Johannes 20,19-31

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Johannes 20,19-31

Quasimodogeniti | 16.04.2023 | Joh 20,19-31 (dänische Perikopenordnung) | Anne-Marie Nybo Mehlsen |

Ich will es glauben, ehe ich es sehe

Kühlschrank-Aufkleber sind für mich ein Sammlerobjekt, auch wenn die Sammlung nicht besonders groß ist, ist sie etwas ganz Besonderes und erinnert mich an Augenblicke, Orte, Ereignisse, die mir Freude bereiten und mit etwas von dem täglichen Lebensmut geben, wenn ich die Katze füttere und auf das Teewasser warte und mich in der Morgensonne ausstrecke.

Darunter sind auch Bibelzitate: „Fürchtet nicht, glaubt nur“ z.B., aber meistens sind es nur Bilder, die etwas Besonderes für mich bedeuten. Sie sind kleine Türen in die Vergangenheit und auch in die Zukunft, in Träume und Pläne und glückliche Wiedereroberungen. Die Kühlschrank-Aufkleber sind wie eine Sammlung von Ikonen, eine andere Art von „sehenden Bildern“, die ihren Betrachter sowohl verwandeln als auch in einem verschlossene Türen öffnen,

Thomas ist keineswegs der einzige, der etwas Konkretes haben will, an das er sich halten kann, er fragt nach der persönlichen Erfahrung, die Tür zu dem, was neu ist, die Niederlage des Todes.

Man nennt Thomas den Zweifler. Im Laufe der Zeiten ist viel mehr oder weniger Kluges über den Zweifel von Thomas gepredigt worden, über den Zweifel als unumgängliche Begleiterscheinung von Glauben, Hoffnung und Liebe. Wir werden vom Zweifel dazu getrieben, nach Gewissheit zu suchen, Bestätigung, als wären wir Konfirmanden. Zweifel lässt einige von uns die Kirche suchen, oder die Natur oder die Musik und Bücher, oder das Gebet.

Einige kritisieren Thomas – sie hören hier auch die Worte so, dass Jesus Thomas kritisiert oder ermahnt. Während sie Thomas schelten, schweifen meine Gedanken ins Weite – wo war Thomas in der letzten Woche? Wessen Zwillingsbruder ist er? Und leben seine Brüder und Schwestern noch immer? Vielleicht stand Thomas dem Judas nahe, der sich das Leben nahm wegen dem, was er verschuldet hatte. Vielleicht war Thomas derjenige, der sich der Untröstlichen annahm, oder war er einfach nachhause gegangen, nach Galiläa? War er den Weg nach Emmaus gegangen, ohne zurückzukehren, wartete er vielleicht woanders auf Jesus?

Wer weiß das? Vielleicht ist es so, dass Thomas wissen wollte, dass es der gekreuzigte Jesus ist, dem sie begegnet waren – denn man kommt um das Leiden, die Trauer und den Tod nicht herum als ein Mensch, der ein Zeuge des Grauens gewesen war. Thomas wollte vielleicht eben nichts hören von Männern in leuchtenden Gewändern, Engeln und Erlebnissen auf hohen Bergen, wo er selbst nicht dabei war?  War Thomas einer von denen, die den Kampf mit einem Dämonen aufnahmen und ihn verloren, die darüber verzweifelten, dass sie dem kranken Jungen und seinem Vater nicht helfen konnten, wo nun Jesus sagte, dass sie das konnten und sollten?

Ihr könnt hören, meine Gedanken schweifen ab, wenn Thomas als jemand dargestellt wir, der zurechtgewiesen und korrigiert werden muss, um zum rechten Glauben zu kommen. Glaube ist nicht Mathematik oder Grammatik. Man kann nicht auf Seite fünf in der Bibel oder Seite vier in der Dogmatik nachschlagen oder in den ersten drei Liedern des Gesangbuchs und sagen: „Hier steht es! Hier ist die Antwort!“

Wenn es so wäre, hätten wir es nicht mit dem lebendigen Gott zu tun, der uns Leib, Gefühle und Vernunft gegeben hat. Glaube ist eine Beziehung, ein Verhältnis zwischen uns und Gott. Gott überlässt uns niemals einem Gerücht von ihm, wo wir von ihm hören und von ihm reden. Gott gibt sich uns zu erkennen, kann erfahren werden, uns begegnen in allem, mit dem wir zu tun haben. Deshalb wurde er Mensch in Jesus, deshalb machte er sich die schmerzliche Mühe, deshalb besteht er darauf, mit uns alle Tage zu gehen hier mitten in unserem Leben, Festtagen und chaotischen Alltagen.

Glaube ist eine lebendige Größe, so wie der Atem ist er etwas, was sich bewegt. Deshalb sind Glaube und Zweifel eng miteinander verbunden. Glauben heißt auch so zu sein wie Thomas – jemand, der überzeugt werden will, überredet werden will, der merken und fühlen will und wissen will, dass Christus da ist, nicht zuletzt: dass er für mich da ist! Für mich! Dass er mit mir zu tun haben will – denn hier nagt der Zweifel am tiefsten. Man weiß nicht, was in Thomas vor sich geht, als er so scheinbar hartnäckig darauf besteht, selbst Hand anzulegen. Aber das könnte eine Furcht davor sein, dass die Begegnung mit dem auferstandenen Christus nur etwas war für die Auserwählten, die wenigen, die dem würdig waren. Vielleicht für die wenigen, die mit ihm auf den hohen Berg gingen und ihn verklärt sahen, vielleicht für die, die Männer mit leuchtenden Gewändern gesehen haben und so wirken, als seien sie bereit, Kreuz, Dämonen und kranke Menschen zu vergessen, die leiden? Was soll Thomas machen, wenn er den Auferstandenen nicht sehen kann, ihm nicht begegnen kann, weil er nicht auserwählt oder würdig ist.

Was nun, wenn Thomas von allen derjenige ist, der bei dem zurückgelassen ist, was vorher war? Nun ohne Jesus, ohne Hoffnung, ohne das Licht von ihm, der alles im Lichte der Liebe sah?

Zurückgelassen werden, sich selbst überlassen sein – da trifft der Zweifel am tiefsten. Da schließen sich Türen – und man kann das Gefühl haben, als gehe man in eine Grabkammer und hörte die schwere Pforte hinter sich zuschlagen, schwer und unwiderstehlich, verurteilt zu Einsamkeit und Finsternis.

Wenn man erst einmal dort gewesen ist – in der Grabkammer des Zweifels, dann weiß man, dass die Tore nicht von innen aufgemacht werden können. Sie lassen sich nur von außen öffnen., von einem, der stärker ist.

Punkt, Pause – bin ich versucht zu sagen. Denn es ist eine tiefe Glaubenserfahrung, in der Nacht gewesen zu sein: Das ist auch eine Begegnung mit der Wirklichkeit der Auferstehung. In einem gewissen Sinne ist das banal. Banal und fundamental. Thomas, sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas war tatsächlich dabei, als Jesus Lazarus aus dem Grabe rief. Wäre es denkbar, dass Jesus nun Thomas herausrief? „Thomas, komm heraus!“

Jesus sagte Unglaube, also Nicht-Glaube!

Jesus tröstet nicht, er befiehlt eigentlich.

Da liegt ein kolossaler Ernst darin, dass Thomas darauf besteht, dass er Jesus wieder begegnen und spüren will als den vom Kreuz Gezeichneten! Thomas will die Auferstehung jetzt, in dieser Welt, in diesem Leben.

Deshalb ist es eine Befreiung, das Christus, der Auferstandene, dasteht und Thomas befiehlt zu glauben. Es ist fast so als würden Unglaube und Zweifel aus ihm ausgetrieben wie Dämonen ausgetrieben werden. Thomas wird gereinigt, befreit, aus der Grabkammer befreit hinein in die Gemeinschaft mit dem Jesus, den er kennt. Thomas ist nicht allein gelassen in einer Welt, wo das Leiden und die Finsternis nicht verschwunden sind.

Mein Herr und mein Gott!

Deshalb besteht ein guter Grund dafür, darauf zu bestehen, es am eigenen Leib, dem eigenen Herzen zu spüren, zu spüren, dass es wahr ist!

Es ist nicht unmöglich, und es bleibt nicht denen vorbehalten, die göttliche Visionen haben.

Das ist ganz wie mit den Kühlschrank-Aufklebern und meinen Morgen eine Frage darum, erinnert zu werden. Die Welt mit neuen Augen sehen, mit neuer Erfahrung davon, dass Jesus uns nicht verlassen und aufgegeben hat. Das heißt sich aus den Grabkammern des Zweifels herausholen lassen und zuweilen dazu aufgefordert zu werden, die Furcht davor fahren zu lassen, verlassen zu sein.

Lass dich das nur zu Tränen rühren – das ist ein Zeichen für Leben. Der Schmerz und das Leben gehen Hand in Hand – so ist es. Deshalb sind da Tränen, wo Leben ist. Zweifel und Verzweiflung und Tränen und Schmerz braucht man nicht zu fürchten – denn die Freude, die Freude der Auferstehung ist vor der Tür. Der Glaube verlässt die Welt und die Erfahrung nicht. Das ist nicht nur etwas für die, die ihre Augen vor Leiden, Einsamkeit und Trauer verschließen. Der Glaube ist die Gewissheit, dass der auferstandene Christus noch immer der Jesus ist, den wir kennen, der Menschensohn mit den Malen des Kreuzes, er, der das Grauen von innen kennt und sich ihm entgegenstellt. Nur er kann beanspruchen, Mein Herr und mein Gott genannt zu werden. Amen.

Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen

DK 4930 Maribo

Email: amnm(at)km.dk

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