Johannes 21,15-19

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Johannes 21,15-19

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Misericordias
Domini, 29.4.2001

Predigt über Johannes 21,15-19 , verfaßt von Klaus Schwarzwäller


Liebe Gemeinde

Die Geschichte lehrt: Wer zum Staatsfeind erklärt wurde, der hatte noch

nie etwas zu lachen. Und stets hatten Staaten ihre Spezialisten, die

dafür sorgten, daß ihnen fühlbar blieb, wer sie waren… Wer aber

diejenigen zur Strecke brachte, die zu Staatsfeinden erklärt wurden, hat

wohl getan, oft auch wenn’s unrecht war. Erst dieser Tage lesen und

hören wir von Nazi-Schergen, gegen die man jahrzehntelang nicht

ermittelte, oder von Hinrichtungswellen etwa in China, und wir erinnern

uns daran, daß vor kurzem ein Mann, der das Abschießen von

Menschen mit befahl, sich als Opfer einer „Siegerjustiz“ fühlte, als er

dafür ins Gefängnis sollte, und hiergegen an den Europäischen

Gerichtshof appellierte. Kurzum, wer leben, gar gut leben will, vermeide
es um jeden Preis, zum Staatsfeind zu werden.

Das zur Erinnerung an die Tatsache, daß Jesus Christus als Staatsfeind

gefangen, gefoltert und liquidiert wurde. Wer sich auf ihn beruft, wer sich
nach ihm nennt, wer ihm auf seinem Weg folgt – man bindet sich damit

an einen Mann, der als Staatsfeind hingerichtet wurde und dessen so

erstaunlich wachsende Anhängerschar recht bald im Römischen Reich

ebenfalls als Staatsfeinde galten und darum verfolgt und teilweise ums
Leben gebracht wurden. Und seither – man frage Christen in Staaten mit

islamischer Staatsreligion oder in Militärdiktaturen oder auch in Staaten
mit alles beherrschenden Wirtschaftscliquen. ..

Das also sind Welt und Landschaft, in die Jesus Christus zu uns kam, in

der er nach seiner Auferstehung vom Tode wieder erschien und in die er

die Seinen sendet -er, der verurteilte Staatsfeind. Wer für ihn einsteht,

sollte sich nicht wundern, wenn es Nackenschläge setzt, sondern wenn

man in Frieden und gutem Auskommen leben kann. Selbstverständlich

ist das nicht, möglicherweise ist es, wer weiß, nicht einmal der

Normalfall. Wie auch immer: Das ist der Zusammenhang, das ist der

Rahmen, wo zutage tritt, wer für mich Jesus Christus ist, was er mir

bedeutet, wie weit er für mich zählt; das! Da vergehen schöne Worte, da
zerplatzen hohe Ansprüche, da klingen hohe Titel oftmals hohl. Da gilt
Anderes. Was?

Wir erfahren es bei der Einsetzung des Mannes, der in der Urchristenheit
– nach allem, was wir wissen – wie ein Fels gestanden hat, auch wenn

er gelegentlich sozusagen schlingerte; der Einsetzung des Petrus.

Feierlich wie am Anfang bei seiner ersten Berufung spricht ihn Jesus hier

mit seinem vollen Namen an: „Simon des Johannes Sohn“. Wir kennen

das: Wenn es offiziell wird, heißt Tünnes auf einmal Anton und Tine

Christine, und jeder weiß: jetzt steht etwas auf dem Spiel. Feierlich und

offiziell also die Anrede an Petrus: Was jetzt folgen wird, ist von Jesus
offiziell und feierlich gemeint – wir mögen hier ruhig an jemand denken,
der zum Präsidenten geht, um die Ministerurkunde zu empfangen.

Jesus allerdings kommt nicht gleich zur Sache; er holt aus. Dreimal fragt

er Petrus, ob er ihn lieb hat, und zwar ein dreifacher Stufung. Zuerst:

„Petrus, liebst du mich mehr als die anderen [Jünger]?“ Dann: „Petrus,
liebst du mich?“ Beim drittenmal: „Petrus, hast du mich lieb?“

Über diese dreifache Frage ist viel vermutet und gerätselt worden.
Vielleicht haben wir am ehesten verstanden, wenn wir sie – stehen

lassen, sie in unserem Sinn nachhallen lassen. Es ist ein eigenartiges
Fragen: Der, der hier fragt, erfährt von vornherein nichts Neues – und

Petrus ist das bewußt, und er spricht es aus: “ Herr, du weißt alle

Dinge…“ Neues jedoch soll hier offenbar der erfahren, der gefragt wird!
Wenn Gott fragt, da geht uns etwas auf. Wenn Gott fragt: „Kain, wo ist

dein Bruder Abel?“, wenn unerschrockene Menschen Gottes Frage
vortragen: „Wo sind deine – weißen, schwarzen, reichen, armen,
tschetschenischen, jüdischen, arabischen. ..Schwestern und Brüder, wo?

Wo ist deine Jugend und junge Generation? Wo ist die Bibel, wo die

Tradition, die euch anvertraut wurde?“ Dann geht den Gefragten etwas

auf, immer wieder mehr, als sie ertragen, und sie werden pampig wie

Kain, oder sie fliehen, oder sie entledigen sich der Frager mit Geld oder

Mord. Es ist leicht, an Gott Fragen zu stellen; jeder Hohlkopf kann

Fragen an Ihn herausschleudern, und ist es nur platt genug, bringt’s

Quoten. Aber von Gott gefragt werden, das ist ein eigen Ding. Gott fragt
eindringlicher, er fragt bohrender als selbst unser Gewissen.

Petrus kann auf diese dreifache Frage nur stammeln, zunehmend
betrübt und ratlos – als wollte er sagen: „Herr, was soll’s! Du weißt doch

Bescheid mit mir. Ja, ich habe dich lieb; nur…“ Hinter diesem „Nur…“

steckt die Lebensgeschichte eines Menschen mit Höhen und Tiefen, mit

Festigkeit und Schwanken, mit unbewußter Wahrhaftigkeit und

ungewußten Lügen; steckt das Wissen, daß ich für mich selber letztlich

nicht einstehen kann, denn ich bin mir selber fraglich. In der Antwort

steckt auch der Schmerz darüber, so unentrinnbar Gottes Fragen
ausgesetzt zu sein, dem ich – dem niemand standhält.

Gott fragt, aber er quält nicht. Wenn er unbequem und ausdauernd fragt,

mag das für uns quälend sein, quälend bis zur Unerträglichkeit; es ist

dann, etwas schnodderig gesagt, eine göttliche Roßkur mit uns, durch
die wir zu Klarheit und Wahrheit gelangen. So wie hier:

Das erstemal lenkt die Frage den Blick des Petrus in seine Mitwelt:

Ragst du aus ihnen hervor? Hängt dein Herz mehr an mir als das der
Anderen? An uns würde die Frage wohl lauten: Bist du ein besserer
Christ als die übrigen?

Wie würden wir antworten – nein, nicht irgendwem, sondern Gott, wenn

Er uns diese Frage stellte? Es möchte sein, daß wir nur sagen könnten:

„Herr, du weißt doch Bescheid, du kennst doch mein Gestümper. Ich

wollte, ich könnte mit gutem Gewissen behaupten: Ja, ich glaube an dich

und folge dir nach. Wie weit ich davon entfernt bin, Herr. ..“ Petrus ant-

wortet auf seine Weise ähnlich: Er bejaht die Frage, doch er sagt vor
allem: Du, Herr, weißt doch Bescheid!

Christi nächster Satz ist, als hätte er nicht gehört, gar nicht zugehört:

„Weide meine Lämmer!“ Petrus soll Hirte sein, wird mit dem Hirtenamt

betraut. Wer das Johannesevangelium kennt, hat dabei im Hinterkopf:
„Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.“

Wir mögen fragen, was Frage und Beauftragung miteinander zu tun
haben? Warten wir ab:

„Petrus, liebst du mich?“ fragt ihn der Herr beim zweiten Mal. Petrus

antwortet wie zuvor. Ich sehe ihn förmlich vor mir, wie er verwundert

guckt, mit seinen Schultern zuckt und nachdenklich wird. Aber der Herr

läßt ihm zum Grübeln keine Zeit: „Weide meine Schafe!“ Also: Sei

sorgender, aufmerksamer, unerschrockener Leiter und Wegbereiter
meiner Kirche.

Wieder bleibt offen, was Frage und Beauftragung miteinander zu tun
haben; der Herr fragt zum drittenmal, und diesmal gleichsam noch weiter
heruntergestuft:

„Petrus – hast du mich lieb?“ In meinen Ohren klingt das fast wie: „…hast
du mich überhaupt lieb?“ Petrus wird darüber traurig – wir können’s ihm

nachfühlen. Seine Antwort ist klar; spannend ist, wie ich selber antworten

würde? Vielleicht so: „Herr, du weißt Bescheid mit mir; was soll’s.

Manchmal frage ich mich selber, ob ich dich überhaupt lieb habe.
Manchmal ist da nur Leere und Beziehungslosigkeit. Manchmal – ja,

vielleicht kann man da sagen, daß ich dich lieb habe. Was mit mir ist und
was echt ist – Du, Herr, weißt es.“

Jetzt, beim dritten Mal, ist Petrus traurig – ich an seiner Stelle wäre

vermutlich so weit, daß ich sagen würde: „Bitte, Herr, laß mich aus dem

Spiel. Du kennst mich ja doch. ..“ Und zum drittenmal scheint Jesus seine

Antwort zu überhören und erteilt ihm den Auftrag, seine Schafe zu
weiden. Warum sein Fragen?

Weil er uns als lebendige, als denkende, als empfindende Menschen

nimmt, die hören können und hören. So leitet er mit seinen Fragen von

meiner Selbsteinschätzung, in der ich mich groß fühle, über meine

Frömmigkeit, in er es mir ernst ist um den Herrn, bis zur Wahrheit meiner

Person, in der ich nur noch traurig sein und sagen kann: Du weißt doch

Bescheid! Du kennst mich doch! Nein, sein Fragen macht nicht herunter

und zieht mich auch nicht in Zweifel. Es bringt mich zum Sehen, dazu,
daß ich erkenne, wer ich bin, wo ich bin. Christ – bin ich Christ? Liebe
ich den Herrn? Das wird mir unter seinen Fragen zweifelhaft.

In dem Maße, wie ich unter seinen Fragen gleichsam schrumpfe, wird

seine Beauftragung gewichtiger und größer. Jeder Mensch, den er

beruft, erhält von ihm einen Auftrag. Ist mir zwar nicht wie in dieser

Weise einmalig dem Petrus die Leitung der Kirche anvertraut worden, so
erkenne ich hier gleichwohl, worum es dem Herrn geht:

Nämlich nicht darum, daß wir andere in unserer Gottesliebe überbieten

oder daß wir von besonderer Gottesliebe erfüllt sind; nicht darum, was
wir wie in uns fühlen an Frömmigkeit oder auch an Einsicht. Sondern

daß wir uns vom Herrn beauftragen lassen und das, was er uns in die

Hände legt und anvertraut, annehmen und mit Treue und Einsatz tun.
Darin wird sich erweisen, daß wir ihn lieben, ob wir ihn lieben…

Treue und Einsatz aber haben diesseitige Gestalt, spielen im

Alltagsgeschehen und sind immer wieder höchst unfromm. Das macht,

es ist ein ehemaliger Staatsfeind, der uns beauftragt und unsere Treue

und unseren Einsatz in seinen Dienst nimmt. Dabei soll sich dann wohl

erweisen, ob wir ihn lieben: indem wir uns dabei führen lassen, wohin wir

nicht wollen, wohin wir um keinen Preis wollen, wovor wir Angst haben,

wovon uns alle guten Gründe abraten, wovor der gesunde

Menschenverstand uns dringend warnt, wovor unsere Seele

zurückschaudert. Nicht daß es gesucht, nicht daß es provoziert werden
soll. Aber daß wir uns führen lassen – führen lassen auch auf Wegen,

wo unsere tastenden Hände ins Leere greifen und wir selber abstürzen,

den Boden verlieren, untergehen, „verbuttert“ und „verheizt“ werden.

Das ist das Vorzeichen über der Berufung: „Folge mir nach!“ Lassen

Sie’s uns nie vergessen: Wir sind berufen in die Nachfolge eines
ehemaligen Staatsfeindes, sind beauftragt zum Dienst in seinem Reich.

Alle aber, die in der Kirche ein Amt haben, gar kirchenleitende Funktion:

Uns wird hier vor Augen gestellt, was das heißt und was dabei gilt. Wem

das aufgeht, wirklich aufgeht, wird darüber erfassen: Ein Amt in der

Kirche Jesu Christi erfordert Mut und führt in Furcht und Demut. Es
heißt: sich beauftragen und führen zu lassen – wohin der Herr will.

Amen.

Prof. Dr. Klaus Schwarzwäller
E-Mail: kschwarzwaeller@foni.net


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