Johannes 3,1-15

Johannes 3,1-15

Trinitatis | 04.06.2023 | Jh 3,1-15 (dänische Perikopenordnung) | Mikkel Tode Raahauge |

Extra Christum nulla salus

Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, was einem mehr guttut, wenn es darauf ankommt. Und einige der besten Erinnerungen überhaupt aus meiner Studienzeit sind zweifellos die Abende, als ich in der Innenstadt von Kopenhagen zwischen dem Dom und dem Runden Turm wohnte und wo ich mich im Schatten der Dunkelheit an den sommerwarmen Hauswänden in den Straßen der Altstadt von Kopenhagen bewegte, um mit meinen Studienfreunden in einer Bo-Bi-Bar bei Kerzenlicht Theologie zu diskutieren.

Dort habe ich in dieser Umgebung einige meiner besten und wichtigsten Stunden verbracht, denn das nächtliche Gespräch kann etwas, was andere Gespräche nicht können. Dort im Dunkeln ist nämlich Zeit und Möglichkeit, ernst miteinander in einer guten Weise zu reden, ohne an die Schwierigkeiten und Aufgaben des Alltags zu denken und an die Sonne, die besonders in dieser Zeit des Jahres so schrecklich entlarvend sein kann mit ihrem Licht. Jeder, der zusammen im Kreis von Freunden an so einem Abend gesessen hat oder der in seiner Jugend zu Mitternacht einem Geliebten die Tür geöffnet hat, wird wissen, wovon ich rede. Und ich hoffe sehr, dass alle das kennen, denn das nächtliche Gespräch und die Freude, die es bringen kann, ist jedem Menschen zu gönnen.

Es ist also ein vorzüglicher Zeitpunkt, den er gewählt hat, der gute Nikodemus, um unseren Herrn aufzusuchen, um Klarheit über all die Fragen zu finden, die er hat. Denn Nikodemus kommt wohl kaum zu ihm ganz zufällig zu einem unverbindlichen Gespräch bei einem kühlen Bier über dieses und jenes, sondern als Vertreter des offiziellen Judentums (er ist Mitglied des jüdischen Rates, heißt es), Anhänger der herrschenden Weltanschauung, könnte man sagen – um mit ihm einen Meinungsaustausch zu haben und sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wer Jesus im Grunde ist. Er kommt, um nach dem Reich Gottes zu fragen, nach dem Heil (was dasselbe ist), wie man das erlangt. Er kommt, um nach seiner Religion und Moral zu fragen, seiner Theorie und Praxis, seiner Weltanschauung und Lebensführung, wenn man so will. Vielleicht, wenn alles zusammenkommt, um zu wissen, was man selbst tun kann und dafür erwarten darf, um dann Stellung zu beziehen, ob das etwas ist, auf das er sich einlassen kann und will. „Wir wissen“, sagt er zu Jesus, dass du ein Lehrer bist, der von Gott kommt“. Aber ehe er fortfährt – man sieht es fast vor sich, wie sich seine Lippen schon geformt haben, um das entscheidende „Aber“ zu formulieren – da unterbricht der Herr ihn und sagt, dass der, der nicht neu geboren wird, nicht das Reich Gottes sehen kann.

Da endete das Gespräch, und das klingt ja übrigens völlig abwegig, da müssen wir Nikodemus Recht geben. Denn ja, wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Man ist, wie man ist, das kann man nicht ändern. Man ist der, der man ist, und das ist gut so. Oder was? Denn, wenn es darauf ankommt, ist da nicht etwas dran mit Religion und Moral, Theorie und Praxis, Weltanschauung und Lebensführung, was man selbst tun kann und was man dafür erwarten darf?

Ich glaube nicht, dass dieser Gedanke jemandem von uns fern liegt; das tut er jedenfalls nicht für mich. Ich will ja am allerliebsten von mir selbst und meinen Mitmenschen – besonders denen, die ich mag! – glauben, dass ich und wir im Grunde und ganz grundlegend gute und ordentliche Menschen sind, und es herrscht zurzeit eine recht ausgeprägte Vorstellung, wenn wir Menschen nur dürften – oder Lust hätten, unser volles Potenzial, wie es heißt, auszuleben und selbst zu „nutzen“, dann wäre die Welt einfach ein herrlicher und angenehmer Ort für uns alle. Wenn wir nur unseren Grundgefühlen folgen und dafür sorgen, anderen gegenüber einigermaßen anständig zu sein – jedenfalls solange wir Zeit und Lust haben – dass sind wohl die Bedingungen geschaffen für etwas, was einem Paradies auf Erden gleichen kann.

Diese Ausfassung schleicht sich – vielleicht verständlicherweise – auch in der Kirche ein, jedenfalls in Teilen der Kirche. In Frederiksberg in Kopenhagen hat man vom Bischof die Erlaubnis bekommen, eine neue Taufliturgie zu verwenden, wo es in der Einführung heißt: „Der theologische Ausgangspunkt ist, dass die Taufe ein Heilsweg ist, aber nicht der einzige Heilsweg“. Man weiß nicht, was für andere Heilswege sie in Frederiksberg in der Hinterhand haben, die sie uns nicht verraten wollten. Aber ihnen und Nikodemus und allen uns anderen sagt der Herr heute:

Der, der nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann nicht in das Reich Gottes gelangen. Was aus Fleisch geboren ist, ist Fleisch; was Furcht und Leid ist, ist Furcht und Leid. Was Misstrauen und Unglaube ist, ist Misstrauen und Unglaube. Was Leiden und Tod ist, ist Leiden und Tod. Wenn es einen Weg daraus geben soll, dann muss Gott eingreifen.: Was aus Geist geboren ist, ist Geist.

Und eben von dieser neuen Geburt spricht der Herr, und wir durchkleben sie in der Taufe. Dort greift Gott ein und nimmt uns an als die, die wir in Wirklichkeit sind; als die, die von uns selbst weder das Reich Gottes sehen noch in das Reich Gottes kommen können, dort greift Gott ein und nimmt unser ganzes Leben, wie es in Wirklichkeit ist, und macht es neu, macht uns zu neuen Menschen. Gott macht uns verlorene Sünder, wie wir das am Anfang des Gottesdienstes bekennen, zu seinen Kindern und sich selbst zu unserer Zukunft, so dass unser Leben nicht mehr von uns selbst abhängt: Unsere Religion und Moral; unsere Theorie und Praxis; unsere Weltanschauung und Lebensführung, aber ganz und gar von Gott.

Und natürlich kann Gott tun und erlösen, wie Gott will. Alles ist möglich für Gott, aber sicher ist, dass das Heil niemals ohne Christus kommt. „Niemand kommt zum Vater ohne durch mich“, sagt der Herr selbst. Und in der Taufe wird das so laut und deutlich gesagt, dass kein Zweifel bestehen kann, dass wir dort wirklich Gottes Kinder werden und dass uns Gott dort verheißt, mit uns zu sein bis ans Ende der Welt, wie wir es im Wort von Jesus Christus gehört haben. In der Taufe bereitet Gott selbst die Welt für uns, wo die Wirklichkeit nicht die ist, dass wir uns selbst überlassen sind, sondern dass wir stets und überall in der Obhut Gottes sind.

Und es ist klar, die Welt wird nicht ein schönerer oder ein angenehmerer Ort aus diesem Grund, es kommt auch deswegen auch kein Paradies auf Erden. Das kann jeder ja ohne Weiteres feststellen. Aber im Glauben daran, dass wir wirklich Gottes Kinder sind, können wir dann auch der Welt begegnen, wie sie ist, mit all dem, was sie enthält, auch an Furcht und Trauer, Misstrauen und Unglauben, Leiden und Tod. Als freie Menschen und in der Hoffnung, dass wir in unserer Taufe unlösbar gebunden sind – nicht von, sondern an den Gott, der sich ganz als Liebe offenbart hat, und als wir, die Gott liebt in Jesus Christus mit allem, was der Name bedeutet, so dass das Reich Gottes schon jetzt im Glauben und in der Hoffnung vor unseren Füßen liegt. Denn so wie Moses die Schlange in der Wüste erhöhte, so hat Gott den Sohn erhöht, damit er, mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung uns erhöhen wird. Amen.


Sognepræst Mikkel Tode Raahauge

Skovshoved, DK 2930 Klampenborg

Email: mitr(at) km.dk

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