Johannes 21,15-19

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Johannes 21,15-19

Übereifer und Vergebung | Misericordias Domini | 01.05.2022 | Predigt zu Joh 21,15-19 | Udo Schmitt |

(1. Unterwegs mit dem Auferstandenen)

Wir sind in der Zeit nach Ostern. Unterwegs mit dem Auferstandenen. Unser heutiger Reiseführer, Johannes der Evangelist, hat uns in den vorausgegangenen Kapiteln schon von berühmten Persönlichkeiten und berühmten Begegnungen berichtet. Zuerst von Maria von Magdala, mit ihr waren wir live dabei, bei der Auffindung des leeren Grabes, wie Maria dem Auferstandenen begegnet und ihn für den Gärtner hält und ihn nicht berühren darf – davon hörten wir am Ostersonntag. Danach lernten wir Thomas kennen, der die erste Begegnung der Jünger verpasst, und der dann beim zweiten Mal Jesus anfassen muss, um zu glauben, um zu begreifen, dass er es wirklich ist. Das war das 20. Kapitel. Im 21. Kapitel nun erscheint Jesus ein drittes Mal den Jüngern und es ist die letzte und vielleicht auch die merkwürdigste Auferstehungsgeschichte im Johannesevangelium. Und im Mittelpunkt steht Petrus. Doch der Reihe nach!

(2. Am See Tiberias)

Zunächst einmal sind die Jünger beim Fischen auf dem See Tiberias bzw. Genezareth, also wieder in Galiläa. Warum sie dorthin zurückgekehrt sind, erfahren wir nicht. Sie haben jedenfalls nichts gefangen die ganze Nacht über. Ein neuer Morgen bricht an. Da steht ein Mann am Strand, winkt, ruft – doch sie erkennen nicht, wer es ist. „Kinder! Habt ihr nichts zu essen?“ – „Nein, nichts.“ Nichts gefangen die ganze Nacht. „Werft euer Netz noch einmal aus! Auf der rechten Seite werdet ihr es schaffen.“ Sie tun es so und tatsächlich: Auf einmal ist das Netz voller Fische, und erst jetzt merken sie, wer es ist. ER ist es, kein Zweifel, ja, er ist es. Als Petrus das hört, bindet er sich gleich die Kleider hoch, springt ins Wasser und watet hinüber. Dort brennt bereits ein Kohlenfeuer, da werden Fische gegrillt, Brote geröstet. Als die andern im Boot kommen, ist das Netz zum Bersten gefüllt, doch es hält, reißt nicht, und Jesus spricht: „Bringt von den Fischen!“ Petrus mit Feuer-Eifer springt gleich hinzu und zieht das schwere Netz allein an Land. Dann halten sie ein Picknick mit Bratfisch und Toast und hier beginnt der Predigttext: Johannes 21,15-19

„Folge mir nach!“, damit endet das Gespräch. Petrus wird noch einmal berufen, noch einmal in die Nachfolge gerufen. Er darf wieder Jünger Jesu sein, ein Apostel des Auferstandenen, ein Helfer des Hirten, ein Zeuge der Liebe, die Gott zu den Menschen hat. Und am Ende wird er diese Liebe mit seinem Martyrium bezeugen. Die Geschichte geht gut aus. Versöhnung. Happy End.

(3. Petrus)

Und doch, es ist keine Heldengeschichte. Petrus ist für mich nicht der Apostelfürst und Gigant des Glaubens. Er ist nicht so, wie die Abziehbilder- und Kitschpostkartenmaler ihn gerne haben. Er ist auch nicht so, wie ihn Künstler in makellos weißen Marmor gemeißelt haben, mit der herrischen Geste und den Himmelsschlüsseln in der Hand. Für mich ist er nicht der vorbildhafte, der saubere, der reine und fehlerlose Heilige, der sich mit verklärtem Blick und entrücktem Lächeln auf die Folter freut. Nein. All das ist er für mich nicht – und gerade das macht ihn mir so sympathisch. Petrus war kein Fels, er war auch nicht aus Stein – er war ein ganz normaler Mensch, mit Schwächen und mit Stärken. Manchmal muss man Mitleid mit ihm haben, manchmal leidet man mit ihm. Wie schwer muss es ihm gefallen sein, all das zu verstehen, was da geschehen, was da geschah mit ihm und um ihn herum, wo er doch nur ein einfacher Mann war.

(4. Der Fels)

Eigentlich hieß er ja gar nicht Petrus, der Fels – „the rock“, sondern Simon, Simon Johansson, ein Fischer aus Kapernaum. Ein einfacher Mann, ja – aber als Jesus seine Jünger aufforderte Familie und Fischfang hinter sich zu lassen, da war er einer der Allerersten, die ihm nachfolgten. Er war immer schon energisch und tatkräftig, spontan und impulsiv, zupackend, vorangehend, ein Mann der Tat. Und Jesus vertraute ihm. Mehr als einmal hat er ihm das gesagt: Auf dich kann man sich verlassen, du bist mein Fels, auf den ich baue. Mein Petrus!

(5. Das Versprechen)

Tja, und dann kam der Gründonnerstag, ein dunkler Tag für Petrus, sie kennen die Geschichte, nicht wahr. Vollmundig hatte Petrus seine Treue geschworen: Herr, ich folge dir überall hin. Niemals will ich von deiner Seite weichen: You’ll never walk alone! Ich folge dir! Wenn es sein muss, folge ich dir bis in den Tod. Und so weiter und so fort. Und dann die Verhaftung. Petrus war aufgesprungen, wollte kämpfen, die Stunde ist da, so dachte er, alle Eide zu erfüllen, und hat einem der Schergen gleich mal ein Ohr abgehauen. Doch Jesus wollte das nicht. Er verbot es ihm und ließ sich einfach abführen, ließ sich foltern und verhören – und wehrte sich nicht.

(6. Das Versagen)

Sie waren alle geflohen. Und Petrus war allein. Er versuchte zu folgen, versuchte seinen Treuschwur irgendwie doch noch einzulösen, schlich sich also hinterher, bis in den Innenhof wagte er sich, doch dann verließ ihn der Mut. Er war allein und er war sich auf einmal nicht mehr so sicher. Und so verleugnete er seinen Herrn in dieser kalten Nacht, als er sich wärmte an einem Kohlenfeuer: „Was, ich ein Galiläer? Nein, das muss ein Irrtum sein.“ ­– „Was, wer? Jesus, nee, den kenn ich nicht.“ – „Ich, soll einer seiner Jünger sein? Nein, das kann nicht sein!“ Dreimal wurde er schwach, dreimal log er, dreimal sagte er nichts. Und dann krähte der Hahn. Und der Vorhang hob sich für den letzten Akt. So schien es.

(7. Das Unerwartete)

Doch der letzte Akt, blieb nicht der letzte Akt. Etwas, womit keiner gerechnet hatte, war geschehen, etwas, was keiner auf seinem Plan hatte – außer Gott –, war wahr geworden: Jesus war tot. Und siehe er lebt! Als Petrus von dem weg gerollten Stein hört, rennt er gleich los, rennt mit Johannes um die Wette, doch umsonst das Grab ist leer.

(8. Der Übereifer)

Auf dem See nun, hat er es wieder eilig, wieder will er der Erste sein, springt gleich los, ins Wasser rein, kann nicht abwarten, watet an Land… Doch umsonst, er hört dafür kein Lob. Als die anderen dann kommen und Jesus befiehlt, das Netz an Land zu ziehen, da ist es wieder Petrus, der gleich aufspringt und das schwere Ding ans Ufer hievt. Ganz alleine. Und man möchte rufen: „Hey, Petrus, das ist jetzt schon das dritte Mal, dass du so überaus eifrig bist! Was ist los, was soll all die Kraftmeierei?“ –  Na ja, wobei. Eigentlich erübrigt sich die Frage. Denn es ist ja ganz offensichtlich: Der Mann hat ein schlechtes Gewissen. Ich weiß ja nicht, ob Sie das auch kennen. Aber wenn einer meiner Söhne sich bei uns zu Hause so verhielte, sofort parierte und gleich gehorchte, ohne langes Spiel und ohne lange Miene, wenn er sogar ohne ausdrücklichen Befehl und ganz von sich aus Unangenehmes erledigte, dann würde ich wohl zu ihm sagen: „Jung, wat is los? Wo drückt der Schuh?“

(9. Die Frage)

Für Petrus war es ein neuer Morgen nach einer langen kalten Nacht, das dritte Mal nun, dass er den Auferstandenen sah. Der Stein, der vor dem Grab lag, war weggerollt. Der Stein, der Petrus auf dem Herzen lag aber, der war immer noch da. Da stand Jesus also am Ufer im Licht einer aufgehenden Sonne und da brannte auch ein Kohlenfeuer. Endlich spricht er ihn an: „Simon“, sagte er. Simon und nicht Petrus. „Hast du mich lieb?“ – „Hast du mich lieber als mich diese haben?“ Nein. Wohl nicht. Auch Petrus ist schwach geworden.  Er wollte es zwar gerne, wollte immer der Erste sein, der Stärkste, Klassensprecher und Jahrgangsbester unter den Jüngern. „Auch wenn alle schwach werden, so doch ich nicht!“, so hatte er vor kurzem noch groß getönt. „Herr, du weißt, dass ich dich liebe“, antwortet er jetzt kleinlaut und bescheiden. Noch einmal fragt ihn Jesus: „Hast du mich lieb?“ Wieder antwortet er so. Und ein drittes Mal fragt er ihn: „Hast du mich lieb?“ So als wollte er sagen: Wirklich? Kann ich dir wieder vertrauen, ist auf dich noch Verlass? Und diesmal wird Petrus traurig und sagt: „Herr, du weißt alles. Du weißt, was ich getan habe, aber du weißt auch, dass ich dich lieb habe.“

(10. Der Auftrag)

Dreimal hat er ihn damals verleugnet. Dreimal bekennt er sich nun wieder zu ihm. Und dreimal wird ihm verziehen: Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe! Weide meine Schafe! Das heißt: Simon soll wieder der Petrus sein. Ein Anführer, einer der den anderen vorangeht, einer der Anderen Halt gibt, eine Säule der Gemeinschaft, ein Eckstein der Urgemeinde. Denn er kann es und er soll es, doch nicht weil er so toll ist, nicht weil er so stark ist, nicht weil er etwa besser wäre als die anderen Jünger – er ist es nicht –, nein, auch er ist nicht unfehlbar – auch er ist nur ein schwacher Mensch –, sondern, weil er Jesus lieb hat. Die Liebe ist das Entscheidende. Und weil auch Jesus ihn lieb hat, erhält er eine zweite Chance und den Auftrag, es noch einmal zu versuchen. Weide meine Schafe! Und: Folge mir nach!

Und diesmal wird er nicht schwach werden. Er wird Jesus nachfolgen und er wird den Weg der Nachfolge bis zum Ende gehen, bis auch er, wie der Herr, am Kreuz endet. Der Auferstandene deutet es ihm an: Man wird deine Hände ausstrecken, dich festbinden und dich dahin führen, wohin du nicht willst. Diesmal wird es keine Niederlage sein, sondern im Gegenteil, mit deinem Tod wirst du Gott die Ehre geben und den Menschen Mut machen.

(11. Was mir an Petrus gefällt)

Was mir an Petrus gefällt, ist nicht der Märtyrertod, nicht sein Heiligenschein und all der Tamtam, der später daraus gemacht wurde. Mir gefällt nicht der Petrus, dem man Dome geweiht und Statuen errichtet hat. Petrus oder Simon, wie er eigentlich hieß, war von Hause aus kein Heiliger, sondern ein einfacher Mann, handfest und nicht voll vergeistigt, ein Mann, der nicht mau ist, sondern was „in den Mauen“ hat. Aber auch einer, der manchmal das Maul zu weit aufreißt, Sprüche klopft und an seinen eigenen Ansprüchen scheitert.

Ein Schwankender zwischen Angst und Attacke. Er ist einer der ersten, der sich zu Jesus bekennt, immer wieder Treue bekundet, der aber dann an einem entscheidenden Punkt kneift und feige schweigt. Aber er ist auch einer, der eine zweite Chance erhält, als er sich erneut zu Jesus bekennt. Du darfst hinfallen – aber nicht liegen bleiben. Als Christen sind wir alle nur Menschen, keiner ist unfehlbar – auch Petrus nicht – nobody is perfect. Wir sind als Christen nicht ausgezeichnet, weil wir vollkommen sind, sondern weil uns vergeben wurde und wird. Wir leben alle von diesem neuen Morgen, der 2. Chance für das Leben.

Entscheidend ist nicht meine Stärke – aber auch nicht meine Schwäche, sondern die Liebe. Die Liebe Gottes zunächst und dann auch meine. Die Liebe, die ich zuerst erfahre und dann die, die ich an mir herum trage und weiter trage zu den anderen. Und die auch mich trägt. Getragen kann ich mehr tragen. „Ja, ich will euch tragen“, hat Gott gesagt.

Und davon leben wir.

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Liedvorschläge (außer den üblichen Osterzeit- und Tagesliedern):

Ja, ich will euch tragen (EG 380)

Da berühren sich Himmel und Erde (HuE 2)

Stimme, die Stein zerbricht (HuE 256)

Gut, dass wir einander haben (HuE 258)

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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