine macht
das keinen Sinn. Einem Menschen, der nie Liebe, Zuneigung, Anerkennung,
Fürsorge erfahren hat, kann ich tausend mal sagen: „Liebe
deinen Nächsten wie dich selbst“ und „Du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem
Gemüt und von allen deinen Kräften“ – wie es im Doppelgebot
der Liebe heißt. Das wäre schlicht vergebliche Liebesmüh.
Liebe geben kann nur, wer Liebe an sich selbst erfahren hat. Deswegen
gibt sich Johannes hier ja auch so viel Mühe, genau zu zeigen,
woher die Liebe kommt und welche Wege sie geht.

In dem Kapitel vor unserem Predigttext heißt es: „Liebt
ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten“. Diese Abfolge leuchtet
mir ein: Das Halten der Gebote ist die Folge davon, dass wir Jesus lieben.
Denn – wie gesagt – man kann niemandem „gebieten“ zu lieben.

Zwischen all den Sätzen über die Liebe steht deshalb auch
der schöne Satz über die Freude: „Das sage ich euch,
damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“
Es soll Freude bereiten, dieses wichtigste aller Gebote zu halten! Anders
geht es auch gar nicht.

Trotzdem ist es selbstverständlich richtig, dass der Evangelist
Johannes hier deutlich mahnt. Denn er weiß – wie wir auch – dass
es in den christlichen Gemeinden mit der Liebe nicht immer zum Besten
steht. Ich spüre in den Worten, die er hier überliefert ,
wie sehr ihm die schwesterliche und brüderliche Gemeinschaft in
den Gemeinden am Herzen liegt. So als wollte er uns sagen: Liebe Freunde,
bleibt an dem wichtigsten Gebot, das Jesus uns gegeben hat fest dran!
Lasst nicht nach, werdet nicht müde, werdet nicht nachlässig:
die Liebe, die vom Vater kommt, die Jesus erfahren hat, die er an uns
weitergegeben hat und immer noch weitergibt – die muss auch bei euch
sichtbar werden, die soll wirken, soll Frucht bringen!

Von nichts kommt nichts. Deshalb wird uns hier gesagt, woher die Liebe
kommt und wie sie bei uns wirksam wird. Vom Vater über den Sohn
in die Gemeinschaft der Schwestern und Brüder – damit sie miteinander
leben können und sich vergeben können, so wie uns Gott durch
seinen Sohn Jesus Christus vergibt. Die Mahnung „Bleibt in meiner
Liebe“ verstehe ich so: Dran bleiben an dieser Quelle der Liebe!
Gerade wenn die Liebe weit weg ist, gerade wenn der Hass regiert, gerade
wenn Lieblosigkeit, Verachtung, Zorn die Oberhand gewinnen, ist es lebenswichtig
sich an Jesus zu klammern. Von nichts kommt nichts – das heißt
für uns Christinnen und Christen: Alles kommt von Gott.

Martin Luther, den ich – vier Tage nach dem Reformationstag – einmal
ausführlicher zitieren darf, hat geschrieben: „Wohlan, mein
Gott hat mir unwürdigem, verdammtem Menschen ohne alle Verdienste,
rein umsonst und aus eitel Barmherzigkeit, durch und in Christus den
vollen Reichtum aller Frommheit und Seligkeit gegeben, so daß
ich hinfort nichts mehr bedarf als zu glauben, daß es so sei.
Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwenglichen
Gütern überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich
und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und meinem Nächsten
gegenüber auch ein Christ werden, so wie Christus es mir geworden
ist, und nichts mehr tun als das, wovon ich sehe, daß es ihm not,
nützlich und selig ist, weil ich doch durch meinen Glauben in allen
Dingen in Christus genug habe.“

Oder, mit einem ganz kurzen Zitat von Luther gesagt: „Wieviel
du glaubst, soviel du liebst…“

Amen

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de

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