Johannes 17,1-8

Johannes 17,1-8

Entschämung | Palmarum | 10.04.2022 | Joh 17,1-8 | Udo Schmitt |

(1. Der Einzug – Anfang vom Ende)

„Wie soll ich dich empfangen?“ – haben wir gerade gesungen. „Nanu“, werden einige gesagt haben, „ein Adventslied, passt das denn?“ Ja das passt. Denn an den „Einzug in Jerusalem“ erinnern wir gleich zweimal im Kirchenjahr: Einmal zu Beginn der Adventszeit – und einmal zu Beginn der Karwoche am Sonntag Palmarum, also heute. Zugegeben – der Kontrast könnte größer kaum sein: Im Advent sind wir fröhlich gestimmt, zünden Kerzen an, freuen uns auf das Weihnachtsfest und die Geburt des Christkinds. Das Hosianna am 1. Advent klingt schmetternd, siegesgewiss und triumphal: „Hosianna, Davids Sohn, sieh dein König kommt zu dir“. Am Palmsonntag ist alles sehr viel gedämpfter und verhaltener. Das Wetter ist zwar besser als im Dezember, aber die Aussicht auf den Karfreitag trübt die Stimmung, bald schon werden Kerzen gelöscht werden, ein Leben wird ausgelöscht. Und die heute noch „Hosianna“ rufen, werden morgen schon vor Pilatus schreien: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“ – Tod statt Geburt, Verzweiflung statt Vorfreude, Advent ist die Ankunft, Palmarum ist der Anfang – vom Ende.

(2. Ein überraschender Einblick)

Der Palmsonntag – Was für ein widersprüchlicher und kontrastreicher Tag! Und der Predigttext, der für den heutigen Sonntag vorgeschlagen ist, mildert die Spannung nicht, im Gegenteil. Das Johannesevangelium, mit seiner geheimnisvollen, abgehobenen Sprache, gewährt uns vielmehr einen überraschenden Einblick in die innere Beziehung zwischen Vater und Sohn, zwischen Gott und Christus. Hier blicken wir quasi dem Gottessohn über die Schulter und hören höchst Vertrauliches, nämlich ein Gebet – Worte, die anscheinend nicht für unsere Ohren gedacht sind. Wie in einem Film oder beim Lesen eines fremden Tagebuches lässt uns der Evangelist Johannes in das Herz des Gottessohnes schauen und seine innersten Gedanken hören. Doch hört es selbst: – Text –

(3. Draußen: Die Schreier und Träumer)

Was für ein seltsamer Text – was für ein seltsamer Kontrast, ich sagte es schon. Er passt zu diesem Tag, der so voll von Widerspruch – reich ist an Ungereimtem. Jesus zieht in Jerusalem ein, die Massen sind begeistert, haben gehört von dem, der Wunder vollbringen kann, der Kranke heilen und Tote zum Leben erwecken kann. „Hosianna!“, rufen sie: „Hilf uns doch!“, sie schreien und träumen zugleich, träumen in ihren kühnsten Träumen von Errettung und Erlösung, endlich: Ewiges Leben! Endzeit! Ein Ende der elenden Not! Endlich: Da kommt er auf einem Esel eingeritten in die aufgeheizte heilige Stadt – „Heil! Heil dir Davidssohn! Heil dem neuen König! Dem der da kommt, im Namen des Herrn!“ Jetzt ist er drin. Jetzt! Jetzt liegt es in seiner Hand! Die Macht ist zum Greifen nahe, ein Wink von ihm genügt. Jetzt laufen sie ihm nach, hecheln hinterher, hängen an seinen Lippen, noch ein Schritt, wenn er jetzt ans Mikrofon tritt und hineinschreit: „Wollt ihr den totalen Sieg, wollt  ihr ihn totaler und radikaler als ihr ihn euch überhaupt vorstellen könnt?“, sie alle würden „Heil“ schreien. Jetzt ist der Augenblick höchster Anspannung und Erregung, ein Wort von ihm, ein Wort nur, und die Massen brechen los wie ein Sturm, fegen endlich die römischen Legionäre, die verhassten Besatzer aus dem Land und es beginnt das Reich Gottes unter dem neuen Führer, dem Messias. „Friedefürst komm, gründe nun dein ewig Reich! Hosianna!“

(4. Drinnen: Die Stille im Auge des Sturms)

Ein Wort nur von ihm. Ein Wort nur. Doch Jesus sagt es nicht. Welch ein Kontrast: Um ihn herum das Schreien der Masse und er der eine schweigt. Diese Stille. Im Auge eines Sturmes ist es ruhig, sagt man, still, ja fast friedlich. Jesus hat ihnen nichts zu sagen. – Was jetzt noch zu sagen ist, das sagt er dem Vater. In der Stille. Und wir dürfen Anteil daran nehmen, dürfen dank Johannes durchs Schlüsselloch gucken, Mäuschen spielen, ganz leise jetzt: Blenden wir einmal den Lärm um ihn herum aus, vergessen den Jubel und Trubel, das Gejohle der Massen, das Geschrei in den engen Gassen, und konzentrieren wir uns ganz auf ihn, den Einen und hören, was er sagt. Und siehe da auch er sagt: „Ja“. – „Ja, jetzt.“ – „Jetzt ist es so weit, Vater.“ – „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich.“

(4. Das Ziel: Die Verherrlichung)

Verherrlichung. – Johannes liebt diese erhabenen Wörter, die uns für unseren Alltagsgebrauch viel zu hochtrabend erscheinen, die aber eben diesen unverwechselbaren, feierlichen Klang haben. Johannes eben. „Ich habe dich verherrlicht, Vater“. Jesus gibt einen Bericht, sagt: Chef, Auftrag erledigt. Er sagt: Meine Leute wissen nun wer du bist – wie du bist – was du willst. Nämlich dass du der Vater, der liebende Vater, bist. Kein grausamer Tyrann. Und du forderst nicht Rache noch Strafe, sondern willst Liebe, willst, dass auch wir uns lieben. Ich habe meinen Leuten gezeigt wie du bist. Bei mir konnten sie es lernen. Von mir konnten sie es hören. An mir konnten sie es sehen, dass du der einzig wahre Gott bist. Und dass du in Wahrheit Liebe bist – ganz und zuinnerst und zutiefst Liebe. Nun zeige der Welt, was diese Liebe ist. Zeige sie an mir: Nun verherrliche auch mich, den Sohn. Gib mir die Kraft den Weg zu gehen, der vor mir liegt, den Weg zu meiner Erhöhung und Verherrlichung als Herrscher, den Weg zu meiner Erhöhung und Verherrlichung am Kreuz.

Bei Johannes, muss man wissen, ist das Kreuz ein Sieg und keine Niederlage, es ist die Erhöhung des Sohnes, seine Inthronisation und Krönung vor aller Welt und zugleich seine Rückkehr zum Vater. Im Kreuz berühren sich Himmel und Erde. Oder wie Johannes sagen würde es ist Verherrlichung und Vollendung.

(4. Am Ende: Der stille Sieg)

Palmsonntag: Im Auge des Sturms, inmitten von Schreiern und Träumern, hat Jesus das Ziel seines Weges vor Augen, seine letzte Woche hat begonnen. Am Anfang seines Weges, so berichten es Lukas und Matthäus, versuchte ihn der Teufel in der Wüste, bot ihm die Herrschaft an über alle Reiche, versprach Reichtum und Ruhm. Er widerstand der Versuchung. Am Ende des Weges drängen sich die Massen um ihn, schreien, betteln ihn an, er möge doch ihr Führer sein, ein Verführer. – „Die Welt“, sagte mein Opa immer: „die Welt, sie will betrogen sein“. Jesus widersteht der Versuchung. Sein Sieg wird größer sein – totaler und radikaler sein – als sie es sich je vorstellen könnten. Er wird die Römer nicht besiegen, nein. Er wird keine Armeen brauchen, nein. Sein Sieg wird noch viel größer sein – er wird den letzten und grausamsten aller Herrscher überwinden… – den Tod.

Und so gehen wir hinein in die Karwoche. In eine stille Zeit – auch wenn alles drum herum schreit. Eine Zeit der Besinnung auf das, was war und kommen wird. Eine Besinnung auf den, der war, der ist und der kommen wird. Und das wünsche ich ihnen, dass sie auch einen Moment der Ruhe finden in dieser Woche, bei allem Trubel und allem, was noch zu bedenken und vorzubereiten ist, eine Minute des Innehaltens, Nachdenkens und des Friedens.


Liedvorschläge (außer den üblichen Passions- und Tagesliedern):

            Wie soll ich dich empfangen (EG 11)

            Tochter Zion (EG 13)

            Komm in unsre stolze Welt (EG 428)

            Da berühren sich Himmel und Erde (HuE 2)


Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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