Johannes 9,1-7

Johannes 9,1-7

 

 

Göttinger
Predigten im Internet

hg. von Ulrich
Nembach und Johannes Neukirch 


 


8. Sonntag nach Trinitatis, 05. August 2001

Predigt über Johannes 9,1-7 von
D. Reichert


 

Liebe Gemeinde,
Wunder und Heilungen sind begehrt. Einmal mehr, ein andermal weniger.
Zur Zeit sind sie wieder eher auf dem Mehrweg. .
Wundern muss das eigentlich nicht. Lange genug wurde als Regression
in die Kindheit das denunziert, was als heimliche Sehnsucht nach heiler
Welt immer wieder ein Stück Anschub, Wirkkraft und Motivation gewesen
ist, die zu Veränderungen geführt hat.
Jenes Stück Hoffnung nach einer Welt, die endlich so in Ordnung
ist, wie ich sie möchte, und wie ich sie mir wünsche.
Wo Wunder nicht mehr einfach ins Abseits gestellt bleiben, sondern eben
vielleicht so ein wenig auf dem Mehrweg sind, merke ich zugleich, dass
plötzlich gerade die Worte fehlen, um jetzt und verstehbar von
Wundern zu reden.
Worte fehlen, um so von ihnen zu reden, dass andere es hören, `das
meint sie, davon redet er, das gibt es´.
Worte fehlen, dass andere genau das hören und dann selbst sagen,
`das meine ich auch und das will ich auch´.
Trotzdem, Wunder sind begehrt, warum auch nicht. auch nicht?

Wer würde heute, wenn Wunder nicht begehrt wären in einem
Umkreis von sagen wir einmal mehr als hundert Kilometern den Namen von
Lengede heute noch kennen, wenn nicht damals, – wann es genau war, weiß
ich, ohne nachzuschlagen, selbst nicht mehr, aber der Name ist geblieben
– , wenn nicht damals bei dem Grubenunglück Menschen gegen alle
Wahrscheinlichkeit gerettet worden wären?
Aus der Welt waren Wunder nie, auch wenn ihre Tonstärke geringer
gewesen war und der Gedanke an sie öfter dann nur noch auftrat,
wenn sie gerade nicht eintraten.

Wir sind bereit für Wunder und Heilungen und nicht nur dann, wenn
sie uns selbst betreffen,
Das tun sie statistisch ja bekanntlich am seltensten. Wir sind es auch
nicht einfach im Gegenüber und in der alten Konfrontation zu dem,
was wir an naturwissenschaftlichen Gesetzen kennen, sondern durchaus
neben und mit ihnen.
Wunder müssen nicht nur der Rest von dem sein, was wir noch nicht
wissen, – nicht allein das, was sich reduziert, je mehr ich weiß,
sondern Wunder und das, was ich nachweisbar weiß, scheinen auf
dem Weg zu einem vielleicht nicht ausgewogenen, aber auf alle Fälle
nicht nur konkurrenzbezogenen Nebeneinander.

Warum ich das erzähle?
Johannes erzählt eine Wundergeschichte, und von der will ich Ihnen
erzählen, – nein, ich will sie Ihnen erzählen.
Vorweg gesagt, für die unter Ihnen, die die Überschriften
der Bibel noch im Ohr haben, es ist die Heilung des Blindgeborenen im
9.Kapitel des Johannesevangeliums.

Wundergeschichten haben etwas von Märchen und Märchen haben
etwas von Wirklichkeit.
Märchen und Wundergeschichten haben manches, worin sie sich berühren,
aber sie haben auch Wesentliches, was sie trennt.
Märchen fangen an mit ihrem `es war einmal´, Wundergeschichten
nicht. Dabei steht in den Märchen das `es war einmal´ genaugenommen
für die Worte `so war es nie´. Und wo es am Ende heißt,
`und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute´
, dann steht das für den Gedanken `schön wäre es, wenn…´.
Märchen markieren deutlich, `das ist nicht wirklich so´,
und gleichzeitig transportieren sie zwischen Anfangs- und Schlusssatz
Erfahrungen, die aus der Wirklichkeit gewonnen sind, –
und legen mit ihnen Schlussfolgerungen und Ratschläge nahe.

Wundergeschichten geben keine Ratschläge, und sie transportieren
auch keine Erfahrungen.
Mit ihnen geht es andersherum: Die Begegnung des Glaubens mit Jesus
Christus und die Erfahrung mit dem Evangelium ist es, die die Wundergeschichten
mittransportiert.
Und mit ihnen wird gleichzeitig Wirkliches mittransportiert und weitergegeben.
Dazu gehört auch, dass viele Wundergeschichten mit einer festen
Redewendung aufhören, `und sie lobten Gott´, – sie, nämlich
die Leute, Menschen, die dabei waren und dabei etwas von Gott begriffen
und verstanden haben.
Märchen erzählen etwas, Wundergeschichte werden miterzählt.

Also bei Johannes Kapitel 9, die Verse 1bis 7, die Heilung des Blindgeborenen.
((Textverlesung))

Johannes erzählt ein Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern.
Da ist ein äußerer Anlass, eine Frage, eine Antwort, eine
Behauptung und dann ein Heilungswunder.
Aber was erzählt Johannes da eigentlich?

Mitten auf dem Weg nach Jerusalem kommt Jesus mit den Jüngern
an einem Blinden vorbei, an einem, der von Geburt an blind ist. Er wird
kein großes Schild neben sich stehen gehabt haben, „bin blind
von Geburt an“. Herausgerufen hat er es vielleicht, um auf sich
aufmerksam zu machen – oder auch nicht. Jedenfalls Jesus und die Jünger
und wer immer die Geschichte hört oder liest, weiß es. Warum
und wie, das ist offenbar nicht wichtig.
Leicht, so will ich das verstehen, deutet Johannes damit an, dass es
bei allem Leid und aller Schwere des Schicksals dieses Blinden gar nicht
so sehr um ihn geht. Nicht er ist es, der hier im Mittelpunkt steht.
Deshalb muss auch mein Blick nicht allein bei ihm bleiben, und ich muss
mich – wenn auch aus noch so viel gutem Herzen und aufbrechendem Mitleid
– nicht nur auf ihn konzentrieren.
Allerdings, dies lohnt sich schon festzuhalten, der Blinde ist auch
für Johannes, der sein Evangelium schreibt, nicht nur Material.
So wie nie ein Mensch Material sein kann, reiner Gegenstand des Berechnens
oder allgemeiner theoretischer Reflexionen. Der Blinde wird schließlich
am Ende geheilt und mit hineingenommen in das, was Johannes von diesem
Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern erzählt.

Gespräche haben immer irgendwo verborgenen oder manchmal auch
ganz offen herumliegende Stolpersteine auf ihrem Weg.
Einer weiß etwas vom anderen, der andere mag den einen nicht,
sie verstehen beide Anderes, unter gleichen Worten andere Sachverhalte,
Werte und Dinge. Keiner hat erlebt, was der andere erlebt hat, – was
für die andere als Erfahrung mitschwingt, – was sich einklinkt
aus eigener Erinnerung in Sichtweise und Bewertung.
Nie spielt dies alles zusammen mit, aber etwas davon meist.
Das macht Erzählen, Unterhalten, Verständigen nicht unmöglich,
aber es erschwert es immer.
Johannes setzt das oft ein in seinen Geschichten, dass Menschen sich
in Gesprächen missverstehen. Er macht das stilistisch gekonnt und
pointiert, ein Stichwort gegeben und falsch kombiniert aufgenommen.
Aber im Grunde ist das nichts Außergewöhnliches. Es ist der
einfache Normalfall unter uns immer wieder, einer, über den wir
dann glücklicherweise auch oft hinauskommen.
Also muss ich auch bei der Heilung des Blindgeborenen nicht allein dabei
bleiben und nicht darauf mein Interesse konzentrieren,
dass die Jünger etwas sehen (den Blinden) und nach etwas anderem
fragen (nach der Absicherung ihres Welt- und Lebensverständnisses,
danach, wie sie Leiden und Schuld verstehen können, möglichst
klar aufeinander bezogen und verrechenbar),
und auch nicht darauf, dass sie in der Antwort Jesu, nachdem er ihre
Frage kurz streift (`weder er noch sie´), auf etwas ganz anderes
verwiesen werden (Gott soll in der Welt erkennbar sein) als darauf,
wonach sie gefragt hatten,
und auch nicht darauf,
dass da ein Wortspiel von Blind über Offenbarwerden und Licht auftaucht.
Auch das macht nicht das Zentrum aus, sowenig wie der Blinde.

Dort ist das Zentrum und der Mittelpunkt, wo Jesus ganz bei sich selbst
bleibt, wo er von der Stoßrichtung seines Handelns und von seiner
Aufgabe redet.. In sie nimmt er die Jünger mit hinein. Bei allem,
was geschieht, was jemand tut oder sagt, kommt es darauf an, dass darin
das Handeln Gottes offenbar wird, dass Gott selbst deutlich, erkennbar,
erfahrbar wird.
Das ist es, was der Welt fehlt, was sie sich nicht von selbst sagen
kann, worin sie, ohne es blind bleibt, so wie der am Wegrand, blind
bleibt. Sie bleibt es, weil sie selbst blind geboren ist und nicht von
sich aus zum Sehen kommen kann. Sie bleibt es, weil das Sehen nicht
in ihr drin ist, mancher anderen Welthoffnung und eigenerstellten Weltsicht
entgegen.
Wer sich auf Jesus einlässt, muss wissen, dass nicht Selbsterkenntnis,
sondern Erkanntwerden (und dann genauer schon längst Erkanntwordensein)
es ist, was ihn kennzeichnet und zeichnet und auszeichnet.
Nein, es ist kein zynischer Satz, wenn Jesus auf den Blindgeborenen
bezogen sagt, dass an ihm Gottes Werke offenbar werden sollen. Nicht
damit sie, die Jünger, ihn später einmal sehen sollen und
als Gesprächsanstoß haben, ist er blind geboren, sondern
er, der blind geboren ist, an ihm, wie die Jünger ihm da zufällig
begegnen, können sie Gottes Werke und an ihnen Gott selbst begreifen
und so auch sich selbst, – nicht anders
Nicht die Theodizeefrage und nicht die Frage nach Schuld und Leid und
nach dem Zusammenhang von eigener Tat und eigenem Ergehen, sind es,
um die es geht,
sondern es geht um Gottes Werke. Sie müssen getan werden, von Jesus,
von Jesus und von den Jüngern.
Das ist die Aufgabe von der Jesus redet, zu der er die Jünger führt.

Sie ist die Aufgabe, die sie erkennen müssen, die sie sehen müssen

und die sie sehen können. Sie könne sie sehen, so, wie der
Blinde zum Sehen geführt wird.
Plötzlich gehen Blinder und Jünger und Jünger und Jesus
in Eins.
Das Wunder, so lebensgewinnend wichtig es für den Blinden ist,
ist für die Jünger wichtig, damit sie begreifen , was die
Aufgabe Jesu ist und ihre mit ihm.
Damit sie begreifen, dass Jesus sie dazu führt, wie den Blinden
zum Sehen:
Die Werke Gottes zu tun, solange es Zeit ist, den Glauben zu leben,
klar und erkennbar“denn es kommt die Nacht“.

Das ist die Keim- und Kernzelle dieses Evangeliumstextes: Zum Glauben
kommen, – so wie hier die Jünger, die am Blinden, der geheilt wird,
zum Sehen kommen. Zum Glauben kommen heißt, von Gott reden, ihn
leben, handeln, gestalten. Sonst bleibt Blindheit, sonst bleiben die
sich selbst gestellten Fragen, die selbstentworfenen Antworten und das
Gestrüpp der Unlösbarkeit, mit der sie, einmal formuliert,
immer wieder verwirren, ratlos werden lassen und nicht zum Lösen
führen.
Von dieser Erfahrung des Glaubens wird die Wundergeschichte mittransportiert,
– wird das Wunder bildhaft und anschaulich mit hineingenommen in das
eigentliche Gespräch, den eigentlichen Hinweis, die Stoßrichtung
Glauben leben und so Gott erkennbar werden lassen.

Die Wundergeschichte gibt keine Lösung, so wie manche und schöne
Märchen, die Lösungen und Handlungsmodelle, anbieten, `was
mache ich dann, wenn´.
Die Wundergeschichte gibt, so plastisch sie ist, den Hinweis auf die
Aufgabe für alle Sehenden, für alle Glaubenden, von Gott zu
reden, sein Werk zu tun, kurz, unsren Glauben zu eben bevor wieder Dunkel
sein wird und Nicht-Sehen für viele. Amen

Sup. Dr. D. Reichert
Gneisenaustr.76
33330 Gütersloh
SuperintendentGT@aol.com

 

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