Johannes 20,19-20.24-29

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Johannes 20,19-20.24-29

Bist du dabei? | Quasimodogeniti | 7.4.2024 | Joh 20,19-20.24-29 | Nadja Papis |

Partytime – alle tanzen und du stehst daneben, irgendwie grad nicht in Stimmung, in einer ganz anderen Welt als die anderen, fehl am Platz.

Oder: ein absolut gekonntes Referat, rundherum Kopfnicken, zustimmendes Lächeln, beglückter Applaus – und du hast kein Wort verstanden, stehst total neben den Schuhen und fühlst dich komplett ausgeschlossen.

Oder…

Ja, wir kennen sie, diese Situationen – alle sind eins, nur ich gehöre nicht dazu. Aus welchen Gründen auch immer – ich kann nicht mitschwingen, mitfeiern, mitdenken, mitgehen, mitklatschen. Ich bin dabei und doch auch wieder gar nicht.

So stelle ich mir Thomas vor. Er hat das Wesentliche verpasst. Er kam zu spät. Tja…

Als ich die Thomas-Ostergeschichte für die Predigt bekommen habe, habe ich mich gefreut. Mit Thomas fühle ich mich schon lange verbunden. Ja, er ist eine dieser sympathischen ganz normalen Menschen in der Bibel, mit denen ich mich identifizieren kann. Weil die Geschichte vom Zweifler Thomas so bekannt ist, wollte ich genau hinschauen, ganz genau. Und dazu lade ich Euch/Sie nun auch ein.

Joh 20,19-20: Es war am Abend eben jenes ersten Wochentages – die Jünger hatten dort, wo sie waren, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen -, da kam Jesus und trat in ihre Mitte. Er sagt zu ihnen: Friede sei mit euch!

Wir sind mitten im Ostergeschehen. Die einen tanzen schon vor Freude, feiern, dass Christus auferstanden ist und ihnen begegnet ist, die anderen stecken irgendwie noch im Schock nach der Kreuzigung fest, in dieser elenden Hoffnungslosigkeit der ersten Trauerstunden in einer Krise. Unabhängig voneinander erzählt der Evangelist Johannes verschiedene Begegnungsgeschichten zwischen den Jüngerinnen und dem auferstandenen Christus. Diese hier ist eine davon, eine aus der Auswahl, die uns Nachgeborenen einen Zugang zum Ostergeschehen ermöglichen will. Denn: Wie kommen wir, wie komme ich, wie kommst du zum Osterglauben – wir waren damals ja nicht dabei, sind dem Auferstandenen nie begegnet und werden es auch nie mehr, wenn wir die später beschriebene Auffahrtsgeschichte ernst nehmen. Wie kann ich glauben, was damals schon unglaublich war?

Die Jünger hatten sich an jenem Abend des ersten Wochentages nach der Kreuzigung versammelt. Es ist also Sonntag, der erste Tag der jüdischen Woche, und die Gemeinde kommt zusammen – tönt nach Gottesdienst, oder? Das ist ganz im Sinne des Evangelisten und seine Botschaft ist klar: Der Auferstandene zeigt sich vor der versammelten kirchlichen Gemeinde – nicht nur damals, an jenem Abend, auch an jedem ersten Wochentag. Wenn ich mich also frage, wie ich – heute, 2000 Jahre später – diesem Ostergeschehen und dem auferstandenen Christus begegnen kann, ist die Antwort klar: im Gottesdienst – oder etwas offener formuliert: in der Gemeinschaft mit anderen Glaubenden.

Sie haben sich versammelt, die Jüngerinnen und Jünger – und dann kommt Jesus und steht in ihre Mitte. Das allein ist ja schon ein Wunder: Erst gerade lag er noch tot im Grab, nun kommt er und steht mitten unter ihnen. Das Wunderhafte wird noch gesteigert: Er kommt, obwohl sie Türen fest verschlossen haben. Sie haben nämlich grosse Angst. Der Evangelist Johannes hat auch den Grund der Angst benannt: vor den Juden. Ohne weiter darauf einzugehen, weist dieser Zusatz auf die eigene Zeit des Autors: eine Zeit, in der die jüdische Gemeinschaft sich von den christlichen Gemeinden getrennt hatte, etwas, was damals für die Christen und Christinnen schwer zu verarbeiten war. Die Zugehörigkeit zur Synagoge bedeutete Schutz vor den Verfolgungen. Ohne diesen Schutz machte sich wohl viel Angst breit. Und Angst, Hilflosigkeit, Erschütterung und Trauer waren wohl auch die Gefühle, welche dort in dieser versammelten Schar zu spüren waren, als das Wunder sie erreichte und Jesus in ihre Mitte trat. Mit der Betonung des Wunderhaften ist auch klar: Dies ist kein reanimierter Jesus oder ein wiederbelebter Scheintoter, sondern der erhöhte, der auferstandene, der vom Tod erstandene Christus erscheint mitten unter ihnen. Für mich ist das übrigens schon ein Stück Osterbotschaft: Ich bin mitten unter euch. Und ein weiteres Stück kommt sogleich dazu: Friede sei mit euch! Dieser Auferstandene ist gekommen, um Frieden zu bringen – den ängstlichen Herzen, den aufgewühlten Seelen, den erschütterten Menschen. Durch seinen Weg ans Kreuz, durch den Tod hindurch hin zu diesem neu erstandenen Leben schenkt er Frieden, einen umfassenden Frieden.

Und da kommt nun Thomas ins Spiel. Mal schauen: Wer hat bisher gut mitnicken können? Ist mitgegangen? Hat mitgefühlt? Und wer kam irgendwo auf dem Weg ins Abseits? Oder blieb stecken? Runzelte die Stirn? Kein Problem, denn Johannes lädt uns mit der nächsten Geschichte nochmals ein, einen Zugang zum Osterglauben zu finden.

Joh 20, 24 – 29: Thomas aber, einer der Zwölf, …, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sagte zu ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und nicht meine Finger in das Mal der Nägel und meine Hand in seine Seite legen kann, werde ich nicht glauben. Nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war mit ihnen. Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Leg deine Finger hierher und schau meine Hände an, streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite. Und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagt zu ihm: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben.

Thomas hat es verpasst. Er war grad nicht da. Und als die anderen ihm vom Auferstandenen erzählen, kann er es einfach nicht glauben. Die meisten, welche diesen Text lesen, empören sich dann ein wenig über Thomas und verurteilen ihn. Ach, der Zweifler! Der glaubte einfach nicht genug! Der musste diese Beweise haben! Nun, seien wir mal ehrlich: Hätte ich das geglaubt, damals, was die da erzählten?

Eigentlich ist die Situation von Thomas unsere Situation heute. Gerade darum erzählt Johannes auch von ihm. Denn schon seine Gemeindemitglieder gehörten zur zweiten Generation der Christ:innen, welche keinen direkten Kontakt mehr mit Jesus und keine Begegnung mit dem Auferstandenen erlebt hatten. Wie viele von ihnen, wie viele von uns können aufgrund dieser fehlenden direkten Erfahrung nicht so recht glauben, was da geschehen sein soll? Was heisst denn das, Christus ist auferstanden? Wie war er denn danach? Und wo können wir ihm begegnen, wo können wir an diesem Wunder teilhaben?

Thomas glaubt nicht, was die anderen bezeugt haben. Er fordert einen eigenen Zugang, er will sehen und noch mehr: Er will das Ganze richtiggehend ergründen, berühren. Ich glaub nur, was ich selber gesehen, ertastet, erfahren habe, was ich anfassen kann. Thomas zweifelt nicht, er glaubt schlicht und einfach nicht, was andere ihm erzählen, er aber selber nicht erfahren hat. Und er will Beweise – ist das nicht menschlich und ziemlich zeitgemäss? Heute steht das Beweisbare grundsätzlich für Wahrheit. Ja, das ist menschlich – und hat darum nichts mit der Auferstehung oder dem Glauben zu tun, denn die gehören in die göttliche Dimension. Immer wieder versuchen wir Menschen, das Göttliche mit dem Menschlichen zu bewerten, zu messen, zu beweisen, zu argumentieren, zu beschreiben. Verständlich und doch unmöglich. Ostern lässt sich also weder reproduzieren, noch beweisen. Nur erleben…

Und nun wiederholt sich die ganze Szene von vorher – fast wortwörtlich: Jesus kam, obwohl die Türen verschlossen waren, trat in ihre Mitte und sprach: Friede sei mit euch!

Ich bin bis zum Äussersten gespannt. Jetzt bin ich mittendrin – ich bin dabei – und Thomas auch. Da ist Jesus, der Auferstandene, wieder durch die verschlossenen Türen, wieder mit dem Friedensgruss.

Jesus geht direkt auf Thomas zu. Er weiss Bescheid, er kennt Thomas – mich und dich – in- und auswendig. Und er nimmt den Zweifel ernst, er nimmt das Menschliche ernst, diese Sehnsucht nach Glauben, die aber nicht ohne Beweise und menschliche Zeichen sein kann. Schonungslos wird aufgedeckt, was Thomas bewegt. Seine wahre Identität kommt ans Licht, wird angesprochen und benannt. Ich stelle mir einen liebevollen, zugewandten Tonfall vor – nichts Tadelndes, sondern eine grosse Geduld und ein unendliches Verständnis für diese menschliche Kleingläubigkeit, für die Angst, den Gedankensturm. Schon der irdische Jesus hat Menschen immer wieder so angesprochen, ihr wahres Ich, ihre wahren Bedürfnisse, ihre echten Gefühle. Dieses Aufdecken hat etwas Heilendes, so schmerzhaft es sein kann. Denn Jesus hält mit mir aus, was da aufgedeckt wird. Ich bin auch darin und damit angenommen.

Und so lädt Jesus Thomas ein: Komm, hol dir, was du brauchst! Sieh hin, ja, berühr mich. Aber brauchst du das wirklich?

Nein, Thomas braucht es nicht mehr, weder die Berührung noch einen anderen Beweis. Er sieht und erkennt den auferstandenen Christus und bekennt sich nun zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Ja, der Auferstandene gehört zur göttlichen Dimension, er verbindet Menschliches und Göttliches. Dieses Glaubensbekenntnis ist der Höhepunkt der Geschichte und fasst alle Bekenntnisse im Johannesevangelium zusammen: Jesus Christus ist Gott. In ihm offenbart sich das Göttliche und ist gegenwärtig bei den Menschen. Zu diesem Glaubensbekenntnis will Johannes seine eigene Gemeinde und damit auch uns bringen. Nur leider hatten wir nicht die Möglichkeit, wie Thomas den Auferstandenen zu sehen. Darum fügt Johannes den letzten Vers an: Selig, die nicht sehen und glauben. Glaube ist nicht abhängig von der direkten Teilhabe am Ostergeschehen, er ist auch möglich über die Zugänge, welche die Ostergeschichten uns bieten – diejenige von Maria aus Magdala, diejenige von Petrus, diejenige von Thomas und noch viele mehr. In jedem Zusammenkommen können wir als Glaubende einander Zugänge eröffnen in unseren Geschichten von Gotteserfahrungen. Das jedenfalls ist die Botschaft von Johannes.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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