Jona 2,1-11

Jona 2,1-11

Jonas Gebet – auch unser Gebet | Ostermontag | 18. April 2022 |Jona 2, 1-11 | Gert-Axel Reuß |

Anmerkungen zu den Lesungen im Gottesdienst:

Ich schlage vor, den Predigttext als alttestamentliche Lesung anstelle der Epistel zu lesen.

Wenn ein Psalm im Gottesdienst gebetet wird, könnte Jona 2, 3 – 10 den normalerweise vorgesehenen Psalm 118, 14 – 24 ersetzen (und auf die alttestamentliche Lesung bzw. die Epistellesung verzichtet werden).

Die Evangeliumslesung Lk 24, 13 – 35 steht für sich; die Lesung könnte durch das Wochenlied unterbrochen werden (z.B. nach Lk 24, 27). 

Liebe Gemeinde,

Ostern gibt es nicht ohne Karfreitag – aber Ostern ist mehr als Karfreitag!

Der heilige Ernst dieses Satzes wird uns in diesen Wochen drastisch vor Augen geführt. Die biblischen Ostergeschichten klingen irgendwie anders in diesem Jahr (2022). Jede/r versteht, dass die Frauen, die das Grab leer finden, traumatisiert sind. Und die Jünger Jesu auch.

Sogar die zarte Hoffnungsgeschichte der Emmaus-Jünger schmeckt nach Angst. Die Bitte „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ (vgl. Lk 24,29) hat eine neu empfundene Dringlichkeit: ‚Lass uns nicht allein! Lass uns nicht allein in dieser Nacht. Lass uns nicht allein in unserer Angst, lass uns nicht allein in unserer Not!‘

Neu im Kanon der österlichen Lesungen ist das Gebet des Propheten Jona. Ein Psalm, der einen ganz anderen Ton anschlägt als die Auswahl aus Psalm 118, welche traditionell dem Osterfest zugeordnet wird. Keine Siegesmeldungen, kein Freudentaumel. Jona steht das Wasser bis zum Hals – mehr noch: er kämpft verzweifelt gegen das Ertrinken. Der Bauch des Fisches, der ihn verschlungen hat, ist keineswegs ein sicherer Rückzugsort, sondern eine Art Vorstufe der Hölle: „Ich schrie aus dem Rachen des Todes! … Ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen. … Der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.“

Der große Fisch ist kein sympathischer Delphin, sondern ein Meerungeheuer. Wenn der Wal am Ende der Geschichte Jona wieder ausspuckt, dann ganz sicher nicht, weil das in seiner Natur liegt, sondern auf Gottes Geheiß. Der Bauch des Fisches ist kein Ort der Sicherheit, sondern der Todesnähe. Absolute Finsternis umgibt den Propheten. Wie lange wird die Luft zum Atmen noch reichen? Am Ende droht die Verdauung.

„Und Jona war im Leib des Fisches drei Tage und drei Nächte.“ Es ist kein Zufall, wenn wir dabei die Worte des Glaubensbekenntnisses mitdenken: „… hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Früher hieß es noch – völlig zutreffend – „niedergefahren zur Hölle“. Die Botschaft ist: Noch in der äußersten Gottesferne bist Du nicht allein. Jesus ist da, an deiner Seite. Und weiter: Gott lässt niemanden an diesem schrecklichen Ort zurück! Jesus nicht. Jona nicht. Und Dich auch nicht!

„Und Jona war im Leib des Fisches drei Tage und drei Nächte.“ Interessant ist, dass an dieser Stelle der Fortgang der Jona-Geschichte unterbrochen wird. Der Fisch spie Jona nicht einfach so ans Land, wie es in dieser Lehr-Erzählung eigentlich zu erwarten gewesen wäre, sondern die Geschichte steht still. Die Hörer*innen dürfen einen Blick werfen in den Bauch des Fisches und sehen, dass Jona betet.

Man würde erwarten, dass dieses Gebet am Ende der Geschichte steht. Jona könnte – vom Fisch wieder ausgespuckt – Gott am Strand einen Altar bauen und für seine Rettung danken, so wie Noah es tat nach der Sintflut. Und genau so ist dieses Gebet auch gestaltet. Jona betet: „Du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott.“ Und weiter: „Ich will mit Dank dir Opfer bringen.“

Aber die Geschichte verlegt dieses Gebet in den Bauch des Fisches. Thematisiert wird also nicht Jonas Rettung, sondern seine Bekehrung: „Meine Gelübde will ich erfüllen.“ Man könnte auf den Gedanken kommen, dass genau dies die eigentliche, die tiefere Absicht der Geschichte ist; dass Jonas Bekehrung seine eigentliche Rettung ist (und dass der Fisch Jona wieder ausspeit, nur noch die logische Konsequenz).

Ostern gibt es, auch wenn wir nur Karfreitag sehen – Ostern gibt es in jedem Karfreitag!

Während am Ostersonntag die Auferstehung Jesu im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Feiern steht, kommen am Zweiten Ostertag diejenigen in den Blick, die dem Auferstandenen begegnen. Was bedeutet die Auferstehung Jesu für seine Jünger*innen?

Das ist zugegebenermaßen eine sehr diesseitige Auslegung der Ostergeschichten, aber Ostern bliebe ja völlig belanglos, wenn die Auferstehung Jesu für uns und unser Leben in dieser Welt keine Bedeutung hätte. Das Gegenteil ist der Fall! Die Auferstehung der Toten (nach dem 3. Artikel des Glaubensbekenntnisses) kann warten. Sie ist keineswegs unwichtig. Aber: Wie führen wir unser Leben bis dahin?

An dieser Stelle kommt der Prophet Jona in den Blick, der eine Auferstehung anderer Art erlebt. Jona wird nicht – wie Jesus – in den Himmel entrückt, sondern in sein ‚altes‘ Leben zurückgeworfen. An Land gespuckt, um Gottes Auftrag zu erfüllen.

Gibt es so etwas wie einen österlichen Auftrag? Will Gott uns brauchen als seine Bot*innen der Hoffnung?

Bevor ich mich dieser Frage zuwende, lassen Sie uns einen Moment innehalten. Lassen Sie uns auf den betenden Jona schauen – wohlgemerkt: im Bauch des Fisches! Wir hören, wie er seine Angst überwindet. Entscheidend ist dabei nicht so sehr das WIE, sondern das DASS. Dass Jona seine Angst, seine Todesangst herausschreit. Und dass dieser Schrei einen Adressaten hat – möglicherweise zuerst gar nicht in den Worten und Gedanken des Propheten, sondern darin, dass Gott hört: „Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und DU hörtest meine Stimme.“

Das ist der Karfreitagsmoment des Jona. Und wir können uns leicht vorstellen, dass ein solches Klagen, ein solcher Schrei auch den Frauen unter dem Kreuz auf den Lippen und den in der Ferne gebliebenen Jüngern im Herzen gewesen ist.

Gott hört! Er hört auch das Gebet Jesu in der Stunde seines Todes. „Mein Gott, mein Gott, warum hast DU mich verlassen?“ ist ja nur der Anfang seines Gebets, das in der Zeile mündet: „Unsere Väter hofften auf DICH, und da sie hofften, halfst DU ihnen heraus.“ (Psalm 22, 2+5) 

Bei Jona im Bauch des Fisches klingt das so: „Als meine Seele verzagte, gedachte ich an den Herrn, um mein Gebet kam zu DIR in DEinen heiligen Tempel.“  Hier wird aus Jonas Angst seine Bekehrung. Hier entsteht seine Bereitschaft, „seine Gelübde zu erfüllen“.

Dieses Gelübde verdient es, in einem anderen Zusammenhang genauer bedacht zu werden. Hier nur so viel: Jona folgt dem Auftrag Gottes und predigt den Menschen in Ninive den Untergang – was bei denen wiederum eine Lebenswende auslöst. Eine Bekehrung. Aber das ist eine eigene Geschichte.

Heute geht es um die Lebensängste der Jünger*innen – oder vielmehr darum, dass diese überwunden werden. Dass die Frauen und Männer um Jesus zu Bot*innen der Hoffnung geworden sind. Dass sie „Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben“ (Lk 24,25) genannt werden, diskreditiert sie nicht (im biblischen Text sind es den Emmaus-Jünger), sondern verleiht ihnen Glaubwürdigkeit. Wenn Gott diese – wie auch Jona – aus dem Verderben geführt hat, dann wird er auch unsere Verzweiflung, unsere Resignation, unsere Verzagtheit überwinden und in Vertrauen, Kraft und Mut verwandeln.

Ostern führt aus allen Karfreitagen heraus!

Es könnte sein, dass einige unter uns ähnliche Auferstehungserfahrungen gemacht haben wie Jona. Und vielleicht auch etwas von dem erfahren haben, was die Jünger*innen berichten. Dass sich dort, wo sie an ein Ende kamen, plötzlich Lebenswenden ereigneten. 

Das Gebet des Jona könnte auch unser Gebet sein. Vielleicht ist es hin und wieder schon unser Gebet gewesen, und es tut gut, sich daran zu erinnern, um sein Leben auszurichten auf die Dinge, auf die es wirklich ankommt. Dazu gehört trotz all der Nachrichten, die auf uns einstürmen, nicht zu vergessen, wie gut es uns geht. Dazu gehört, dass wir anstatt zu erstarren oder in Resignation zu verfallen, Menschlichkeit zeigen und möglicherweise etwas tun können.

„DU hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott. Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den HERRN, und mein Gebet kam zu DIR. … Ich will mit Dank DIR Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen.“

Zeug*innen der Hoffnung können auch wir sein und Mitgefühl zeigen mit denen, die unter Gewalt und Terror leiden. Dazu gehört in diesen Wochen (aber ja nicht erst seit heute, nicht erst in diesem Jahr 2022), dass wir denen tatkräftig beistehen, die Todesängste ausstehen. Ich meine damit natürlich die Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten, aber auch unsere Gebete um Frieden in der Ukraine (und anderswo auch!) werden gebraucht. 

Wenn wir uns heute morgen an Jona erinnern, dann bedeutet dies: Gottes Geschichte mit den Menschen ist noch nicht an ein Ende gekommen! Dort, wo Menschen in ihrem Gottvertrauen schwanken, da sind wir gefragt mit unserem Glauben! Zu diesem Glauben gehört, dass wir uns nicht abbringen lassen davon, dass Menschen umkehren können. Egal, wie weit sie sich von Gott, wie weit sie sich vom Tun des Willens Gottes entfernt haben. 

Es könnte sein, dass auch wir diese Menschen sind, die umkehren und neu beginnen müssen. Angewiesen auf Vergebung und Gottes Gnade. Das Beispiel des Jona zeigt: Gott schenkt diese Gnade!

Amen.

Gert-Axel Reuß

Domprobst

Domhof 35

23909 Ratzeburg

Mail: reuss@ratzeburgerdom.de

Gert-Axel Reuß, geb. 1958, Pastor der Nordkirche, seit 2001 Domprobst zu Ratzeburg

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