Johannes 15,16-26

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Johannes 15,16-26

Exaudi | 21.05.2023 | Joh 15,26-16,4 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

Die erste hat nur einen Pelz an, nichts darunter. Abgesehen von den langen Stiefeln. Die nächste ist in einem strammen Minikleid. Die dritte in einem neongrünen Badeanzug und Stiletten. Eine nach der anderen strömen sie hinein in die Tür in Corrigans Wohnung in the Bronx in New York, um die Toilette zu benutzen und die Lippen neu mit dem Lippenstift zu schminken. Corrigans Bruder, der auf Besuch ist aus Irland, ist geschockt darüber, was da in der Wohnung seines Bruders geschieht in dem Roman von Column McCann: Lass die große Welt sich drehen[1]. Dass der Bruder die Tür offenstehen lässt, so dass alle Mädchen von der Straße kommen und gehen können, wie sie wollen. Sie reden hässlich und leben roh, findet er, sie sind geschmacklos anzuschauen, aufgemacht in Silberglanz und Hotpants, elende Mädchen mit Nadeln in der Haut, die es nie zu etwas bringen. Es ist naiv zu glauben, dass man in ihrem Leben etwas verändern kann. Corrigan sollte seine Tür schließen. Aber das tut Corrigan nicht. Er lässt die Tür offen, und dies ist das einzige, was er seinem Bruder sagt, wenn er angegriffen wird: „Nur die Tür offenstehen lassen, nicht wahr?“ Unten auf der Straße macht er seinen Lieferwagen auf und versorgt die Mädchen mit Eiskaffee aus einer großen Thermoskanne. Und wenn die Polizei mit ihren Fragen nervt, wenn die Mädchen weggefahren werden, dann kann er sie wiederfinden. Und kauft kalte Colas für sie. Und als zwei der Mädchen wegen Raub angeklagt werden, zieht er sich ein feines Hemd an und fährt hinab zum Gerichtsgebäude und braucht einen ganzen Tag, um sie da wieder rauszuholen.

Verborgen unter dem Hemd trägt Corrigan ein Kreuz. Und sichtbar an der Wand hängt ein Kruzifix. Davon abgesehen ist da in seiner Wohnung nichts anderes als ein Sofa. Denn Corrigan ist ein Mönch, Mitglied eines irischen Mönchsordens, wo man nicht in einem Kloster wohnen muss. Das tut er ja wahrlich nicht mitten im Müll und dem Abfall in the Bronx. „Ich glaube, ich muss meine Worte Fleisch werden lassen“, sagt er, als sein Bruder fragt, was in aller Welt er da im Gange hat. Corrigan geht es nicht darum, die Mädchen zu retten oder ihr Leben zu verändern. Er redet fast nie über Gott mit ihnen. Er will nur, dass da ein Ort sein soll, wo sie hinkommen können, eine Pause machen und etwas Wasser ans Gesicht bekommen können. Ihnen einen Augenblick Erleichterung geben mit einem kalten Getränk. So kommt Fleisch zu den Worten, an die er glaubt. Oder so werden die Worte Wirklichkeit, umgesetzt in Handlung. Mit der offenen Tür und der kalten Cola und dem Gang zum Gericht sagt er indirekt, dass die Mädchen etwas anderes und mehr sind als Verlierer, das einzige, was der Bruder in ihnen sehen kann. Trotz hellroten Sonnenbrillen und Pin-Markierungen an den Kniescheiben sind sie wertvolle Menschen, denen Corrigan Zeit und Kräfte widmet. So legt er ohne Worte Zeugnis ab von ihm, an den er glaubt. Von ihm weiß er, was die Mädchen sind – und was er selbst zu tun hat.

Und dann tut er eben das, was Jesus den Jüngern und uns anderen im heutigen Evangelium auferlegt. Von ihm zu zeugen. Damit die Welt ihn kennen soll. Darum geht es nämlich – für die Welt selbst. Aber von ihm zeugen können wir auf viele Weisen. Bezeugen, das ist natürlich erzählen, was man gehört und gesehen hat, aber das heißt auch, die Worte Fleisch werden lassen, wie Corrigan mit der offenen Tür in the Bronx, zu handeln, so dass das, was man tut, von ihm zeugt, den man kennengelernt hat, und von der Liebe, die unser Leben trägt. Aber ob man nun in Worten oder Taten zeugt, die Pointe ist dieselbe. Man zeugt von etwas, was man nicht sehen kann. Als Corrigan das neue Hemd anzieht und sich rasiert, um zum Gericht zu gehen, zeugt er davon, dass Tillie und Jazzlyn wertvolle Menschen sind, dass ihr Leben etwas bedeutet und dass es Vergebung gibt. Da ist einer, der bezahlt hat. Das können andere nicht sehen, die den schlimmen Alltag in the Bronx sehen. Aber das ist so. Corrigan glaubt daran, und diesen Glauben benutzt er nicht, um sich selbst zu bestätigen, von dem zeugt er mit Wort und Tat.

Das tut man nicht ungestraft. Corrigan stößt auf bittere und herablassende Worte von seinem Bruder, der weder den Sinn sehen noch die Mädchen ertragen kann. Und Corrigan wird von den Polizisten bedroht, die er mit seinen Fragen ärgert, wenn die Mädchen verhaftet werden. Und Corrigan bekommt Prügel von den Männern, die die Mädchen führen, denn er soll nicht ihre Zeit beanspruchen, indem er sie in die Wohnung lässt. Das Zeugnis in seiner Art zu handeln stößt auf heftigen Widerstand in der Welt, und dieser und jener versucht ihn dazu zu bewegen aufzugeben und aufzuhören. Das Gericht über die und über uns, wenn wir uns so verhalten, ist klar im heutigen Evangelium. Wenn man den Mund hält und die behindert, die von der Barmherzigkeit Gottes in Wort und Tat zeugen, dann deshalb, weil man Gott nicht kennt als den barmherzigen Gott, und seinen Sohn nicht kennt, der alles bezahlt hat, was wir schuldig sind. Und dann ist man einfach genötigt, dass einem das noch einmal gesagt wird. Dass es nicht so ist, wie es zu sein scheint. Dass die Beschwerten frei sind. Dass die Unbrauchbaren wertvoll sind. Dass die Unreinen rein sin. Dass die Toten leben. Dass Gott unser Vater ist und sein Sohn unser Bruder, ganz nah bei uns, wo wir gehen und stehen. Das macht einen Riesenunterschied, ob wir diesen Gott kennen und uns selbst in diesem Licht sehen – oder nicht. Das ruft neue Seiten in unserem Dasein und in uns hervor.

Die Mädchen selbst, die schmeißen die Colas weg, die Corrigan für sie kauft, wenn das nächste Auto an der Straße anhält. Aber Corrigan macht weiter, auch wenn er so erschöpft und müde ist, dass er kaum noch bei sich ist. Er ist also nicht im Zweifel, dass er dies tun soll. So zeugt er von dem, an den er glaubt. Und dann geschieht ja das Wunderbare, dass die Art, wie er sie behandelt, auch eine unerwartete Milde hervorruft. Sie schicken ihm Fingerküsse, wenn sie gehen, und geben ihm nette Namen. Denn wenn man gesehen wird in seinem Wert und mit Freundlichkeit, dann kann es auch geschehen, dass dies eine Freundlichkeit in einem selbst weckt, die vorher nicht da war.

Es ist unsere Aufgabe zu zeugen wie Corrigan, in Wort und Tat, in unserer Weise, an unserem Ort, gegenüber den Menschen, die uns begegnen. Von ihm zeugen, an den wir glauben. Wenn unser Zeugnis auf Widerstand stößt in unserer eigenen Bequemlichkeit und wenn wir auf Widerstand bei anderen stoßen, können wir darauf vertrauen, dass wir nicht die ganze Aufgabe wahrnehmen sollen. Da ist einer, der für uns zeugt, und dort beginnt es. Nicht mit unserem Zeugnis. Der Tröster kommt, sagt Jesus, der gute Geist, der sein Tröster ist, kommt in den Worten, die wir hören und lesen und sagen und singen, und zeugt davon, dass Jesus der ist, der Gott kennt, und der Gott, den er kennt, ist nicht der Gott des Todes und des Gerichts, sondern der Gott des Lebens und unser Vater. Der Tröster vertritt die Sache Jesu und macht, dass er uns nah ist und lebt, dass er auch in unseren Ohren und unserem Sinn aufersteht.

Des halb spricht Corrigan seine Gebete und streift das Kruzifix mit seinem Finger an jedem Tag, ehe er aus der Tür geht. Und deshalb sagen wir in unseren Gebeten und singen in unseren Liedern und hören auf sein Wort an jedem Sonntag, ehe wir aus der Tür gehen. Damit der Tröster kommen kann und für uns zeugen kann von ihm, der Gott kennt als Gott des Lebens und unseren Vater. So dass wir auf das vertrauen können, was wir nicht sehen können: Dass wir rein sind und frei und wertvoll für ihn, und das sind auch alle andere, denen wir begegnen. Und dass er bei uns ist, wenn wir von ihm zeugen sollen in dem Leben, in das wir gehen, wenn wir nach Hause kommen. Unser Zeugnis für einander ruht in dem Zeugnis des Trösters für uns, wer Gott ist und wer wir und alle anderen in seinen Augen sind. „Macht euch an die Arbeit, denn ich bin bei euch“, sagt er. Wenn wir ihn beim Wort nehmen, wenn wir den Worten Fleisch geben, können wir vielleicht auch einen unerwarteten Glanz von Freundlichkeit bei einander sehen. Amen.

Pastorin Marianne Frank Larsen

DK 8000 Aarhus C

mfl(at)km.dk

[1] Let the great World spin, dt. Die große Welt, 2009.

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