Johannes 2, 1-12

Johannes 2, 1-12

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe
„Maria“

18. Sonntag nach
Trinitatis, 22. Oktober 2000
Johannes 2, 1-12
Dankwart
Arndt


Es führt erkennbar kein Weg daran vorbei:
dieser Abschnitt muß
von seinem Ende her gelesen, aufgerollt,
verstanden werden.
„Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat“ … Für
die Menschen
unserer Tage – sagt ein zeitgenössischer Denker –
gäbe es ei=
gentlich nur eine Fremdsprache unbedingt zu lernen: die
Sprache
der Zeichen, der Symbole, der Bilder, der Gleichnisse. Mit
den
Zeichen hat es ja seine eigene Bewandnis; deshalb will ihre Spra=
che
gelernt und verstanden werden, soll sie zum Sprechen kom=
men. Zeichen
wollen und müssen gedeutet sein: sorgsam, behutsam,
einfühlsam.
Zwei Mal hinsehen; nicht an der Oberfläche bleiben;
nicht nur den
vorder – gründigen, sondern vielmehr den hinter-grün-
digen Sinn
deutend entdecken. Zeichen sind nicht selbst das Ge=
suchte; sie weisen
über sich hinaus, also auch von sich weg –
sonst wären sie nicht
Zeichen. Wer an dem Stoff, aus dem das Zeichen
geformt ist – Wasser wird in
Wein verwandelt – kleben bliebe,
der käme wohl leicht zu dem Urteil,
hier habe der Herr ein
‚Luxus-Wunder‘ getan; überflüssig,
vielleicht gar ärgerlich, wie
es ein frommer Mann sagte: „Dös war
net das beschte Stückle vom
Herrn.“ Andererseits sind sie es – die
Zeichen – , die etwas
bedeuten: also müssen sie immer wieder beachtet
werden, damit
ihre Deutung nicht „schwärmt“.

Das Evangelium von der „Hochzeit zu Kana“ ist
voller Zeichen:
‚am dritten Tage‘ – ‚Hochzeit‘ – ‚meine Stunde‘ – ‚Wasser‘
– ‚Wein‘.
Daß auf das entscheidende, das zentrale Zeichen hin –
Jesus
von Nazareth bereitet ein Fest des Lebens, er legt den Grund
zur
‚Freude die Fülle‘, er schenkt glückendes, gelingendes Leben
-, –
daß auf dieses Zeichen hin Zeugen dieses Geschehens ‚glaubten‘
,-
daß sie ihr Vertrauen auf diesen Mann setzten, das wird von
den
Jüngern gesagt: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Hinter
diesem
gleichsam erlösenden, das Geschehen abschließenden Satz,
der die
Zeichen-Erzählung zu ihrem Ziel führt, – da-hinter
verschwindet
fast vollständig die Figur der Maria. Und sie wird doch
als erste
genannt in der Gäste-Schar! Wo ist sie geblieben ? Welche
Stel=
lung nimmt sie ein ? Ist sie nur noch eine unter vielen, – eine
im
‚Pulk‘, der dann von Kana hinabzog nach Kapernaum: Jesus,
seine
Mutter, seine Brüder und seine Jünger? Fast will es so
scheinen,
als habe der Evangelist Maria in den Hintergrund abdrängen
wollen
und – doch nicht können!
Daß Maria in diesem Stück
Evangelium mit einer ‚Nebenrolle‘ abge=
speist zu werden scheint, trifft
sich mit dem Eindruck, den Bil=
der der abendländischen Malerei
vermitteln: Vor mir liegen bild=
liche Darstellungen dieser gleichnishaften
Erzählung aus der Mit=
te des 16., aus dem Anfang des 17. und aus dem
Beginn des 19.Jahr=
hunderts; allen diesen Darstellungen ist gemeinsam,
daß die Gestalt der Maria auf den ersten Blick kaum erkennbar ist neben
den eifrigen Dienern, dem erstaunten Speisemeister, den Jüngern, die sich
die Augen reiben, neben dem glücklich lächelnden Brautpaar und neben
dem Herrn der Szene. Und doch : obwohl Maria – bewußt oder unbewußt
– in den Hintergrund und in eine Nebenrolle abgedrängt wird, kommt dennoch
ihre Bedeutung ins Licht; nicht, daß sie selbst sich vordrängt oder
gar kämpferisch ihren Platz erobert; aber sie kommt ins Licht zu stehen,
wenn einer genau zu – sieht.

Sie steht am Anfang, und doch wie
beiläufig: ‚es war eine Hochzeit zu Kana, und die Mutter Jesu war da. ‚Sie
steht am Anfang. Nicht in der Mitte. Dort steht Jesus, ihr Sohn. Er ist die
Mitte. Er ist Zentrum. Er ist die Sonne, von der alles Licht und alle
Wärme und alle Kraft ausgehen. Diese Stellung kommt ihm zu. Um ihn kreisen
alle Bewegungen. Um ihn geht es in Nachdenken und Auslegung. Ihm gilt alle
Überlegung. Er ist Mitte und Ziel des Glaubens, der mit dem hier
erzählten Zeichen angestoßen wird:“… und seine Jünger
glaubten an ihn.“

Jesus – die Mitte. Aber – jede Mitte hat einen
Kreis. Die Sonne hat ihren Horizont. Jedes Zentrum hat seine Umgebung. Und da
ist Maria der Mitte am nächsten. Schon am allerersten Anfang steht sie
bereit als „auserwählte Magd“; bereit zu einem einzigartigen Dienst:“ Du
wirst einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen.“ Darum
wird Maria später „Gottesgebärerin“ heißen. Martin Luther nennt
sie die „zarte Mutter Gottes“, die „zarte Mutter Christi“ .

Und nun eben auch in diesem Gleichnis-Bild –
wenngleich von vielen abendländischen Malern nicht erkannt – steht sie am
Anfang und der Mitte am nächsten:“… und die Mutter Jesu war da“. Sie ist
da! Wie ihr Sohn ist sie mitten im Leben. Nicht nur an seinen Rändern.
Nicht nur in seinen Gräben und Brüchen. Sondern : wie zur
vielfältigen Not – Krankheit, Besessenheit, Unfriede, Hunger, Sterben – ,
so gehören Jesus und seine Mutter auch zur Freude; wie zu vielgestaltigem
und vielgesichtigem Elend, so gehören sie auch zum Glück. Ja , Jesus
ist Mitte und Bringer des Glücks, und unweit – Maria! Sie ist darauf aus,
daß aus dieser Hochzeit ein Fest der Freude und des Lebens wird,- der
überströmenden,überbordenden Freude und des erfüllten
Lebens. Wein darf nicht ausgehen; Freude soll nicht enden; Leben sich
erfüllen.
Daß eben dies geschieht, traut Maria und mutet Maria
ihrem Sohn zu. In der ihm eigenen hinter-gründigen, doppel-bödigen
Erzählweise deutet der Evangelist an, daß Maria schon mit dem
Hinweis ‚Sie haben nicht Wein‘ zum Ausdruck bringt, daß sie ihrem Sohn
eben dies zutraut: Freudenzeit, Zeit der Fülle, ja der Überfülle
herbeizuführen, Leben zu stiften, Mangel in Reichtum zu verwandeln,
Durstige zu erfrischen, Müdigkeit zu vertreiben. Es ist nicht umsonst,
daß Jesus in gesprochenen Gleichnissen – eine
alte Tradition
aufnehmend – den Anbruch der Gottesherrschaft
unter den Menschen vergleicht
mit dem Auftakt zu einer langen,
gelingenden,fröhlich-festlichen
Hochzeitsfeier, ja, einer könig=
lichen Hochzeit. Und doch – noch
weiß Maria nicht, wie recht
sie hat, ihrem Sohn zuzutrauen und
zuzumuten, er möge das Fest
‚retten‘. Sie spricht noch von dem Wein,
der helfen soll, das
Fest in Kana gelingen zu lassen. Und es läuft doch
alles schon
daraufhin, daß nun eine umfassende, tief-greifende
Freudenzeit
beginnen wird.

Immer wieder hat die harsche Zurückweisung
‚Weib‘, was geht-s dich
an, was ich tue ?‘ verwundert nicht nur, sondern
befremdet, irri=
tiert, peinlich gewirkt. Und doch reißt geradezu eben
diese Be=
merkung den doppelten Boden auf: „Meine Stunde ist noch nicht
ge=
kommen.“ Sie wird später schlagen! Freilich – die Mutter
läßt
sich nicht abweisen; sie läßt sich auch nicht
erbittern. Sie
bleibt beharrlich. Sie pocht gleichsam auf ihr Recht, ZU
sorgen,
zu gestalten, zu bitten. Damit entwickelt sie nicht nur
frau=
liche, mütterliche Gaben, sondern: ihr starkes Vertrauen
stößt,
greift durch die dunkle Wand der Zurückweisung
hindurch. Und
sie spricht Worte, die sie als wahrhafte Prophetin ausweisen:
„Was
er euch sagt, das tut!“ Ein Wort voll einfacher Deutlichkeit,
voll
mahnender Kraft ohne drohenden Unterton, voll werbender
Eindring=
lichkeit ohne den Versuch der Nötigung. Ein Wort, das von
alledem
bis heute nichts verloren hat: Was er euch sagt, das tut. Was
er
euch zusagt, dem vertraut. Was er euch verspricht, das nehmt an.
Wenn
er gebietet, gehorcht. Wenn er euch tröstet, dann hört. Wenn
er
euch vergibt, dann rechnet nicht mehr nach. Was er euch ver=
heißt,
darauf setzt eure Hoffnung. Wenn er euch segnet, öffnet
euch seiner
Gegenwart. – So kurz und klar und eindringlich, wie
es von Johannes, dem
prophetischen Vorläufer, dem Sohn der ‚Ver=
wandten‘ Elisabeth,
gepredigt wurde, so hören wir-s – wenn wir
denn hören – aus dem
Munde der prophetischen Mutter: „Was er euch
sagt, das tut!“

Und es geschah dann im Verlauf des Festes:
Nicht zauberte Jesus.
Er schöpft nicht einfach aus dem Vollen. Es geht
nicht um-s Mehr
Haben und immer-noch-mehr -Haben. Jesus läßt
Krüge füllen mit
Wasser. Wasser ist das Alltägliche; man kann
mit ihm wässern,
auch : ver-wässern! Es ist das Alltägliche;
eben dies aber wird
er verwandeln! Es ist das Einfache, das
Selbstverständliche, das
Alltägliche, gar das Bedrohliche – Wasser
erfrischt, kann aber
eben auch ertränken! – ,das Jesus verwandeln kann
und will.
Der Gruß, den wir – täglich, alltäglich – einander
entbieten,
– die Hilfestellung, die wir – täglich, alltäglich –
gerufen
oder ungerufen einander gewähren, – das gegenseitige –
tägliche,
alltägliche – Geben und Nehmen, – die Begegnung mit
Nachbarn,
mit Kollegen, in der Familie, – die – tägliche,
alltägliche – Pflicht,
die Arbeit, – die – tägliche,
alltägliche – Sorge, die wir um
uns, um unsere Nächsten, um die
Welt haben, – das Tägliche, All=
tägliche, in dem wir wohl auch
unterzugehen drohen, das uns er=
sticken, lähmen, gar töten kann,
– das Tägliche, Alltägliche ist
da – „Es waren aber allda sechs
steinerne Wasserkrüge …“ – ,aber:
das Alltägliche ist wandelbar,
ver-wandelbar. Nicht um=
sontst, daß Jesus die vorhandenen Krüge
benutzt, – daß er auf das
Tägliche, Alltägliche
zurückgreift. Der ‚Schatz‘ liegt bereit ‚in
irdenen
Gefäßen‘. In dem Menschen Jesus der Christus; im Men=
schenwort
das letzte, das gültige Wort Gottes; in der schlichten
Versammlung der
Gemeinde Gottes Gegenwart selbst.

Und es geschieht: das von Jesus gesegnete
Wasser wird zum guten,
kostbaren Wein der Freudenzeit, – wird zur alles
überragenden, über=
strahlenden, vollkommenen Gabe seiner
Gegenwart. Der Alltag wird
zum Fest: ‚Komm‘, sei du unser Gast!‘ Zu diesem
Fest sind wir ge=
laden – Sie und ich. Tiefe, fruchtbare, reife Lebensfreude
soll
uns durchdringen.

Dieses – ‚erste‘ – Zeichen – deshalb geht es
uns an – geschieht
‚am dritten Tag‘. Johannes der Evangelist – wiederum in
seiner
versteckenden, hintergründigen, doppelbödigen
Erzählweise – verweist
mit dieser Zeitangabe auf den entscheidenden
‚dritten Tag‘. An
dem wird unser Tod durch seinen Tod in Leben verwandelt;
an dem
wird kräftige Zuversicht Herr über lähmende Trauer; an
dem werden
alle guten Verheißungen bestätigt und erfüllt in
der Auferweckung
des Gekreuzigten; an dem wird der getötete Jesus in
ein neues,
unversehrbares, vollkommenes Leben gerufen, kommt der
Christus
zur Welt. Und eben auch da – wie bei der Geburt in diese
todes=
geprägte Zeit und Welt hinein – steht Maria, die ‚zarte
Mutter
Christi‘, am Anfang. ‚Es war eine Hochzeit, und Maria war da.‘

Dr. Dankwart Arndt
Pastor i. R.
Auf
dem Breckels 1
24329 Grebin


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