Johannes 16,16-23

Home / Bibel / Neues Testament / 04) Johannes / John / Johannes 16,16-23
Johannes 16,16-23

Abschiede leben | Jubilate | 30.04.2023 | Joh 16,16-23 | Luise Stribrny de Estrada |

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;

es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;

es gibt Trost, es gibt Halt

in Bedrängnis, Not und Ängsten

ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

Amen. 

Liebe Schwestern und Brüder!

Klar und einfach ist nicht alles nach Ostern. Es braucht Zeit, um zu verstehen und wirklich zu glauben, was geschehen ist. Der Jünger Thomas, der „Ungläubige“, ist nicht der einzelne, der zweifelt und noch nicht begreifen kann, was geschehen ist. Die Jüngerinnen und Jünger suchen die Nähe der anderen, sie brauchen Gesprächspartner, um zu klären, was das bedeutet: Jesus ist auferstanden. Vor Augen steht ihnen noch zu deutlich, wie Jesus am Kreuz hing und starb, da können sie nicht einfach umschalten und sich freuen, dass er lebt. Sie fragen einander, was das bedeutet, auch für sie bedeutet, dass der Tod Jesus nicht hat halten können. Und zwischendurch wischen sie sich die Augen und fragen sich, ob sie nicht alles nur geträumt haben, ob ihnen die Sehnsucht nach ihrem Meister nicht einen Streich spielt und sie sich nur einbilden, ihn gesehen zu haben.

In dem Text, der heute zu uns sprechen will, fragen die Jüngerinnen und Jünger sich nicht nur gegenseitig, sondern auch Jesus, der ihr Anliegen aufnimmt: Ihr fragt euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? (V.19) Ostern braucht Zeit, eine kleine oder auch größere Weile, es lebt davon, dass wir zunächst nicht sehen, nicht verstehen, und dann doch etwas sehen und sich unsere Augen klären. So ging es auch den Jüngern.

Beim genauen Hinschauen stellen wir fest: Unser Abschnitt aus dem 16. Kapitel des Johannesevangeliums gehört in die Zeit vor Ostern. Er ist Teil der Abschiedsreden Jesu an seine Jünger, bald darauf wird er gefangen genommen. Jesus kündigt hier an, dass er sterben wird und dass ihn seine Jüngerinnen und Jünger eine kleine Weile nicht sehen werden. Aber das wird vorüber gehen. Für die Zwischenzeit wird er ihnen den Tröster, den Heiligen Geist, schicken. Und eines Tages werden sie sich wiedersehen, und, so verspricht Jesus: Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen (V.22).

Wir lesen und hören das heute am Sonntag Jubilate, am dritten Sonntag nach Ostern. Wohin nun gehört diese Rede Jesu: in die Zeit vor Ostern oder nach Ostern? Vor die Kreuzigung oder hinter die Auferstehung? Das Spannende ist: Beides geht und beides ergibt Sinn. Die Zeiten verwirbeln sich. Die Trauer, die jetzt herrscht, kann die Trauer des Abschieds sein – oder die Trauer nach Jesu Tod. Die angekündigte Freude kann die Freude über die Auferstehung sein – oder die Freude, wenn Jesus am Ende der Zeit wiederkommt. Die Zeitebenen schieben sich ineinander und werden durchscheinend. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen ineinander.

Die Abschiedsreden Jesu erinnern mich daran, dass es in meinem, in unserem Leben immer wieder Abschiede gibt. Einige sind schmerzhaft, andere sorgen für Befreiung. Abschiede gehören zu unserem Menschsein dazu, so sehr, dass sie so etwas wie eine Urszene des Menschseins sind. Ich denke bei Abschied an einen Mann, der mir von der Beziehung zu seinem Bruder erzählt. „Ich bin immer wieder auf ihn zugegangen“, sagt er mir, „aber mein Bruder hat nie reagiert. Er hat meine ausgestreckte Hand nicht ergriffen. Das geht nun schon viele Jahre so. Er ist noch nicht einmal, als unsere Mutter gestorben ist, zu Beerdigung gekommen. Ich weiß, dass er auf mich und meine Frau herabschaut, weil wir nicht so angesehene Berufe haben wie er und meine Schwägerin. Aber wir haben uns die ganze Zeit um unsere Mutter gekümmert, und er überhaupt nicht.“ „Ich glaube, sie müssen auf Distanz gehen, um sich nicht immer wieder von neuem zu verletzen. Sie müssen das Kapitel ‚mein Bruder und ich‘ abschließen“, sage ich. „Das probiere ich“, antwortet er, „aber es ist so verdammt schwer. Wir sind doch zusammen aufgewachsen.“

Abschied kann auch so aussehen, dass das erwachsene Kind das Haus der Familie verlässt und für eine Ausbildung oder ein Studium in eine andere Stadt zieht. Freunde erzählen mir, wie sich das anfühlt: „Als unser Sohn auszog, waren wir traurig: Die Familienzeit war zu Ende, eine ganze Lebensphase, denn 20 Jahre lang hatte sich unser Leben um unseren Sohn gedreht. Wir würden ihn nicht mehr jeden Tag sehen und deutlich weniger von dem mitbekommen, was ihn beschäftigte. – Und gleichzeitig freuten wir uns: Wir hatten es geschafft, er war flügge, und wollte selbständig leben. Das hatten wir uns doch immer gewünscht, darauf hingelebt, ihn dazu erzogen. Wir waren stolz, dass wir das geschafft hatten. Und eines Tages würde sich vielleicht eine neue Nähe einstellen, wenn er eine Partnerin findet und sie Kinder bekommen.“

Ein anderer Abschied ist es, wenn ein Paar sich nach vielen Jahren trennt. Trauer, Wut und Enttäuschung mischen sich. Ich begleite eine Freundin in dem Prozess der Trennung und höre die Trauer, dass sie es nicht geschafft haben, zusammen zu bleiben. Sie haben sich nicht gutgetan, sondern immer von neuem verletzt. Ja, die Kinder haben sie zusammen großgezogen, aber als die aus dem Haus waren, blieb nicht mehr genug Gemeinsames für sie als Paar. „Wir hatten uns das anders vorgestellt, als wir vor 28 Jahren geheiratet haben“, sagt meine Freundin wehmütig. Und gleichzeitig bricht sich mit der Zeit so etwas wie Erleichterung Bahn: „Ich muss nicht mehr alles mit ihm abstimmen. Ich bin keinem Rechenschaft schuldig. Ich kann mein eigenes Leben leben.“ Freude ist vielleicht zu viel gesagt, aber Erleichterung und Befreiung spüre ich in dem, was sie mir erzählt.

Unser Bibeltext findet ein schönes Bild für dieses Leben mit Trauer und Freude, die sich mischen: Eine Frau, wenn sie gebiert, hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist (V.21). Angst und Schmerzen gehören dazu, wenn etwas Neues in die Welt kommt. Wir kommen nicht schmerzfrei durchs Leben. Aber die Schmerzen bringen etwas Neues hervor, sie sind kreativ. Ohne Angst und ohne Geburtsschmerz gibt es keine neue Schöpfung. Ohne Trauer ist die Freude nicht tief gegründet, ohne den Durchgang durch den Tod hat die Freude keinen Grund.

Wir haben immer wieder mit Abschieden zu tun. Neben den genannten Abschieden gibt es andere wie den Verlust der Arbeit, den Wegzug in eine andere Stadt, Krankheit, eine lange Reise und als Extremfall den Tod. Abschiede sind Veränderungen und haben mit Verlust zu tun. Es nutzt nichts, wenn ich mich davor bewahren will. Abschiede ragen immer wieder in mein Leben hinein. Gut ist es, sich darauf einzustellen, dass sich unser Leben ständig verändert. Gut ist es, auf den Wandel einzugehen, mit ihm mitzugehen, anstatt sich ihm entgegenzustellen. „Abschiedlich leben“ heißt das in der Psychotherapie: Zu wissen, dass nicht alles ewig bleibt, sondern der stetigen Veränderung unterworfen ist. Das annehmen und mit den Abschieden leben.

Das wird leichter, wenn wir uns an dem ausrichten, was Jesus sagt: Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen (V.22). Die Trauer hat nicht das letzte Wort, auch nicht der Abschied, sondern das Wiedersehen. Am Ende steht für die, die an Jesus glauben, die Freude. Es bleibt unklar, ob die Freue schon in dieser Welt sein wird oder erst bei Gott in seinem Reich. Vielleicht ist das Wann und Wo nicht so wichtig, wichtiger ist das Dass. Am Ende wird Freude sein. Die Freude wird die Trauer und die Schmerzen überwiegen. Der Tod wird zu Ende sein, das Leben wird ihn besiegt haben. Die Freude wird überschwänglich sein. Und sie wird nicht mehr aufhören.

Dann können wir singen:

Weicht, ihr Trauergeister,

denn mein Freudenmeister,

Jesus tritt herein. (EG 396,6)

Amen.

Liedvorschläge:

Jesu, meine Freude, EG 396

In dir ist Freude, EG 398

Auf, auf mein Herz mit Freuden, EG112

Jesus lebt, mit ihm auch ich, EG115

Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, EG.E 34

Da wohnt ein Sehnen tief in uns, EG.E 46

Pastorin Luise Stribrny de Estrada

Lübeck

E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

Luise Stribrny de Estrada, geb. 1965, ist Pastorin der Nordkirche. Nach einer Zeit als Auslandspfarrerin in Mexiko ist sie seit 2009 Pastorin in Lübeck, zunächst in der Gemeinde St.Philippus, seit einem Jahr in der fusionierten Gemeinde Marli-Brandenbaum.

de_DEDeutsch